„Systematische Rechteklärung“ für Filmwerke im Bundesarchiv – ein Werkstattbericht
Im Oktober 2020 startete in der Abteilung Filmarchiv des Bundesarchivs ein fünfjähriges Projekt mit dem Namen „Systematische Rechteklärung“. Aus mehreren Gründen war es sinnvoll, das Thema Urheber- und Nutzungsrechte im Filmarchiv zu einer Priorität zu machen. Wir müssen einerseits auf sicherem Boden stehen, was eigene Nutzungsrechte anbelangt, d.h., wir dürfen uns keiner (wenn auch unabsichtlichen) Rechteanmaßung schuldig machen. Wir wollten außerdem in einem eigens dafür geschaffenen Projekt gesicherte Informationen zu Filmrechten generieren und vorhandene Informationen prüfen, um die Mitarbeitenden in der Benutzerbetreuung zu entlasten, die nicht zusätzlich eine so umfangreiche Aufgabe machen können. Generell war uns daran gelegen, mehr Wissen über den eigenen Filmbestand zu gewinnen, um zu wissen, wie viele Filme verwaist oder auch schon gemeinfrei sein könnten. Nicht zuletzt ging es um mehr Sicherheit hinsichtlich der Priorisierung der Filmdigitalisierung und Online-Verfügbarmachung auf der Rechercheplattform „Digitaler Lesesaal“, die seit Januar 2024 online zugänglich ist.
Der Fundus des Bundesarchivs – wie viele Schätze werden gefunden?
Das Bundesarchiv verfügt über mehr als 250.000 Filmwerke, zu denen ca. 17.000 ungeprüfte Einträge zu Ansprechpersonen für Rechte in einer internen Anwendung existierten. Daneben waren mindestens so viele Filmtitel in Listen geführt und noch nicht in die Anwendung übertragen worden, da erst noch geeignete Felder für die Dokumentation von Rechteinformationen entwickelt und umgesetzt werden mussten. Als Zielvorgabe wurde festgelegt, belastbare Informationen zu 8.800 Filmwerken zusammenzutragen und zu verzeichnen. Diese eher vorsichtige Einschätzung basierte auf bisherigen Erfahrungen mit der Recherche nach Urheberrechten. Momentan gehen wir davon aus, diese Zahl nach Ablauf des fünfjährigen Projekts bei Weitem zu übertreffen.
Die Suche beginnt – verwaiste Werke rechtssicher ermitteln und zuordnen
Wir begannen damit, einen ersten Teilbestand zu prüfen. Rasch stellten wir fest, dass eine der größten Herausforderungen darin bestehen würde, verwaiste Werke rechtssicher zu ermitteln. Wir konzentrierten uns daher bei der Diskussion und Bewertung der im Urheberrechtsgesetz genannten Quellen solcher Werke auf eine sogenannte „sorgfältige Suche“. Mit Enthusiasmus und Tatkraft erstellten wir ein Handbuch mit Arbeitsabläufen und Kontaktadressen, z.B. von zuständigen Archiven und Behörden (Standesämter, Meldeämter), Nachlassgerichten und weiteren relevanten Institutionen. Wir nahmen zu Beginn des Projekts häufig Kontakt mit Nachlassgerichten auf, recherchierten sogar auf Ancestry nach potentiellen Erben und nutzten auch die Unterlagen des Bundesarchivs, um Produktionsverhältnisse und noch existierende Verträge von Filmschaffenden zu finden. Es kristallisierte sich jedoch heraus, dass diese Abläufe sehr zeit- und personalintensiv waren und nur in seltenen Fällen zu eindeutigen und belastbaren Ergebnissen führten. Neben einer sorgfältigen Quellenkunde waren daher grundsätzliche Regelungen zu erarbeiten, die es erlaubten, mit vertretbarem Aufwand rechtssichere Entscheidungen zu treffen. Dabei kam uns 2021 die EU-Richtlinie zu den nicht-verfügbaren-Werken (Out-of-Commerce-Works) zu Hilfe.
Wie Archive und andere Gedächtniseinrichtungen den Zugang zu ihren Beständen öffnen können, damit befasst sich die Konferenzreihe „Zugang gestalten!“
Unter dem Titel „Das Erbe antreten“ findet die Konferenz dieses Jahr vom 23. bis 25. Oktober in Stuttgart statt, organisiert von einem Partnerteam, zu dem u.a. auch iRights.info und das Bundesarchiv angehören.
Der Eintritt zu „Zugang gestalten!“ ist wie jedes Jahr kostenlos. Ab sofort ist die Anmeldung geöffnet, das Programm steht online unter zugang-gestalten.org bereit.
Vergriffene Werke statt verwaister Werke – Die „Out-of-Commerce-Works“ Richtlinie
Die EU-Richtlinie zu Out-of-Commerce-Works macht es den Kulturerbe-Institutionen möglich, auch urheberrechtlich geschützte Werke auf eigenen, nicht-kommerziellen Internetseiten der Öffentlichkeit bereitzustellen. Um das Auffinden vergriffener Werke aus der gesamten EU zu erleichtern, hat das Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO) ein Online-Portal eingerichtet. Diese neue Regelung löste die bisherige Ausnahmeregelung für Gedächtnisinstitutionen, die sog. verwaiste Werke Richtlinie faktisch ab.
Dabei sind einige Dinge zu beachten: Möchten Kulturerbe-Einrichtungen (voraussichtlich noch) geschützte Inhalte online stellen, die nicht verfügbar sind (d.h. nicht auf kommerziellem Wege zu erwerben), so müssen sie diese bei repräsentativen Verwertungsgesellschaften lizenzieren, sofern diese ein entsprechendes Repertoire vertreten. Die Lizenzierung erfolgt auch hier unter Einbeziehung außenstehender Rechteinhaber (§§ 52 ff. VGG). Sofern keine repräsentative Verwertungsgesellschaft existiert, dürfen Kulturerbe-Einrichtungen nicht verfügbare Werke auf Grundlage von §§ 61d ff. des UrhG zugänglich machen, was für Filmwerke Anwendung findet, da keine repräsentative Verwertungsgesellschaft für Film vorhanden ist.
Im Referentenentwurf des Bundesministeriums für Justiz wurden einige Regelungen getroffen, die den Umgang mit der EU-Richtlinie vereinfachen. So wurde z.B. festgelegt, welche Informationen an die EUIPO-Datenbank abzuliefern sind oder dass die Angabe pro Archivalieneinheit zulässig ist. Außerdem wird dort geregelt, dass „Werke, die bei ihrer Entstehung nicht für den Handel bestimmt waren und die offensichtlich auch danach nicht kommerziell verfügbar waren“, als nicht verfügbar gelten.
Die Richtlinie in der praktischen Anwendung: Vor- und Nachteile der Umsetzung
Zu prüfen ist demnach, ob Filmwerke von den Rechteinhabern ausgewertet werden, z.B. per kommerziell erhältlicher DVD. Eine Verfügbarkeit im Antiquariat ist nicht relevant. Daneben prüfen wir auch, ob Ansprechpersonen für Rechte mit vertretbarem Aufwand ermittelt werden können. Wir bemühen uns dabei, einen Mittelweg zwischen einer „sorgfältigen Suche“ und einer einfachen Internetrecherche zu finden. Wird das Filmwerk weder kommerziell ausgewertet noch lässt sich eine Ansprechperson für Rechte ermitteln, werden diese Informationen in der Datenbank dokumentiert und anschließend per Batch-Upload im EUIPO-Portal hinterlegt. Nach sechs Monaten können die Videos dann, sofern kein Widerspruch von Rechtsnachfolgern vorliegt, vom Bundesarchiv online gestellt werden. Auch nach der Online-Stellung können Rechtsnachfolger noch über das Online-Portal widersprechen und ihre Ansprüche nachweisen.
In den letzten zwei Jahren hat das Filmarchiv gemeinsam mit der EUIPO einen lösungsorientierten Ablauf entwickelt, der darin besteht, ein Excel-Template zu befüllen und über die Webseite hochzuladen. Natürlich wäre zukünftig eine ressourcenschonendere Möglichkeit wünschenswert, andererseits bewährt sich der Arbeitsablauf für den Moment. Da viele Einzelfallprüfungen durch das Bundesarchiv noch ausstehen, können auch keine großen Datenmengen abgeliefert werden. Trotzdem wurden seit 2022 bereits über 20.000 Filmwerke, über 3.000 Plakate und über 35.000 Archivalieneinheiten mit Schriftgut zu Filmen im Portal registriert. Neben der Nutzung der EUIPO-Registrierung ist es auch sinnvoll, in einen Austausch mit den Kulturerbe-Einrichtungen über die vorliegenden Informationen/bisherigen Erfahrungen und Praktiken zu treten.
Die Schattenseite der systematischen Rechteprüfung – Rückstand hinter dem Kommerz
Paul Klimpel schrieb 2013, dass der Umgang mit dem urheberrechtlichen Status von älteren Werken in der Praxis auf Fiktionen basiert, die an die Stelle der – oft unbekannten – tatsächlichen Rechtslage treten. Er nannte als Ursachen unter anderem das Bedürfnis von Kultureinrichtungen nach Rechtezuschreibung, um ein Werk überhaupt nutzen zu können. Gleichzeitig stellte Klimpel klar, dass sich häufig gar nicht feststellen lasse, wer tatsächlich welche Rechte an einem Werk geltend machen kann. Unsere Erfahrungen untermauern diese Ausführungen empirisch, da wir eine systematische Einzelfallprüfung für eine große Anzahl von Filmwerken durchführen, was in Filmarchiven unüblich ist.
Eine unklare Rechtesituation führt eher zu Zugangsbeschränkungen in Archiven, während für kommerzielle Anbieter genau das Gegenteil gilt. Kulturerbe-Einrichtungen, die berechtigte Vorsicht walten lassen, überlassen dadurch das Feld kommerziellen Anbietern, die das Risiko in Kauf nehmen bzw. finanzielle Ressourcen einplanen können, um in Streitfällen Forderungen von Rechteinhabern nachkommen zu können.
Wenn Archive wie das Bundesarchiv den Gestaltungsspielraum nicht nutzen, kommt es zu einer Situation, die Richard Misek folgendermaßen beschrieben hat: „Öffentliche Archive geben in der Regel Medien nur dann frei, wenn sie sicher sind, dass dies legal ist. Das bedeutet aber, dass Nutzende meist nur Ausschnitte verwenden können, wenn sie im Besitz der Nutzungsrechte sind oder nachweisen können, dass sie über die Erlaubnis verfügen. Daraus resultiert, dass verwaiste Werke zumeist praktisch nicht zugänglich sind.“ (Deutsche Übersetzung: Adelheid Heftberger) Auch Claudy op den Kamp hat diese Situation für Filmarchive in ihrer Doktorarbeit unter dem Titel „The Greatest Films Never Seen“ anschaulich beschrieben.
Öffentliche Zugänglichkeit bewahren – die ersten Erfolge des Bundesarchivs
Aus diesem Grund sollten Filmarchive ihr Hauptaugenmerk auf diese „Waisen“ unter den Filmwerken richten und so verhindern, dass sie perspektivisch nicht mehr öffentlich zugänglich sind. Im Bundesarchiv sind wir auf einem guten Weg, weil es gelungen ist, die rechtlich verfügbaren Werkzeuge und Rahmenbedingungen im Sinne der Zugänglichmachung zu diskutieren und zielgerichtet anzuwenden. Unsere Nutzerinnen und Nutzer danken es uns mit ihren positiven Rückmeldungen.
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