Kein Widerspruch: Open Access und Vergütung durch die VG Wort
Damit sich Open Access durchsetzt, braucht es eine breite Akzeptanz des Publikationsmodells in der Wissenschaft. Unter deutschen Forschenden hält sich hartnäckig das Vorurteil, dass die Publikation unter freien Lizenzen wie Creative Commons Namensnennung (CC BY) – genau wie die Veröffentlichung der Forschungsergebnisse ohne Paywall eine zentrale Voraussetzung für Open Access – wirtschaftliche Nachteile für die Autor*innen bedeuten würde. Diese Furcht ist weitgehend unbegründet. Wer unter freien Lizenzen publiziert, muss nicht auf seine Vergütungsansprüche verzichten.
Keine wirtschaftlichen Nachteile durch Open Access
Wissenschaftler*innen können auf zweierlei Weise am Urheberrecht ihrer Veröffentlichungen verdienen: durch Lizenzeinnahmen und durch Vergütungsansprüche. Für die überwiegende Zahl der Forschenden fallen direkte Lizenzeinnahmen kaum ins Gewicht. Die vorherrschende Publikationsform in der Wissenschaft ist nicht das Buch, sondern der Artikel in wissenschaftlichen Fachzeitschriften. Die Wissenschaftsverlage, deren Profitmargen mitunter selbst die von Google übertreffen, lassen sich regelmäßig alle Rechte an den Artikeln übertragen, ohne Forschende an den Lizenzeinnahmen zu beteiligen. Lizenzeinnahmen sind deshalb nur für diejenigen Wissenschaftler*innen ein wesentliches Standbein, die etwa ein Lehrbuch verfasst haben, das Studierende pauschal jedes Semester kaufen.
Für die breite Masse der Forschenden sind dagegen die Vergütungsansprüche aus Urheberrechtsschranken von größerer Bedeutung. Privatkopien und diverse andere Nutzungen urheberrechtlich geschützter Werke im Bereich von Unterricht und Wissenschaft sind gesetzlich erlaubt, werden aber pauschal vergütet, etwa durch Abgaben auf Leermedien oder Kopiergeräte. Um an der Ausschüttung dieser Vergütung beteiligt zu werden, müssen Autor*innen einen Wahrnehmungsvertrag mit der VG Wort abschließen. Die jährliche Ausschüttung durch die Verwertungsgesellschaft allein wird wohl kaum einer Wissenschaftlerin den Lebensunterhalt sichern. Aber je nach Publikationstätigkeit kann sie durchaus vier- oder gar fünfstellig werden – keine Summe, auf die man leichtfertig verzichtet.
Vergütungsansprüche sind mit Creative Commons vereinbar
Die gute Nachricht ist: Niemand muss sich zwischen Open Access und einem Wahrnehmungsvertrag mit der VG Wort entscheiden. Die Vergütungsansprüche aus gesetzlich erlaubten Nutzungen sind mit den Creative-Commons-Lizenzen vollumfänglich vereinbar. Was auf den ersten Blick widersprüchlich erscheinen mag, erweist sich mit Blick in die Lizenzbedingungen als logisch. Das sei hier am Beispiel der Lizenz CC BY 4.0 erklärt.
Mit Veröffentlichung eines Artikels unter CC BY erlaubt die Autorin beliebigen Dritten, ihren Artikel zu kopieren, zu nutzen, weiterzuverbreiten und zu republizieren, solange sie als Autorin genannt wird. Lizenzgebühren fallen dabei nicht an. Ein wichtiger Grundsatz aller CC-Lizenzen dabei ist, dass sie zusätzliche Freiheiten zur Nachnutzung einräumen. Was ohnehin schon gesetzlich erlaubt ist, wird durch die Lizenz nicht angetastet. Dazu heißt es in Abschnitt 2 (a) Nr. 2 des Lizenzvertrags:
„Es sei klargestellt, dass, wo immer gesetzliche Ausnahmen und Beschränkungen auf Ihre Nutzung Anwendung finden, die vorliegende Public License nicht anwendbar ist und Sie insoweit ihre Bedingungen nicht einhalten müssen.“
Mit anderen Worten: Will jemand einen Artikel kopieren, ist zunächst zu prüfen, ob dies durch eine Urheberrechtsschranke gesetzlich erlaubt ist – beispielsweise durch das Recht auf Privatkopie. Ist das der Fall, dann spielt es überhaupt keine Rolle, ob der Artikel unter einer CC-Lizenz veröffentlicht wurde oder nicht: Der Kopiervorgang ist in jedem Fall erlaubt. Für diese Nutzungsform erhalten die Urheber*innen über die Geräteabgabe eine Vergütung. Nur wenn eine Nutzung nicht ohnehin schon durch das Gesetz erlaubt ist, kommen die zusätzlichen Erlaubnisse der CC-Lizenz zum Tragen.
Worauf bei dem Wahrnehmungsvertrag mit der VG Wort zu achten ist
Wer diese Vergütungsansprüche über einen Wahrnehmungsvertrag mit der VG Wort geltend macht, fügt dem Ziel von Open Access keinen Schaden zu. Die Pauschalabgaben auf Speichermedien oder Kopiergeräte müssen ohnehin entrichtet werden. Deren Höhe hängt nicht davon ab, in welchem Umfang damit Vervielfältigungen von Open-Access-Artikeln ermöglicht werden. Die Beteiligung von Open-Access-Autor*innen an der Ausschüttung dieser Vergütungsansprüche schmälert nicht den Wissenszugang – der Verzicht auf Open Access hingegen schon.
Aber ist ein Wahrnehmungsvertrag praktisch mit der Nutzung von Open-Access-Lizenzen vereinbar? Um dies zu beantworten, bedarf es eines Blicks in den Vertrag mit der VG Wort. Darin überträgt die Autorin in § 1 eine lange Liste an Rechten und Ansprüchen an die VG Wort, die diese treuhänderisch ausübt. Mit Rechten sind Exklusivrechte an Sprachwerken gemeint, für die Dritte bei der VG Wort eine Lizenz erwerben können. Die Übertragung dieser Rechte könnte durchaus mit den Creative-Commons-Lizenzen unvereinbar sein, weil in § 2 Satz 1 klargestellt ist, dass die Rechteübertragung ausschließlich erfolgt. Ein Recht, das man bereits ausschließlich der VG Wort übertragen hat, kann man aber nicht im Anschluss durch die CC-Lizenz der Allgemeinheit einräumen.
Dieser rechtliche Widerspruch zwischen Lizenzvertrag der VG Wort und Open-Access-Lizenzen wie Creative Commons dürfte in der Praxis eine begrenzte Rolle spielen. Denn es handelt sich dabei größtenteils um Rechte, die für wissenschaftliche Fachartikel unbedeutend sind, wie etwa das Vermietrecht, das Recht des öffentlichen Vortrages oder der Wiedergabe von Funksendungen. Wer aber sichergehen will, dass es keinerlei Konflikte zwischen dem Wahrnehmungsvertrag und der Open-Access-Lizenz gibt, sollte von der Möglichkeit in § 13 Abs. 2 Gebrauch machen: Dort können Autor*innen einzelne Rechte und Ansprüche aus der Liste in § 1 von der treuhänderischen Wahrnehmung durch die VG Wort ausnehmen.
Muster für Wahrnehmungsvertrag
Die Liste der einzelnen Rechte und Ansprüche in § 1 des Wahrnehmungsvertrags mit der VG Wort ändert sich genau wie das Urheberrechtsgesetz regelmäßig. Deshalb gilt das hier zur Verfügung gestellte Muster nur für die Version des öffentlich verfügbaren Mustervertrags vom Juni 2024 und sollte mit der jeweils aktuellen Version des Wahrnehmungsvertrags verglichen werden. Das erfordert etwas Fleißarbeit. Zur groben Orientierung genügt es aber, der Übertragung aller in § 1 genannten Rechte zu widersprechen, während man der Übertragung aller Ansprüche zustimmt.
Basierend auf dem Mustervertrag ist also in § 13 Abs. 2 einzutragen:
(2) Ausgenommen von der Rechtsübertragung werden folgende:
- a) Rechte und Ansprüche gem. § 1 Abs. 1, Nummer(n): 1; 5; 8; 12; 13; 19; 21; 22; 35–38; 40–43.
Beim Inkassoauftrag für das Ausland, den man gemeinsam mit dem Wahrnehmungsvertrag abschließt, kann genauso verfahren werden. Der Passus zum Ausschluss einzelner Rechte und Ansprüche im Inkassoauftrag findet sich in § 2 Abs. 2:
(2) Ausgenommen von der Rechtsübertragung werden folgende:
- a) Rechte und Ansprüche gem. § 1 Abs. 1, Nummer(n): 1–4; 6.
Der Autor dieses Artikels hat Anfang 2022 einen auf diese Art begrenzten Wahrnehmungsvertrag mit der VG Wort über die Vergütungsansprüche abgeschlossen. Bei der Ausschüttung seiner Vergütungsansprüche für CC-lizenzierte Artikel, beispielsweise auf heise online und im Verfassungsblog, hat das zu keinerlei Problemen geführt.
Anm. d. Red. (30.7.2024): Die VG Wort unterscheidet zwischen Wahrnehmungsberechtigten und Mitgliedern, wie in diesem Merkblatt festgehalten ist. Wir haben die entsprechenden Stellen im Text redaktionell angepasst.
Sie möchten iRights.info unterstützen?
iRights.info informiert und erklärt rund um das Thema „Urheberrecht und Kreativität in der digitalen Welt“. Alle Texte erscheinen kostenlos und offen lizenziert.
Wenn Sie mögen, können Sie uns über die gemeinnützige Spendenplattform Betterplace unterstützen und dafür eine Spendenbescheinigung erhalten. Betterplace akzeptiert PayPal, Bankeinzug, Kreditkarte, paydirekt oder Überweisung.
Besonders freuen wir uns über einen regelmäßigen Beitrag, beispielsweise als monatlicher Dauerauftrag. Für Ihre Unterstützung dankt Ihnen herzlich der gemeinnützige iRights e.V.!
DOI für diesen Text: https://doi.org/10.59350/mwhj1-ka424 · automatische DOI-Vergabe für Blogs über The Rogue Scholar
Was sagen Sie dazu?