Wikimedia Commons: 70 Jahre tot ist nicht genug
Wer sich in Deutschland auch nur am Rande mit dem Thema Urheberrecht beschäftigt, kennt das Prinzip: 70 Jahre nach dem Tod eines Autors dürfen dessen Werke in der Regel beliebig verbreitet werden. Auch bei Wikimedia Commons, der Mediendatenbank, die unter anderem die Bilder für die Online-Enzyklopädie Wikipedia bereit hält, sind viele solcher Werke gespeichert.
Das Projekt, das von der in Kalifornien ansässigen Wikimedia Foundation betrieben wird, hat sich die Sammlung freier Werke auf die Fahnen geschrieben und ist dabei überaus erfolgreich: Mittlerweile sind dort mehr als 15 Millionen Bilder, Tondateien und PDFs zu finden. Doch es tun sich überraschende Lücken auf: Das Spätwerk von seit langem verstorbenen Malern wie Paul Klee (gestorben 1940), Max Liebermann (gestorben 1935) und Leo Gestel (gestorben 1941) und weiterer Künstler dieser Generation wurde vor wenigen Tagen gelöscht. Bilder, die vor 1923 veröffentlicht wurden, sind dagegegn weiterhin vorhanden.
Rückwirkender Schutz nach dem „Uruguay Round Agreements Act“
Der Grund dafür ist ein bislang wenig beachtetes amerikanisches Gesetz aus dem Jahr 1994, der „Uruguay Round Agreements Act“ (URAA). Damit wurde die Berner Übereinkunft zum Schutz von Werken der Literatur und Kunst umgesetzt, der die Vereinigten Staaten 1989 beigetreten waren. In den meisten Fällen hat das Gesetz in der Praxis zur Folge, dass Werke, die am 1. Januar 1996 in ihrem Herkunftsland geschützt waren, nach vorherigen US-Recht aber nicht, mit einem rückwirkenden Schutz von 95 Jahren ab dem Zeitpunkt der Veröffentlichung versehen wurden. Das hatte die Folge, dass einige Jahre später viele der Werke zwar in ihren Ursprungsländern der Öffentlichkeit zur freien Verfügung stehen, in den USA aber nicht.
Der Dirigent Lawrence Golan, der an der Universität von Denver lehrt, brachte den Fall bis vor den Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten. Das Gesetz würde seine Arbeit massiv einschränken, da sein Orchester Werke von Stravinsky oder Prokofiew nicht mehr spielen dürfte, ohne teure Lizenzgebühren zu bezahlen. Golan unterlag im Januar 2012 nach langem Prozess.
3.500 Wikimedia-Dateien betroffen
Das U.S. Copyright Bureau schätzt, dass die Zahl der betroffenen Werke im Millionenbereich liegt. Bei Wikimedia Commons waren zwar nur rund 3.500 Dateien betroffen. Aufgrund der internationalen Bedeutung des Projekts als zentrale Anlaufstelle für Wissenssuchende, wiegen diese Verluste jedoch schwer, weswegen man zunächst eine endgültige Entscheidung hinauszögerte – bis jetzt.
Für die gelöschten Dateien wird bei Commons vermerkt, wann sie wiederhergestellt werden können. Max Liebermanns „Die Enkelin beim Schreiben“ beispielsweise wird 2019 wieder in den Bestand aufgenommen, Leo Gestels „Zomerbloemen“ dagegen erst 2036. Das in Kanada beheimatete und von der Wikimedia Foundation unabhängige Projekt Wikilivres dient derweil als Auffangbecken.
Ein solches hätten viele Wikipedianer allerdings auch gerne im eigenen Projekt. Die Diskussion um eine Dezentralisierung der Serverbestände flammt regelmäßig neu auf – zuletzt im Dezember, als ein Angestellter der Wikimedia Foundation einer DMCA-Takedown-Notice nachkam und Bilder von Skulpturen der Künstler Claes Oldenburg und Coosje van Bruggen löschte. Diese konnten zwar am Aufnahmeort aufgrund der Regelung zur Panoramafreiheit problemlos veröffentlicht werden. Dieses Prinzip findet in den Vereinigten Staaten allerdings keine Anerkennung.
Eine dezentrale Sammlung unter dem Dach der Wikimedia Foundation scheint aber eher unwahrscheinlich. Jan Engelmann, Leiter des Bereichs Politik und Gesellschaft des deutschen Wikimedia-Chapters, verweist auf die Vorzüge des US-amerikanischen Rechts, wie die Fair-Use-Regelung, und gibt zu bedenken, dass das Thema viele haftungsrechtliche Aspekte und Kompatibilitätsprobleme mit dem US-Copyright einschließt: „Man wird kaum die Annehmlichkeiten des deutschen und des amerikanischen Rechtsregimes miteinander vereinen können.“
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