Wenn Juristen über Kunst sprechen
Kunst vor Gericht. Der erste Impuls ist, dass diese beiden Bereiche doch eigentlich wenig miteinander gemein haben – auf der einen Seite die schöne Form, auf der anderen die schnöde Erörterung von Paragraphen. Doch dieser erste Impuls trügt – wie so oft. Denn die bildende Kunst hat sich seit Anfang des 20. Jahrhunderts zunehmend geöffnet.
Künstler*innen malen nicht einfach nur Gemälde oder erschaffen Skulpturen. Mit Konzeptkunst, Happening, Installation und Performance haben sich künstlerische Verfahren herausgebildet, die explizit in den Alltag eingreifen und den Unterschied zwischen Leben und Kunst auflösen möchten.
So ist es kein Wunder, dass die beiden Sphären Jura und Kunst immer wieder aneinandergeraten und dass vor allem die erweiterten Kunstformen dabei im Mittelpunkt stehen. Im Buch „Kunst vor Gericht. Ästhetische Debatten im Gerichtssaal“, herausgegeben von Sandra Frimmel und Mara Traumane, geht es also vor allem darum, was juristische Dokumente über das Verhältnis unserer Gesellschaft zur Kunst aussagen:
„[Die ästhetischen Debatten] sind es aber, die Aufschluss darüber geben, über welches Kunstverständnis – Theorien des Bildes, der ästhetischen Handlung oder der Kritik – eine Gesellschaft verfügt und auf welche Weise sie diese in einem juristischen Rahmen zu verhandeln in der Lage ist.“
Dabei geht es nicht nur um die Kunst und die Künstler*innen, sondern auch darum, welche Art von „Rede“ eine Gesellschaft erlaubt. Wie frei sind Bürger*innen, ihre Meinung auszudrücken?
Kunstformen wie Happening, Performance und Interventionen gehen einerseits über einen konservativen Kunstbegriff hinaus, behandeln andererseits oft Themen, die gesellschaftlich kontrovers sind, wie Religion, Sexualität oder nationale Symbolik. Damit ist gerade in autoritären Gesellschaften ein Konflikt vorprogrammiert.
Ein Schwerpunkt in dem mehr als 500 Seiten starken Band liegt daher auf Osteuropa – sowohl vor als auch nach dem Fall des Eisernen Vorhangs. Aber auch westeuropäische Länder sind nicht gefeit davor, vor Gericht gegen künstlerische Ausdrucksformen vorzugehen, wie etwa der bizarre Fall der englischen Landschaftsmaler in Frankreich zeigt. Sie wurden wegen Spionage angeklagt, weil hinter den von ihnen gemalten Baumlinien möglicherweise militärisch relevante Bauten liegen könnten.
Künstlerische Arbeit mit bestehenden Werken schafft Probleme
Und Auseinandersetzung um Rechte des geistigen Eigentums, wie Urheber- und Markenrechte, kennen keine Grenzen. Cornelia Sollfrank – Künstlerin und Forscherin zu Kunst und Urheberrecht – fasst in dem Aufsatz „Post-IP Aesthethics. Kunst und ihre veränderte Rolle in der Knowledge Economy“ zusammen, welche Probleme das Urheberrecht Künstler*innen heutzutage bereitet.
Seit Anfang des 20. Jahrhunderts sind Kunstformen wie Collage, Assemblage oder Videokunst, die bestehende urheberrechtlich geschützte Materialien und andere Kunstwerke nutzen, selbstverständlich geworden. Das Urheberrecht hängt aber seinerseits immer noch an einem Geniebegriff aus dem 18. Jahrhundert, argumentiert sie.
Gleichzeitig wird es immer mehr zu einem Wirtschaftsrecht, da geistiges Eigentum immer umfassender verwertet wird (allerdings weniger von Künstlern) und zur Wertschöpfung ganzer Industrien beiträgt. Das führt laut Sollfrank dazu, dass die Schutzrechte ausgeweitet werden und damit der Zugang zu Werken just zu einer Zeit erschwert wird, wo Künstler mehr denn je Kunstformen schaffen, die bestehende Werke nutzen.
Fallbeispiel Louis Vuitton vs. Plesner
Neben den Urheberrechten sind es Markenrechte, die Probleme bereiten können. Die dänische Künstlerin Nadia Plesner ist mit einem Aufsatz vertreten, in dem sie ihre Auseinandersetzung mit der Modefirma Louis Vuitton um ihre Arbeiten „Simple Living“ und „Darfurica“ beschreibt. In der Zeichnung „Simple Living“ gibt sie einem Kind aus Darfur/Sudan, wo 2006 Krieg und Genozid herrschten, eine Louis-Vuitton-Tasche und einen Chihuahua in den Arm und kritisiert damit unsere Gleichgültigkeit gegenüber Gewalt und Krieg.
Die Luxusmarke wollte nicht, dass ihre Produkte damit in Verbindung gebracht würden. Nach fünf Jahren vor Gericht bekam Plesner Recht – sie durfte ihre Meinung über ihre Kunst ausdrücken, ohne dass Louis Vuitton dagegen vorgehen kann.
Diese beiden Beispiele zeigen, wie rechtliche Regelungen das Kunstschaffen beeinflussen, und vor allem wie sie definieren, was Kunst eigentlich ist (Plesner wurde zum Beispiel geraden, doch lieber Gemälde zu malen, da könne man besser argumentieren, dass ihre Nutzung der Louis-Vuitton-Tasche eine freie Benutzung ist).
Gerade künstlerische Verfahren, die nicht einfach nur „Flachware“ sind (so der etwas despektierliche Begriff für Kunst, die man an die Wand hängen kann), sondern am Alltag teilnehmen und damit oft bestehende Verhältnisse kritisieren, mussten vor Gericht erst einmal als Kunst anerkannt werden.
Kunstfreiheit besteht nicht automatisch
Die 20 Fallbeispiele (ergänzt mit Originaldokumenten und Urteilsbegründungen) und neun Essays zeigen die Bruchstellen zwischen Kunst, Gesellschaft und Recht. Dabei ist das Recht nicht einfach nur eine neutrale Instanz, die „gerecht“ urteilt, sondern vor allem ein Ort, an dem politische Vorgaben umgesetzt werden.
Cornelia Sollfrank fasst das gut zusammen: „Kunstfreiheit besteht […] nicht automatisch, sondern muss juristisch erstritten werden, wenn sie im Widerstreit mit anderen Rechten steht. Damit besteht de facto eine Einschränkung künstlerischer Autonomie, die bei besagten Konflikten […] durchgesetzt wird.“
Wie schon erwähnt spielt das Urheberrecht bei „Kunst vor Gericht“ nur eine kleine, aber durchaus wichtige Rolle. Aber auch die anderen Fälle teilen Kunstinteressierten viel darüber mit, welche gesellschaftliche Wirksamkeit Kunst weiterhin und immer noch haben kann.
Sandra Frimmel, Mara Traumane (Hg.): Kunst vor Gericht. Ästhetische Debatten im Gerichtssaal. Matthes & Seitz, Berlin 2018. ISBN: 978-3-95757-468-8. Preis: 48,00 Euro.
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