Wissenschaftsverlage, Datentracking und die Freiheit der Forschung
Mitte November fand am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung in Köln die Tagung „Wissenschaftsfreiheit in polarisierten Zeiten“ statt. Die Freiheit von Forschung und Lehre ist grundgesetzlich verankert, auf der Tagung wurde sie im Hinblick auf Redefreiheit wie auch Gefahren politischer und wirtschaftlicher Abhängigkeiten diskutiert. Maximilian Heimstädt beleuchtete den Einfluss großer Wissenschaftsverlage auf die Wissenschaftsfreiheit. Der folgende Beitrag basiert auf seinem Vortrag.
Vom Aufstieg der Großverlage bis zur Zeitschriftenkrise
Der Markt für wissenschaftliche Publikationen wird heute von drei großen Verlagen dominiert: Elsevier, Wiley und Springer. Diese – für die Wissenschaft in vielerlei Hinsicht nachteilige Entwicklung – hat ihren Ursprung in den 1950er Jahren. Damals entwickelte sich zum einen das wissenschaftliche Publikationswesen zu einem Markt primär profitorientierter Unternehmen. Zum anderen wurden in dieser Zeit die ersten Indikatoren zur Vermessung wissenschaftlicher Zeitschriften eingeführt. Diese Indikatoren verschafften den Bibliotheken Wissen darüber, welche Zeitschriften besonders häufig gelesen und zitiert wurden – und galten damit bald als unverzichtbar für die wissenschaftliche Arbeit.
Mit dem neuen Wissen über die Zitationshäufigkeiten begannen die Verlage, begehrte Zeitschriften mit weniger begehrten zu bündeln und für diese Bündel von den Bibliotheken immer höhere Preise zu verlangen. Im Ergebnis waren die Bibliotheken ab den 1990er Jahren nicht mehr in der Lage, alle relevanten Zeitschriften zu abonnieren. Leidtragende dieser Zeitschriftenkrise waren vor allem kleine und mittlere Verlage, aber auch die Forschenden selbst, die vielfach den Zugang zu wissenschaftlicher Literatur verloren.
Open-Access-Transformation als Weg aus der Krise
Als Ausweg aus der Zeitschriftenkrise wird von wissenschaftlicher Seite mit Beginn der 2000er Jahre eine Transformation des Publikationswesens hin zu Open Access vorgeschlagen. Dahinter verbirgt sich die Abkehr vom traditionellen Subskriptionsmodell für wissenschaftliche Zeitschriften hin zu einem Modell, bei dem Zeitschriftenartikel unter einer offenen Lizenz und ohne technische Hindernisse (wie Bezahlschranken) veröffentlicht werden.
Es dauerte einige Zeit, bis diese Forderungen nach einer Umstellung gegenüber den großen Verlagen durchgesetzt werden konnten. Durch die Arbeit der Verhandlungsgruppe „Projekt DEAL“ gibt es in Deutschland jedoch seit einigen Jahren bundesweit einheitliche und transparente Open-Access-Verträge zwischen einer Vielzahl von Forschungseinrichtungen und den drei Großverlagen. Im Kern dieser Verträge steht die Umstellung des Subskriptionsmodells auf ein Modell, in dem die Verlage von den Autor*innen (bzw. deren Bibliotheken) eine einmalige Gebühr („Article Processing Charges“, kurz: APC) erheben.
Das APC-Modell ist nicht die einzige Möglichkeit, Open-Access-Zeitschriften zu organisieren. Es scheint aber innerhalb des Pfades des kommerziellen Open Access derzeit das einzige Modell zu sein, auf das sich die Großverlage mit ihren Profitinteressen einlassen.
Offenheit zum Preis der Wissenschaftsfreiheit?
Die DEAL-Verträge haben zu einer größeren Offenheit der Wissenschaft geführt: Heute können viele wissenschaftliche Artikel von Menschen gelesen werden, die vorher keinen (legalen) Zugang dazu hatten. Dank offener Lizenzen werden die Texte auch besser nachnutzbar. Gleichzeitig wird jedoch deutlich, dass die Umstellung auf ein APC-Modell bei gleichbleibender Abhängigkeit der Wissenschaft von den Großverlagen negative Auswirkung auf die Wissenschaftsfreiheit haben kann. Diese Gefahren werden anhand von zwei Themen sichtbar: Publikationskosten und Pluralität im Verlagsmarkt.
Steigende Kosten für publikationsstarke, sinkende Kosten für publikationsschwache Einrichtungen
Nach der Umstellung auf Open Access sind die kumulierten Kosten für Zeitschriftenartikel auf nationaler Ebene relativ stabil geblieben. Die Umstellung hat also im Durchschnitt nicht zu einem verstärkten Abfluss von Mitteln aus der Wissenschaft zu den Großverlagen geführt.
Gefahren für die Wissenschaftsfreiheit zeigen sich allerdings bei der Betrachtung einzelner Forschungseinrichtungen: Während wenig forschungsintensive Einrichtungen wie Fachhochschulen günstig wegkommen, zahlen publikationsstarke Einrichtungen auf das Jahr gerechnet möglicherweise mehr als im Subskriptionsmodell. Bei diesen Einrichtungen kann es daher vorkommen, dass das APC-Budget vor Jahresende aufgebraucht ist. In so einem Fall muss entweder auf die Publikation weiterer Artikel verzichtet werden oder – der wahrscheinlichere Fall – es müssen zusätzliche Mittel aufgebracht werden, die dann an anderer forschungsrelevanter Stelle fehlen.
Besonders problematisch ist im APC-Modell die Situation von Forschenden ohne institutionelle Anbindung (zum Beispiel zwischen zwei befristeten Verträgen) sowie von solchen an finanzschwächeren Einrichtungen (etwa im Globalen Süden). Für diese Forschenden kann das APC-Modell eine drastische Einschränkung ihrer Freiheit zur Veröffentlichung in angesehenen und damit karriererelevanten Zeitschriften bedeuten.
Mehr Pluralität im Publikationswesen? Eher fraglich.
Die Pluralität des wissenschaftlichen Zeitschriftenmarktes ist eine Grundvoraussetzung der Wissenschaftsfreiheit. Die Zeitschriftenkrise hat jedoch die Marktmacht der Großverlage und die schwierige Situation der – für diese Pluralität wichtigen kleinen und mittleren Verlage – deutlich gemacht.
Die Frage ist nun, ob die DEAL-Verträge daran etwas ändern und zu mehr Pluralität beitragen können. Die optimistische Einschätzung ist, dass durch die Standardisierung und Transparenz der DEAL-Verträge eine systematischere Förderung kleiner und mittlerer Verlage möglich wird. Dem gegenüber steht die Befürchtung, dass die DEAL-Verträge die Marktmacht der Großverlage weiter stärken, indem sie den Komfort, in ihren Zeitschriften zu publizieren, erhöhen.
Angesichts der immensen Bedeutung von Indikatoren und Zeitschriftenrankings in vielen Disziplinen scheint es heute schwieriger denn je, neue Zeitschriften außerhalb der Großverlage zu etablieren. Es besteht daher die Gefahr, dass durch den gestiegenen Komfort der DEAL-Verträge auch Zeitschriften aus früheren, weniger indikatorenorientierten Zeiten verschwinden, ohne dass die Möglichkeit von relevanten und unabhängigen Neugründungen besteht.
Datentracking als neues Geschäftsfeld
Zumindest hat es aber den Anschein, dass durch die DEAL-Verträge die galoppierenden Preisanstiege für Zeitschriften vorerst gezähmt wurden. Die Wissenschaftsverlage erarbeiten sich daher neue, noch lukrativere Geschäftsfelder – vor allem beim Sammeln und Verkaufen von Nutzungsdaten.
Schon seit geraumer Zeit übernehmen die Großverlage mehr und mehr digitale Infrastrukturen rund um den Forschungsprozess – von der Literaturverwaltung bis hin zum Preprint-Server. Im Extremfall kann es so dazu kommen, dass Großverlage entlang des gesamten Forschungsprozesses die Datenspuren einzelner Forschender abgreifen, kombinieren und verkaufen.
Anfangs verkauften die Verlage ihre neuen Datenprodukte vornehmlich an die Wissenschaft selbst, etwa zur Identifizierung und Rekrutierung von Forschungstalenten. Zunehmend werden jedoch Fälle bekannt, in denen Wissenschaftsverlage Daten auch an außerwissenschaftliche Akteure wie die US-Grenzpolizei verkaufen.
Vom Lesemuster zum Fördermittelentzug?
Aus der Wissenschaft selbst wurden bisher vor allem datenschutzrechtliche Bedenken gegen das Datentracking der Verlage geäußert. Wichtig ist jedoch auch, die potentiellen Gefahren des Datentrackings für das Grundrecht der Wissenschaftsfreiheit zu benennen. Mindestens folgende drei Szenarien sind denkbar:
Erstens könnten in Politik und Verwaltung (z.B. Kultusministerien, Innenministerien) Befürchtungen aufkommen, dass der Datenhandel zu Spionagezwecken genutzt wird. In der Konsequenz könnten Forschende von diesen Akteuren dazu gedrängt werden, auf die Nutzung bestimmter digitaler Infrastrukturen zu verzichten.
Zweitens könnten Datenspuren genutzt werden, um Forschende für Aktivitäten in der Vergangenheit zu sanktionieren, beispielsweise aufgrund bestimmter Bewegungsmuster (siehe: US-Grenzpolizei).
Drittens lassen sich Datenspuren auch dazu nutzen, zukünftige Forschung zu antizipieren und – im Falle einer unliebsamen Themenwahl – im Vorfeld zu unterbinden. Ein Beispiel in diesem Zusammenhang ist der Entzug von Fördermitteln, wie es das Wissenschaftsministerium in jüngster Zeit plante.
Fazit
Die Rolle der Großverlage ist in der Debatte um Wissenschaftsfreiheit bisher kaum thematisiert worden. Wie die Beispiele der DEAL-Verträge und des Datentrackings zeigen, sollte die zunehmende Abhängigkeit der Forschung von Großverlagen unbedingt in die Debatten um eine zukunftsfähige Gestaltung der Rahmenbedingungen für die Wissenschaft einbezogen werden.
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