Totaler Rechte-Ausverkauf: ein Scheinproblem?
Das Stichwort heißt „Total Buyout“. Der Begriff bedeutet, dass Rechteverwerter, also Zeitungs-, Zeitschriften- und Buchverlage, Radio- und Fernsehsender, von Journalisten verlangen, alle Verwertungsrechte an Texten, Fotos, Radio- und Fernsehbeiträgen an die Medienunternehmen zu übertragen. In den meisten Fällen wird kein zusätzliches Honorar dafür angeboten. Sollten Journalisten diese allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) nicht akzeptieren, drohen die Unternehmen damit, ihnen keine Aufträge mehr zu geben. In vielen Fällen wird diese Drohung auch wahr gemacht, wie betroffene Journalisten in Mailinglisten berichten.
Seitdem ist ein Streit um Geschäftsbedingungen und Nutzungsrechte entbrannt. Die Verlage argumentieren, dass sich das Geschäftsmodell durch das Internet geändert habe: Leser gehen davon aus, dass sie die Texte der Zeitung auch im Web lesen können. Durch die schwierige wirtschaftliche Lage sei dort aber kaum Geld zu verdienen: Die Leser sind nicht bereit, für journalistische Inhalte zu bezahlen, so dass die Einnahmen durch Online-Angebote gering sind. Die Axel Springer AG etwa weist in ihrem Geschäftsbericht 2007 aus, dass acht Prozent des Umsatzerlöses aus dem Online-Geschäft stammt. Nach Angaben des Bundesverbands der deutschen Zeitungverleger (BDZV) sinkt die Auflage der gedruckten Zeitungen und Zeitschriften dagegen seit Anfang der 1990er Jahre kontinuierlich, so dass in der Folge auch die Werbeeinnahmen schwinden.
Zweitverwertung immer schwieriger
Für Journalisten wird es schwieriger, Texte ein zweites Mal zu verwerten, wenn sie einmal online erschienen sind. Wer früher den gleichen Text an die Stuttgarter Zeitung und den Kölner Stadtanzeiger verkauft hat, kann ihn heute oft nur noch einmal verkaufen, da durch die Internet-Veröffentlichung Verbreitungsgebiete nicht mehr zu trennen sind und Artikel daher grundsätzlich deutschlandweit erscheinen.
Beim Streit um die Zweitverwertungsrechte gerät jedoch leicht aus dem Blick, dass die meisten Texte kein zweites Mal gewinnbringend verwertet werden können. Der Artikel über die Sitzung des Stadtrats in Chemnitz erscheint einmal in der Zeitung und zeitgleich in der Online-Ausgabe – und wird danach womöglich nie wieder nachgefragt, nicht einmal im Online-Archiv.
Verdi: Honorare zu niedrig
Viel schwerer wiegt es da, so Wolfgang Schimmel von Verdi, dass die Honorare für Journalisten bei Pressemedien insgesamt zu niedrig seien. Der Urheberrechts- und Tarifexperte der Gewerkschaft ist der Ansicht, dass eine Stellvertreterdiskussion geführt wird, bei der Journalisten das Thema Zweitverwertungsrechte nutzten, um zum Ausdruck zu bringen, wie unzufrieden sie über die Zusammenarbeit mit den Verlagen seien.
Zeilenhonorare betragen auch bei großen regionalen Tageszeitungen nach Angaben von Journalisten im Verdi-Portal mediafon.net oft nicht mehr als 75 Cent, so dass ein freier Journalist für einen recherchierten Beitrag, in dem ein voller Arbeitstag steckt, gerade 100 Euro Honorar bekommt. Davon müssen Einkommenssteuer, Sozialversicherungsbeiträge, Altersvorsorge und Kosten für Arbeitsmittel abgezogen werden, so dass am Ende ein Stundenlohn von 6 Euro keine Seltenheit ist.
Der Deutsche Journalistenverband (DJV) und die Deutsche Journalistenunion (DJU, ein Teil von Verdi) fordern daher in ihren Stellungnahmen zu einer angemessenen Vergütung, dass beispielsweise bei Zeitungen mit einer Auflage von mehr als 200.000 Exemplaren ein Zeilenhonorar von 135 Cent für Berichte und Nachrichten gezahlt werden muss. Wenn der Verlag die Alleinveröffentlichung beansprucht, muss das Honorar noch einmal mindestens um die Hälfte höher liegen. für Texte in anderen Genres – wie Kommentar, Glosse oder Interview – müsse deutlich mehr gezahlt werden als für Nachrichten und Berichte.
Verlage gegen freie Journalisten
Der erste große Streit um derartige Total-Buyout-AGB entbrannte vor mehr als sieben Jahren beim Süddeutschen Verlag. Der Verlag, der die Süddeutsche Zeitung herausgibt, hatte auf seine Honorarabrechnungen Geschäftsbedingungen gedruckt, in denen die Autoren dem Verlag ein unbefristetes Nutzungsrecht einräumen sollten, und zwar „auch für die elektronische/digitale Verwertung, gleich in welcher Form und auf welchem Trägermedium (insbesondere Online-Ausgaben, CD-ROM, DVD, Telekommunikations- und Datennetze, Online-Dienste, elektronische Pressespiegel, Datenbankfunktionen und Archivierung)“. Zusätzlich verlangte der Verlag das Recht, „die eingeräumten Nutzungsrechte auch auf Dritte zu übertragen“ und ergänzte: „Mit Ihrem Honorar ist pauschal jegliche urheberrechtliche Vergütung abgegolten.“
Diese Bedingungen, einseitig vom Verlag aufgestellt, erbosten etliche der freien Mitarbeiter der Süddeutschen Zeitung so sehr, dass sie dagegen protestierten und begannen, sich über Mailinglisten und Treffen zu organisieren. Zudem suchten sie juristische Unterstützung bei DJV und dju.
Andere Zeitungsverlage zogen bald nach: neben dem Berliner Verlag (Berliner Zeitung, Berliner Kurier, TIP-Stadtmagazin) auch die Verlagsgruppe Holtzbrinck (Handelsblatt, Die Zeit, Tagesspiegel, Wirtschaftswoche), Gruner und Jahr (damals Hamburger Morgenpost, Sächsische Zeitung) und viele andere. Der Tenor war immer der gleiche: Es gibt neue Verbreitungswege, wie die Internet-Veröffentlichung, und neue Nutzungsmöglichkeiten, wie Archive auf CD oder online, also müssen die Autoren erlauben, dass diese Wege auch genutzt werden können. Die Crux: Zusätzliches Honorar wollte nahezu kein Verlag dafür zahlen.
Weckruf für Freiberufler
Viele Journalisten beschäftigten sich daraufhin zum ersten Mal mit den Vertragsbedingungen, unter denen sie arbeiten, obwohl die Verbände schon vorher immer wieder darauf hingewiesen hatten, dass das zum Geschäft eines Freiberuflers ebenso dazu gehöre wie gute Absprachen und pünktliche Lieferung. DJV und DJU stellen zu diesem Zweck Muster-AGB bereit, nicht nur für Journalisten, sondern auch für Buchautoren, Übersetzer und andere Freiberufler.
Im Jahr 2002 hofften Freiberufler, die Werke im Sinne des Urheberrechts schaffen, auf Hilfe vom Gesetzgeber. Der Bundestag verabschiedete ein novelliertes Urhebervertragsrecht. Darin ist festgelegt, dass Rechteverwerter eine „angemessene Vergütung“ zahlen müssen, wenn sie Werke nutzen wollen. Angemessen ist ein Honorar unter anderem dann, wenn es gemeinsamen Vergütungsregeln entspricht. Diese gemeinsamen Vergütungsregeln sollen zwischen „Vereinigungen von Urhebern mit Vereinigungen von Werknutzern oder einzelnen Werknutzern“ aufgestellt werden, heißt es in Paragraf 32 des Urheberrechtsgesetzes.
Angemessene Vergütung: Hoffnungsschimmer oder leeres Versprechen?
Grund für die gesetzliche Regelung war die Einschätzung des Gesetzgebers, dass Urheber im Vertragsverhältnis zu Verwertern in aller Regel die schwächeren Verhandlungspartner sind. Oder, wie es der Jurist Thomas Fuchs in seinem Aufsatz „Die angemessene Vergütung des Urhebers“ in der Zeitschrift KUR – Kunst und Urheberrecht ausdrückt: „Wenn die Vertragsparität als Prämisse der Vertragsfreiheit durch die soziale und wirtschaftliche Übermacht einer Vertragspartei gestört ist, bleibt von dem Leitbild einer Vertragsgerechtigkeit durch Vertragsfreiheit wenig übrig.“
Das Problem: Sechs Jahre, nachdem das Gesetz in Kraft getreten ist (am 1. Juli 2002), haben sich Journalisten- und Verlegerverbände noch immer nicht auf gemeinsame Vergütungsregeln einigen können. Bisher ist nur in einer Branche, der Belletristik, eine Vereinbarung zustanden gekommen – und das nur, nachdem das Bundesjustizministerium zwischen den beiden Parteien, dem Verband Deutscher Schriftsteller in Verdi und einer repräsentativen Anzahl deutscher Belletristikverlage, vermittelt hatte.
Das trug dazu bei, dass auch die Proteste der freiberuflichen Journalisten keinen Erfolg hatten. Zwar gelang es einzelnen Autoren oder Autorengruppen, bessere Bedingungen zu verhandeln, etwa für ein bestimmtes Ressort, in denen sie – etwa durch Spezialkenntnisse – eine bessere Verhandlungsposition hatten als Kollegen, die für andere Ressorts arbeiten, in denen die Konkurrenz unter den Journalisten stärker ist. Die AGB der Verlage gelten bis heute, zum Teil sogar verschärft gegenüber den ersten Fassungen, und wer sie nicht akzeptiert, bekommt in vielen Ressorts Schwierigkeiten und unter Umständen keine Aufträge mehr.
Branchenportrait Journalismus
Ziel des „Branchenportraits Journalismus“ des Projekts Arbeit 2.0 ist es, die Arbeitsbedingungen im deutschen Journalismus zu untersuchen. Zum einen wird die aktuelle Marktentwicklung analysiert: Welche Online-Strategien verfolgen die Verlage, wie viel Geld verdienen sie mit ihren Online-Angeboten, wie hat sich die Entwicklung des Internets zum Massenmedium auf das Berufsbild, die Arbeitsverhältnisse und Aufgaben von Journalistinnen ausgewirkt? Aber auch: Welche Auswirkungen haben von Nutzern generierte Inhalte auf die Branche und damit auch für die Journalisten?
Ein Fokus des Portraits liegt auf den Regelungen, die festlegen, wie Werke im Sinne des Urheberrechts, also vor allem Texte, genutzt werden können und wie diese Nutzung honoriert wird. Diese Regelungen können Gesetze sein, Tarifverträge, allgemeine Geschäftsbedingungen oder auch individuelle Verträge zwischen Urhebern und Verwertern.
Darüber hinaus geht es darum zu klären, welche wirtschaftliche Bedeutung die Zweitverwertung von Texten hat, in welchem Verhältnis sie zu Honoraren und Gehältern von Journalisten und Journalistinnen steht und wie diese ihre Rechte gegenüber den Verlagen wahrnehmen können, beispielsweise in Streitfällen.
Quellen
Thomas Fuchs: Die angemessene Vergütung des Urhebers, KUR – Kunst und Recht, 4/2005, S. 114–119 (PDF, 136 KB)
online unter delegibus.com/2005,1.pdf
Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger (Hrsg.): Zeitungen 2007, Berlin 2007, ISBN 978-3-939705-04-8
Zusammenfassung (PDF, 608 KB) online unter http://www.bdzv.de/fileadmin/bdzv_hauptseite/markttrends_daten/
wirtschaftliche_lage/2007/assets/ZahlenDaten_2007.pdf
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