Verbotene Früchte? Künstlerisches Schaffen im Krieg um Urheberrecht und Künstliche Intelligenz

Bild generiert mit KI-Generator Dall·E (gemeinfrei)
Das neue Werkzeug der Kunstschaffenden heißt „Künstliche Intelligenz“ (KI) – und mit ihm eröffnen sich neue Wege, um Klänge, Bilder und Text zu kreieren. KI-Erzeugnisse können Teil der künstlerischen Praxis sein, die den Schutz der Kunstfreiheit nach Artikel 13 der Europäischen Grundrechtecharta und der Freiheit der Meinungsäußerung nach Artikel 10(1) der Europäischen Konvention der Menschrechte genießen.
Gleichzeitig sind KI-Erzeugnisse mit dem Risiko durch Urheberrechtsklagen belastet. Diese Belastung wird durch die verzerrte Debatte über Kultur und KI gerechtfertigt: Zu oft wird in dieser Debatte der Einsatz von KI nicht als Werkzeug für künstlerisches Schaffen, sondern lediglich als Bedrohung menschlicher Kreativität beschrieben. Wann immer die Wertschöpfung der Kulturindustrie durch den Fortschritt bei den Vervielfältigungs- und Distributionstechnologien bedroht ist (man denke etwa an Napster), kommt es zu einer konzertierten Aktion der betroffenen Parteien – der Rechteinhaber.
Künstliche Intelligenz führt so zu einem Urheberrechtskrieg, einem „copyright war“, wie es der Historiker Peter Baldwin 2014 in seinem gleichnamigen Buch beschrieb. Kunstschaffende sind in diesem Konflikt bisher allerdings kaum vertreten. Für sie ist die entscheidende Frage, ob der Input der KI ihren Output verderben kann. Nach Ansicht vieler Juristen und der Kulturindustrie ist der Pinsel des 21. Jahrhunderts rechtswidrig und wer ihn verwendet, geht das Risiko persönlicher Haftung ein.
Generative KI als Paradies für die Künste
Für manche muss sich die Welt, die durch generative KI entsteht, wie ein Paradies anfühlen. Es ist ein Sprung in die Vereinfachung der Medienproduktion, der seines Gleichen sucht. Künstliche Intelligenz ermöglicht es ihren Nutzern, eine gewaltige Menge menschlicher Kulturproduktion zu verarbeiten, ohne dafür in jedes Museum zu gehen, jedes Musikstück anzuhören oder jedes Buch zu lesen.
Maschinelles Lernen ist ein Treiber für das künstlerische Schaffen, denn es beschleunigt mit technischen Mitteln Inspiration und Nachahmung. Dieser Prozess an sich ist nicht neu: Das Alte nährt das Neue – die Schriftstellerin liest, bevor sie schreibt, der Maler interessiert sich für die Werke seiner Kollegen, Musikschaffende hören sich die Werke anderer an. Dieser Prozess ist so selbstverständlich, dass er sowohl in der Literaturwissenschaft als auch von Richtern beschrieben wird. Harold Bloom prägte für die Angst eines jeden Schriftstellers, aus dem Schatten seiner künstlerischen Vorfahren herauszutreten, den Begriff der „Einflussangst“ („anxiety of influence“). Das deutsche Bundesverfassungsgericht stellte 1971 in seiner ersten Entscheidung zum damals neuen deutschen Urheberrecht fest:
„Mit der Veröffentlichung steht das geschützte Werk nicht nur dem Einzelnen zur Verfügung, es tritt auch in die gesellschaftliche Sphäre ein und kann so zu einem eigenständigen Faktor der kulturellen und geistigen Gestaltung der Zeit werden.“
Urheberrechtlich geschützte Werke sind Gegenstand der Kommunikation und Rezeption, sobald sie veröffentlicht sind. Mit KI hat dieser Inspirationsprozess eine technische Entsprechung erhalten. Der künstlerische Einsatz von KI ist weitreichend und unterscheidet sich von bloßen Eingaben wie „drei süße Kätzchen“. Kunstschaffende generieren Bilder und Klänge, die sie manuell verändern oder in selbst entworfene Kontexte stellen. Sie beschränken sich nicht auf Vorgaben, sondern verfeinern das Material, von dem sie sich ein bestimmtes Ergebnis erhoffen. Wie das Musik-Sampling ist auch diese Zuführung Teil einer künstlerischen Praxis und als solche durch die oben genannte Kunstfreiheit und Freiheit zur Meinungsäußerung gedeckt.
Es ist daher höchst ignorant, KI als Alternative zur menschlichen Kunst zu betrachten. Stattdessen ist sie ein neues Werkzeug für Kunstschaffende. Als solches hat sie die gleichen Akzeptanzprobleme wie jede Kunst, die mit neuen technischen Mitteln geschaffen wird. Man denke nur an die Fotografie: Auch hier war ein künstlerischer Gehalt lange Zeit umstritten. Charles Baudelaire nannte die Fotografie im Jahre 1868 „le refuge de tous les peintres manqués“, also „die Zuflucht aller gescheiterten Maler“. Schließlich ist das konkrete Bild das Ergebnis eines maschinellen Prozesses, nicht einer manuellen Pinselführung. Heute ist eine Fotografie von Helmut Newton mehr wert als die meisten Ölgemälde auf Auktionen für Kunst des 19. Jahrhunderts.
Ärger im Paradies
Das neu entdeckte Paradies birgt allerdings ein Risiko: das Urheberrecht. Damit die KI neue Inhalte schaffen kann, muss sie mit Material gefüttert werden – und dieses ist in der Regel urheberrechtlich geschützt. Um ein Gemälde im Stil von Anselm Kiefer zu schaffen, muss die Maschine seine Werke „betrachtet“ haben. Dieser interne Prozess alleine erfordert eine Reproduktion von Abbildungen der Bilder Kiefers, was wiederum urheberrechtlichen Ansprüchen Tür und Tor öffnet. Der erzeugte Output kann eine weitere Urheberrechtsverletzung darstellen. Wer haftet nach dem Urheberrechtsgesetz? Das kommt darauf an. Dafür ist es nötig, zwischen der Input- und der Output-Phase zu unterscheiden.
In der Inputphase werden generative KI-Modelle mit digitalisiertem Bild- und Textmaterial gefüttert – entweder von Webcrawlern aus dem Internet zusammengesammelt oder von Kunstschaffenden stammend, die bestimmte Inhalte zur Verfeinerung der bereits trainierten KI auswählen. Der Umfang des Urheberrechtsschutzes ist weitreichend – so weitreichend, dass dieser Input für KI-Modelle – Bilder, Videos, Texte – in den meisten Fällen urheberrechtlich geschützt ist.
Innerhalb des Trainingsprozesses müssen KI-Modelle Vervielfältigungen des geschütztes Materials vornehmen, was eine Urheberrechtsverletzung nach Artikel 2 der InfoSoc-Richtlinie zur Harmonisierung des Urheberrechts darstellt. Die Ausnahme und Beschränkung für Text- und Data-Mining in Artikel 4 der Richtlinie über das Urheberrecht im digitalen Binnenmarkt (DSM-Richtlinie) privilegiert zwar die automatisierte Analyse von digitalisierten Werken, um daraus Informationen zu gewinnen. Allerdings können sich die Rechteinhaber solche Nutzungen ausdrücklich vorbehalten. Nutzt eine Künstlerin Midjourney, haftet das dahinter stehende US-Unternehmen für die Verwendung urheberrechtlich geschützter Inhalte im Lernprozess. Wenn die Künstlerin ein KI-Modell mit ausgewählten Inhalten verfeinert – wie in unserem Beispiel mit den Werken von Anselm Kiefer – haftet sie ebenfalls.
Wenn das Ergebnis des Inputs – also der Output – identisch mit oder sehr nahe an einem bereits bestehenden Werk ist, entsteht eine weitere Urheberrechtsverletzung. Wenn aus einem Prompt eine Kopie entsteht, in der das Werk Anselm Kiefers zu erkennen ist, wird dadurch sein Urheberrecht verletzt. Wenn der Nutzer Prompts eingibt, die wahrscheinlich zu einer Reproduktion eines Werks von Anselm Kiefer führen, haftet dieser Nutzer ebenfalls für den Output. Die Verwertung von Kiefers Werk für einen solchen Output kann von den Ausnahmen und Beschränkungen des Urheberrechts nach Artikel 5 der InfoSoc-Richtlinie gedeckt sein – insbesondere von der Pastiche-Schranke. Oder aber auch nicht. Nicht einmal Juristen können genau bestimmen, was ein Pastiche ist. Aus diesem Grund verweist das Deutsche Bundesverfassungsgericht im fünften und derzeit jüngsten „Metall auf Metall“-Urteil die Frage nach dem Pastiche an den Europäischen Gerichtshof. Dieser wird hoffentlich das Konzept des Pastiche klarstellen können. Wie also soll ein Künstler dies wissen?
Zurück zu der Input-Phase, die den Output beeinflussen kann: Das Training einer KI stellt eine Urheberrechtsverletzung dar, wenn keine Ausnahme oder Beschränkung für Text und Data Mining greift. In diesem Sinne kann der Output einer KI nur dann ohne Angst vor Urheberrechtsklagen Verwendung finden, wenn die Schranke für Text und Data Mining die Input-Phase abdeckt. Greift die Ausnahme nicht, ist der KI-Output mit dem Stigma der Rechtswidrigkeit belastet, da die verbotene Frucht in der Input-Phase gekostet wurde. Wenn aber ein Künstler KI als kreatives Werkzeug benutzt, muss das Pastiche-Konzept nicht nur die Output- sondern auch die Input-Phase privilegieren. Die Auswahl der Materialien für die Verfeinerung der KI durch die Kunstschaffenden ist selbst Teil der künstlerischen Praxis und muss als solche geschützt werden.
Der technische Charakter der Verfeinerung ändert nichts an der Tatsache, dass diese Teil des künstlerischen Schaffens ist. Solche Praktiken sind nicht neu, sondern bereits vom Musik-Sampling bekannt. Vervielfältigungen, die in diesem Kontext vorgenommen werden, gelten sowohl vor dem Europäischen Gerichtshof als auch vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe als solche, die von der Kunstfreiheit gedeckt sind. Die Kunstfreiheit nämlich schützt nicht nur ein Kunstwerk, sofern es in der Welt ist und andere es wahrnehmen können – sie schützt auch den künstlerischen Prozess, in dem das Werk geschaffen wird. Wenn also ein Werk als Pastiche rechtmäßig ist, sollten Kunstschaffende nicht für den Lernprozess haftbar gemacht werden. Er fällt ebenso in den Bereich der künstlerischen Freiheit wie das finale Kunstwerk.
Wer ist der Sünder?
Der Urheberrechtskrieg rund um KI ist nicht nur ein Krieg zwischen innovativen Unternehmen und Einzelpersonen auf der einen Seite und den nach Lizenzgebühren strebenden Rechteinhabern auf der anderen Seite. Eine solche Beschreibung wäre zu einfach. Das Urheberrecht ist als Eigentum grundrechtlich geschützt. Durch die Belohnung der Alten mit ausschließlichen Grundrechten entsteht für die Jungen die Motivation, sich selbst welche zu verschaffen – ein Gedanke, der am prominentesten in der US-amerikanischen Verfassung zu finden ist.
Das im Silicon Valley herrschende Mantra „Move fast and break things“ – zu Deutsch etwa: „Agiere schnell und schere Dich nicht um Etabliertes!“ – wurde kürzlich vom ehemaligen Google-Chef Eric Schmidt in einem breit diskutierten Vortrag in Stanford aktualisiert: „Erstelle mir eine Kopie von TikTok, klau alle Nutzer, klau die ganze Musik …“. In einer solchen Haltung zeigt sich eine eklatante Missachtung von Immaterialgüterrechten und eine Ignoranz gegenüber der Anreizstruktur des Urheberrechts. Aber es ist auch zutiefst falsch, es den Rechteinhabern zu gestatten, ihre wirtschaftlichen Interessen als Verteidigung der Kunst zu tarnen. Viel zu oft ist dies der Fall, weil die grundlegenden Rechte der Kunstschaffenden selbst von ihren Konzernhäuptlingen in den Schatten gestellt werden. Ihre Interessen gehen auseinander: Rechteinhaber kümmern sich um bestehende Werke, Kunstschaffende kreieren neue Werke – oftmals inspiriert von alten Werken.
Der Ausgang des Urheberrechtskriegs um KI wird zeigen, wie wir unsere Kultur verstehen: Museumsartig, mit einer retrospektiven Vorliebe für das bereits Bestehende? Oder begrüßen wir die Zunahme der künstlerischen Möglichkeiten und die beschleunigte Verbreitung von Werken als Teil einer literarischen Kultur, die das Neue schätzt?
Anm. d. Red.: Englisches Original von Jannis Lennartz und Viktoria Kraetzig unter dem Titel „Forbidden Fruits? Artistic Creation in the AI Copyright War“, erschienen im Dezember 2024 in der Fachzeitschrift International Review of Intellectual Property and Competition Law. Übertragung ins Deutsche durch Georg Fischer, iRights.info.
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DOI für diesen Text: https://doi.org/10.59350/1j662-bp796 · automatische DOI-Vergabe für Blogs über The Rogue Scholar
4 Kommentare
1 Michael Beyer am 26. Februar, 2025 um 22:35
Danke für den informativen Artikel. Das Grundproblem besteht ja durchaus schon länger. KI wirkt nur wie ein Brennglas auf den Konflikt zwischen Innovation und Urheberrecht. Ich bin gespannt, in welche rechtlichen Leitplanken das ganze Thema noch gegossen wird.
2 Anke Schierholz am 3. März, 2025 um 16:59
Ich finde es erstaunlich, wie es den Autoren gelingt, komplett zu ignorieren, dass es nicht nur die „Rechteinhaber“ sind, die KI skeptisch sehen, sondern dass vor allen Dingen die Kreativen selbst in der Initiative Urheberrecht eine unfaire KI Entwicklung ablehnen und für klare Haftungsregeln der Anbieter kämpfen. Der „Pinsel des 21.Jahrhunderts“ ist eher eine Fiktion der Autoren ist als Ausdruck der Stimmung unter den Urheber*innen, Schauspieler*innen und Musiker*innen, die bereits in weiten Teilen um ihre Existenz fürchten.
3 Reinher Karl am 3. März, 2025 um 17:04
Die Schlussfolgerungen sind in der Tat bemerkenswert, gehen sie doch von erstaunlichen Fehleinschätzungen aus. Für Kunstschaffende diesseits und jenseits des Atlantik ist die entscheidende Frage nicht wie behauptet, ob der Input der KI ihren Output verderben kann. Die haupt- und nebenberuflich Kunstschaffende umtreibende Frage ist vielmehr, wie stark der KI-Output die Ergebnisse menschlich kreativen Schaffens ob mit oder ohne KI verdrängen und die Kunstschaffenden arbeitslos machen wird. Die meisten Juristen halten den Einsatz von KI weder für rechtswidrig noch fürchtet irgendwer für den Einsatz haften zu müssen. Vielmehr hat sich konkrete Haftung für Verursachung oder Verbreitung von KI-Output de lege lata praktisch in Luft aufgelöst. All das hat dazu geführt, dass Kunstschaffende und ihre Verlage, Produzenten, Vertriebe, Verwertungsgesellschaften etc. bei dem Thema KI noch näher zusammengerückt sind, als sie es in der bisherigen Auseinandersetzung mit den Provider Monopolen ohnehin schon sind. Wen und was die Inhaber der “Internetmonopole” brechen wollen, das haben inzwischen nicht nur Mitglieder der Kreativ- und Kulturbranche verstanden.
4 Thomas U. Grüttmüller am 14. März, 2025 um 17:18
Ich versuche einmal, die Argumentation kurz in eigenen Worten wiederzugeben:
1. Wenn die KI trainiert wird, werden Werke kopiert. Dies ist illegal.
2. Das KI-Modell, das dabei entsteht ist eine Bearbeitung der verwendeten Werke und darum illegal.
3. Wenn mit dem KI-Moldell neue Werke erstellt werden, sind diese illegal, weil das KI-Moldell ein illegales Werkzeug ist.
Und nun versuche ich, diese Punkte anhand des UrhG zu widerlegen. Ich weise aber darauf hin, dass ich kein Jurist bin. Ich habe mich ums Jahr 2000 herum im Zusammenhang mit freier Software (Stichwort GPL etc.) mit dem UrhG befasst und verfolge seitdem die Änderungen.
zu 1.: Vorübergehende Kopien sind legal, um eine rechtmäßige Nutzung zu ermöglichen (s. UrhG § 44a). „Text und Data Mining“ ist eine rechtmäßige Nutzung (s. UrhG § 44b).
zu 2.: Beim Training der KI werden die Werke statistisch ausgewertet. Das KI-Modell, das dabei herauskommt, ist ein Regelwerk, wie man Werke erstellt, enthält aber nicht die verwendeten Werke, auch nicht auszugsweise (wie es beim Sampling der Fall wäre). Das KI-Modell wahrt zu den benutzten Werken so viel Abstand, dass es keine Bearbeitung oder Umgestaltung im urheberrechtlichen Sinne darstellt (s. UrhG, jetzt § 23, bisher § 24 „Freie Benutzung“). Gleiches gilt für neue Werke, die mit dem KI-Modell entstehen.
zu 3.: Ob das KI-Modell ein illegales Werkzeug ist, ist fürs Urheberrecht schnurz. Ob man z.B. einen Roman mit einem „raubkopierten“ Texteditor oder einem geklauten Kugelschreiber auf nicht normgerechten Papier verfasst, ändert nichts am urheberrechtlichen Status des Romans. (Das UrhG sieht sowas nicht vor.)
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