„Was ‘ne Stümperei“ – Konfusion um Leistungsschutzrecht
Die Bundesregierung hat am Mittwoch das Leistungsschutzrecht für Presseverlage (LSR) beschlossen. Für die Nutzung von Presseerzeugnissen sollen Suchmaschinenbetreiber und “gewerbliche Anbieter von Diensten, die Inhalte entsprechend aufbereiten“ künftig ein Entgelt an die Verlage zahlen. Unter Presseerzeugnis sind etwa Ausschnitte aus Artikeln zu verstehen, die automatisiert in Suchergebnissen angezeigt werden (sogenannte Snippets).
Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger kommentierte, das LSR gewähre „Presseverlegern eine angemessene Teilhabe an den Gewinnen, die Suchmaschinenbetreiber und Anbieter von mit Suchmaschinen vergleichbaren Diensten erzielen, indem sie die Leistungen der Presseverleger nutzen“. Die CDU/CSU-Bundestagfraktion erklärte: „Mit dem neuen Leistungsschutzrecht für Presseverlage stärken wir den Schutz des geistigen Eigentums im Internetzeitalter.”
Der SPD-Netzpolitiker Lars Klingbeil twitterte, die SPD-Bundestagsfraktion werde das Leistungsschutzrecht ablehnen. „Der Bundesregierung ist es bis heute nicht gelungen, zu erklären, wozu es eines solchen neuen Schutzrechtes bedarf“, heißt es in einer SPD-Erklärung. Die Bundesregierung solle das „unsinnige“ Vorhaben zurückziehen. Auch die Grünen signalisierten Ablehnung. „Was `ne Stümperei“, twitterte Tabea Rössner, Sprecherin für Medienpolitik in der Grünen-Bundestagsfraktion.
Junge Union rebelliert
Der CSU-Verband für Netzpolitik (CSUnet) twitterte: „Wir sind nicht glücklich über den Kabinettsbeschluss zum LSR und halten es aus bekannten Gründen für keine gute Lösung.“ Die Junge Union erklärte, man lehne die Einführung eines speziellen Leistungsschutzrechts für Presseverlage ab. Das LSR sei ein „Angriff auf die freiheitliche und marktwirtschaftliche Architektur des Internets“.
Wer muss zahlen?
Ein früherer Entwurf sah vor, dass nur Suchmaschinen-Betreiber zahlungspflichtig sind, weshalb das Gesetz auch „Lex Google“ genannt wurde. Wer von der jüngsten Erweiterung betroffen ist, bleibt indes vage. Die Pressemitteilung des Bundesjustizministeriums nennt als weitere „gewerbliche Anbieter“ nur News-Aggregatoren.
Die Gesetzesbegründung wiederum liefert eine Ausnahme: „Demgegenüber werden Dienste nicht erfasst, die die verlegerische Leistung auf andere Weise nutzen, z. B. indem sie dem Internet-Nutzer aufgrund eigener Wertung eine Auswahl von Presseerzeugnissen anzeigen.“
Ob die Zusammenstellung von Presseerzeugnissen auf Portalen wie Rivva und Nachrichten.de im Sinne des Gesetzes als „Auswahl aufgrund eigener Wertung“ gilt, wodurch die Dienste von Zahlungen befreit wären, bleibt auch für Experten ein Rätsel. Bernhard Rohleder, Hauptgeschäftsführer des IT-Branchenverbands Bitkom erklärte: „Der Gesetzentwurf lässt offen, welche Dienste gemeint sind.“ Diese Rechtsunsicherheit werde dazu führen, dass innovative Online-Angebote im Bereich der Medienbeobachtung oder der Aggregation von Inhalten vom deutschen Markt vertrieben werden.
„Prozessflut ist vorprogrammiert“
Die Grünen kritisieren, es bleibe nicht nur im Nebel, was der Schutzgegenstand des Gesetzes sei. Die Erweiterung des Geltungsbereichs schaffe noch mehr Unklarheit. In einer Erklärung heißt es: „Vollkommen unklar bleibt jetzt, was und wer mit Diensten gemeint ist, die `Inhalte entsprechend aufbereiten`.“
Die Linke-Bundestagsfraktion kritisiert, auch der Kreis der Anspruchsberechtigten sei nicht klar definiert: „Nach dem vorliegenden Entwurf kann sich quasi jeder als Verlag ausgeben und das neue Recht in Anspruch nehmen. Rechtsunsicherheiten und eine Prozessflut sind vorprogrammiert.“
LSR ohne Zahlungen?
Der FDP-Rechtspolitiker Stephan Thomae hält es indes für möglich, dass Suchmaschinen und Newsaggregatoren trotz LSR nichts an die Verlage zahlen. Für die Nutzung der Presserzeugnisse bräuchten sie zwar künftig eine Erlaubnis. Aber: „Ob die Erlaubnis dann an eine Gebühr gebunden ist, müssen die beteiligten Parteien in der Praxis selber festlegen“, so Thomae. Schon heute können Verlage technisch dafür sorgen, dass Textausschnitte ihrer Online-Publikationen nicht in Suchergebnissen gezeigt werden.
Die Grünen warnen, dass LSR werde eher schaden als nutzen: „Es wird klamme Presseverlage nicht retten und Journalisten kaum Einnahmen bescheren, stattdessen aber die Vielfalt im Netz einschränken.“ Den Verlagen drohe die Herausnahme ihrer Texte aus den Suchmaschinenangeboten.
Reaktionen aus Wirtschaft und Gesellschaft
Der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) und der Verband Deutscher Zeitschriftenverleger (VDZ) begrüßten den Kabinettsbeschluss. Von den möglicherweise betroffenen Unternehmen und aus der Internetwirtschaft kommt dagegen harsche Kritik.
Google-Sprecher Kay Oberbeck erklärte: „Das ist ein schwarzer Tag für das Internet in Deutschland.“ Dieser Eingriff in das Internet sei weltweit ohne Beispiel. Er bedeute weniger Informationen, höhere Kosten und massive Rechtsunsicherheit. Der IT-Branchenverband Bitkom kritisierte, die Bundesregierung plane einen weltweit einmaligen Alleingang, der internationale Gründer und Investoren abschrecke. „Es gibt weder einen gesellschaftlichen noch einen politischen Konsens über die Notwendigkeit dieses neuen Schutzrechtes und der sich daraus ableitenden Abgaben.“ Oliver Süme vom Verband der Internetwirtschaft (eco) erklärte: „Wir haben jetzt drei Gesetzesentwürfe, und alle drei sind schlecht.“ Nach wie vor enthalte der Gesetzestext zahlreiche völlig unbestimmte Begriffe, deren Klärung den Gerichten überlassen bleibe und für Jahre Rechtsunsicherheit schaffen.
Die Digitale Gesellschaft erklärte, das LSR sei unnötig und strukturell falsch. „Wenn das Geschäftsmodell der Verlage im Netz so nicht mehr funktioniert, kann man nicht einfach eine Subvention von Privaten an Private anordnen – das ergibt keinen Sinn.“ Der Blogger Sascha Lobo twitterte: „Das Leistungsschutzrecht beweist, dass die Regierung den Springer-Verlag mehr fürchtet als das Netz. Das sollte man ändern.“
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