Wo endet das Plagiat, wo beginnt die Kunst?
Teil 1: Copy – Create – Manipulate
Für die Veranstaltungsreihe „copy-create-manipulate“ des Baseler Medienforums „plug.in“ im November 2004 hatte die Netzkünstlerin Cornelia Sollfrank geplant, eine Ausstellung mit dem Titel „This is not by me“ zu realisieren. Mit diesem Titel nimmt sie Bezug auf eine Signatur, die Andy Warhol für eine Reihe „seiner“ Drucke in den 60er Jahren verwendete. Mehr noch: Sie macht sich daran, von Warhol eingeführte künstlerische Verfahren weiter zu schreiben. „A clever artist makes the machine do the work!“ lautet das Motto ihrer „Netzkunst-Generatoren“. Bei ihnen handelt es sich um Computerprogramme, die aus Bildern, die im Internet vorhanden sind, neue Bilder zusammenbauen. Welche Bilder ausgesucht werden, entscheiden die Nutzer, indem sie einen Suchbegriff eingeben.
Für die Ausstellung in Basel hatte sich Sollfrank eine Auseinandersetzung mit dem Motiv von Warhols Blumenserie vorgenommen, das im Hinblick auf seine Originalität und den damit verbundenen Urheberrechtsfragen eine bewegte Geschichte aufweist. Sollfranks Absicht war es, diese Geschichte aufzuzeigen, aber auch ein weiteres Kapitel hinzuzufügen. Durch die interaktive Bearbeitung mit dem Netzkunstgenerator durch die Ausstellungsbesucher, bei der auch der Zufall kräftig mitmischt, sollte eine neue Generation der Warhol Flowers ins Leben gerufen und ausgestellt werden.
Das Konzept des Netzkunst-Generators geht auf die Arbeit „Female Extension“ aus dem Jahr 1997 zurück und wird seither kontinuierlich weiter entwickelt. Damals reichte Sollfrank beim ersten Museums-Wettbewerb für Netzkunst algorithmisch re-kombinierte Netzfundstücke unter den Namen von 289 virtuellen Netzkünstlerinnen ein. Die Jury war zunächst hocherfreut über die große Beteiligung von weiblichen Künstlern, zeigte sich aber nach der Aufklärung einigermaßen überrascht.
Als allerdings die Anwälte des Basler Forums für Neue Medien „plug.in“ von Sollfranks Plan erfuhren, meldeten sie Bedenken an. Sie befürchteten, dass Bearbeitungen von Warhols Blumenmotiv die Rechteinhaberin, die Warhol-Stiftung, auf den Plan rufen würde. Um einen möglichen Rechtsstreit auszuschließen, wurde Sollfrank mitgeteilt, dass die geplante Ausstellung nicht stattfinden könne.
Aber würden neu collagierte Warhol-Blumen tatsächlich gegen bestehende Rechte verstoßen? Sollfrank wollte es genau wissen und befragte dazu vier auf das Urheberrecht spezialisierte Anwälte. Aus dem notgedrungenen Wechsel von einer künstlerischen zu einer juristischen Perspektive sind aufschlussreiche Interviews entstanden, die sie unter dem Titel „Legal Perspective“ in der Baseler Ausstellung als Videoinstallation zeigte. Diese seltenen Dokumente, in denen man Juristen beim widersprüchlichen Nachdenken über Kunst zuhören kann, präsentiert iRights.info nun im Internet.
Teil 2: Ideen sind frei – oder auch nicht
In den Interviews stoßen zwei Welten aufeinander: die der Kunst und die des Rechts. Doch selbst innerhalb des Rechts gehen die Ansichten zum Thema weit auseinander.
Ideen sind frei. Nur Formen sind schützbar. So viel ist klar. Doch gleich danach scheiden sich die Geister. Ist das Konzept, also die Idee, des Generators schutzfähig oder sind es nur die Bilder, also die Formen, die er erzeugt?
Peter Eller, Anwalt in München, ist der Ansicht, dass man urheberrechtliche Fragen nicht beantworten könne, ohne das zugrunde liegende künstlerische Konzept zu betrachten. Dieses Konzept hält er im Falle des Netzkunst-Generators eindeutig für ein eigenständiges Kunstwerk. „Deshalb sind auch die einzelnen Bilder, die sehr nah am Original sein können, urheberrechtlich geschützt, auch vor Angriffen der Original-Urheber.“
Jens Brelle aus Hamburg dagegen sieht Konzepte als Handlungsanweisungen, die genauso wenig wie Ideen schützbar sind. Zwar sei „moralisch gesehen“ natürlich auch Konzeptkunst Kunst, aber ob sie urheberrechtlich schützbar ist, müsse sich an den rechtlichen Kriterien bemessen. Die Rechtsprechung lasse daran zweifeln. So gebe es Urteile zu Konzepten für Fernsehsendungen, in denen deren Schutzwürdigkeit abgelehnt wurde.
Auch Sven Krüger, Hamburg, gesteht zu, dass man – eine kunsttheoretische Selbstverständlichkeit – das dahinter stehende größere Ganze, das Konzept sehen müsse. Doch selbst, wenn man zu dem Schluss käme, dass diese Idee ein geschütztes Gut sei, ist damit nichts darüber gesagt, ob ihre Umsetzung gegen Rechte Dritter verstößt. Krüger: „Gleichwohl, wenn dieses Konzept zwingend einher geht mit der Produktion von Bearbeitungen und Vervielfältigungen, die ihrem Wesen nach urheberrechtsverletzend sind, dann macht rechtlich die Unterscheidung von Konzept und dessen Ergebnis kaum noch Sinn. Denn dann bleibt das Ganze verboten. Es können nicht die hehren Ziele des Konzepts die rechtswidrigen Ergebnisse rechtfertigen.“
Formen sind schützbar, aber wer ist der Urheber?
Unstrittig kommen die einzelnen Bilder des Generators als Schutzgegenstände in Frage. Der Kunstbetrieb von Galerien, Kritikern und Kunsthochschulen fragt: Handelt es sich bei ihnen um Kunst? Das Urheberrecht schützt Werke der Kunst. Es kann aber nicht mit den Kategorien der Kunst operieren. Vielmehr fragt es, ob eine bestimmte Geistesschöpfung über die für einen Schutz notwendige „Individualität“ und „Schöpfungshöhe“ verfügt.
Nimmt man einmal an, dass ein Generator-Bild diese Kriterien für ein Werk erfüllt, wer ist dann sein Urheber? Sollfranks Name steht auf der Ausstellung, doch mit dem Titel „This is not by me“ weist sie die Autorschaft zurück. Ob gleichwohl ihr Konzept einen Autorschutz genießt, ist, wie gesagt, umstritten.
Der Generator selbst kann nicht Urheber sein. Nur Menschen können Werke schöpfen. Der Programmierer, der im Auftrag Sollfranks das Programm des Generators geschaffen hat, besitzt ein Urheberrecht an der Software, nicht aber an den hiermit erzielten Arbeitsergebnissen. Der Ausstellungsbesucher, der den Generator bedient, käme nach Ansicht der Anwälte als Urheber in Frage, aber nur, wenn er durch Einfluss auf das Ausgangsmaterial oder eine, bestimmten Kriterien entsprechende, Auswahl aus den zahlreichen Ergebnissen des Generators das Ergebnis wesentlich mitgestaltet. In diesem Fall könnte ihm ein Bearbeiterurheberrecht zukommen. Bleibt jedoch zu viel dem Zufall überlassen, so muss man aus den Ausführungen folgern, entstehen hier „Werke ohne Urheber“ – in der Kunst denkbar, urheberrechtlich eine Unmöglichkeit.
Urheberrechtsverletzung oder nicht?
Solche paradoxen Verhältnisse würden jedoch die Erbwalter Warhols keineswegs davon abhalten, gegen Sollfrank und ihre Galerie vorzugehen. Ob die Generatorbilder schutzfähig sind oder nicht, steht auf einem ganz anderen Blatt als die Frage, ob mit ihrer öffentlichen Verwertung eine Urheberrechtsverletzung begangen wird. Dafür unterscheidet das Urheberrecht zwischen einer „freien Benutzung“ und einer „Bearbeitung“. Ist die Warhol-Vorlage im Generatorbild nicht erkennbar, handelt es sich um eine „freie Benutzung“, die das Urheberrecht nicht berührt.
Ist das Original in der „Bearbeitung“ erkennbar, dann braucht die Künstlerin für die Veröffentlichung die Zustimmung des Originalurhebers. Sie mag selbst ein Recht an ihrer Bearbeitung erlangen, sofern diese für sich genommen wiederum eine persönlich geistige Schöpfung ist. Das schützt sie jedoch nicht vor den Verbotsansprüchen der Warhol-Stiftung. Diese richten sich gegen denjenigen, der die Generatorbilder veröffentlicht. Käme man also zu dem Schluss, dass es sich bei ihnen um maschinell erzeugte Zufallsprodukte handelt, gäbe es zwar keinen Urheber – jemanden, der urheberrechtlich zur Verantwortung zu ziehen ist, gibt es gleichwohl.
Erfährt nun die Stiftung von der nicht autorisierten Verwendung von Warhols Werken, was bei Veröffentlichung im Internet nicht unwahrscheinlich ist, und sieht darin keine freie Benutzung, laufen die Künstlerin und ihre Galerie Gefahr, auf verschiedene Arten belangt zu werden. Die Rechteinhaber können die Künstlerin abmahnen und eine einstweilige Verfügung erwirken, die ihnen untersagt, die Bilder auszustellen. Bei Nichterfüllung kann können hohe Ordnungsgelder verhängt werden. Im Schuldfall sind Schadensersatzforderungen in Höhe einer üblichen, angemessenen Lizenzgebühr sowie Anwaltskosten abhängig vom Streitwert zu erwarten.
Die Flowers sind Kunst, aber sind sie geschützt?
Voraussetzung dafür, dass durch den Generator Urheberrechte verletzt werden können, ist jedoch, dass das bearbeitete Werk selbst urheberrechtlich geschützt ist. Im Falle von Warhols „Flowers“ haben alle befragten Anwälte daran Zweifel. Krüger: „Wenn man dann zum Schluss kommt, dass die Vorlagen gar nicht geschützt sind, dann kann man den rechtlich problematischen Prozess der Verwendung durch den Generator retten.“
Warhol hat von einer Fotografie Patricia Caulfields von vier Blumen durch einen Assistenten Siebdrucke anfertigen lassen. Hier stellt sich wieder die Frage: handelt es sich dabei um eine freie Benutzung, eine Bearbeitung oder um eine nur unwesentliche Bearbeitung? Im letzten Falle hätte er nicht einmal ein Bearbeiterurheberrecht erworben, und die Erben könnten nicht gegen die Verwendung durch den Generator vorgehen.
Hier fragt Krüger weiter: „Wenn es so wäre, gäbe es Rechte der Fotografin, die schon durch Warhol verletzt wurden und nun durch den Benutzer des Generators schon wieder.“ Allerdings ist das fotografische Vorbild so konventionell, dass daran im Zweifel allenfalls Leistungsschutzrechte bestehen (das Recht an „einfachen Lichtbildern“). Diese haben eine Schutzdauer von nur 50 Jahren nach Erscheinen, die heute abgelaufen sein dürften. „Man kann das Problem Stufe um Stufe nach hinten verlagern“, sagt Krüger. „Aber ich halte es für unwahrscheinlich, dass wir auf der Suche nach einem Urheber und nach Urheberrechten an den Warhol Flowers zu dem Ergebnis gelangten, dass gar keiner irgendwelche Rechte daran hat.“
Mit der Ausführung der Drucke hat Warhol Mitarbeiter beauftragt. Liegt also auch hier nur ein nicht schützbares Konzept vor? Anwalt Brelle geht soweit zu sagen, er würde es bei den Warhol-Blumen auf einen Rechtsstreit ankommen lassen.
Eller wagt sich soweit in den Kunstdiskurs vor, dass er davon ausgeht, Warhol habe mit dem Urheberrecht gespielt und versucht, es weiterzuentwickeln: „Deshalb kann diese Kunst nicht sakrosankt für alle Ewigkeit sein. Ein solches Urheberrecht lässt sich nicht gegen die starke Kunstfreiheit durchsetzen.“ Auch Krüger erkennt, dass Sollfrank sich in eine Tradition der Kunstgeschichte stellt, wenn sie Warhols Bilder ohne Zustimmung seiner Erben verwendet, doch er schließt: „Das ist zwar konsequent, aber im Rechtssinne keine taugliche Verteidigung.“
Die Kunst ist frei, aber wer will sie definieren?
Die Kunstfreiheit genießt einen hohen Stellenwert im Grundgesetz. Sie ist ein Bürgerrecht, und sie kann nicht – anders als etwa die Meinungsfreiheit – durch einfache Vorbehalte eingeschränkt werden. Eller weist darauf hin, dass auch das Bundesverfassungsgericht immer wieder entschieden hat, dass die Richter sich in Kunstfragen zurücknehmen sollen. „Wer will das definieren? Da gibt es so viele Meinungen wie Sachverständige.“
Doch kann auch die Kunstfreiheit in einen Wertekonflikt zum ebenfalls grundgesetzlichen Schutz des urheberrechtlichen Eigentums treten. Dann ist eine Abwägung zwischen verschiedenen Rechtsgütern erforderlich. Die nehmen im Streitfall die Richter vor. Sie ziehen dazu im Zweifel Kunstsachverständige hinzu, die entscheiden, ob es Kunst ist oder nicht.
Nach Krügers Auffassung führt das Argument der Kunstfreiheit jedoch nicht weiter. „Wir haben klare Regeln, die sich erstaunlich gut auf immer neue, technisch fortgeschrittene Möglichkeiten der Urheberrechtsverletzung anwenden lassen.“ Der Gesetzgeber habe nur sehr geringe Spielräume gelassen, diese Regeln im Rückgriff auf Verfassungswerte durch übergesetzliche Notstandserwägungen zu sprengen. „Wo man konstatieren muss: das verstößt gegen Grenzen, die wir im Gesetzbuch stehen haben, da hilft auch das Zauberwort Kunstfreiheit nicht viel.“
Wenn sie die Kunst behindern, müssen Gesetze geändert werden
Gesetze sind genauso wenig sakrosankt und unveränderlich wie Kunstwerke. Brelle zeigt noch eine weitere Sichtweise auf Sollfranks Arbeit auf, indem er sie als politisches Statement, als Kritik am geltenden Recht auffasst. Damit wird sie von der ebenfalls grundgesetzlich gesicherten Meinungsfreiheit geschützt. Wer eine politische Meinung äußert, darf sie durch das Zitieren von Werken anderer erlaubnisfrei belegen. „In dem Fall wäre das ein Belegzweck für die Frage: Ist das jetzige Urheberrecht ausreichend oder nicht? In dem Fall würde ich sagen, wiegt die Meinungsäußerung schwerer als die Rechte der Urheber.“
Selbst Krüger, der innerhalb des geltenden Rechts am wenigsten Chancen für den Netzkunst-Generator sieht, bezeichnet eine Künstlerin, die Sanktionen in Kauf nimmt, als mutig, da sie dadurch unter Umständen die Rechtsentwicklung voran bringt. Er erkennt den Unterschied zwischen legitimen Konzepten wie dem Netzkunst-Generator und einem schlichten Plagiat der neuen Madonna-CD an. Stehen den legitimen Konzepten gesetzliche Verbote entgegen, müsse man sie aufbrechen. „Gesetzesänderungen sind ja keine Einbahnstraße. Da, wo vor der Sintflut von Plagiaten geschützt werden muss, braucht es Verbote. Da, wo Grenzen zu eng sind, um an sich legitime, segensreiche künstlerische Konzepte umzusetzen, da muss eine Ausnahmevorschrift her.“
In genau diesem Kontext steht die Arbeit von Sollfrank. In der Veranstaltungsreihe „copy-create-manipulate“, deren Teil sie war, wurde die Frage thematisiert, wie sich Kreativität zum Kopieren und Manipulieren bestehender Werke verhält. Dieser Frage ging auch Warhol in seinen Flower-Varianten nach. „This is not by me“ ist somit ein kunstgeschichtlicher Dialog, im Rückblick aus dem Zeitalter von PC und Internet geführt.
Doch nicht nur Medientechnologie, sondern auch die zunehmende Verrechtlichung, die Eller anspricht, unterscheidet Sollfrank von Warhol. Deshalb wechselt die Künstlerin mit „Legal Perspective“ auf die Metaebene und trägt die kritische, ironische Reflexion auf die urheberrechtlichen Möglichkeitsbedingungen von Kunst in die Kunst selbst hinein. Die Äußerungen der Anwälte mögen Verwunderung auslösen. In jedem Fall geben sie einen guten Einblick in zentrale Fragen, die in der Diskussion um das Urheberrecht gestellt werden. Und sie weisen über die heutige Rechtslage hinaus. Am Schluss der Auseinandersetzung, die Sollfrank mit ihrer Arbeit ausgelöst hat, fragt Rechtsanwalt Jens Krüger: „Müssen wir das Urheberrechtsgesetz ändern und warum und in welche Richtung?“
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