Twitter will seine Nutzer vor Belästigung schützen – mit problematischen Mitteln

Foto: Alejandro Mallea, CC BY
Das soziale Netzwerk Twitter möchte seine Nutzer besser vor Stalking, Identitätsdiebstahl und anderer Belästigung schützen. In seinem Blog gibt das Unternehmen dazu Neuerungen bekannt. Die Änderungen kommen nicht ohne Anlass und folgen auf Berichte über Online-Beleidigungen und Angriffe wie im Fall von Lindy West. Zuletzt musste Twitter-Chef Dick Costolo zugeben, dass seine Firma bei Stalking und böshaften Trollen Nachholbedarf habe. „Wir sind sehr schlecht im Umgang mit Missbrauch“, heißt es in einem durchgesickerten internen Memo.
Zu den nun angekündigten Neuerungen gehört, dass belästigende Tweets nicht mehr nur von direkt Betroffenen gemeldet werden können, sondern auch von anderen Beobachtern auf der Plattform. Außerdem hat das Unternehmen nach eigenen Angaben seine Support-Teams verstärkt und neue Prozesse eingeführt, die es angeblich erlauben, mehr als fünfmal so viele Nutzerbeschwerden zu verarbeiten wie bis dato.
Was zählt als „private“ Information?
Der Teufel steckt dabei im Detail: Möglich sind nun zum einen Beschwerden über Identitätsdiebstahl, zum anderen können sich Nutzer nun beschweren, wenn „private“ Informationen von anderen Nutzern auf Twitter verbreitet werden. Was Nutzer besser zu schützen verspricht, könnte andererseits zur Gefahr für Whistleblower werden, wenn diese zum Beispiel Informationen über die Machenschaften von Firmen posten oder Satire-Accounts betreiben.
Ähnliche Fälle gab es immer wieder – vor allem bei Konten, die mehr oder weniger mit Marken- und Namensrechten in Berührung kamen. So nutzten Whistleblower ein Twitter-Konto namens „GammaGroupPR“, um Geschäftsgeheimnisse der Spionagefirma Finfisher (früher Gamma International) zu veröffentlichen. Auch sperrte Twitter den klar als Satire erkennbaren – aber zu dem Zeitpunkt nicht eindeutig so gekennzeichneten – Account „Verfassungsschutz“. Erst nach vielen Nutzerbeschwerden wurde er wieder freigeschaltet.
Wer etwas postet, muss heute Rechtsexperte sein
Die neuen Änderungen könnten jedoch auch ganz gewöhnliche Twitterer treffen, die Information von einem öffentlichen Treffen posten. Datenschützer erinnern sich hier an den Lindqvist-Fall: Eine Frau in Schweden postete im Rahmen eines Computerkurses Namen und Informationen über Mitglieder ihres Kirchenchores auf einer neu erstellten Webseite. Der Streit wanderte bis zum Europäischen Gerichtshof, der schließlich entschied, dass Datenschutzregelungen auch für die individuelle Veröffentlichung privater Daten gelten. Sie sind daher heute stets auch Regeln für die Kommunikation im Netz.
Wer in sozialen Netzwerken aktiv sein möchte, muss daher heute nicht mehr nur Experte in urheberrechtlichen Fragestellungen sein und zum Beispiel aufpassen, keine Fotos geschützter Bauwerke wie des Brüsseler Atomiums auf Twitter zu veröffentlichen. Er muss auch Datenschutzexperte sein. Im Fall von Twitter ist das deshalb problematisch, weil die unternehmenseigenen „Richtlinien“ für Meinungsäußerungen sehr vage gehalten sind. Selbst Experten können oft kaum realistisch abschätzen, welche Informationen die Support-Teams von Twitter als so privat einstufen, dass sie einen Bruch der Regeln darstellen.
Unklare, „nicht sichtbare“ Mechanismen
Zugegeben: Twitter wird es sicher nicht möglich sein, alle möglichen Beschwerdefälle im Vorfeld darzustellen. Doch es wäre für Nutzer zumindest hilfreich, Beispiele für erlaubte und unerlaubte Veröffentlichungen auf der Plattform zu bekommen. Es ist auch begrüßenswert, wenn das Unternehmen neue Werkzeuge und Methoden ankündigt, um belästigende Nutzer aufzuspüren und gegen diese vorzugehen. Kritikwürdig ist jedoch, dass diese Methoden für reguläre Nutzer unsichtbar bleiben sollen. In der Ankündigung heißt es dazu:
Wir beginnen ebenfalls, eine Reihe neuer Durchsetzungs-Mechanismen einzuführen, die gegen Konten angewendet werden können, welche unsere Regeln verletzen. Diese neuen Maßnahmen werden für die große Mehrheit regeltreuer Nutzer nicht sichtbar sein – sie geben uns jedoch die Möglichkeit, gegen Konten vorzugehen, die die Regeln nicht befolgen und dienen zur Abschreckung gegen Verhalten, welches sich gegen unsere Richtlinien wendet. [Übersetzung und Hervorhebung von iRights.info]
Dies verstärkt die Unsicherheit von Twitter-Nutzern, die sich eigentlich an alle Regeln halten. Auch hier sollte das Unternehmen mehr Transparenz schaffen.
Twitter gilt unter den großen Sillicon-Valley-Firmen eigentlich als vorbildlich, was den Schutz seiner Nutzer vor fragwürdigen Forderungen von Strafverfolgern oder zur Datenherausgabe angeht. Bürgerrechts-Organisationen kritisieren dennoch, dass das Unternehmen mit repressiven Regierungen zusammenarbeitet und dort Tweets zensiert, obwohl es in den Ländern keine Geschäftspräsenz unterhält.
Nutzer außerhalb der USA werden zudem verpflichtet, auf Twitter alle Regeln und Gesetze einzuhalten, die in ihrem Land gelten – also auch „Blasphemie“-Gesetze oder solche, die Satire über Staatsoberhaupt, König oder andere Eliten verbieten. Twitter ist ein internationaler Dienst, der in fast allen Ländern verfügbar ist. Grenzenlos ist er leider nicht.
Soziale Netzwerke und Meinungsfreiheit: Es ist kompliziert
Natürlich steht Twitter hier nicht allein: Alle Anbieter sozialer Netzwerke bestimmen in ihren Geschäftsbedingungen, was Nutzer auf ihren Plattformen schreiben oder äußern können – mit durchwachsenem Erfolg. Auch Facebook ist hier seit Jahren in der Kritik, weil immer wieder Facebook-Seiten vor unklarem Hintergrund gelöscht oder vorübergehend deaktiviert werden. Davon betroffen war zum Beispiel das deutsche „Cicero“-Magazin: Dessen Seite wurde gesperrt, nachdem dort ein Artikel zum Thema Abtreibung beworben wurde.
Facebook verweist bei Auseinandersetzungen zumeist auf seine „Community Standards“, die vor allem von US-amerikanischen Ethik- und Moralvorstellungen geprägt sind. Themen, die in Deutschland einigermaßen unproblematisch diskutiert werden können, sind in den USA sehr heikel, zum Beispiel Abtreibung und Religion. Seit Jahren versuchen Nutzer auch mit dem Unternehmen auszuhandeln, ob Bilder von Müttern, die ihre Babys stillen, zu viel Nacktheit zeigen oder nicht.
Es ist unbestritten, dass die Kommunikation auf diesen wichtigen Online-Plattformen Regeln braucht – und effektive Schutzmechanismen vor Belästigung, Stalking und Aufrufen zur Gewalt. Doch bislang fehlt es bei allen großen Anbietern an klaren, für alle Nutzer nachvollziehbaren Regeln und an Transparenz, was die Anbieter vorsehen. Außerdem gibt es kaum effektive Schutzmechanismen für die Interessen der Nutzer: Zum einen sind die Firmen für normale Nutzer meist nur über PR-Agenturen erreichbar. Zum anderen gibt es keine definierten Prozesse, die es Nutzern erlauben, sich zu beschweren, wenn sie Löschungen von Beiträgen oder die Schließung von Accounts als ungerechtfertigt ansehen.
Die Politik hat in den vergangenen Jahren stets betont, dass online gelten muss, was auch offline Wirkung hat. Fangen wir mit der Meinungsfreiheit an.
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