VG Wort vs. Vogel: Warten auf den BGH
Bereits in zweiter Instanz haben Gerichte entschieden: Die Verteilungspraxis der VG Wort ist rechtswidrig. Die Verwertungsgesellschaft schüttet Vergütungen an mehr als 400.000 Autoren aus. Diese stehen ihnen gesetzlich zu, vor allem als Ausgleich dafür, dass Texte im Rahmen der Privatkopie-Regelung kopiert werden dürfen. Traditionell geht ein Teil der Vergütungen an die mehr als 10.000 an der VG Wort beteiligten Verlage.
Konkret sehen die Regeln der VG Wort vor, dass pauschal zwischen 30 und 50 Prozent dieser Vergütung an die Verlage wandern. Doch das Landgericht und das Oberlandesgericht München sehen in den pauschalen Verteilungsplänen einen Verstoß gegen „wesentliche Grundgedanken des Urheberrechts” und gegen das AGB-Recht. Denn im Einzelfall bedeute der Abzug des Verlegeranteils eine „unangemessene Benachteiligung“ der Autoren.
Gerichte: Wer Rechte einbringt, kann sie nicht ein weiteres Mal vergeben
Das Problem: So wie der Kläger und Urheberrechtler Martin Vogel bringen viele Autorinnen und Autoren ihre gesetzlichen Vergütungsansprüche zuvor exklusiv in die VG Wort ein. Danach kann ein Verlag sie nach jetziger Rechtssprechung nicht mehr vom Urheber erwerben, selbst wenn er das in einen Autorenvertrag hineinschreibt. Der Verlagsanteil an den VG-Wort-Ausschüttungen ist in diesen Fällen also unzulässig. Die pauschalen Verteilungsschlüssel verstoßen insgesamt gegen das Willkürverbot.
Die VG Wort nun sieht mit dem Urteil des Oberlandesgerichts München (PDF) die gemeinsame Rechtewahrnehmung von Autoren und Verlagen überhaupt in Frage gestellt und hat in ihrer Stellungnahme (PDF) angekündigt, Revision einzulegen. Der Fall geht also zum Bundesgerichtshof und der Streit kann sich noch Jahre hinziehen. Doch was wären die Folgen, wenn die von Martin Vogel vertretene Position sich am Ende durchsetzt?
Einzelfallprüfung: Drohendes Rechtechaos
Folgt man den Gerichten, müsste die VG Wort im Einzelfall prüfen, welche Einnahmen dem Urheber zustehen und welche dem Verlag. Konnte der einzelne Autor seine Rechte noch einem Verlag abtreten, oder hatte er sie schon vorab in die VG Wort eingebracht? Doch mit dieser Prüfung sieht sich die VG Wort überfordert. Das Urteil des OLG München führe zu „praktisch kaum lösbaren“ Schwierigkeiten. Denn: „Der VG Wort sind die vertraglichen Vereinbarungen zwischen Autoren und Verlagen nicht bekannt“.
Auch die Verlage scheinen nicht unbedingt zu wissen, welche Rechte sie sich vorab an den Vergütungsansprüchen der Autoren gesichert haben. Auf Anfrage von iRights.info wollten sich zumindest die drei größten deutschen Wissenschaftsverlage nicht in dieser Frage äußern. Eine fehlende Dokumentation der einzelnen Rechte muss auch nicht verwundern. Schließlich haben sich die Beteiligten bislang auf die Satzung und die pauschalen Verteilungsregeln der VG Wort verlassen, deren Wirksamkeit nun aber auf der Kippe steht.
Mehr oder weniger Geld für Verlage?
Es ist aber nicht nur der Verwaltungsaufwand, der nach Ansicht der VG Wort einer solchen Einzelfallprüfung entgegensteht. Bislang verweist sie darauf, dass eine Neuregelung manche Urheber auch benachteiligen könnte: Dann, wenn sie ihre Rechte erst einem Verlag abtreten und erst danach – oder gar nicht – der VG Wort beitreten. So argumentiert auch der Justiziar des Börsenverein des Deutschen Buchhandels, Christian Sprang, in einem Interview mit dem hauseigenen Börsenblatt.
Sollte der Bundesgerichtshof das Urteil bestätigen, würden die VG-Wort-Ausschüttungen demnach bei vielen Verlagen sogar steigen, „weil oft nur sie und nicht die Urheber der VG Wort die Wahrnehmungsrechte für gesetzliche Vergütungsansprüche verschaffen.“ Kläger Martin Vogel hält das jedoch für „Wunschdenken“ der Verlage. „Derzeit werden nur in den wenigsten Fällen Vergütungsansprüche an Verleger abgetreten“, sagt Vogel gegenüber iRights.info. „Der Prozentsatz dürfte unter 20 Prozent liegen“, schätzt er. Verlässliche Statistiken gibt es aber nicht. Die Argumente beider Seiten sind nicht nachprüfbar.
Neue Verträge für Urheber?
Eine naheliegende Folge des Rechtsstreits wäre, dass Verlage sich künftig die Vergütungsansprüche von ihren Autoren vertraglich ausdrücklich abtreten lassen. Doch in der Logik der bisherigen Urteile wäre das eben nur noch bei Autoren möglich, die ihre Rechte noch nicht im Voraus exklusiv in die VG Wort eingebracht haben. Die VG Wort spricht in diesem Zusammenhang schon von einem drohenden „Wettrennen“ der Berechtigten. Außerdem bezweifelt Kläger Martin Vogel, ob entsprechende Vertragsklauseln mit dem AGB-Recht vereinbar wären, weil sie erneut auf eine Benachteiligung der Urheber hinausliefen.
Rückzahlungen bleiben ungewiss
Kläger Martin Vogel ist auf dem besten Weg, den abgezogenen Verlagsanteil an seinen persönlichen VG-Wort-Ausschüttungen einzuklagen. Ungewiss bleibt aber, ob im Falle seines Erfolges alle zu Unrecht gezahlten Verleger-Anteile nachträglich an die Urheber zurückverteilt werden müssen.
Zwar schüttet die VG Wort 2012 und 2013 nur mit Hinweis auf den laufenden Rechtsstreit aus. Allerdings muss dieser Hinweis nicht bedeuten, dass sie das Geld später von den Verlagen zurückverlangen kann. Es sei „kein sogenannter harter Rückforderungsvorbehalt, sondern lediglich eine Information über eine theoretisch denkbare spätere Rückforderung“, formuliert Christian Sprang. Das klingt, als würde sich der Börsenverein schon für einen Rechtsstreit um mögliche Rückforderungen warmlaufen.
Offen ist auch, ob die Autoren selbst klagen müssen, wenn sie künftig wie Vogel Ansprüche geltend machen wollen. Zurzeit sind noch 12 weitere Klagen von Urhebern vor dem Amtsgericht München anhängig, bislang ohne Entscheidung. Auf Anfrage von iRights.info erklärt die VG Wort schriftlich: „Über das weitere Prozedere und den Umgang mit Nachforderungen von Autoren, Konsequenzen des Urteils auf die künftige Ausschüttungspraxis, Geltendmachung von Rückforderungen etc. ist noch nicht entschieden.“ Dazu bedürfe es einer gründlichen Analyse des Urteils. Die steht offenbar noch aus: Die Gremien der VG Wort würden sich „in den kommenden Wochen intensiv mit diesen Fragen beschäftigen.“
Vogel: Urheber jahrelang vernachlässigt
Kläger Martin Vogel rät indes anderen Autoren, sich von einem Rechtsanwalt bei Rückforderungen vertreten zu lassen. Den Urheberverbänden wirft Vogel vor, die Interessen der Urheber jahrelang vernachlässigt zu haben. „Wenn diese die Rechtspositionen ihrer Mitglieder so vertreten wie bisher, kann das die Autoren nicht sehr hoffnungsfroh stimmen.“ Tatsächlich zeigen sich die Urheberverbände wie die Deutsche Journalistenunion (DJU/Verdi) bisher sehr zurückhaltend, wenn es um Nachforderungen der Urheber geht. Bislang teilte man die Position der VG Wort, wonach die pauschale Verteilungspraxis rechtens ist.
Kläger Vogel bekommt bei seinem Prozess von den Gewerkschaften auch keine finanzielle Unterstützung im Rahmen der Rechtshilfe. Hintergrund ist wohl die Befürchtung der Urheberverbände, die VG Wort als Organisation könnte insgesamt geschwächt werden, sollten die Verlage als Folge des Rechtsstreits aus der ganzen Konstruktion aussteigen. Verhandlungsmacht braucht die Verwertungsgesellschaft zum Beispiel immer dann, wenn sie mit Geräteherstellern um Abgaben ringt.
Grundsatzstreit: VG Wort ohne Verlage?
Tatsächlich ist der Rechtsstreit wohl kaum mit neuen Vertragsklauseln oder Einzelfallprüfungen zu lösen. Die Problematik wurzelt tiefer. Denn gestritten wird seit einem Jahrzehnt ja um die Frage, ob die Beteiligung der Verlage an der Privatkopievergütung prinzipiell rechtens ist.Die Verlage leiten ihre Ansprüche bislang aus dem Urheberrecht ab. Als Verwerter bringen sie keine eigenen Rechte in die VG Wort ein, wenn es um die Privatkopievergütungen geht.
Kläger Martin Vogel hatte sich 2002 mit anderen Urheberrechtsexperten bei der rot-grünen Bundesregierung zunächst erfolgreich dafür eingesetzt, dass im Gesetz allein der Anspruch der Urheber festgeschrieben wird. Das hätte die Verlage von den Ausschüttungen ausgeschlossen und wohl das Ende der traditionellen Konstruktion der VG Wort bedeutet. Gemäß ihrer Satzung von 1958 versteht sie sich als „Zusammenschluss der Wortautoren und ihrer Verleger“.
Doch auf Druck der Verlagswirtschaft ergänzte der Gesetzgeber 2007 den entsprechenden Paragrafen 63a im Urheberrechtsgesetz, um den Verlagsanteil an den VG-Wort-Ausschüttungen neu zu legitimieren. Demnach können Autoren Vergütungsansprüche den Verlagen abtreten, wenn diese sie wiederum in die VG Wort einbringen. Zur Begründung hieß es seinerzeit, ein Ausschluss der Verleger von der pauschalen Vergütung wäre sachlich nicht hinnehmbar, da sie erhebliche Leistungen erbringen. „Der neue Satz 2 soll gewährleisten, dass die Verleger auch in Zukunft an den Erträgen der VG Wort angemessen zu beteiligen sind.“
Sprang: Urteile laufen auf „Enteignung” hinaus
Börsenvereins-Justiziar Sprang sieht deshalb durch die jüngsten Entscheidungen die eigentliche Intention der Regelung verletzt. „Die Richter gehen in ihrer Urteilsbegründung (…) hilflos daran vorbei, dass in der Konsequenz der von ihnen getroffenen Entscheidung die Verlage verfassungswidrig enteignet würden, weil sie für gesetzlich gestattete weitreichende Nutzungen ihrer Bücher keine Entschädigung erhielten.“
Kläger Martin Vogel widerspricht: Die Verleger hätten kein eigenes Leistungsschutzrecht, auf das sie sich stützen könnten. „Warum auch, wenn ihnen die VG Wort jährlich 30 Millionen Euro ausschüttet, ohne dass sie überhaupt behaupten müssen, entsprechende Rechte zu besitzen“. Diese Praxis widerspreche eklatant dem Treuhandgrundsatz, an den die VG Wort gebunden ist.
Vogel: deutsche Regelung verstößt gegen Europarecht
Strittig bleibt darüber hinaus auch noch, ob der revidierte Paragraf 63a mit dem Europarecht vereinbar ist. Kläger Martin Vogel bestreitet das und verweist auf eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes im Fall Luksan, wonach der Ausgleich für die Privatkopie „unbedingt“ beim Urheber ankommen müsse. „Das ist jedoch nicht der Fall, wenn der Vergütungsanspruch an einen Verleger abgetreten wird“, so Vogel.
Das OLG München ist diesem Argument aber nicht gefolgt, und hält einen Verlagsanteil grundsätzlich weiterhin für möglich. Vogel hofft nun, dass sich der Bundesgerichtshof seiner europarechtlichen Argumentation anschließen wird. Möglich wäre auch, dass der Europäische Gerichtshof selbst eingeschaltet wird.
Auch wenn sie weiterhin auf eine Niederlage Vogels vor dem Bundesgerichtshof hoffen, sehen die VG Wort und die Verlagswirtschaft den Gesetzgeber in der Pflicht, die Verlagsbeteiligung abzusichern. Das müsse man der neuen Bundesregierung unmittelbar nach ihrem Amtsantritt verdeutlichen, so Sprang. Die VG Wort kommentiert: Vor dem Hintergrund der Münchner Urteile sei „der Gesetzgeber dringend aufgefordert, zu prüfen, ob er in dieser Angelegenheit erneut klarstellend tätig werden muss“.
Mögliches Ergebnis: Leistungsschutzrecht für Buchverlage
Doch was könnte der Gesetzgeber tun, damit die VG Wort die Verlage rechtlich einwandfrei an den Einnahmen aus Privatkopien beteiligen kann? Eine in diesem Zusammenhang immer wieder angeführte Möglichkeit wäre ein neues Leistungsschutzrecht für Buchverlage.
Dafür müsste dann die Leistung der Verlage gesetzlich bestimmt werden. Wie schwierig diese Frage sein kann, zeigt das Leistungsschutzrecht für Presseverlage, das in diesem Jahr in Kraft getreten ist. Geschützt wird hier das Presseerzeugnis als „redaktionell-technische Festlegung journalistischer Beiträge, (…), die bei Würdigung der Gesamtumstände als überwiegend verlagstypisch anzusehen ist und die nicht überwiegend der Eigenwerbung dient.“ Bis heute ist unklar, was darunter fällt.
Kläger Martin Vogel meldet bereits Zweifel an einem etwaigen Leistungsschutzrecht für die Verlage an. Nicht alle Leistungen im Wettbewerb würden gleich mit einem eigenen Schutzrecht bedacht. „Das sollen sie auch nicht, damit im Wirtschaftleben nicht überall Verbotsrechte bestehen, die den freien Wettbewerb behindern.“ Auch dürfe ein solches Leistungsschutzrecht für Buchverleger nicht dazu führen, dass das den Autoren zustehende Aufkommen geschmälert wird. Es könnte also ein neuer Streit um Leistungsschutzrechte bevorstehen.
1 Kommentar
1 vera am 28. Oktober, 2013 um 20:25
Vielleicht noch interessant: hier die Kommentare.
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