Wie lange noch wird es im Netz freie Fan-Communities geben?
Fans schreiben Geschichten und Romane (Fanfiction), malen und zeichnen (Fanart) und schneiden aus dem Original-Filmmaterial Musikvideos zusammen (Fanvideos). Diese Aktivitäten werden über das Internet organisiert: Es gibt Foren, in denen sich Fans über TV-Shows, Filme und Bücher austauschen; Fanart-Archive, in die sie ihre Werke hochladen und mit anderen teilen; auf Youtube und anderen Videohostern finden sich Millionen von Fanvideos. Und wie in allen Bereichen der menschlichen Kulturproduktion gibt es bei Fan-Werken sehr gute und abgrundtief schlechte Produktionen.
Diese Fans nehmen das ursprüngliche Material und machen daraus etwas Neues. Sie benutzen das Universum, das sich jemand anders ausgedacht hat, und spinnen es weiter. Das kann sehr nah am Original geschehen – wenn ein Fanautor zum Beispiel die Geschichte aus der Perspektive einer anderen Figur nacherzählt. Es kann sich aber auch sehr von der Originalgeschichte lösen, so dass die Figuren nur noch die Namen mit den Figuren aus Funk und Fernsehen gemeinsam haben. In der Fansprache nennt sich das alternative universe. Dabei nimmt ein Autor beispielsweise die Figuren Hermine Granger und Draco Malfoy aus den Harry-Potter-Büchern, lässt die Geschichte aber in der normalen Welt spielen, wo es kein Hogwarts und keine Magie gibt und Hermine und Draco sich ineinander verlieben.
Fan-Kunst: Die rechtliche Situation
Diese Fankreativität wirft interessante Fragen auf bezüglich Kreativität und Originalität. Gerade das Paradigma der Originalität, das seit der Romantik herrscht – dass ein Künstler unerhörte und neue Werke schaffen muss, um anerkannt zu werden – wird durch die Fankreativität aufgeweicht.
Urheberrechtlich bewegt sich Fankreativität in einer Grauzone, jedenfalls in Deutschland. In den USA ist inzwischen anerkannt, dass Fanfiction und -art wohl unter „Fair use“ fällt. Das ist eine Regelung, die es unter bestimmten Umständen erlaubt, Werke anderer zu übernehmen und sie zu bearbeiten. Eine dieser Bedingungen ist, dass die Nutzung die kommerzielle Verwertung durch den Rechteinhaber nicht einschränkt.
In Deutschland ist die Situation komplizierter: Fanfiction ist urheberrechtlich in der Regel eine Bearbeitung, die nur mit der Erlaubnis der Rechteinhaber gestattet ist. Praktisch stellt sich die Frage allerdings selten, denn die meisten Rechteinhaber haben sich inzwischen entweder damit abgefunden, dass sie die Fans nicht kontrollieren können oder sehen die Aktivitäten als Marketingmaßnahme. Die Fans, die sich in ihrer Freizeit noch zusätzlich mit Harry Potter oder Star Wars beschäftigen, sind auch diejenigen, die mehr Geld ausgeben für Deluxe-DVD-Boxen oder signierte Actionfiguren, aber auch diejenigen, die Einfluss auf andere Fans ausüben.
Gerade durch die Vernetzung von Fans im Internet kann eine Kampagne gegen Fans sehr leicht nach hinten losgehen. Lucasfilm, die Rechteinhaber von Star Wars, sind zum Beispiel Anfang der 2000er gegen Slash-Erotica (Luke Skywalker verliebt sich in Han Solo und sie haben wilden, schwulen Sex) vorgegangen, weil sie sagten, dies würde das Familien-Image der Saga zerstören. Die Fans fanden das nicht so lustig und starteten Kampagnen, in denen sie die Vorgehensweise von Lucasfilm kritisierten. Inzwischen wird das Phänomen von Lucasfilm wohlwissentlich ignoriert.
Die Ursprünge der Fankulturen
Fankulturen gibt es schon seit den 1970er Jahren – sie sind kein Produkt des Internet. Das erste große Fandom entwickelte sich um die Fernsehserie „Startrek“. Die größte und notorischste Fangruppe waren hier die Kirk/Spock-Shipper. Das Wort „Ship“ ist die Abkürzung von Relationship und bezeichnet die Beziehung zwischen zwei Figuren, die nicht unbedingt in der Originalsendung (Film, TV-Show oder Buch) eine Beziehung haben müssen. Der Schrägstrich zwischen „Kirk/Spock“ hat dem ganzen Genre seinen Namen gegeben: Slash – nach dem englischen Wort für Schrägstrich. Bei Slash werden zwei gleichgeschlechtliche Charaktere „geshippt“, also in einer Liebesbeziehung miteinander imaginiert.
Manche Medienwissenschaftler sehen in der Slash-Fiction, die meist von Frauen verfasst wird, eine Praxis, die die Möglichkeiten von Macht und Geschlecht neu durchspielt (siehe zum Beispiel Constance Penley, NASA / TREK). Das funktioniert allerdings nur, solange Fankulturen in einem Freiraum operieren können, in dem die Rechteinhaber keinen Einfluss ausüben können. Die Rule #34 des Internet: „If it exists there is porn of it. No exceptions.“ stellt in diesem Falle diesen Freiraum her, in dem Fans alles ausprobieren können, was ihnen in den Sinn kommt. Der Wildwuchs, der dort entsteht, eröffnet neue Räume der Kreativität und Kommunikation.
Vom Werk der Fans zum Marketing-Objekt
In den letzten paar Jahren lässt sich allerdings ein umgekehrter Trend beobachten: Fankreativität rutscht von einer Praxis von Fans, die von den Rechteinhabern zwar toleriert wird, aber ansonsten sich selbst überlassen ist, in das Zentrum der Marketingaktivitäten der Verlage und Produktionsfirmen. Das folgt dem allgemeinen Trend im Internet in Richtung user-generated Content. Bis vor kurzem waren die Strukturen, in denen sich Fans organisiert haben, von ihnen selbst geschaffen und administriert. Diese selbst-organisierten Strukturen gibt es zwar immer noch (zum Beispiel das „Archive of our own“, das dies schon im Namen trägt), aber immer mehr Fan-Angebote kommen aus der Hand von professionellen Anbietern.
Der virtuelle Popstar Hatsune Miku ist dafür nur ein Beispiel. Die Figur wurde im Auftrag der Firma Crypton Future Media entwickelt, um der künstlichen Gesangsstimme aus dem Software-Synthesizer „Vocaloid2“ ein Gesicht zu geben. Fans haben diese Figur und die dazugehörige Stimme genommen und selbst Musik und Videos dazu erschaffen. Inzwischen gibt es über 100.000 Musikstücke, die von Hatsune Miku gesungen werden.
Die Community um Hatsune Miku ist groß – trotzdem ist sie von oben nach unten organisiert. Das Quellmaterial ist extra dafür hergestellt, damit die Nutzer mit ihm arbeiten. Bisher war das umgekehrt: Nutzer übernahmen ohne vorherige Erlaubnis das Quellmaterial und bearbeiteten es auf Arten und Weisen, die von den ursprünglichen Autoren nicht vorgesehen waren. Die Communitys entstanden bottom-up, Menschen fanden sich unabhängig zusammen.
Strategien der Vereinnahmung: So macht der Markt Fankulturen zu Geld
Beispiele für die Übernahme von Fanstrategien und Fan-Community-Building finden sich an vielen Stellen. Es gibt vermehrt Fanautoren, die sich professionalisieren. Das wohl bekannteste Beispiel ist E.L. James, die Autorin von „50 Shades of Grey“. Ursprünglich war „50 Shades of Grey“ ein Fan-Roman unter dem Titel „Masters of the Universe“ im Twilight-Fandom. Die Geschichte war in der Community sehr beliebt, so dass die Autorin die Namen der Figuren änderte und nach einem Verlag suchte. Sie landete schließlich (nach einigen Umwegen) bei Random House. Die SM-Romanze wurde inzwischen weltweit über 70 Millionen mal verkauft.
Besorgniserregender, was die Strategie angeht, ist aber wohl das Amazon-Projekt „Kindle Worlds“. Amazon hat von verschiedenen Rechteinhabern Lizenzen eingeholt, um Fanfiction über ihre Kindle-Plattform zu verkaufen – zunächst nur in den USA. Fanautoren können ihre Werke auf „Kindle Worlds“ hochladen und sie dort anbieten. Der Verkaufspreis wird zwischen Fanautor, Rechteinhaber und Amazon aufgeteilt. Nun könnte man sagen: Wo ist das Problem, wenn etwas Geld bei den verschiedenen Produzenten landet? Allerdings kommt mit der Lizenzierung eine verschärfte Kontrolle. Die Fanautoren müssen inhaltlichen Vorgaben zustimmen, sogenannten Content Guidelines, die für die verschiedenen Welten unterschiedlich sind.
Gemeinsam haben sie aber, dass sexuell explizite Inhalte und sogenannte Crossovers – die Vermischung von zwei verschiedenen Welten, also wenn die Figuren aus „Star Trek“ mit „Dr Who“ Abenteuer erleben – nicht erwünscht sind. „Kindle Worlds“ hat bisher nur die Rechte für einige wenige Fandoms erworben – die wirklich beliebten wie Harry Potter oder Twilight sind nicht dabei. Von daher ist der Erfolg noch nicht garantiert. Die Fans sind skeptisch: Die vielen inhaltlichen Einschränkungen verderben den Spaß – und darum geht es den meisten Fanautoren.
Die Frage also bleibt: Wie frei und unabhängig können Fankulturen bleiben, wenn sie zu einer weiteren Verkaufsstrategie von großen Verlagen und Medienproduzenten werden? Wenn die großen Inhalte-Anbieter keine Inhalte mehr verkaufen, sondern nur noch die Strukturen, innerhalb derer andere diese Inhalte erstellen? Insofern folgt die Entwicklung in dieser Spielart der Popkultur der anderen, größeren im Netz: Geld wird dort verdient, wo Strukturen bereit gestellt werden und nicht mehr dort, wo die Inhalte vermarktet werden. Diese werden von den Nutzern erstellt. Beispiele sind die bekannten Plattformen wie Youtube oder die sozialen Netzwerke. Es bleibt die Hoffnung, dass das anarchische Potential des Netzes und der Fandoms zu stark ist, um sich vollständig dem Vermarktungsdruck unterzuordnen – und dass wenigstens Inseln der unabhängigen Fankulturen bestehen bleiben.
Dieser Text ist ursprünglich im Anschluss des Complicity-Symposiums der Berliner Gazette entstanden. Im Januar 2014 erscheint bei iRights.Media unter dem Titel „Komplizen – Wie können Hacker und Journalisten, Piraten und Kapitalisten, Amateure und Profis zusammenarbeiten?“ ein Buch, das die Themen des Symposiums aufnimmt und dokumentiert.
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