Urheberrecht für Wissenschaft und Bildung: Bundestag beschließt Reformen
Der Bundestag beschloss die Reform heute in zweiter und dritter Lesung mit den Stimmen der Koalition. Die Grünen enthielten sich dem Votum zum „Urheberrechts-Wissensgesellschafts-Gesetz“, die Linke stimmte gegen den Entwurf.
Bildungsministerin Johanna Wanka (CDU) lobte, ein „Kraftakt“ für eine „moderne Wissenschaftslandschaft“ sei geschafft. Die Opposition kritisierte, der Gesetzentwurf sei ursprünglich in die richtige Richtung gegangen, dann aber zusehends verschlechtert worden. Kai Gehring (Grüne) sagte, die neuen Regelungen seien „besser als keine“, hätten in den Beratungen jedoch „eine Unwucht bekommen“. Petra Sitte (Linke) kritisierte Ausnahmen bei der Reform für Zeitungsverlage und das Fehlen von Regelungen etwa zum E-Book-Verleih.
Noch bis vor wenigen Tagen war offen, ob die Koalition die Reform in der laufenden Legislatur über die Bühne bringen würde. Teile der Union hatten sich zuletzt gegen den Gesetzentwurf gestellt. Am Dienstag einigten sich die Fraktionsspitzen dann auf einen letzten Kompromiss beim Entwurf.
Ausnahmen des Urheberrechts: Neuer Katalog
Mit der Reform will die Bundesregierung die Regelungen im Bildungsbereich erklärtermaßen vereinfachen, die Befugnisse zum Teil erweitern. Ein neu gestalteter Katalog an Ausnahmeregeln (Schranken) im Urheberrechtsgesetz regelt, wie geschützte Werke in Unis und Schulen, Bibliotheken, Archiven und Museen genutzt werden dürfen. Auch in Zukunft gibt es somit zwar keine allgemeine Faustregel, allerdings soll die Reform das Regelungsgeflecht im Bildungsbereich lichten, welches über die Jahre zu einem Labyrinth an Normen, Ausnahmen und Rückausnahmen angewachsen war.
Die Bundesregierung erhofft sich, dass „künftig jede Nutzergruppe auf eine Vorschrift zugreifen kann, die möglichst präzise Art und Umfang der erlaubten Nutzungen bestimmt“. So erhalten zum Beispiel Museen und Archive eine eigene Regel, die es ihnen erlaubt, ihre Bestände zu digitalisieren. Bislang war das nur eingeschränkt möglich, wenn der Bestand gefährdet war oder sie zufällig auch elektronische Leseplätze eingerichtet hatten. Die neuen Regeln sollen ab März 2018 gelten.
Digitale Semesterapparate: Gesetz vor Lizenz
Hochschulen dürfen Auszüge mit der Neuregelung auch dann in digitale Semesterapparate und Lernplattformen einstellen, wenn Verlage dafür Lizenzen anbieten – die Erlaubnis per Gesetz geht vor. Hochschulen können aber auch weiterhin Verträge mit Verlagen abschließen; etwa für Angebote, die über das gesetzliche Minimum hinausgehen. Bislang mussten sie in jedem Einzelfall prüfen, ob Verlage eine Lizenz zu „angemessenen Bedingungen“ anbieten, bevor sie die Auszüge verwenden durften.
Buchauszüge: Bis zu 15 Prozent erlaubt
Wie lang die digitalen Auszüge sein dürfen, steht nun im Gesetz: 15 Prozent eines Werks. Wissenschaftliche Aufsätze und andere „Werke geringen Umfangs“ dürfen wie bislang komplett verwendet werden; auch Abbildungen werden nun im Gesetz genannt. Bislang waren „kleine Teile“ erlaubt. Gerichte hatten dazu unter anderem entschieden, dass bis zu 12 Prozent eines Werks, aber nicht mehr als 100 Seiten erlaubt seien. Allerdings: Bei Zeitungsartikeln könnte in Zukunft weniger als bislang erlaubt sein.
Pauschalvergütung auch an Unis ausreichend
Auch für digitale Semesterapparate und Lernplattformen sind laut Gesetz Pauschalvergütungen ausreichend, wenn sie über Stichproben berechnet werden. Die Verwertungsgesellschaft VG Wort hatte vor Gericht dafür gestritten, digitale Nutzungen an Hochschulen einzeln abzurechnen. Das Modell scheiterte bisher am Widerstand der Hochschulen. Bei Schulen hatten sich Länder und Verwertungsgesellschaften bereits auf Pauschalen geeinigt.
Übergangslösung noch offen
Da die neue Regel erst für Verträge ab März 2018 gilt, ist bislang offen, wie digitale Semesterapparate im kommenden Wintersemester bestückt werden dürfen. Eine Interimsvereinbarung zur Pauschalvergütung zwischen Kultusministern, Hochschulrektoren und VG Wort läuft Ende September aus. Die VG Wort hat auf Anfrage von iRights.info angekündigt, die Gespräche „zeitnah“ wieder aufzunehmen.
Text und Data Mining jetzt geregelt
Kopien, die beim Text und Data Mining entstehen, werden mit dem neuen Gesetz zum Teil ausdrücklich erlaubt. Voraussetzung: Wer große Datenmengen automatisch auswerten will, muss bereits legalen Zugriff haben, etwa über Abos oder freien Zugang. Die Auswertung muss zudem der wissenschaftlichen Forschung dienen und wird auf nicht-kommerzielle Zwecke begrenzt. Die Datenbasis, der sogenannte Korpus, muss laut Gesetz nach der Auswertung gelöscht werden, wenn er nicht bei Bibliotheken oder Archiven eingelagert wird.
Bislang war nicht geregelt, ob Forscher eine Erlaubnis benötigen, wenn sie große Datenmengen automatisiert auswerten. Vertreter der Wissenschaft hatten argumentiert: Wer die Inhalte bereits lesen dürfe, brauche keine weitere Genehmigung. Verlage sehen das Text und Data Mining meist als lizenzpflichtig an; teils bieten sie spezielle Tarife an.
Verlage in Wartestellung bei Tantiemen
Während es beim Grundsatz bleibt, dass für die meisten Nutzungen Vergütungen fällig werden, wird im Gesetz nicht direkt geregelt, wie weit Verlage daran teilhaben. Hintergrund: Der Bundesgerichtshof hatte 2016 entschieden, dass die Tantiemen der VG Wort weitgehend den Urhebern zustehen und die pauschale Verlegerbeteiligung gekippt. Die VG Wort stimmte aber zuletzt für eine Regelung, nach der Urheber entscheiden können, Verlage zu beteiligen.
Das Justizministerium hatte den aktuellen Gesetzentwurf zurückgehalten, bis die Bundesregierung die Verlegerbeteiligung wieder im Gesetz über Verwertungsgesellschaften verankert hatte. Zum vollen Tantiemensprudel fehlt den Verlagen jedoch ein Anspruch im EU-Recht. Eine nationale Regelung, die Verlage erneut auf Kosten der Urheber vergütet, wäre wahrscheinlich europarechtswidrig. In der Debatte im Bundestag sagte Justizminister Maas, die Bundesregierung werde sich in Brüssel weiter für die Verlegerbeteiligung einsetzen.
Wie hoch die Vergütungen über Verwertungsgesellschaften in Zukunft ausfallen, muss sich noch zeigen. Sie werden meist in Gesamtverträgen für bestimmte Bereiche festgelegt, etwa mit den Bundesländern. Die Verträge müssen nun neu ausgehandelt werden. Da die Befugnisse etwas erweitert werden, dürften die Verwertungsgesellschaften auf höhere Zahlungen pochen.
Verlage sehen „Enteignung“
Viele Verlage hatten während der parlamentarischen Beratungen gegen die Reform mobilisiert. Sie konnten das Vorhaben zwar nicht abwenden, aber Änderungen erreichen. So sah etwa die FAZ durch die ursprünglich geplante Regelung ihr Archivgeschäft bedroht.
Die Verlegerverbände VDZ und BDZV sahen im Gesetz eine „teilweise Enteignung“. Buch- und Wissenschaftsverlage im Börsenverein des Deutschen Buchhandels hatten sich noch am Mittwoch in einem offenen Brief an die Regierungsspitzen gegen das Gesetz gestellt.
Heute in der FAZ. #UrhWissG pic.twitter.com/7Tgdn9XmZ4
— Ben (@bkaden) 28. Juni 2017
Kompromiss: Befristung und Ausnahmen für Zeitungsverleger
Die Union hatte sich zwar bereits im Koalitionsvertrag auf eine Reform festgelegt, spätestens nach dem neuerlichen Verlagsprotest aber gespalten auf den Entwurf reagiert: Wissenschaftspolitiker unterstützten ihn, Rechtspolitiker lehnten ihn ab. Der Kompromiss, von den Fraktionsspitzen der Union und SPD ausgehandelt und nun vom Bundestag bestätigt, besteht aus zwei Punkten: Das neue Gesetz ist auf fünf Jahre befristet und soll vor Ablauf evaluiert werden. Zudem werden auch Zeitungsartikel von den neuen Nutzungsfreiheiten weitgehend ausgenommen.
Stammen Artikel aus Zeitungen statt etwa aus Fachzeitschriften, dürfte daher in Zukunft weniger erlaubt sein. Mit der Kompromissregel würden Kopien von Zeitungsartikeln etwa in der Fernleihe verboten, auch andere Zeitungskopien, etwa zur Vorbereitung eines Referats, könnten ebenfalls von der Streichung betroffen sein, schreibt der Bibliotheksjurist Eric Steinhauer.
Gänzlich neu sind die Auseinandersetzungen um das Urheberrecht in der „Wissensgesellschaft“ nicht. Vielmehr scheinen die Fronten zwischen Verlagen und Wissenschaft seit mehr als einem Jahrzehnt weitgehend unverändert. So warnte der Verlegerverband BDZV bereits 2002 vor einer Existenzgefährdung „insbesondere der Wissenschafts- und Fachzeitschriftenverlage“ und vor dem „massenweisen“ Versand von Zeitungsartikeln durch Bibliotheken. Die damalige Bundesregierung befristete eine Vorgängerregelung, den Wissenschaftsparagraf 52a, zunächst auf drei Jahre; anschließend wurde sie mehrfach verlängert.
2 Kommentare
1 D. Orie am 4. Juli, 2017 um 10:47
Zitat: Wie lang die digitalen Auszüge sein dürfen, steht nun im Gesetz: 15 Prozent eines Werks. Wissenschaftliche Aufsätze und andere „Werke geringen Umfangs“ dürfen wie bislang komplett verwendet werden; auch Abbildungen werden nun im Gesetz genannt. Bislang waren „kleine Teile“ erlaubt. Zitatende
Was bedeutet “Werke geringeren Umfangs”?
2 David Pachali am 4. Juli, 2017 um 11:59
Das muss sich noch zeigen. Bislang hat man sich daran orientiert, was in den Gesamtverträgen der Länder mit den Verwertungsgesellschaften steht. Die Gesetzesbegründung sagt, dabei könne es bleiben:
Das Zitat ist aus dem ersten Regierungsentwurf, nach den letzten Änderungen soll der letzte Punkt nur noch für Beiträge aus „Fachzeitschriften“ und „wissenschaftlichen Zeitschriften“ gelten.
Wenn die Gesamtverträge neu verhandelt werden, können sich Länder und Verwertungsgesellschaften im Prinzip auch auf einen anderen Umfang einigen.
Was sagen Sie dazu?