TikTok und Urheberrecht: Was „Short-Form-Content“ rechtlich bedeutet
Das Erstellen von audiovisuellen Filmen ist keiner kleinen (Berufs-)Gruppe an Menschen mehr vorbehalten. Heute kann jeder von der heimischen Couch aus mit seinem Smartphone Videos aufnehmen, schneiden und auf Social-Media-Plattformen wie TikTok hochladen. Was diese meist kurzen Videos urheberrechtlich darstellen und wie das aus den Nutzungsbedingungen der Plattform abgeleitet werden kann, erläutert dieser Text.
Zur Schöpfungshöhe: Wann ein Werk nach dem Urheberrecht geschützt ist
Das Urheberrecht soll kreatives Schaffen schützen. An seine Schutzobjekte, im Urheberrecht „Werke“ genannt, stellt es einige Anforderungen. Für Urheberrechtsschutz muss es sich bei einer Arbeit um eine persönliche geistige Schöpfung handeln. Diese erfordert wiederum unter anderem das Erreichen einer gewissen Schöpfungshöhe.
„Schöpfungshöhe“ kurz und knapp erklärt:
Die Schöpfungshöhe (manchmal auch „Gestaltungshöhe“ genannt) bezieht sich auf den Grad der Individualität, den ein geistiges Erzeugnis haben muss. Um zu beurteilen, ob die Schöpfungshöhe erreicht ist, betrachten Richterinnen und Richter in der gerichtlichen Praxis den Gesamteindruck des Originals mit seinen prägenden Gestaltungsmerkmalen. Dann vergleichen sie ihn mit der Gesamtheit der vorbekannten Gestaltungen. Hinsichtlich des Grads der Gestaltungshöhe gilt der Grundsatz der sogenannten „kleinen Münze“. Das bedeutet, dass auch einfache Schöpfungen Werkcharakter haben können, solange nach Auffassung der jeweiligen Kreise, in denen sich das Werk bewegt, von einer kreativen Leistung gesprochen werden kann. Dies wird je nach Werkart unterschiedlich beurteilt.
„Short-Form-Content“ als Werk im Sinne des Urheberrechtsgesetzes
Paragraph 2 Absatz 1 des Urheberrechtsgesetzes (UrhG) nennt einige geschützte Werkarten, wie beispielsweise das Filmwerk oder auch Werke der Tanzkunst. Aufgrund des stetigen gesellschaftlichen Wandels ist diese Aufzählung jedoch nicht abschließend. Der Paragraph schützt also auch kreative Arbeiten außerhalb der dortigen Aufzählung als Werk.
Ein gutes Beispiel für solche neuen Werkarten ist sogenannter „Short-Form-Content“ auf TikTok, Instagram und Co.
Ob das Urheberrecht Social Media-Beiträge grundsätzlich schützt, hängt davon ab, wie die Plattform inhaltlich ausgerichtet ist. Bietet sie keine wirklichen Möglichkeiten für eigenschöpferische Gestaltungen, kommt ein Werkschutz nicht in Betracht. Beispielsweise geben Plattformen wie LinkedIn oder Twitter (heute X) die Gestaltung der Oberfläche und der Inhalte durch den Nutzer sehr genau vor. Dadurch wird in den meisten Fällen wahrscheinlich kein Werkschutz für die Beiträge der Nutzenden bestehen. Im Unterschied dazu sind aber gerade Plattformen wie TikTok oder auch Instagram auf kreativen Austausch ausgelegt. Nutzende können die Gestaltung ihrer Inhalte recht frei durch Schnitttechnik und Skripte bestimmen.
Um dort den urheberrechtlichen Schutz des konkreten Inhalts zu beurteilen, kommt es darauf an, mit welchem gestalterischen Grad der Inhalt präsentiert wird.
Anhaltspunkte für das Erreichen der notwendigen Schöpfungshöhe können hier der gewählte Schnitt, die Perspektive und weitere Bearbeitungen des Videos sein. Enthalten sie eine eigenschöpferischen Note, ist dies ein Indiz für das Erreichen der Schöpfungshöhe. Auch bei Short-Form-Content gilt die so genannte „Kleine Münze“ (siehe Kasten oben). Es dürfen also nicht übermäßig strenge Anforderungen an die Videos gestellt werden. Es kommt vielmehr darauf an, wie die jeweils relevanten Kreise – also hier andere Content Creator, also Videoersteller, und Nutzende – das jeweils konkrete Video beurteilen würden.
Handelt es sich bei den TikTok-Videos um die Darstellung eigens kreierter Tanz-Choreografien, kommt darüber hinaus auch ein Schutz dieser als Tanzwerk in Betracht.
TikTok: Urheberrecht in den Nutzungsbedingungen der Plattform
Steht fest, dass das Urheberrecht ein Video schützt, stellt sich die Frage, wie Plattformen wie TikTok damit in der Praxis umgehen. TikTok’s Nutzungsbedingungen treffen keine explizite Aussage darüber, wie sie hochgeladene Inhalte schützen. Dies ist anders als etwa bei YouTube, wo jedes Video automatisch mit dem Upload die sogenannte „YouTube-Standardlizenz“ erhält. Unter 4.6 der Nutzungsbedingungen weist TikTok allerdings darauf hin, dass Nutzende in den Plattform-Einstellungen einschränken können, wie andere Nutzende mit den eigenen Inhalten interagieren und diese nutzen können. Damit gelten ohne Vornahme von individuellen Nutzungseinstellungen grundsätzlich für Videos – sofern sie dem Urheberrecht unterliegen – „alle Rechte vorbehalten“. Diese Methode hat einen Nachteil gegenüber Plattformen wie YouTube. Verwendende können nicht automatisch davon ausgehen, dass Videos anderer Content Creator aufgrund einer Lizenz verwendet werden und mit ihnen interagiert werden kann. Grund dafür ist aber wahrscheinlich, dass Short-Form-Content im Unterschied zu längeren YouTube-Videos nicht immer ein Werk im Sinne des Urheberrechts darstellt. Für Videos außerhalb des urheberrechtlichen Schutzes kann und muss folglich auch keine Lizenz vergeben werden.
Stellt das Video ein Werk dar, helfen die Nutzungsbedingungen dennoch weiter: Denn ein Creator kann in den Einstellungen der Plattform regulieren, welche einzelnen Personen oder welcher Personenkreis seine eigenen Videos nutzen, kopieren und reproduzieren dürfen. Nichts anderes regelt eine Lizenz.
Was bedeutet die Interaktion mit Videos rechtlich gesehen?
Ist geklärt, wie Content Creator die Modalitäten der Interaktion mit den eigenen Videos in den Einstellungen der Plattform regulieren können, stellt sich die Frage, in welcher Form diese Interaktionen erfolgen.
Auf TikTok gibt es im Wesentlichen zwei Interaktionsmechanismen, die im Folgenden näher betrachtet werden sollen: Der „Stitch“ und das „Duett“.
TikTok-Stitches und das Urheberrecht:
TikTok versteht unter einem Stitch (zu deutsch etwa „flicken“ oder „zusammenfügen“) eine Kombination eines fremden Videoteils mit dem eigenen Video. Dabei schneidet die Nutzerin den fremden Teil an den Anfang des eigenen Videos und interagiert damit, üblicherweise in Form einer Reaktion auf dessen Inhalt. Der fremde Videoteil wird somit also wie ein Flicken in das eigene Video eingefügt. Stellen hierbei beide Videos Werke im Sinne des Urheberrechts dar, dann handelt es sich bei dem Stitch rechtlich um ein Zitat nach Paragraph 51 UrhG. Das hat zur Folge, dass ein Stitch auch ohne Zustimmung des Urhebers kreiert werden kann, da das Urheberrecht selbst eine Werknutzung im Rahmen des Zitatrechts erlaubt.
TikTok-Duette und das Urheberrecht:
Ein TikTok-Duett ist im Unterschied dazu das parallele Abspielen des eigenen Videos Seite an Seite mit einem Video eines anderen Content Creators. Dieses Feature wird häufig bei Videos mit musikalischem Inhalt dazu verwendet, Passagen, Harmonien oder Instrumentals zu dem ursprünglich aufgenommenen Musikstück hinzuzufügen.
Anders als bei einem Stitch wird hier nicht lediglich ein Teil eines Videos genommen, sondern das Video in seiner Gänze. Somit handelt es sich auch nicht um ein Zitat, sondern um eine Nutzung eines anderen Werks in Gestalt der Bearbeitung. An dieser Bearbeitung kann dann ein eigener urheberrechtlicher Schutz bestehen. Allerdings ist eine solche Nutzung, im Unterschied zu einem Zitat, nicht ohne weiteres durch das Urheberrecht gestattet. Es liegt in der Hand des Urhebers, zu bestimmen, wer in welchem Umfang sein Werk nutzen darf. Hier kommen wiederum die in den Nutzungsbedingungen als „Privatsphäreeinstellung“ deklarierten Möglichkeiten ins Spiel: Mit diesen kann ein Nutzer festlegen, wer mit seinem Video in Gestalt eines Duetts interagieren darf. Auch ist eine solche Einstellung technische Voraussetzung für das Erstellen eines Duetts. Somit darf ein Nutzer in der Regel davon ausgehen, dass der Urheber der Erstellung eines Duetts zugestimmt hat.
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