Was das CETA-Abkommen fürs Urheberrecht bedeuten könnte

Karte: Stamen Design, CC BY
Wenn Staaten über Handelsabkommen verhandeln, bleiben die Türen meist verschlossen: Auch beim „Comprehensive Economic and Trade Agreement“ (CETA) zwischen Europa und Kanada erfährt die Öffentlichkeit bis jetzt nur stückweise, was die beteiligten Staaten darin genau planen. Zwar stimmen die Parlamente Europas und Kanadas am Ende über den Vertragstext ab, bis dahin aber bleibt für die Öffentlichkeit nur Puzzle-Spielen: Diverse geleakte Dokumente zeigen Entwürfe für das Abkommen in verschiedenen Stadien, meist in Ausschnitten. Seit mehr als vier Jahren wird das Abkommen nun verhandelt.
Einen ersten Entwurf für das darin enthaltene Kapitel über Urheber-, Patent- und Markenrechte veröffentlichte Wikileaks bereits Ende 2009; der kanadische Jurist Michael Geist publizierte im Sommer 2012 einen weiteren. Der Entwurf zeigte, dass viele Passagen den Formulierungen im gescheiterten Anti-Piraterie-Abkommen ACTA bis in den Wortlaut glichen. Die EU-Kommission widersprach und ließ verlauten, die besonders stark kritisieren Internet-Abschnitte seien nicht mehr im Verhandlungstext; die veröffentlichte Fassung sei veraltet.
Im Oktober 2013 verkündeten die EU und Kanada schließlich einen „politischen Durchbruch“ bei den Verhandlungen. Die kanadische Regierung veröffentlichte Zusammenfassungen des CETA-Entwurfs, nicht aber den Text selbst (1, 2 – PDF). „Die verbleibenden Urheberrechts-Regelungen erscheinen harmlos“, urteilte Geist. Für die Anhänger verschärfter Regelungen habe die Ablehnung von ACTA durch das Europäische Parlament im Sommer 2012 einen herben Rückschlag auf dem Verhandlungsparkett gebracht. Auch hatte Kanada unterdessen sein Urheberrechtsgesetz bereits novelliert.
In Deutschland würde sich wohl kaum etwas ändern
Das jetzt vom Politiker Bruno Kramm (Piratenpartei) veröffentlichte Dokument (PDF) gibt laut den Angaben im begleitenden Memo der EU-Kommission den Verhandlungsstand vom 17. Dezember 2013 wieder. Einige der zuletzt gefundenen Kompromisse seien darin aber noch nicht oder nur teilweise eingearbeitet, bemerkt die Kommission einschränkend. Auch dieser Entwurf ist daher als eine weitere, temporäre Momentaufnahme zu verstehen.
Besonders spektakulär ist der jetzt veröffentlichte Text-Entwurf beim ersten Durchblick nicht. Zwar finden sich auch im jetzigen Entwurf Textbausteine, die in ACTA oder anderen internationalen Verträgen ebenfalls vorkamen und -kommen. Inhaltlich entsprechenden die vorgeschlagenen Regelungen aber dem, was bereits im deutschen Recht verankert ist; auch hier teilweise bis in die Formulierung hinein. In Deutschland würde sich wahrscheinlich so gut wie nichts ändern.
EU-Recht könnte erweitert werden
Weil die Europäische Union Partner des Abkommens ist und damit die CETA-Vorgaben selbst umsetzen muss, würde mit dem Abkommen das EU-Urheberrecht wahrscheinlich erheblich erweitert werden. Bis jetzt gibt es im Urheberrecht nur bei einigen Aspekten gemeinsame rechtliche Vorgaben („acquis communautaire“). Ob mit erweiterten EU-Regeln auch eine Verschärfung einhergehen würde, ist nicht ausgemacht. Gut möglich ist aber, dass andere Länder ihre urheberrechtlichen Regelungen hin zum „deutschen Standard“ ausbauen werden, der im Sinne der Rechteinhaber bereits sehr weitgehend ist.
Besonders bei den im CETA-Entwurf angesprochenen Regelungen zum Strafrecht gibt es im europäischen Urheberrecht noch keine gemeinsamen Vorgaben. Bislang scheiterte die Kommission mit Versuchen, eine neue Durchsetzungs-Richtlinie zu erlassen. Verpflichtet sich die EU mit dem CETA-Abkommen auf weitere Schritte, würden die Pläne für eine neue Durchsetzungsrichtlinie neuen Auftrieb kommen. Ausdrücklich einzeln aufgeführt werden im Entwurf Strafen für Camcorder-Aufnahmen in Kinos (Artikel 5.6) als Regelungsfeld. Verglichen mit dem letzten bekannten kanadischen Entwurf ist statt einer Soll-Bestimmung nun allerdings eine Kann-Bestimmung im Entwurf zu finden.
Absage an Prüfpflichten für Provider, „Notice-and-notice“-System möglich
Vor dem Hintergrund der bislang bekannten Tendenzen im Urheberrecht nimmt der Entwurfstext beim Abschnitt über Internet- und Host-Provider eine fast überraschende Wendung (Artikel 5.5). Für diese Dienste gibt es in den meisten Ländern Haftungsprivilegien, falls deren Nutzer Urheberrechte verletzen. Die Diensteanbieter sollen laut dem Entwurf nun ausdrücklich nicht vorauseilend prüfen oder fahnden müssen, ob Urheberrechte verletzt werden, um in den Genuss der Haftungsprivilegien zu kommen. An diesem Punkt läuft der Entwurf der Entwicklung in der deutschen Rechtsprechung entgegen, die die Störerhaftung eher sukzessive heraufschraubt.
Bemerkenswert ist auch, dass der Entwurf nun ein Hinweissystem für Urheberrechtsverletzungen anführt (Artikel 5.5, Abs. 4). Das dürfte sehr wahrscheinlich auf Kanada zurückgehen. Das Land hat kürzlich ein verpflichtendes, sogenanntes „Notice-and-notice-System“ eingeführt. Rechteinhaber melden dabei Urheberrechtsverletzungen an Diensteanbieter, die diese Meldung wiederum an Nutzer weiterleiten. Nutzer sind dann gehalten, die Inhalte zu löschen oder einen Widerspruch zu senden. Vom Ansatz unterscheidet sich das Verfahren damit vom „Notice-and-takedown“-System etwa im US-Copyright. Mit der Kann-Bestimmung im Entwurf könnte dieser kanadische, gleichsam „dritte Weg“ wohl beibehalten werden.
Ein Vergleich des jetzt bekannt gewordenen Entwurfs mit dem vom 2012 zeigt, dass die Regelungen zu Haftungsfragen zu den am stärksten bearbeiteten Passagen beim Urheberrecht gehören. Auch bei den Abschnitten zu Patenten, Pharma-Produkten und Grenzmaßnahmen zeigen sich umfangreichere Änderungen. Wir veröffentlichen hier einen Dokumentenvergleich der beiden letztbekannten Entwürfe (PDF), der Ansätze für weitere Einschätzungen liefern kann:
CETA und die Strategien im internationalen Urheberrecht
Bilaterale Abkommen wie CETA verpflichten die unterzeichnenden Parteien, die vereinbarten Regeln in geltendes Recht umzusetzen. Auf dem Weg solcher Abkommen können die beteiligten Staaten daher sukzessive internationale Standards erschaffen, ohne sie gleich mit einer Vielzahl von Staaten aushandeln zu müssen. Bilaterale Verträge sind politisch leichter durchsetzbar als multilaterale Abkommen wie ACTA oder die Verträge der Welturheberrechtsorganisation WIPO, die noch langwierigere Verhandlungen aller Beteiligten voraussetzen. Obwohl sie nur die unterzeichneten Parteien binden, können sie in der Summe letztlich faktisch die gleiche Wirkung entfalten. Das gilt besonders dann, wenn die Unterzeichner weltpolitisch von großer Bedeutung sind.
Bilaterale Abkommen werden daher gern gewählt, um Tatsachen zu schaffen, ohne viel Widerstand zu erregen. Werden hier bestimmte rechtliche Standards festgeschrieben und das Abkommen unterzeichnet, sind die Vertragspartner – bei CETA also die EU und Kanada – daran gebunden, so lange das Abkommen in Kraft ist.
Würden die WIPO-Staaten dann einen Vertrag vorschlagen, dessen Regeln mit CETA nicht konform gehen, müsste die EU aufgrund ihrer vertraglichen Verpflichtung dagegen stimmen – oder das bilaterale Abkommen vorher wieder aufkündigen. Völkerrechtliche Abkommen fügen den bestehenden Regelungen daher im Ergebnis eine weitere Schutzschicht hinzu, was spätere Änderungen erschweren kann.
7 Kommentare
1 Maritta am 4. März, 2014 um 12:37
Sehr schöne Analyse, die ich auch gleich getweetet habe. Nur ist Euer voreingestellter Tweet länger als 140 Zeichen. Wenn Ihr viele Retweets wollt, dann ändert das mal rasch.
2 Matthias Spielkamp am 4. März, 2014 um 22:49
Hallo Maritta, vielen Dank für den Hinweis. Wie sich das im Zeitalter des Robot Journalism so gehört, stellen wir da nichts selber ein, sondern lassen den Bot roboten. Aber der macht nicht, was er soll. Wir sind auf Fehlersuche.
3 Redaktion iRights.info am 4. März, 2014 um 23:00
@2,3: Läuft jetzt.
4 Martin am 3. April, 2014 um 08:57
Hier gibt es eine Übersetzung der Vorlage an das kanadische Unterhaus:
http://www.kanadischesrecht.de/fachartikel/wirtschafts-und-handelsabkommen-ceta/#Gewerbliche_Schutzrechte_und_Urheberrecht
Ich habe direkt auf das Kapitel zu Schutzrechten und Urheberrechten verlinkt. Interessante Einblicke…
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