Wie ein faires Publikationssystem für die Wissenschaft aussehen sollte

Nico Kaiser, National Library of Ireland, Lizenz: CC-BY.
Wissenschaft ist ein Gemeinschaftsprojekt: Sie lässt sich nur unter Rückgriff auf bereits erbrachte wissenschaftliche Leistungen aus naher und ferner Vergangenheit betreiben.
Diese Einsicht tritt auch im viel zitierten Gleichnis der Zwerge auf den Schultern von Riesen zutage: Erst der Standpunkt, den wir einnehmen, indem wir die Erkenntnisse unserer Vorgänger*innen und Zeitgenoss*innen würdigen, gewährt uns eine weitreichende Sichtweise auf unser Themenfeld.
Ohne den Zugang zu wissenschaftlichen Publikationen ist wissenschaftliches Arbeiten daher nicht denkbar – denn Publikationen sind das wichtigste und verlässlichste Medium, um auf bereits gewonnene wissenschaftliche Einsichten zuzugreifen.
Digitales Publizieren – Offener als früher, aber längst noch nicht offen genug
Die Digitalisierung des wissenschaftlichen Publikationswesens hat unverkennbare Vorteile für das wissenschaftliche Arbeiten: Wissenschaftliche Publikationen, die früher allein in Bibliotheken erhältlich waren, können jederzeit und allerorten mit geringem Aufwand online abgerufen werden. Auf diese Weise wird der Zugang zu diesen Publikationen deutlich erleichtert.
Dieses System beruht allerdings nach wie vor in weiten Teilen darauf, dass Publikationen wie Bücher und Aufsätze zwar online verfügbar, aber durch eine Bezahlschranke abgeschirmt sind.
Viele Universitäten investieren deshalb in Abonnements und Publikationspakete, damit Wissenschaftler*innen und Studierende auf die Publikationen zugreifen können, die sie für Forschung und Studium benötigen.
Hohe Kosten für wissenschaftliche Publikationen führen zu Benachteiligungen
Solche Abonnements kosten die Universitäten sehr viel Geld, und die Preise steigen stetig an. Bereits vor acht Jahren war selbst die Universität Harvard nicht mehr in der Lage, die abgeschlossenen Abonnements weiter zu finanzieren.
Es liegt auf der Hand, dass Universitäten, die über eine geringere finanzielle Ausstattung verfügen, hier nicht mithalten können, was zu gravierenden Benachteiligungen ihrer Wissenschaftler*innen und Studierenden führt.
Betroffen sind vor allem Angehörige von Universitäten in ärmeren Ländern, denen durch den mangelnden Zugang zu benötigter Forschungsliteratur eine Teilhabe am wissenschaftlichen Diskurs auf Augenhöhe verwehrt bleibt – aus gerechtigkeitstheoretischer Perspektive ein unhaltbarer Zustand.
Prekäre Beschäftigungsbedingungen in der Wissenschaft verschärfen Probleme
Zudem gehören keineswegs alle Wissenschaftler*innen dauerhaft einer Universität an, die die Kosten für den Zugang zu Publikationen übernimmt. Die Stellensituation vieler Wissenschaftler*innen ist prekär, was in Deutschland unter anderem am Wissenschaftszeitvertragsgesetz liegt, das für Wissenschaftler*innen ohne Professur (und damit den Großteil der wissenschaftlichen Community) knapp befristete Anstellungsverhältnisse forciert.
Dadurch ist es keine Seltenheit, dass exzellent ausgebildete, hochqualifizierte Wissenschaftler*innen phasenweise arbeitslos sind und mangels Zugehörigkeit zu einer Universität nicht über einen Zugang zu den für ihre Forschung dringend benötigten Publikationen verfügen. Dasselbe gilt für Forscher*innen, die dauerhaft ohne Universitätsanbindung bleiben.
Aber nicht allein die Ungerechtigkeiten zulasten derjenigen, die vom Abonnement-System nicht profitieren, lassen diese Strukturen problematisch erscheinen: Denn viele Verlage profitieren als Privatunternehmen zudem gleich doppelt von öffentlich finanzierter Forschung, ohne dies durch das Erbringen angemessener Verlagsleistungen zu rechtfertigen.
Wie stehen Verlage, Hochschulen, Bibliotheken zu Open Access?
Wie positionieren sich die Verlage, die zu Open Access bereit sind? Wie integrieren sie Open Access in ihre Geschäftsmodelle? Was erwarten Sie von Hochschulen, Bibliotheken und Bildungspolitik?
Wie gehen Wissenschaftseinrichtungen bei Open Access vor? Welche Erwartungen haben sie gegenüber den Verlagen und dem Staat?
Auf diese und weitere Fragen suchen wir in einer losen Folge von Interviews und Beiträgen Antworten und Einschätzungen, lassen Akteur*innen zu Wort kommen.
Den Auftakt machte ein Interview mit Johannes Rux, Rechtswissenschaftler, Autor und als Lektor und Bereichsleiter beim Baden-Badener Nomos Verlag verantwortlich für zahlreiche, unter Open Access publizierte Bücher und Zeitschriften.
Der Staat zahlt doppelt für wissenschaftliche Publikationen – Verlage schlagen daraus Profit
Wissenschaftliche Publikationen werden überwiegend von Wissenschaftler*innen im Rahmen ihrer – von der öffentlichen Hand finanzierten – Anstellungsverhältnisse erarbeitet. Für diese Publikationsleistungen zahlen Verlage den Wissenschaftler*innen zumeist nichts – im Gegenteil: Oft zahlen Wissenschaftler*innen den Verlagen sogar Geld, damit etwa ihre Dissertationen publiziert werden.
Diese sogenannten Druckkostenzuschüsse, die für Bücher regelmäßig im vier- bis fünfstelligen Bereich liegen, treffen dabei meist Wissenschaftler*innen in der Qualifikationsphase und in prekären Anstellungsverhältnissen. Oftmals sind diese zudem dazu gezwungen, die Zuschüsse aus ihren begrenzten privaten Mitteln selbst zu zahlen.
Die Universitäten machen zusätzlich Druck: Werden Dissertationen nicht innerhalb einer Frist publiziert, droht an vielen Universitäten die endgültige Aberkennung der Promotionsleistung.
Peer Review und Co.: Wissenschaftler*innen leisten unentgeltlich Qualitätssicherung
Auch die Qualitätssicherung der Publikationen wird von Wissenschaftler*innen geleistet, und das zumeist ebenfalls ohne eine Bezahlung durch die Verlage: Herausgeber*innen stellen die Qualität ihrer Sonderhefte, Sammelbände oder Zeitschriften sicher.
Zeitschriftenaufsätze und Bücher werden von Gutachter*innen in Peer-Review-Prozessen einer Prüfung unterzogen. Sogar den Satz ihrer Publikationen machen Autor*innen inzwischen oft selbst.
Die so entstandenen hochwertigen wissenschaftlichen Publikationen sind somit aus öffentlicher Hand finanziert, werden dann aber unentgeltlich den Verlagen übergeben, die für einen Zugriff darauf mitunter horrende Preise verlangen – sei es im Rahmen überteuerter Abonnements oder überzogener Einzelpreise.
Dass dann wiederum öffentlich finanzierte Universitäten diese Preise zahlen, um ihren Wissenschaftler*innen und Studierenden den Zugang zu den Publikationen zu gewährleisten, ist aus publikationsethischer Sicht höchst fragwürdig.
Denn viele Verlage können in diesem System mit öffentlich finanzierten Publikationen enorme Gewinne aus öffentlichen Geldern erzielen, ohne dass dies aufgrund entsprechender Verlagsleistungen, wie etwa einem Lektorat, auch nur annähernd gerechtfertigt wäre.
Open Access: Ein Lösungsansatz, bei dem Vorsicht geboten ist
Open Access – der generell kostenfreie Zugang zu Publikationen – scheint diese Problemlage zu lösen. Zumindest erhalten damit alle Menschen gleichermaßen Zugang zu wissenschaftlichen Publikationen, ohne dafür Mittel aufwenden zu müssen.
Wissenschaftler*innen und Studierende aller Länder – auch solcher, in denen kein Geld für teure Abonnements vorhanden ist – können so auf die Publikationen zugreifen, ohne dafür zu zahlen. Auch Wissenschaftler*innen ohne institutionelle Anbindung und die interessierte Öffentlichkeit erhalten einen entgeltfreien Zugang. So ist eine breite Teilhabe gewährleistet. Löst Open Access also die publikationsethischen Probleme des aktuellen wissenschaftlichen Publikationssystems?
Ganz so einfach ist es leider nicht. Denn so, wie Open Access derzeit häufig gehandhabt wird, begegnen uns einige dieser Probleme auf anderer Ebene wieder – dann nämlich, wenn wir es mit Open Access in der sogenannten goldenen Variante zu tun haben (siehe Infobox). Dabei muss zwar niemand für den Zugang zu wissenschaftlichen Publikationen zahlen – aber um die Publikationen frei zugänglich zu machen, verlangen die Verlage eine oft beachtliche Gebühr von den wissenschaftlichen Autor*innen.
Open Access
bezeichnet den offenen Zugang zu wissenschaftlichen Publikationen. Open-Access-Literatur im engeren Sinn ist online kostenfrei zugänglich und unter offenen Lizenzen veröffentlicht, die die weitere Nutzung erleichtern. Es gibt mehrere Ansätze: Anderswo veröffentlichte Publikationen können online zugänglich gemacht werden („Green Road“) oder in eigenen Open-Access-Zeitschriften erscheinen („Golden Road“). Beim Diamond-Open-Access-Modell fallen weder für Autor*innen noch Leser*innen Gebühren an; finanziert wird die Publikationsinfrastruktur hier von wissenschaftlichen Einrichtungen oder Wissenschaftsverbänden. In Deutschland gilt seit 2014 unter bestimmten Voraussetzungen ein Zweitveröffentlichungsrecht für Wissenschaftler*innen.
Es mag richtig sein, dass insbesondere kleinere Wissenschaftsverlage auf solche Gebühren angewiesen sind. Johannes Rux vertrat kürzlich im iRights.info-Interview die Auffassung, dass „praktisch alle wissenschaftlichen Verlage zu einem erheblichen Teil von den Zuschüssen [leben]“.
In Anbetracht der immens hohen erzielten Renditen der – durch den Ankauf kleinerer Verlage immer weiter wachsenden – Großverlage kann diese Sicht allerdings nicht überzeugen.
Das publikationsethische Problem verschiebt sich
So verschiebt sich das Problem, denn Gebühren für Open-Access-Publikationen werden meist ebenfalls aus öffentlichen Mitteln bezahlt – von den Institutionen, die die Autor*innen beschäftigen. Oder aus öffentlichen Fördermitteln, etwa von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG).
Gemessen am Modell, bei dem viele Universitäten teure Abonnements bezahlen, mag diese einmalige Zahlung zwar besser sein. Aber sie wird allzu häufig ohne Not entrichtet, da die Publikationen weiterhin aus der Arbeit der Wissenschaftler*innen resultieren, während die Leistungen der Verlage auch in diesem Modell regelmäßig äußerst gering ausfallen.
Mit DFG-Mitteln dürfen auf Grundlage der sogenannten Article Processing Charge, also einer Verarbeitungsgebühr, etwa bis zu 2.000€ pro Aufsatz ausgegeben werden. Aus publikationsethischer Perspektive lässt sich aber kaum rechtfertigen, einem Verlag für einen einzelnen Open-Access-Aufsatz einen Betrag im vierstelligen Bereich zu zahlen – nicht zuletzt, weil auch dies Wissenschaftler*innen, deren Universitäten dieses Geld nicht aufbringen können, und solche ohne institutionelle Anbindung strukturell benachteiligt.
Wie Wissenschaftler*innen zur fairen Gestaltung des Publikationssystems beitragen können
Die Erstellung und Qualitätssicherung wissenschaftlicher Publikationen wird von der Wissenschaftscommunity selbst geleistet. Im Prinzip ist all das auch ohne primär wirtschaftlich interessierte Verlage möglich – etwa, indem Wissenschaftler*innen in Universitätsverlagen, selbst organisierten Zeitschriften und so weiter veröffentlichen.
Dass diese Möglichkeiten bis heute wenig angenommen werden, liegt vor allem am Renommee der etablierten Journals und Verlage: Wenn Wissenschaftler*innen dort publizieren, erhöhen sie ihre Karrierechancen eher, als wenn sie in einem noch unbekannten Open-Access-Journal veröffentlichen.
Was lässt sich in dieser Situation also aus Sicht der Wissenschafler*innen tun? Bewusst auf Open-Access-Publikationen in Universitätsverlagen sowie in Journals setzen, aus denen kein Verlag immense Gewinne zieht!
Als Wissenschaftler*innen in Qualifikationsphasen und auf befristeten Stellen haben wir dafür begrenztere Möglichkeiten, weil für eine wissenschaftliche Karriere bislang auch Publikationen in den renommierten Verlagen und Journals vonnöten sind.
Renommee hinterfragen und neu verteilen
Aber insbesondere diejenigen Wissenschaftler*innen, die mit einer Lebenszeitstelle ausgestattet sind, können viel bewegen: Wenn sie alternative Publikationsorte wählen, nehmen sie den Verlagen, die das aktuelle Publikationssystem für sich ausnutzen, den Wind aus den Segeln. Und sie helfen zugleich, Universitätsverlagen und vergleichbaren Bewegungen mehr Renommee zu verleihen.
Wenn etablierte, fest angestellte Wissenschaftler*innen bei der Besetzung von Stellen auch Publikationen wertschätzen, die nicht in überteuerten Journals erschienen sind, nimmt dies zudem den Druck von den befristet angestellten Wissenschaftler*innen, diese Publikationsorte zu priorisieren.
Schließlich sollte es darum gehen, welche Qualität eine Publikation hat – und allen anderslautenden Annahmen zum Trotz sind teure Journals eben kein eindeutiger Ausweis für die Güte von Publikationen, wie sich in den letzten Jahren immer wieder gezeigt hat.
Wir Wissenschaftler*innen machen wissenschaftliche Publikationen zu dem, was sie sind: zu wertvollen Beiträgen, die wissenschaftliche Forschung dokumentieren und vorantreiben. Bündeln wir unsere Arbeitsleistungen und kümmern wir uns selbst um die Verwertung und Verbreitung ihrer Resultate, statt diese aus der Hand zu geben!
So machen wir auch das wissenschaftliche Publikationswesen zu einem Gemeinschaftsprojekt, von dem alle Wissenschaftler*innen gleichermaßen profitieren können – und leisten damit einen wesentlichen Beitrag zum Ausgleich unfairer Benachteiligungen.
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