Wolfgang Ullrich: Mit Abbildungsverboten missbrauchen Künstler das Urheberrecht

Screenshot: Auszug aus dem Buch „Siegerkunst“
Hintergrund: In seinem aktuellen Buch „Siegerkunst – Neuer Adel, teure Lust“ setzt sich Wolfgang Ullrich kritisch mit dem modernen Kunstbetrieb auseinander, der sich – so seine These – mehr und mehr mit den Reichen und Mächtigen verbünde. Auf zahlreichen Seiten des Buches sind Grauflächen zu sehen. Für die dort vorgesehenen Abbildungen von Kunstwerken verweigerten mehrere Künstler die Erlaubnis zum Abdruck. Wie sie diese begründen und weshalb er sich mit dem Verlag für die Grauflächen entschied, thematisiert der Kunstwissenschaftler sowohl in der Einleitung des Buches als auch in einem Blogeintrag auf seiner Website „Ideenfreiheit“.
iRights.info: Herr Ullrich, Sie beklagen öffentlich, dass Ihnen viele Künstler verboten haben, ihre Kunstwerke in Ihrem Buch abzubilden und sehen dahinter einen Trend. Wieso?
Wolfgang Ullrich: Ich publiziere seit Ende der 90er Jahre kunstwissenschaftliche Bücher, „Siegerkunst“ ist mein elftes im selben Verlag. In allen Büchern sind Abbildungen von Kunstwerken, mal zeitgenössische und mal historische. Doch solche Probleme wie zuletzt hatten wir bisher nicht.

Wolfgang Ullrich studierte Philosophie, Kunstgeschichte, Logik/Wissenschaftstheorie und Germanistik. Von 2006 bis 2015 war er Professor für Kunstwissenschaft und Medientheorie in Karlsruhe. Seither ist er freiberuflicher Autor, Kulturwissenschaftler und Berater. Foto: Annekathrin Kohout
Manchmal werden Abbildungsanfragen schlicht abgelehnt, manchmal aber auch die Bedingungen für eine Erlaubnis so hoch geschraubt, dass sie für eine wissenschaftliche Publikation kaum erfüllbar sind.
iRights.info: Was sind das für Bedingungen?
Wolfgang Ullrich: Manche Rechteinhaber bestehen etwa auf farbigen Abbildungen oder darauf, dass ihr Bild als Einziges auf der Doppelseite steht. Takashi Murakami erwartet, dass ihm zuerst eine japanische Übersetzung des Textes vorgelegt wird. Das ist teuer, kostet viel Zeit – und ist eine Willkürmaßnahme, die signalisiert, dass der Künstler gar kein Interesse hat, an einem Ort aufzutauchen, den er nicht selbst definiert hat.
Ohnehin wollen Künstler immer häufiger erst einmal den Text sehen, um von dessen Inhalt abhängig zu machen, ob sie eine Abbildung freigeben – wohl wissend, dass man sich als Autor auf bestimmte Vorgaben vielleicht doch einlässt, um den grauen Kasten im Buch zu vermeiden.
Bei manchen ist schon abzusehen, dass es schwierig wird, etwa bei Damien Hirst, der vor etwa zwei Jahren dem Magazin „Monopol“ die Werksabbildungen untersagte, weil die Redaktion ihm die Geschichte über ihn nicht vorab vorlegte.
In solchen Fällen erwähne ich die Künstler, bespreche sie aber nicht anhand von konkreten Werkbeispielen, sodass ich auf Abbildungen verzichten kann. In der Summe behindert das meine Arbeit als Kunstwissenschaftler jedoch enorm, ich halte das für eine Art Einmischung oder auch Zensur.
iRights.info: Werfen Sie den Künstlern also ein übergriffiges Verhalten gegenüber ihren Kritikern vor?
Wolfgang Ullrich: Ich glaube, viele Künstler wollen generell die Kontrolle darüber haben, wie über sie geschrieben wird, auf allen Ebenen. Es stört sie mitunter nicht einmal, wie negativ die Kritik ausfällt. Es geht ihnen darum, ob ihre Arbeit in ihrem Sinn kontextualisiert wird.
Dieses Bestreben könnte man wohlwollend auch als Zeichen ihrer Professionalisierung betrachten. Sie haben erkannt, dass es nicht reicht, die Signatur unter das Werk zu setzen und es bei seiner Reise durch die Rezeptionen allein zu lassen. Vielmehr wollen sie es weiterhin begleiten und beeinflussen, wo und wie darüber geschrieben wird, welches Image das Werk haben soll.
iRights.info: Das finden Sie professionell?
Wolfgang Ullrich: Man kann das auch positiv sehen, zumal insbesondere erfolgreiche Künstler oft große, büroartige Infrastrukturen haben. Wie ein Unternehmen müssen sie versuchen, nicht nur das Werk zu gestalten, sondern auch Rezeption und Imagebildung des Werkes als Teil ihrer Aufgabe zu sehen.
iRights.info: Dem Musiker Frank Zappa sagte man zu Lebzeiten nach, er wäre am liebsten zu jedem Käufer seiner Platten nach Hause gefahren, um dort die Klangregler der Musikanlage in die seiner Meinung nach „richtige Einstellung“ zu bringen.
Wolfgang Ullrich: Ich könnte da noch Beispiele aus der Kunstgeschichte nennen, Mark Rothko etwa, den es angeblich immer graute, wenn er sah, wie die Leute in falschen Haltungen vor seinen Bildern standen.
Künstler haben stets einen hohen Anspruch auf Gestaltung, sie sind seit jeher sehr imagebewusst, aber das drückt sich heute in den erwähnten Kontrollbedürfnissen über Rezeption, Bezugnahmen und Bewertungen ihrer Kunst aus, womit sie, wie ich finde, den Bogen überspannen.
„Viele Künstler sind daran gewöhnt, Texte über sie kontrollieren zu können“
iRights.info: Welche Rolle haben Kunstkritiker und Kunstwissenschaftler dann noch?
Wolfgang Ullrich: In der klassischen Moderne suchten sich Künstler nach Möglichkeit einen bekannten Theoretiker, Kritiker oder Kunstschriftsteller, der sie durchsetzen sollte, indem er die Werke nachträglich kontextualisierte. Heute sehen die Künstler in freien Autoren, Kritikern und Theoretikern offenbar eher Gegner.
Es gibt heute einen sehr dominanten Kunstmarkt. Zu großen Ausstellungen wie auch zu Auktionen erscheinen Kataloge mit Texten, die sowohl im Interesse als auch unter weitgehender Kontrolle der Künstler geschrieben sind.
Das heißt, viele Künstler sind daran gewöhnt, dass positiv über sie geschrieben wird und sie diese Texte kontrollieren können. Insofern können sie schlecht damit umgehen, wenn jemand unabhängig über sie schreibt.
Sie sind also gar vielleicht nicht einmal besonders empfindlich gegenüber Kritik. Es geht eher um diese gewandelten Verhältnisse im Kunstbetrieb. Für viele Künstler ist es ein bizarres Phänomen, dass jemand jenseits ihrer Kontrolle über sie nachdenkt und schreibt, was er meint.
iRights.info: In Ihrem Buch setzen Sie sich kritisch mit dem Kunstbetrieb auseinander. Weshalb müssen Sie dafür spezifische Kunstwerke abbilden? Warum nicht Portraits von Künstlern und Sammlern, Fotos von Auktionshäusern und Galerien?
Wolfgang Ullrich: Ich verstehe mich als traditioneller Kunstwissenschaftler und entwickle meine Thesen auch anhand der Analyse von Bildkompositionen, Bildsprachen und Bildeffekten. Man kann über einen Künstler wie Andreas Gursky schlecht schreiben, wenn man nicht Werkbeispiele von ihm zeigt.
Mir wäre es zu wenig, mich nur mit dem Kunstbetrieb, dem Kontext der Kunst und soziologischen Fragen zu beschäftigen. Damit würde jeglicher Diskurs über die Werke selbst und das Sprechen über Kunst, das Interpretieren von Kunst verloren gehen.
iRights.info: Worauf berufen sich denn die Künstler, die Ihnen die Abbildung ihrer Werke untersagen?
Wolfgang Ullrich: Sie berufen sich immer auf das Urheberrecht. Da sich insbesondere erfolgreiche Künstler oft nicht mehr von der Verwertungsgesellschaft VG Bild-Kunst vertreten lassen, sondern sich um alle Verwertungen selbst kümmern, haben sie auch die Kontrolle über alle Nutzungen ihrer Werke – und genau darum geht es ihnen meiner Ansicht nach.
iRights.info: Als Autor können Sie sich im Prinzip auf das Zitatrecht berufen. Sofern Sie sich mit dem Werk inhaltlich auseinandersetzen, können Sie Werke abbilden, ohne den Urheber fragen zu müssen.
Wolfgang Ullrich: Mag sein, aber tatsächlich reicht das Zitatrecht nicht sehr weit. Und es gibt viele Grauzonen. Die Verlage gehen das Risiko, ein Werk ohne Erlaubnis zu drucken, nicht gerne ein; sie wollen nicht die teuren Anwälte eines global erfolgreichen Künstlers gegen sich haben.
„Zitatrecht für solche Fälle klarer definieren“
iRights.info: Stehen sich in Ihren Fällen also das Urheberpersönlichkeitsrecht des Künstlers und das Zitatrecht des Autoren gegenüber?
Wolfgang Ullrich: Richtig, doch selbst wenn einmal halbwegs eindeutig das Zitatrecht zu greifen scheint, hat man oft das Problem, dass man keine ausreichend guten Reprografien der Werke findet.
Man ist also auf die Künstler oder deren Galerien angewiesen, um brauchbare Abbildungen der Werke zu bekommen, dafür muss man Kontakt zu ihnen aufnehmen.
Wenn die sich dann auf den Standpunkt stellen, man dürfe sich nicht auf das Zitatrecht berufen, und die Abbildung verweigern, ist man ziemlich aufgeschmissen. Dagegen zu protestieren hieße, sich auf einen Prozess einzulassen, der erst lange nach der geplanten Drucklegung beendet wäre. Das bringt also gar nichts.
iRights.info: Was schlagen Sie vor?
Wolfgang Ullrich: Es wäre wichtig, das Zitatrecht für solche Fälle klarer zu definieren. Für Publikationen, deren wissenschaftlicher Charakter unstrittig ist, muss eine Nutzung der Bilder selbstverständlich erlaubt sein – auch in einem mehr als briefmarkengroßen Format.
iRights.info: In der Einleitung Ihres Buches werfen Sie den Künstlern vor, das Urheberrecht bewusst zu missbrauchen. Wie meinen Sie das?
Wolfgang Ullrich: Das Urheberrecht soll unter anderem verhindern, dass Künstler durch Ideenklau geschädigt werden, etwa, wenn sie an Varianten, Reproduktionen oder Verwertungen ihrer Werke nicht beteiligt werden. Aber bei den Abbildungen der Werke in einer kunstwissenschaftlichen Publikation geht es nicht darum, dass sich damit jemand auf Kosten der Künstler und ihrer Bildideen bereichern will.
Es ist doch so, dass man selbst dann, wenn man die Künstler kritisiert, ihnen dennoch signalisiert: Ihr seid wichtig, andere machen sich Gedanken über euch. Ihr werdet vielleicht kontrovers diskutiert, aber das ist doch eigentlich toll. Wir wollen gar nicht an euch verdienen. Ihr verdient indirekt vielleicht aber an uns.
iRights.info: Brachten Künstler im Zuge der Abbildungsverbote einen wirtschaftlichen Schaden zur Sprache?
Wolfgang Ullrich: Nein, gar nicht. Gerhard Richter beispielsweise macht es meist sehr spannend, ob man ein Bild bekommt oder nicht. Doch wenn er ja sagt, bekommt man es praktisch umsonst. Murakami hingegen will schon richtig Geld machen.
Aber allen ist klar, dass sie keine finanzielle Einbuße haben, wenn eines ihrer Werke noch mal viertelseitig in einem wissenschaftlichen Buch abgedruckt ist.
„Enge Allianzen mit den Superreichen und den Supermächtigen“
iRights.info: Müssen Künstler wie Gursky, Richter oder Murakami um ihre Reputation fürchten, wenn sie im kunstwissenschaftlichen Diskurs schlecht weg kommen?
Wolfgang Ullrich: Nein. Ich glaube auch nicht, dass sie Angst vor der Kunstkritik haben. Doch wenn man so erfolgreich und daran gewöhnt ist, dass alle nach der eigenen Pfeife tanzen, dann versteht man offenbar nicht, dass es da ein kleines Dorf von Galliern, sprich Kunsttheoretikern gibt, die das nicht tun.
iRights.info: Geht es den „teuren“ Künstlern mit solchen Abbildungsverboten mehr darum, ihre Attitüde zu verteidigen?
Wolfgang Ullrich: Ja, insbesondere jenen Künstlern, über die ich auch in meinem Buch schreibe und die im Segment der Global Player arbeiten. Sie sind in allen großen Sammlungen vertreten, erzielen immer wieder mal Preisrekorde und sind somit auch Machtfiguren.
Sie befinden sich in so engen Allianzen mit den Superreichen und den Supermächtigen, dass sie, glaube ich, das Selbstverständnis entwickeln, dass ihnen die Welt gehöre.
Zugleich wissen sie, dass sie, um als Künstler eine stabile Marktposition zu haben, auch stets an der Postproduktion arbeiten müssen und die Rezeption und den Diskurs nicht sich selbst überlassen dürfen.
iRights.info: Wie vielen Kollegen und Autoren, die kunstwissenschaftlich publizieren, geht es denn so wie Ihnen?
Wolfgang Ullrich: Es gibt zahlreiche Fälle, dass Künstler durch ihr Verhalten Publikationen erschweren bis verunmöglichen. Das sind wahrlich keine Einzelfälle. Vor kurzem habe ich auf der Website von Arthist – einem Netzwerk für Kunsthistoriker – meine Erfahrungen beschrieben und einen Aufruf publiziert, mit der Bitte, von eigenen Erfahrungen dieser Art zu berichten.
Mittlerweile haben mir rund vierzig Kolleginnen und Kollegen geschrieben, nicht selten mit Fallgeschichten, die deutlich dramatischer sind als meine eigenen.
Ich glaube, dass in den letzten Jahren eine Veränderung stattgefunden hat. So berichten mir mehrere Kollegen etwa auch, dass ihnen gewisse Künstler selbst für Schulbücher die Veröffentlichung verboten haben, mit der Begründung, dass es ihnen zu banal sei, in einem Schulbuch vertreten zu sein.
Früher wäre das für einen Künstler eine Art Ritterschlag gewesen: Jetzt bin ich so kanonisch, ich bin sogar im Schulbuch. Doch daran sieht man, wie sehr sich die Wertigkeiten verändern.
„Meinungsbildung über Kunst findet anhand von Werbetexten statt“
iRights.info: Beschneidet dieses restriktive Vorgehen gegenüber Beobachtern und Experten nicht die öffentliche Reflexion ihrer Kunst – und schadet damit der Kunst insgesamt?
Wolfgang Ullrich: Das Problem ist, dass der Großteil der öffentlichen Wahrnehmung von bildender Kunst ohnehin schon durch Texte stattfindet, die von vornherein für den Kunstmarkt geschrieben sind oder in engen Verbindungen mit dem Künstler selbst entstehen, wie im Fall von Ausstellungskatalogen.
Die Meinungsbildung findet im Grunde nur anhand von Werbetexten statt, was übrigens bei anderen Sparten – Literatur, Musik, Theater – bei weitem nicht so deutlich der Fall ist.
Das Problem wird jetzt aber dadurch gesteigert, dass die Künstler und Rechteinhaber versuchen, auch auf die wenigen Publikationen jenseits dieser Auftragstexte noch Einfluss zu nehmen oder diese ganz zu verhindern.
iRights.info: Inwieweit trägt denn der Kunstbetrieb an dieser Entwicklung Schuld?
Wolfgang Ullrich: Die bildende Kunst hatte schon immer eine andere Rolle als zum Beispiel die Literatur. So war diese nie so eng assoziiert mit dem großen Geld wie die bildende Kunst, bei der es oft um materielle Unikate geht, also um etwas, das knapp ist und das man individuell besitzen kann. Denken Sie an Epochen wie Renaissance oder Barock: Die Kunst war immer dort, wo Geld und Macht saßen.
Nur in der Moderne gaben sich die Künstler zeitweise als Avantgardisten, als oppositionell, als widerständig. Aber spätestens mit der unglaublichen Erfolgsgeschichte des aktuellen Kunstmarktes hat sich das wieder geändert.
Heute kann man eine Re-Aristokratisierung des Kunstbetriebs feststellen. Und ich würde sagen: Dieses Phänomen, mit Hilfe des Urheberrechts Kontrolle und Macht über die Reflexion der Kunst auszuüben, ist eine Facette dieser Entwicklung.
1 Kommentar
1 Schmunzelkunst am 5. März, 2016 um 18:01
Auch wenn es für die Verbreitung in Buchform nicht direkt weiterhilft, würde ich in der Argumentation noch auf die Erschöpfung des Ausstellungsrechts hinweisen. Künstler müssen da einiges in Kauf nehmen. Sie können kaum verhindern, dass Kunstdrucke ihrer Werke und verkaufte Originale an Orten ausgestellt werden, die ihnen nicht gefallen. Und wenn die Künstler partout nicht wollen, nimmt man einfach Bilder von Beltracchi ;-).
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