Das Urheberrecht im Wahlkampf
Am 9. Juni wird in Europa wieder gewählt. Parteien buhlen mit Wahlplakaten und öffentlichen Reden, gefüllt mit Versprechen aus ihren Wahlprogrammen, um die Aufmerksamkeit der Wähler*innen.
Die Auseinandersetzung der Öffentlichkeit mit dem Wahlmaterial spielt eine entscheidende Rolle im politischen Diskurs und der demokratischen Willensbildung: Reden werden in Podcasts wiedergegeben, sei es zur Kritik oder um sie der Bevölkerung zugänglich zu machen. Online-Beiträge bilden Wahlprogramme zur Bewertung von Parteien oder zur Gegenüberstellung von Parteien ab. Und der wütende Bürger macht seinem Unmut Platz und bemalt Plakate der ihm unlieben Partei.
Reden, Wahlplakate und Wahlprogramme können rechtlich geschützte Inhalte sein. Ihre Verbreitung kann unter bestimmten Umständen eine nach dem Urheberrecht zustimmungsbedürftige Nutzung darstellen. Dieser Beitrag klärt auf, auf welche Weise Wahlkampfmittel weiterverbreitet werden dürfen.
(Öffentliche) Reden und deren Wiedergabe
Das Urheberrechtsgesetz schützt Werke, d.h. persönliche geistige Schöpfungen. Sprachwerke wie Reden stellen ausweislich des Gesetzes solch geschützte Werke dar. Eine Verbreitung ist daher grundsätzlich nur mit Zustimmung des Urhebers (bzw. des Redners) zulässig.
Wahlkampfreden haben den Zweck, die Wählerschaft über eigene Ziele und Werte zu informieren und einen Beitrag zum öffentlichen Diskurs zu leisten. Sie sind elementarer Teil der demokratischen Willensbildung, sodass eine Weitergabe auch im öffentlichen Interesse liegt.
Grundsätzlich eröffnet das Zitatrecht aus § 51 UrhG die Möglichkeit, veröffentlichte Werke ohne Zustimmung des Urhebers zu verbreiten. Hierunter fallen auch öffentlich gehaltene Reden. Das Zitatrecht macht es erforderlich, die Rede im Rahmen einer eigenen geistigen Auseinandersetzung zu zitieren, d.h. mit den eigenen Gedankeninhalten eng zu verknüpfen (sog. Zitatzweck). Reden dürfen also nicht unter dem Deckmantel des Zitatrechts frei verbreitet werden, sondern es muss eine Auseinandersetzung mit den zitierten Inhalten erfolgen. Es dürfen daher auch nur solche Teile einer Rede übernommen werden, auf welche sich die gedankliche Auseinandersetzung bezieht.
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Das Urheberrechtsgesetz enthält ferner eine Spezialregelung für Reden, die Tagesfragen behandeln und damit tagespolitische Bezüge aufweisen (§ 48 UrhG). Solche Reden müssen auf öffentlichen Versammlungen gehalten oder öffentlich wiedergegeben worden sein. Hierunter fällt auch die Verbreitung über Online-Medien (wie bspw. der Podcast des Bundeskanzlers). An einer öffentlichen Versammlung fehlt es grundsätzlich, wenn sich die Rede nur an einen bestimmten Personenkreis richtet, wie es bspw. bei Mitgliederversammlungen von Vereinen der Fall ist. Öffentlich sind hingegen politische Kundgebungen aller Art. Bei solch öffentlichen und tagesaktuellen Reden ist gesetzlich die Veröffentlichung in Druckerzeugnissen mit tagespolitischem Fokus und alle sonstigen öffentlichen Wiedergaben, also auch über Online-Medien, gestattet.
Für die Praxis ergibt sich: Sollte eine Politikerin aufgrund tagesaktueller Geschehnisse eine Rede an das Volk halten und diese öffentlich ausstrahlen lassen, so darf die Rede ebenfalls über Online-Medien, wie z.B. Reels bei Instagram oder durch Mitschnitte in Podcasts, zur Verfügung gestellt werden. Eine unbegrenzte Wiedergabe ist in diesen Fällen möglich.
In allen anderen Fällen ist eine Wiedergabe nach dem Zitatrecht zulässig, beschränkt jedoch auf diejenigen Teile, die in einer geistigen Auseinandersetzung tatsächlich Verwendung finden.
In allen Fällen muss die Vervielfältigung mit einer Quellenangabe versehen werden (siehe dazu § 63 UrhG).
Wahlplakate und Flugblätter
Wahlplakate bestehen regelmäßig aus Bildern und Schriftzügen in bedachter Anordnungsweise. Sie weisen damit die erforderliche Schöpfungshöhe für ein geschütztes Werk auf.
Das Bemalen von Plakaten kann damit (neben einer Sachbeschädigung) einen Verstoß nach dem Urheberrecht darstellen. Änderungen am eigenen Werk sind – neben dem Recht zur Verbreitung – dem Urheber vorbehalten.
Von dieser Grundregel kann jedoch zum Schutz der Kunst- und Meinungsfreiheit nach der relativ jungen Pastiche-Regelung abgewichen werden (§ 51a UrhG). Hierbei ist die Abbildung und Verbreitung eines Werks zum Zwecke der Parodie, der Karikatur oder des Pastiches gesetzlich gestattet. Der Pastiche muss eine geistig-kreative Auseinandersetzung mit dem Bezugswerk erkennen lassen, vergleichbar zum erwähnten Zitatzweck. Ferner ist – um eine Abgrenzung zum Plagiat zu erreichen – die Darstellung in veränderter Form notwendig, wobei das Ursprungswerk nicht vollständig „verblassen“ muss. So können Wahlplakate parodiert in Collagen, Memes, Reels usw. dargestellt werden. Dabei sind die Schranken der Meinungsfreiheit zu beachten, d.h. eine Parodie darf bspw. nicht beleidigend oder verleumdend sein.
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Für das Abfotografieren von Wahlplakaten gibt ferner es mit § 59 UrhG eine Sondervorschrift im Urheberrechtsgesetz. Diese besagt, dass „Werke, die sich bleibend an öffentlichen Wegen, Straßen oder Plätzen befinden“ abgelichtet und weiterverbreitet werden dürfen. Es gibt dabei eine juristische Diskussion um die Frage, was als „bleibend“ gelten kann. Da Wahlplakate in der Regel für mehrere Wochen im öffentlichen Raum aufgehängt werden und der öffentlichen Information dienen, gibt es gute Gründe anzunehmen, dass sie als „bleibend“ zu werten sind. Für Plakate an Litfaßsäulen gilt das Gleiche.
Flugblättern hingegen fehlt es regelmäßig an der erforderlichen Schöpfungshöhe. Ein Flugblatt mit der Aufschrift „Die Wetterpartei: Für besseres Wetter“ würde beispielsweise nicht die notwendige Schöpfungshöhe erreichen. Kommen jedoch Fotografien, Berichte zum Klimawandel etc. hinzu, kann die Schöpfungshöhe erreicht werden.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass für die Verbreitung von Wahlplakaten die Zustimmung des Berechtigten erforderlich ist, sofern keine Ausnahme nach der Pastiche-Schranke oder der Sonderregel für die Ausstellung an öffentlichen Orten gilt. Flugblättern hingegen fehlt meist die erforderliche Schöpfungshöhe, sodass eine Verbreitung zulässig ist.
Grundsatzprogramme und Wahlprogramme
Das Grundsatzprogramm definiert die Ziele und Werte einer Partei und ist Grundlage der Parteiarbeit. Parteien müssen ein Grundsatzprogramm vorlegen, um zur Bundestagswahl oder Europawahl zugelassen zu werden. Das Wahlprogramm hingegen stellt eine über die Jahre und an die Wahlperiode angepasste Präzisierung des Grundsatzprogramms einer Partei dar.
Sowohl Grundsatzprogramm als auch Wahlprogramm sind als Schriftwerke nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 UrhG zu bewerten und genießen damit urheberrechtlichen Schutz. Beide Programmformen gehen über eine rein funktionale Dokumentation hinaus und erreichen die erforderliche Schöpfungshöhe.
Parteien sind regelmäßig in der Rechtsform eines Vereins organisiert. Sie können nach deutschem Recht nicht als Urheberinnen eines Programms gelten (im Gegensatz zum work-made-for–hire Prinzip im US-amerikanischem Recht). Urheber eines Werks kann nach deutschem Recht nur eine natürliche Person sein, da nur solche geistig-schöpferisch tätig sein können.
Die mitwirkenden Parteimitglieder entwerfen das Programm als Miturheber. Für eine Miturheberschaft ist erforderlich, dass der einzelne einen individuell-schöpferischen Beitrag zum Werk leistet. Nicht ausreichend sind unwesentliche Beiträge in Form von Anregungen, Ideen oder sog. Gehilfenschaften (also Handlungen, die auf Anweisung erfolgen). So genügen die Teilnahme bei der Abstimmung oder Änderungsanträge (je nach Maß) nicht für eine Miturheberschaft. Der Leistungsbeitrag muss als solcher eine schöpferische Gestaltungshöhe nach § 2 Abs. 2 UrhG erreichen.
Nach deutschem Recht verbleibt das Urheberrecht beim Urheber (sog. Schöpferprinzip). Dieser kann jedoch ausschließliche Nutzungs- und Verwertungsrechte übertragen und den Verzicht auf das bereits erwähnte Änderungsverbot vereinbaren. Dem Zweck der Parteimitarbeit entsprechend kann eine solche Vereinbarung durch schlüssiges Verhalten angenommen werden. Die Nutzungsrechte stehen dann regelmäßig der Partei bzw. dem Vorstand zu. Dieser bestimmt damit, wie ein Programm weiterverbreitet und veröffentlicht werden darf.
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Grundsatz- und Wahlprogramme stellen keine amtlichen Werke dar, welche gemeinfrei und damit ungehindert verbreitet werden dürfen. Somit ist die Verbreitung ohne Zustimmung der Partei nicht gestattet.
Ausnahmen können hierbei wieder das Zitatrecht oder die Pastiche-Schranke bilden (siehe oben). Auch hier gilt: Eine Wiedergabe von Inhalten ist nur im Rahmen einer geistigen Auseinandersetzung und bei Zitaten unter Quellenangabe gestattet.
Nicht ausreichend wäre zum Beispiel die reine Gegenüberstellung von Parteiprogrammen, die als solche „für sich sprechen soll“: hier fehlt die geistige Auseinandersetzung mit dem Werk. Auch die komplette Abbildung des Wahlprogramms, um dann Kritik an einem Punkt zu üben, ist unrechtmäßig. Das Zitatrecht gestattet eine Verbreitung nur von solchen Teilen, die dem Zitatzweck dienen. Jede darüber hinaus gehende Abbildung stellt eine Urheberrechtverletzung dar.
Warum nicht offen lizenzieren?
Es empfiehlt sich, die Nutzung von Wahlkampfmitteln frühzeitig urheberrechtlich abzuklären. Die Wahlkampfmittel fördern die Beziehung zwischen Partei und Wähler und regen eine geistige Auseinandersetzung sowie politischen Diskurs an. Es ist sonderbar, dass man Parteiprogramme, die für den Umlauf und die Wählerschaft bestimmt sind, nur mit Zustimmung verbreiten darf.
Das Urheberrecht bedarf im demokratischen Meinungsbildungsprozess besonderer Abwägung, und Einschränkungen bei Wahlkampfmaßnahmen sind leichter vorstellbar. Parteien sollten darüber nachdenken, ihre Programme unter eine pauschale, offene Lizenz wie CC BY zu stellen. Das würde eine rechtssichere Verbreitung vereinfachen und auch beispielsweise Übersetzungen erleichtern.
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