WIPO-Rundfunk-Vertrag auf dem Abstellgleis
Der wichtigste Streitpunkt der Verhandlungen war die Frage, was eigentlich geschützt werden soll. In dieser Frage stehen sich zwei grundsätzlich unterschiedliche Positionen gegenüber. Auf der einen Seite stehen die Befürworter eines breiten, exklusiven Schutzrechts – ähnlich dem Urheberrecht – für Rundfunk- und Fernsehsender. Dieses Schutzrecht soll unabhängig von Urheberrechten an den gesendeten Inhalten für das gesendete Signal gelten.
Die Vertreter der Gegenposition argumentieren, dass dieser Schutz zu weit gehen würde und den Zugang zu Wissensressourcen über Gebühr einschränken würde. Sie sprechen sich allenfalls für einem begrenzten Schutz vor dem unmittelbaren „Signal-Diebstahl“ aus, wobei es keinen Konsens darüber gibt, was darunter präzise zu verstehen sein soll. Ein exklusives, urheberrechtsähnliches Schutzrecht lehnen sie hingegen strikt ab. Auch an der Frage des Ein- oder Ausschlusses von Netcasting, Webcasting und Simulcasting in den Vertragsinhalt spalten sich die Meinungen.
Aussichtslose Verhandlungen
Am Ende der Verhandlungen im Komitee stellten schließlich die US-Vertreter Donnerstagnacht die Aussichtslosigkeit der Verhandlungen fest. Aus ihrer Perspektive gäbe „es keinen einzigen Bereich, in dem Übereinstimmung erzielt werden konnte“. Diese Auffassung sei „keineswegs pessimistisch, sondern realistisch“, denn „im Hinblick auf diese Kernfragen sei keine Einigung in Sicht, selbst wenn man noch tagelang weiter verhandelte“. Abgesehen davon hätten sich „die Technologien seit Beginn der Verhandlungen erheblich weiter entwickelt“. Der WIPO-Rundfunk-Vertrag war dazu gedacht, das Rom-Abkommen „über den Schutz der ausübenden Künstler, der Hersteller von Tonträgern und der Sendeunternehmen“ von 1961 abzulösen. Die USA sind dem Rom-Vertrag nie beigetreten.
Insbesondere die Vertreter Indiens und anderer Mitglieder der Asien-Gruppe sowie Brasilien verweigerten die verbindliche Festlegung von Terminen für weitere Verhandlungen in näherer Zukunft. Hingegen sprachen sich europäische, afrikanische und andere lateinamerikanische Länder für eine Fortsetzung der Verhandlungen aus. Am Ende wurde die vorgesehene diplomatische Konferenz „auf unbestimmte Zeit verschoben“.
„Erfolg für Internet-Community“
Gwen Hinze, Beobachter der Electronic Frontier Foundation (EFF), kommentierte den Zusammenbruch der Verhandlungen in einem Blog-Eintrag so: „Obwohl der Vertrag weiterhin auf der WIPO-Agenda steht und keinesfalls als tot bezeichnet werden kann, hat die heutige Entscheidung praktisch zur Folge, dass er nicht länger auf der Überholspur fährt. Das sind gute Nachrichten für die Internet-Community, besonders für die über 1500 Podcaster, die in einem offenen Brief an die WIPO ihre Sorgen über den Vertrag zum Ausdruck gebracht haben.“
Fragwürdige Lobby-Arbeit
Am Rande der Konferenz hatten Lobbyisten der North American Broadcasters Association (NABA) im Namen ihrer Mitglieder heftig für den Vertrag geworben, berichtete die Bürgerrechtsorganisation Public Knowledge. In einer auf der Konferenz verteilten Hochglanzbroschüre wurde „die Notwendigkeit eines Vertrages mit exklusiven Schutzrechten“ so begründet: „Exklusive Schutzrechte geben ihren Inhabern Flexibilität in der Wahl der Mittel zur Durchsetzung ihrer Rechte. Auf der internationalen Ebene bieten Verträge über geistiges Eigentum harmonisierte internationale Schutzstandards […] Rundfunk- und Fernsehsender benötigen exklusive Schutzrechte, um den Wert ihrer Signale vollumfänglich ausbeuten zu können […].“ Gefordert wurde, ganz im Sinne der WIPO-Verträge von 1996 (WCT und WPPT), exklusiver Schutz für Weiterverbreitung, Speicherung, Vervielfältigung und öffentliche Zugänglichmachung von Signalen.
Diese Ausführungen waren allerdings mit einem Sternchen versehen. Der Grund dafür war, dass keineswegs alle Mitglieder der NABA die beschriebene Position vertreten. Die Fußnote, auf die das Sternchen verwies, erläuterte zum Beispiel, dass National Public Radio (NPR), eine der größten und renommiertesten Rundfunkorganisationen der USA gegen die Unterzeichung des Vertrages ist, da „die gesetzlichen Ausnahmebestimmungen [fair use] für die Berichterstattung im Rundfunk und im Kabel nicht ausreichend geschützt werden“. Bell ExpressVu, eine Tochter des kanadischen Telefonanbieters Bell Canada, spricht sich ebenfalls gegen den Broadcasting Treaty aus, „da das vorgeschlagene Exklusivrecht zur Weitersendung das Maß dessen übersteigt, was zur Verhinderung von Signalpiraterie oder einen ausreichenden Investitionsschutz notwendig ist“.
Was sagen Sie dazu?