Verbieten! Öffnen! Zerschlagen!
Das Unbehagen über potenziellen Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung der großen Internetunternehmen wächst. So wird etwa auf Seiten wie Fairsearch.org oder Focusontheuser.eu Google vorgeworfen, die eigenen Dienste zu bevorzugen. Facebook sorgte für Schlagzeilen, weil es im Rahmen von Experimenten – die erst im Nachhinein offengelegt wurden – Stimmungslagen und sogar Wahlverhalten seiner NutzerInnen beeinflusst hatte. Amazon sah sich 2014 mit einer Beschwerde des Börsenvereins des deutschen Buchhandels beim Kartellamt konfrontiert, in der ihm „erpresserisches Vorgehen gegenüber Verlagen“ vorgeworfen wurde. Auch Apple muss sich regelmäßig Kritik an restriktiven Vorgaben und intransparenten Begutachtungsverfahren in seinem App-Store anhören.
Die Reaktionen politischer Entscheidungsträger in Deutschland reichten 2014 von der Forderung nach einem Verbot von Persönlichkeitsprofilen (Innenminister de Maizière), über ein Gebot zur Offenlegung von Algorithmen (Justizminister Maas) bis zur Entflechtung von Plattformbetreibern (Wirtschaftsminister Gabriel). Sigmar Gabriel zufolge steht die gesamte marktwirtschaftliche Ordnung zur Disposition, weil „die Vertragsfreiheit und der freie Wettbewerb zur Schimäre zu werden drohen, wo die Ungleichheit zwischen den Wirtschaftssubjekten absurde Ausmaße annimmt, wo in neufeudaler Selbstherrlichkeit auftretende Monopolisten sich rechtsstaatlichen Regeln entziehen und notwendige Informationen verweigern“.
Ursachen für Plattformdominanz
Man muss allerdings zuerst die Ursachen für die marktbeherrschende Stellung der großen Plattformen ergründen, wenn man sie wirksam regulieren will. Erst dann lässt sich beurteilen, welche Maßnahmen nachhaltig für mehr Wettbewerb und Innovationsoffenheit sorgen können. Vor allem Skalen-, Netzwerk- und Koordinationseffekte sind im Kontext digital-globalisierter Märkte allgegenwärtig und für die Marktmacht großer Plattformbetreiber verantwortlich.
Positive Skaleneffekte treten immer dann auf, wenn eine größere Zahl an produzierten beziehungsweise verkauften Einheiten mit sinkenden Stückkosten einhergeht. Gerade bei digitalen Gütern sind sinkende Grenzkosten die Regel. Die Kosten für Erstellung und Vermarktung eines digitalen Musikstücks oder eines Films sind zum größten Teil fix, die Kosten für die Produktion einer zusätzlichen Einheit gehen gegen Null. Für Plattformanbieter gilt das genauso: Aufbau und Betrieb einer Infrastruktur wie Youtube oder Facebook sind kostspielig, zusätzliche User dagegen steigern über Netzwerkeffekte den Wert der Plattform – nicht nur für den Betreiber, sondern auch für die Nutzer.
Facebook ist deshalb ein attraktives soziales Netzwerk, weil so viele Menschen es verwenden. Ein Konkurrent mit identischem Angebot an Features und Usability wäre deshalb keine ernstzunehmende Bedrohung. Nicht immer sind Netzwerkeffekte derart offensichtlich, doch auch bei Google und Amazon sind sie erkennbar: Die Qualität ihrer Such- und Empfehlungsalgorithmen basiert auf der Auswertung einer sehr großen Zahl von Interaktionen, auch hier hängen also Qualität und Nutzen des Dienstes von der Zahl der Nutzenden ab.
Ein anderer Grund für die Attraktivität großer Plattformen sind Koordinationseffekte. Sie reduzieren rechtliche Unsicherheit und den Aufwand für die Rechteklärung, indem sie verschiedene Anspruchsberechtigungen koordinieren. Besonders fortgeschritten ist Youtubes Content-ID-Verfahren. Es prüft, ob Uploads von musikalisch unterlegten Videos Urheberrechte verletzen und erlaubt in solchen Fällen den Rechteinhabern, entweder die Videos zu sperren oder Ansprüche anzumelden und nutzergenerierte Inhalte zu monetarisieren. Je undurchdringlicher das Dickicht nationaler rechtlicher Bestimmungen und je höher die Transaktionskosten herkömmlicher Rechteklärung, umso attraktiver – und gleichzeitig alternativloser – wird die Nutzung proprietärer Plattformen wie Youtube, Facebook oder Amazon.
Neue Regulierungsinstrumente sind nötig
In den politischen Regulierungsdebatten spielen die Ursachen für die marktbeherrschende Stellung jedoch bislang kaum eine Rolle. Zwar wird die Marktmacht von Plattformbetreibern als potenzielles Problem bis hin zur „Gefahr eines digitalen Totalitarismus“ (Gabriel) erkannt und nach der Kartellbehörde gerufen, konkrete Regulierungsvorschläge bleiben aber im Ungefähren. Zudem kann sich Plattformdominanz rasch herausbilden, während politische Regulierungsprozesse langsam voranschreiten.
Doch das klassische kartellrechtliche Repertoire von Strafzahlungen und Entflechtung erweist sich als wenig wirksam. So würde die Entflechtung von Facebook oder Google an den Skalen-, Netzwerk- und Koordinationseffekten nichts ändern. Strafzahlungen können vielleicht missbräuchliches Verhalten unterbinden, ändern aber wenig an der marktbeherrschenden Stellung einzelner Unternehmen. Das Verbot der Erstellung von Persönlichkeitsprofilen wiederum stößt an Grenzen, wo mit der Zusammenführung personenbezogener Daten Nutzerkomfort verbunden ist und Nutzer daher weitreichende Einverständniserklärungen abgeben.
So stellt sich die Frage, ob neue digitale Plattformen nicht auch nach neuen regulatorischen Instrumenten verlangen. Die Forderung von Justizminister Maas, dass Google gezwungen werden müsste seinen Suchalgorithmus offenzulegen, geht bereits in eine solche Richtung innovativer Regulierungsinstrumente. Der Vorschlag verkennt jedoch, dass es sich bei Suchalgorithmen nicht um statische Formeln, sondern um algorithmische Praktiken handelt, die sich kontinuierlich weiterentwickeln.
Eine wirkungsvolle Regulierung marktbeherrschender Plattformbetreiber erfordert erstens eine weitgehend unabhängige Regulierungsbehörde für digitale Märkte auf europäischer Ebene, die, zweitens, mit großer Flexibilität bezüglich konkreter Regulierungsinstrumente ausgestattet wird. Drittens müssen rechtliche Rahmenbedingungen verändert werden, die Plattformdominanz begünstigen. Ziel muss sein, die Ursachen einer marktbeherrschenden Stellung, also der Skalen-, Netzwerk- und Koordinationseffekte, direkt zu adressieren.
Schnittstellen öffnen
Im Bereich der Skalen- und Netzwerkeffekte könnte man Plattformbetreiber dazu zwingen, ihre Datenbasis für Drittanbieter zu öffnen. Für Google würde das bedeuten, nicht den Algorithmus, sondern den Suchindex gegen ein behördlich gedeckeltes Nutzungsentgelt für Dritte zu öffnen. Neue Wettbewerber müssten dann nicht erst enorme Summen in den Aufbau eines Index investieren, sondern könnten sich auf die Entwicklung und Vermarktung alternativer Suchalgorithmen konzentrieren.
Im Bereich softwarebasierter Plattformen wie Microsoft Windows oder Apples iOS könnte ein innovatives Regulierungsinstrument darin bestehen, den plattformkonstituierenden Quellcode offenzulegen. Das Beispiel Android darf als Beleg dafür gelten, dass zwar auch Open-Source-Plattformen von einzelnen Betreibern – in diesem Fall Google – dominiert werden können, es allerdings für Wettbewerber immer die Möglichkeit kompatibler Konkurrenzangebote gibt – in diesem Fall die auf Android basierende Amazon-Fire-Reihe.
Die größte regulatorische Herausforderung stellen vermutlich soziale Netzwerke wie Facebook und in Teilen Youtube dar, die starke direkte Netzwerkeffekte aufweisen. Hier könnte ein Gebot zur Öffnung bestimmter Schnittstellen dafür sorgen, dass Funktionalitäten und Dienstleistungen auch durch Drittanbieter erbracht werden können. Bei Facebook zum Beispiel würde eine offene Schnittstelle Drittanbietern ermöglichen, eine ungefilterte oder nach anderen Algorithmen gefilterte Timeline anzubieten.
Koordinationseffekte ließen sich durch Harmonisierung und Flexibilisierung im Bereich des Urheberrechts reduzieren. Derzeit sind nur große Plattformbetreiber in der Lage, die innereuropäische Vielfalt an rechtlichen Bestimmungen und Ausnahmen zu bewältigen. Ein einheitliches europäisches Urheberrecht, wie vom neuen EU-Digitalkommissar Günther Oettinger angeregt, würde Koordinationseffekte senken helfen. Ähnliches gilt auch für Datenschutzbestimmungen, wobei der diesbezügliche europäische Regulierungsdiskurs bereits weiter fortgeschritten ist.
Erst wenn die steigende Bedeutung von Skalen-, Netzwerk- und Koordinationseffekten in digitalen Märkten erkannt wird, können innovative Regulierungsinstrumente wirksam werden. Je nach Plattform sind dafür unterschiedliche Ansatzpunkte maßgeblich, gemeinsamer Nenner einer wirksamen Regulierung von Plattformen ist aber die Verpflichtung zu größerer Offenheit für die Mitnutzung der Plattformstrukturen und -daten durch Mitbewerber.
Dieser Text erscheint in „Das Netz 2014/2015 – Jahresrückblick Netzpolitik“. Das Magazin versammelt mehr als 70 Autoren und Autorinnen, die einen Einblick geben, was 2014 im Netz passiert ist und was 2015 wichtig werden wird. Bestellen können Sie „Das Netz 2014/2015“ bei iRights.Media.
3 Kommentare
1 MondVogel am 4. Januar, 2015 um 22:01
Wow…
Der gesamte Artikel basiert – ebenso wie die Forderungen der genannten Politiker – hauptsächlich auf typisch deutschen diffusen Ängsten.
Ist es doch erst das Internet, welches – auch mit den beherrschenden Platformen! – dem Kunden erst durch maximale Offenlegung aller Informationen zum mündigen Konsumenten machte.
Die Stärken der genannten Plattformen sind außer bei Facebook – wo Netzwerkeffekte klar dominieren – übrigens keinesfalls nur durch Größe erklärbar. Google hat von Anfang an die besten Suchergebnisse geliefert und wir wissen alle, dass Amazons Vorschläge einfach nur mies sind. Die dominierenden Faktoren hier sind (i) die überragende Auswahl an Artikeln , (ii) Kundenservice und Schnelligkeit, (iii) Qualität und das bei (iv) kompetitiven Preisen – alles Faktoren, welche ich ebenfalls ohne große Datenbanken bieten kann.
Wenn die eigene Wirtschaft zu dumm ist, effektiv zu konkurrieren, so mag es eine typische Reaktion sein, mit Verboten zu reagieren (so gerade bei der linken Regierung Frankreichs zu beobachten), die negativen Auswirkungen von Regulierung auf Arbeitsplätze sind aber historisch nachweisbar vorhanden.
2 Leonhard Dobusch am 5. Januar, 2015 um 23:27
@MondVogel: ich weiß nicht, wo Sie hier eine Forderung nach einem Verbot herauslesen? Es geht um Wettbewerb im Kontext von Netzwerkeffekten und gerade nicht um verbieten oder zerschlagen.
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