Innovation im Urheberrecht: Was ist ein „Pastiche“?
Die „Pastiche“-Regelung ist relativ jung. Erst seit dem Sommer 2021 steht sie im Urheberrecht. Bei neuen Regelungen ist oft unklar, wie genau sie auszulegen sind. Was also ist ein Pastiche im Sinne des Urheberrechts und was haben Nutzer*innen davon? Diese Fragen untersucht Till Kreutzer, Co-Gründer von iRights.info und Anwalt bei iRights.Law, in einem Rechtsgutachten für die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF).
Ursprünglich wurde das Gutachten im September 2022 in deutscher Sprache veröffentlicht. Seit heute liegt das Gutachten auch in englischer Fassung vor (PDF) und erreicht damit ein internationales Publikum. Genau wie das deutsche Original steht auch die englische Fassung unter der Creative-Commons-Lizenz CC BY-4.0.
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Kurz erklärt: Wie ein Pastiche funktioniert
Die neue Regelung bezieht sich auf referentielle Ausdrucksformen, wie sie vor allem im Internet vorkommen. Es geht um Memes, Remixes, Fan Fiction und andere Kreationen, die gewöhnliche Internet-Nutzer erstellen und im Netz posten. Mit der neuen Pastiche-Regelung sind diese unter bestimmten Voraussetzungen nun zustimmungsfrei. Das bedeutet: Wer einen Pastiche anfertigt, muss nicht die Rechte für die benutzten – und möglicherweise urheberrechtlich geschützten – Werke einholen.
Zwei Punkte sind laut Kreutzer zu beachten:
- Erstens muss der Pastiche eigenständig genug sein, sich also ausreichend von den entlehnten Quellen abheben. Wer einen Pastiche sieht (oder hört), darf ihn nicht mit dem Original, auf das sich der Pastiche bezieht, verwechseln. Es muss genug innerer Abstand bestehen, dass das Publikum Pastiche und Original nicht durcheinanderbringt. Gelingen kann das beispielsweise durch Satire oder Parodie, wenn also der Pastiche ein Original humorvoll oder bissig auf’s Korn nimmt. Die andere Möglichkeit zur Eigenständigkeit sieht Kreutzer im äußeren Abstand. Das bedeutet, die originalen Quelle(n) ausreichend stark zu bearbeiten, dass das Ergebnis als eigenständig gelten kann.
- Zweitens darf der Pastiche die Verwertung des Originals nicht zu dessen Nachteil beeinflussen. Ein Remix beispielsweise darf also nicht dazu führen, dass dadurch der originale Film oder Song weniger verkauft oder nachgefragt wird. Es darf keine Konkurrenz zwischen Pastiche und Original auf dem Markt entstehen. Dazu kommt: Die Persönlichkeitsrechte des originalen Urhebers sind zu beachten.
An wen sich der Pastiche richtet und warum er Memes als digitale Ausdrucksform schützt
Die Pastiche-Regelung ist eine urheberrechtliche Innovation. Sie stärkt gleichermaßen die Kunst- wie die Meinungsfreiheit. Und damit die Rechte der Nutzenden gegenüber den Urheberinnen und Rechteinhabern. Die rechtliche Anpassung war notwendig geworden, weil das Urheberrecht drohte, die Kommunikation im Netz über Gebühr einzuengen.
Kreutzer untersucht in seinem Gutachten verschiedene Ausdrucksformen, die für den Pastiche in Frage kommen: Memes und GIFs, Remixes, Sampling, Mashups, Fan Art sowie Fan Fiction. Diese modernen, meist digitale Ausdrucksformen benutzen – ohne es zu verheimlichen – fremdes Quellmaterial und setzen sich damit auseinander. Genau das war vor Einführung der Regelung ohne Genehmigung der originalen Urheber*innen meist nicht erlaubt.
Weitere Erläuterung und anschauliche Beispiele für den Pastiche finden sich in diesem Artikel:
Der „Pastiche“ im Urheberrecht – was ist das eigentlich?
Seit etwa einem Jahr steht der „Pastiche“ im deutschen Urheberrecht. Wir werfen einen Blick in ein neues Gutachten, in dem Till Kreutzer Konzept und Konsequenzen des Pastiche-Begriffs untersucht. Am 19. September wird Kreutzer das Gutachten bei der „Filtered Futures“-Konferenz in Berlin zur Diskussion stellen. » mehr
Juristisch gesehen stellt die neue Regelung eine Ausnahme vom Urheberrechtsschutz dar. Für solche Ausnahmen hat sich die Bezeichnung „Schranken“ eingebürgert (weil sie den Urheberrechtsschutz einschränken). Offiziell heißen derartige Ausnahmen mittlerweile „gesetzliche Nutzungserlaubnisse“ – nicht so prägnant wie „Schranke“, dafür aber präzise und intuitiv. Andere wichtige gesetzliche Nutzungserlaubnisse im Urheberrecht, die vor allem den Nutzenden zu Gute kommen, sind beispielsweise das Zitatrecht oder die Privatkopie.
Besonders prominent war die Anwendung der Pastiche-Regelung im Dauerbrenner-Streit um das Rhythmus-Sample „Metall auf Metall“. Mehr als 20 Jahre geht der Streit zwischen der Elektro-Formation Kraftwerk und dem Musikproduzenten Moses Pelham bereits. Wobei das strittige Sample keine zwei Sekunden lang ist. Im Frühjahr 2022 entschied ein Gericht, dass es sich um einen Pastiche handelt – zumindest für den Zeitraum seit Sommer 2021, seitdem die Regel in Kraft ist. Das juristische Tauziehen wird trotzdem weitergehen, wie sich hier nachlesen lässt:
Neues Urteil: Sampling-Streit zwischen Kraftwerk und Pelham geht in die nächste Runde
Der Streit um „Metall auf Metall“ ist der Dauerbrenner in Musikszene und Urheberrechtskreisen – ein Ende ist auch nach 23 Jahren rechtlicher Auseinandersetzung nicht abzusehen. Das Hamburger Oberlandesgericht urteilte nun erneut und wendete dafür die kürzlich eingeführte Pastiche-Regelung an. » mehr
Über die GFF
Den Auftrag für das Gutachten erteilte die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF). Die GFF setzt sich für Grund- und Menschenrechte in verschiedenen Lebensbereichen ein. Unter anderem zieht sie für sogenannte „strategische Prozessklagen“ vor Gericht. Zuletzt machte die Organisation durch drei am gleichen Tag gewonnene Verfahren von sich reden: zur automatisierten Datenanalyse durch die Polizei, zur Gleichbehandlung von Frauen beim Gehalt sowie zur automatisierten Auslese von Smartphones Geflüchteter. Aktuell beschäftigt sich die GFF auch mit dem Urheberrecht. Es geht um Netzsperren, die die Musikindustrie gegen sogenannte DNS-Resolver durchsetzen möchte.
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