„Wir müssen bei jeder Regelung mit bedenken, ob sie auch im digitalen Raum passt“
iRights.info: Seit ein paar Monaten ist der Verbraucherschutz direkt im früheren Ministerium der Justiz angesiedelt. Funktioniert das?
Ulrich Kelber: Dass Verbraucherschutz und Rechtssetzung jetzt in einem Ministerium vereint sind, wird vieles einfacher machen, da viele Verbraucherschutzfragen auch Rechtsfragen sind. Die Benennung von Gerd Billen zum Staatssekretär ist ebenfalls ein klares Zeichen: Jemanden zu benennen, der vorher im Bereich der Zivilgesellschaft für Verbraucherpolitik zuständig war, zeigt, dass die Probleme ernst genommen werden. Wir haben bei den ersten Themen, die wir angefasst haben, schon gezeigt, dass wir Verbraucherinnen und Verbraucher stärker in den Mittelpunkt stellen werden.
Gerd Billen: Wir versuchen die Verbraucherperspektive stärker in die Politik einzubeziehen, nicht nur im eigenen Ministerium, sondern auch im Energieministerium, im Innenministerium oder dem Umweltministerium, in der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungen oder in der Netzagentur. Daneben kümmern wir uns intensiv um Themen wie Finanzmarkt oder digitale Welt.
iRights.info: Welche Rolle spielt denn der Verbraucherschutz in der digitalen Welt im Vergleich zu den anderen Themenbereichen im Ministerium?
Gerd Billen: Die digitalen Themen berühren viele Lebensbereiche von Verbrauchern und werden immer wichtiger. Wir reden dabei nicht nur über das Online-Einkaufen oder über soziale Netzwerke. Das Digitale durchdringt den Alltag: das digitale Auto, vollgepackt mit Software; dramatische Veränderungen, wie Finanztransaktionen die durchgeführt werden; selbst ein Bereich wie die Partnervermittlung hat sich in wenigen Jahren fundamental verändert – der größte Teil findet nun über Online-Anbieter statt. Und deswegen ist das ein Querschnittsthema.
Ulrich Kelber: Das Digitale durchwirkt alles. Wir müssen bei jeder Regelung mit bedenken, ob sie noch passt, wenn eine Transaktion nicht mehr im persönlichen Kontakt geschieht, sondern wenn sie digital abgewickelt wird.
iRights.info: Was sind denn dabei die Themen, die im Augenblick den Vorrang haben?
Gerd Billen: Das erste Gesetzesvorhaben, was wir auf den Weg bringen möchten, ist die Erweiterung des Unterlassungsklagegesetzes. Wir wollen damit die kollektive Rechtewahrnehmung stärken, weil ein einzelner Verbraucher überfordert ist, sich gegen große Unternehmen durchzusetzen – da braucht es Gemeinsamkeit. Dann wollen wir eine Schlichtungsstelle für den Telekommunikationsbereich aufsetzen, weil es in diesem Bereich viele Beschwerden bei den Verbraucherorganisationen gibt. Das nächste größere Thema, das uns beschäftigt, ist die Marktmacht von Google. Was bedeutet es für den Wettbewerb, wenn ein einzelnes Unternehmen Marktanteile von über 90 Prozent hat?
Ulrich Kelber: Ein anderes wichtiges Thema ist die Frage: Wie sorgen wir für Transparenz in den App-Stores? Hier geht es darum, mit den Anbietern gewisse grundlegende Regeln zu vereinbaren, zum Beispiel, dass Kinder aus der App heraus nicht einfach beliebig Käufe tätigen können, aber auch grundsätzliche Dinge wie Rechte an Apps, Weitergabe und Weiterverkauf.
Es geht aber auch um Qualitätsansprüche im Softwarebereich. Da werden teilweise Produkte angeboten, die bei physischen Gütern sofort zu Mängel- und Minderzahlungen führen würden, in der digitalen Welt aber einfach so akzeptiert werden. Ob schon mal jemand eine Vergütung dafür bekommen hat, wenn durch einen Programmabsturz wichtige Dinge eben mal verloren gegangen sind, wage ich zu bezweifeln.
Im Urheberrecht müssen wir auch einige Themen angehen, wie etwa den ganzen Bereich Bibliotheken, Wissenschaft, Forschung, Bildung. Welche Zugriffs- und Lizenzierungsmöglichkeiten gibt es dort? Sind sie sinnvoll gelöst? Ich kann mir aus jeder Bibliothek per Fernleihe Kopien aus einem Printbuch machen und per E-Mail schicken lassen, aber bei E-Books geht das zum Beispiel nicht. Da muss ich an den Ort reisen, wo sie lizenziert wurden. Technisch gesehen könnte ich sie sofort herunterladen.
iRights.info: Viele sagen ja, dass das Urheberrecht ein analoges Recht ist, das für das Internet gar nicht gemacht ist. Es müsse komplett neu entworfen werden. Also: radikale Umgestaltung oder langsame Reformen?
Ulrich Kelber: Beides ist richtig: Man muss eine Grundidee haben, die dann in vielen Einzelschritten umgesetzt wird und bei der viel Dialog notwendig ist. Nicht zu vergessen: Gerade im Urheberrecht ist vieles vom europäischen Recht und von multilateralen Verträgen abhängig. Aber eins ist klar: Es wird keine Bevölkerungsgruppe geben, die am Ende mit der Veränderung des Urheberrechts vollständig glücklich sein wird. Schon wenn wir die Bibliotheksschranke neu regeln, werden bestimmte Verwerter nicht damit einverstanden sein. Es wird sicherlich die gesamte Legislaturperiode in Anspruch nehmen, um an ein paar Stellen wesentliche Weichenstellungen zu beschließen.
Gerd Billen: Ich finde interessant, dass in der Urheberrechtsdiskussion immer vom „fairen Ausgleich“ gesprochen wird. Diesen Begriff kenne ich sonst aus der Landwirtschaft, wenn es um Milchpreise geht. Man muss nüchtern analysieren: Was sind die ökonomischen Interessen der Beteiligten? Wie legitim sind sie? Nicht alles, was unter dem Stichwort Urheberrecht läuft, dient den tatsächlichen Urhebern. Prioritär ist das Thema Bildungs- und Wissenschaftsschranke. Es kann nicht sein, dass alle sagen: Wir leben in einer Wissensgesellschaft und müssen diese auch finanziell fördern, gleichzeitig aber nicht-akzeptable Begrenzungen einführen.
Daneben gibt es aber viele weitere Themen: Das Problem mit den Abmahnungen und ihrem Missbrauch ist noch nicht abschließend gelöst. Verwertungsgesellschaften, ihre Struktur und Aufsicht müssen besser geregelt werden – auch hier wieder ein europäisches Thema. Dann die Fragen, die sich daraus ergeben, dass heute jeder von uns Urheber ist, wenn er oder sie Bilder ins Netz einstellt oder Texte postet. Wo bleiben eigentlich die individuellen Nutzungsrechte? Ist der Deal fair, dass Nutzer ihre Nutzungsrechte an die Diensteanbieter zum Beispiel von sozialen Netzwerken hergeben müssen, im Gegenzug für die Nutzung der Plattform? Sowohl ökonomisch als auch rechtlich?
Wir werden anfangen, indem wir uns mit Künstlern, den betroffenen Verbänden, aber auch den Verbraucherorganisationen treffen, und daraus dann Prioritäten festlegen.
iRights.info: Ein weiteres großes Thema ist der Datenschutz. Auf der einen Seite sammeln private Internet-Unternehmen Nutzerdaten in großem Umfang. Google, Facebook, Amazon, Apple, um nur die ganz großen zu nennen – aber es sind ja viele mehr. Auf der anderen Seite haben wir den Überwachungsskandal rund um die NSA, der ja auch noch lange nicht aufgearbeitet ist. Die Nutzerin und der Nutzer sitzen zu Hause am Küchentisch und fragen sich: Was soll ich denn jetzt bitte noch machen? Im schlimmsten und wahrscheinlichsten Fall resignieren sie.
Ulrich Kelber: Man könnte ein ganzes Buch schreiben, was der Einzelne heute schon tun und lassen sollte, um sich zu schützen. Aber natürlich kann man das Thema Datenschutz nicht allein der individuellen Verantwortung überlassen, sondern muss es rechtlich und international regeln. Da kommt die europäische Datenschutz-Grundverordnung ins Spiel, wo sich die neue Bundesregierung auch als treibende Kraft sieht, und in der es auch darum geht, festzuschreiben, dass Internetdienstleister privacy by design und Privatsphäre-freundliche Voreinstellungen anbieten müssen.
Zusätzlich geht es aber auch um eine Homogenisierung der europäischen Regelungen, so dass Facebook nicht nach Irland gehen kann, weil es dort laxere Datenschutzregeln gibt als zum Beispiel in Deutschland. Desweiteren brauchen wir gleiche Regeln, egal aus welcher Branche jemand kommt. Heute unterscheiden sich die Regeln je nachdem, ob ich ein Telekommunikations- oder ein Medienunternehmen betreibe. Und natürlich das Marktortprinzip: Wer Europäern Produkte oder Dienstleistungen anbietet, unterliegt dabei vollständig dem europäischen Recht.
Wir haben im Koalitionsvertrag angeregt, bestimmte technologische Lösungen zu Verschlüsselung und Anonymität zu entwickeln und zu fördern. Das läuft zum Teil auch schon: Wir fördern zum Beispiel dieses Jahr ein Projekt vom Fraunhofer-Institut, das auch auf der Cebit vorgestellt wurde. Hier wird eine Software hergestellt, die Sie auf Ihrem Rechner installieren können und die Ihre Daten verschlüsselt, bevor Sie diese auf Ihr Cloud-Laufwerk speichern. Egal, welchen Cloud-Dienst Sie nutzen und ob er in China oder den USA liegt, die Daten verlassen Ihren Rechner nur noch verschlüsselt.
Gerd Billen: Mein Rat wäre, sich nicht der süßen Versuchung der Resignation hinzugeben. Natürlich kann ich auch als Einzelner was tun. Unsere Aufgabe als Gesetzgeber ist allerdings, dass wir für Verkehrsregeln sorgen, die die Anbieter einhalten müssen. Das sind Rahmenbedingungen wie die EU-Datenschutzgrundverordnung. Das können auch Vorgaben für allgemeine Geschäftsbedingungen von Apps sein: Was sie enthalten müssen und was sie nicht enthalten dürfen.
Dazu brauchen wir Institutionen, die sich darum kümmern, dass diese Regeln auch eingehalten werden. Die klassische Aufgabe ist: Wer guckt Unternehmen eben auch auf die Finger? Es ist sehr wichtig, dass beispielsweise die Datenschutzbehörden, die die Aufgabe haben, sich anzusehen, ob die Verfahren, die die Banken und Wirtschaftsauskunfteien wie die Schufa anwenden, wissenschaftlich fundiert sind oder nicht – ob diese auch die Mittel haben, um diese Aufgabe zu erfüllen.
iRights.info: Sollte man überlegen, ob man E-Mail-Anbieter dazu verpflichtet, als Standardeinstellung eine Ende-zu-Ende-Verschlüsselung anzubieten? Oder greift das zu sehr in die Autonomie der Unternehmen ein?
Ulrich Kelber: Das ist einer unserer Vorschläge für die europäische Datenschutz-Grundverordnung. Das läuft unter dem Stichwort Datenschutz oder privacy by design. Der Anbieter muss als Voreinstellung eine nach dem Stand der Technik sichere Variante anbieten – die der wissende Kunde, wenn er möchte, für sich unsicherer machen kann. Das hat bei WLAN-Routern funktioniert: Alle Router, die verkauft werden, müssen ein voreingestelltes sicheres Passwort und Verschlüsselung haben. Das kann ein zusätzliches Geschäftsfeld für Anbieter sein, das durchaus lukrativ ist und mit dem sie werben könnten.
Gerd Billen: Der Sicherheitsgurt bei Autos ist auch einmal vorgeschrieben worden. Das hat wunderbar gewirkt, die Zahl der Toten und Verletzten ist zurückgegangen. Bei elementaren Fragen von Sicherheit muss man schauen, was schreibt man vor. Wenn wir vorschreiben, dass wir in neuen Wohnungen überall Feuermelder haben müssen, dann kann man auch mit gutem Recht rechtfertigen, dass bei einem alltäglich genutzten Dienst wie E-Mail eine Verschlüsselung grundlegend ist.
Gerd Billen ist Staatssekretär im Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz. Zuvor war er Vorstand des Verbraucherzentrale Bundesverbands. Er ist Mitglied von Bündnis 90/Die Grünen.
Ulrich Kelber ist parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz. Zuvor war er stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion.
4 Kommentare
1 TThomas Christaller am 5. Juni, 2014 um 11:34
das problem bei dem erwerb von ebooks in bibliotheken liegt darin, dass dies auf lizenzen basiert und nicht auf physischem besitz der publikationen. die bibliotheken haben eine zugangsfunktion und eine archifunktion. beides können sie nur erfüllen – und tun dies in der analogen welt sehr lange sehr erfolgreich – weil sie im physischen besitz der medien sind. wenn eine bibliothek e-journals oder ebooks erwirrbt, dann muss sie auch zugriffsrechte haben, die zB über die lebenszeit eines unternehmens hinaus gehen. verlage können pleite gehen, bibliotheken eher nicht.
2 Dieter Krause 123 am 12. Juni, 2014 um 11:09
Ende zu Ende Verschlüsselung ist nicht und in gar keiner Weise Sache der Mailserver sondern der Emailprogramme und damit der Kunden selbst. Die Dummheit der Politiker ist grenzenlos. Das läßt sich auch nicht vorschreiben da es in die Freiheit der ÜUnternehmen eingreifen würde. Ende zu Ende Verschlüsselung hat rein gar nichts mit Mailservern zu tun sondern ist privater Spass der Kunden. Tipp: Email Made in Germny ist NICHT SICHER da die Mails unverschlüsselt auf dem Mailserver liegen. Es ist also faktisch Beschiess am Kunden der aufgrund von Unwissenheit den Blödsinn sogar noch bezahlt.
3 Thomas Asta am 30. Juni, 2014 um 19:54
Guten Tag Herr Billen, Guten Tag Herr Kelber,
E-Mail-Verschlüsselung kommt nicht voran, was insbesondere für berufliche Emails gegen Wirtschaftsspionage wichtig wäre.
Jeder berufliche Email Account muss ja am Fußende der Email die Handelsregisternummer und Impressum mit Geschäftsführernamen verpflichtend enthalten.
Eine Forderung sollte daher sein, dort auch den PGP-Verschlüsselungs-Key des Email-Absenders verpflichtend mit abzubilden. Nur so kann eine Antwort verschlüsselt zurückgesandt werden.
Der Gesetzgeber hat ja für ein berufliches Email Standards vorgeschrieben bei der Email-Signatur: Mit einem verpflichtenden PGP Key dort KANN man wenigstens verschlüsselt senden bzw. antworten, weil die Angaben da sind. Und wer es beruflich macht, macht es dann später durch den Lerneffekt auch privat.
Die Idee ist die Erweiterung des GmbH Gesetzes § 35 a (sowie auch für Aktiengesellschaften):
http://www.gesetze-im-internet.de/gmbhg/__35a.html
“Auf allen ELEKTRONISCHEN Geschäftsbriefen (“Emails”) muss der PGP-Schlüssel des Absenders vermerkt werden.”
http://de.wikipedia.org/wiki/Signatur_(E-Mails_im_Gesch%C3%A4ftsverkehr)
Was halten Sie davon? dieses einmal in Deutschland oder Europa gesetzlich zu fixieren? GmbH und AG sind oft gross genug, dass die IT/EDV-Abteilung einen WinPGP installieren kann. Personengesellschaften können davon ausgenommen bleiben.
MfG
4 Sprecher BMJV am 3. Juli, 2014 um 11:18
Für alle Interessierten:
Die Frage von Herrn Asta wurde von Herrn Kelber hier beantwortet:
http://www.abgeordnetenwatch.de/ulrich_wolfgang_kelber-778-78244.html
Was sagen Sie dazu?