Thomas Dreier: Es ist wahnsinnig aufwändig, Rechteinhaber zu ermitteln
iRights.info: Sie gehören zu den Unterzeichnern der Hamburger Note zur Digitalisierung des kulturellen Erbes. Nun gab es schon häufiger ähnliche Forderungen, was das Urheberrecht für Kultureinrichtungen betrifft. Was ist aus Ihrer Sicht das Neue?
Thomas Dreier: Das Neue ist, dass hiermit Archive, Museen und Bibliotheken zum ersten mal gemeinsam nach außen gehen in der Debatte um eine Aktualisierung und Anpassung des Urheberrechts an die Herausforderungen des digitalen Wandels. Bislang war diese Gruppe in der Öffentlichkeit unterrepräsentiert, und meines Wissens hat es ein solch breites Bündnis so vieler Einrichtungen bisher noch nicht gegeben. Und dass sie in so einer Form dem Justiz- und Verbraucherschutzministerium gegenübertreten, das ist eine neue Qualität.
iRights.info: Wo drückt den Einrichtungen der Schuh beim Urheberrecht?
Thomas Dreier: Das ist eigentlich ein ganzes Bündel. Ein Hauptanliegen betrifft die Digitalisierung unseres kulturellen Erbes. Nicht etwa, um es wirtschaftlich auszuwerten sondern einfach, um es allgemein zugänglich zu machen, hier gibt es große Probleme.
Nehmen wir beispielsweise ein Museum, das in seinem Bestand ein ganzes Bündel alter Filmrollen hat, die es digital aufbereiten will. Die Nutzungsrechte liegen wahrscheinlich bei irgendwelchen Erben, doch ist es wahnsinnig aufwändig, die Rechteinhaber aufzufinden und die unterschiedlichen Nutzungsrechte zu ermitteln. Doch genau das ist notwendig, um die digitalisierten Filme der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen.
iRights.info: Was würde geschehen, wenn sich das Museum diese Mühen der Rechteklärung ersparte?
Thomas Dreier: Da wir im Urheberrecht immer noch die Kopplung der zivilrechtlichen mit der strafrechtlichen Sanktion haben – im allgemeinen Zivilrecht längst überwunden – stünde jeder Museumsleiter, der so etwas macht, mit einem Bein im Gefängnis. Zudem sind viele Museen öffentlich-rechtlich organisiert, sie arbeiten mit Steuergeldern.
Und jetzt stellen Sie sich den Museumsdirektor vor, der die alten Filme digitalisiert und anschließend von irgendeinem Erben des früheren Filmurhebers oder eines Schauspielers oder wem auch immer verklagt wird. Das käme erstens nicht gut in den Medien an, zweitens müsste der Museumsdirektor die Kosten für den Rechtsstreit aus seinem öffentlichen Budget nehmen. Drittens müsste er dem jeweiligen Kultusministerium klar machen, dass er Gelder für eine eigentlich illegale Tätigkeit benutzt hat. Das alles zusammengenommen hätte wohl einen abschreckenden Effekt für ähnliche Einrichtungen. Und das wäre schade für uns alle.
Ein kleineres Problem will ich an einem weiteren Beispiel erläutern. Museen nutzen das Internet, um ihre Ausstellungen anzukündigen. Zu diesem Zweck dürfen sie Bilder – wie schon für Flyer oder Broschüren – auch auf ihrer Website nutzen. Aber was passiert mit diesen Ankündigungen, wenn die Ausstellung vorbei ist? Das gegenwärtige Recht besagt, dass entsprechende Bebilderungen nur zulässig sind, solange sie im zeitlichen Rahmen der Ankündigung einer Veranstaltung dienen. Doch danach darf sie das Museum nicht in eigenes Archiv übernehmen.
Das heißt, wenn Sie heute wissen wollen, was die Kestner-Gesellschaft in Hannover vor zehn oder fünf Jahren für Ausstellungen gemacht hat, wie damals die Ankündigungen aussahen, wie der Text der Teaser oder wie genau die Fragestellung lautete, dann werden Sie dazu – wenn sich das Museum an das Recht hält – gewiss nichts finden, denn das alles musste aus dem Web entfernt oder aber jedes Bild einzeln lizenziert werden.
iRights.info: Wo würde eine Änderung dann ansetzen?
Thomas Dreier: Beim letzteren Fall müsste die sogenannte Schrankenbestimmung, die den Museen erlaubt, Bilder zu Ankündigungszwecken nutzen zu dürfen, auf das Internet erweitert werden. Doch hier sind dem deutschen Gesetzgeber die Hände gebunden, weil europäische Vorgaben bestehen. Dementsprechend wäre eigentlich ein konzertiertes Vorgehen aller Museums-, Bibliotheks- und Archiv-Verbände aus allen Mitgliedsstaaten erforderlich, um auf eine Gesetzesänderung in Brüssel zu drängen – gerade unter den Aspekten kultureller Vielfalt, der Wahrung des kulturellen Erbes in Europa und der Zugänglichkeit des kulturellen Erbes.
Ob wir im Rahmen der jetzt anstehenden, von EU-Kommissar Günther Oettinger angekündigten Reform so eine Änderung erleben, da habe ich – ehrlich gesagt – meine Zweifel. Den bisherigen Mitteilungen und Äußerungen aus Brüssel zufolge liegt in der Kommission der Fokus nicht darauf, die bestehenden Schrankenbestimmungen zu ändern – obwohl diese immerhin aus dem Jahre 2001 stammen, also aus einer Zeit, in der es mit dem Web gerade mal so anfing.
Dennoch will die EU wohl keine Nach-Adjustierung in diesen vergleichsweise kleinen Bereichen des Urheberrechts. Vielmehr sollen grenzüberschreitende Dienstleistungen ermöglicht werden, die Binnenmarktschranken beseitigt werden, was im Grunde den großen Anbietern zugute käme und indirekt den Konsumenten. Daher kann ich diesen Ansatz in gewisser Weise auch verstehen.
iRights.info: Und im Fall der digitalisierten Filme in einem Museum?
Thomas Dreier: Hier wäre entweder die Ausdehnung vorhandener Ausnahmen erforderlich – oder eine ähnliche Regelung, wie wir sie im Gesetz für die sogenannten verwaisten und vergriffenen Werke haben. Sie sieht vor, dass man nicht notwendigerweise die Zustimmung zur Nutzung durch den Berechtigten – den Rechteinhaber – benötigt, sofern man bestimmte Überprüfungen bezüglich der Werke vorgenommen hat.
Nehmen wir an, Sie haben irgendwo eine Briefesammlung, an der vielleicht noch Urheberrechte bestehen – wir gehen mal davon aus, Persönlichkeitsrechte bestünden hier keine mehr – dann müssten sie von jedem Briefschreiber und dessen Erben die Rechte klären. Die müssten sie ausfindig machen, die müssten sie suchen – das ist einfach unpraktikabel.
Daran zeigt sich auch, dass die gegenwärtige Regelung für verwaiste Werke eigentlich nicht geeignet ist für Massendigitalisierung. Voraussetzung ist nämlich eine sehr aufwändige Suche nach den Rechteinhabern, die aber kleine Institutionen mit begrenzten Personalressourcen und Mitteln nicht leisten können, denn es muss sehr sorgfältig in allen Listen verfügbarer Quellen nachgesehen werden, wer der Urheber ist.
Erst wenn man das gemacht hat, kann man eintragen lassen, dass es sich in einem konkreten Fall um ein verwaistes Werk handelt. Und erst danach kann man anfangen, das Werk in gewissem Umfang zu verwerten. Allerdings kann diese Verwertung jederzeit vom wahren Berechtigten wieder gestoppt werden. Das heißt, für kleine Einrichtungen und auch für die flächendeckende Erschließung von Material eignet sich die Regelung für verwaiste Werke eigentlich nicht.
iRights.info: Es wurde von verschiedenen Seiten vorgeschlagen, in Europa das sogenannte „Extended Collective Licensing“ zu ermöglichen. Was halten Sie davon?
Thomas Dreier: Ich halte das für eine Möglichkeit, wie man die Probleme der Gedächtnisinstitutionen technisch lösen könnte, nämlich über die Verwertungsgesellschaften. Grundsätzlich funktionieren Verwertungsgesellschaften ja so, dass Urheber ihre Rechte freiwillig einbringen und die Urheber, die ihre Rechte für sich behalten, von den Verwertungsgesellschaften auch nicht vertreten werden.
Das Extended Collective Licensing ist im Grunde so eine Art Vermutung: Wenn eine hinreichende Zahl von Urhebern einer bestimmten Gattung ihre Rechte einer Verwertungsgesellschaft übertragen hat, dann gilt diese durch das Gesetz als ermächtigt, die Rechte auch für alle anderen Urheber derselben Gattung wahrzunehmen. Man müsste sich überlegen, ob und wie man dieses Konzept auch für die Anliegen der Gedächtnisinstitutionen nutzen könnte.
iRights.info: Hätte das Modell Ihrer Meinung nach eine Chance, in einem europäischen Urheberrecht umgesetzt zu werden?
Thomas Dreier: Dazu muss sich die Politik wohl grundsätzlich entscheiden, ob sie die Nutzung von Werken durch Gedächtnisinstitutionen an eine Vergütung koppeln will oder nicht. Anders ausgedrückt: Will man den Gedächtnisinstitutionen einen größeren Freiraum bei der Erschließung des kulturellen Erbes mit digitalen Mitteln einräumen oder nicht?
Wenn ja, wäre die nächste Frage, ob für dieses Erschließen den Urhebern Vergütungen gezahlt werden sollen. Wenn nicht, dann brauche ich dafür auch keine Verwertungsgesellschaften, denn dann wäre das eine erlaubte Tätigkeit, etwa so wie das urheberrechtlich erlaubte Zitieren.
Wenn die Urheber aber für die Erschließung durch Gedächtnisinstitutionen eine Vergütung bekommen sollen, dann bedarf es dafür meines Erachtens zwingend einer zentralen Anlaufstelle. Und die Verwertungsgesellschaften wären diejenigen, die hiermit die größte Erfahrung haben und auch einen laufenden Geschäftsbetrieb, an dem man da andocken könnte.
Die nächste Frage wäre dann, wie groß der Spielraum für den deutschen Gesetzgeber wäre, eine solche erweiterte Lizenzierung einzuführen. Hier ist das deutsche Recht an die Richtlinie der EU zur Informationsgesellschaft gebunden, aber womöglich ließe sie sich auf nationaler Ebene im Rahmen einer Schranke für Bildung und Wissenschaft umsetzen.
iRights.info: Wie sehen Sie die Erfolgsaussichten des Aufrufs der Kultureinrichtungen und Urheberrechtler in der Politik?
Thomas Dreier: Das ist schwer einzuschätzen. Auf der einen Seite haben wir mit Heiko Maas einen Justizminister, der mit seinem Ministerium an dem Vorschlag für eine Wissenschaftsschranke arbeitet. Nun ist das, was die Gedächtnisinstitutionen machen, nicht gerade Wissenschaft im engeren Sinne, aber sie dienen der Verbreitung und der Zugänglichmachung von Wissen. Ich könnte mir daher vorstellen, dass von dieser Seite aus tatsächlich auch ein offenes Ohr für das Anliegen der Hamburger Note besteht.
Auf der anderen Seite haben wir mit der Union einen Koalitionspartner, der im Grunde die Linie vertritt, das Urheberrecht sei so unter Druck, dass man es selbst für berechtigte, aber doch kleinere Anliegen nicht noch zusätzlich schwächen möge.
Die Fronten laufen beim Urheberrecht aber nicht entlang der Parteigrenzen. Vielmehr hängt die Debatte davon ab, ob die einzelnen Abgeordneten auf der Rechteinhaber-Seite stehen, also bei den Verlegern und Medienunternehmen, oder aber sich als einzelne Nutzer sehen, die gerne auf dieses Material zugreifen wollen. Das heißt, es gibt meines Erachtens innerhalb der bestehenden Koalition erhebliche Gegensätze, daher ist sehr schwer zu sagen, welche Reformvorschläge für das Urheberrecht eine Mehrheit finden.
Mit der Digitalisierung in Museen, Archiven und Bibliotheken befasst sich auch die von iRights.info mitveranstaltete Konferenz „Zugang gestalten!“ am 5. und 6. November im Altonaer Museum in Hamburg. Mehr Informationen: zugang-gestalten.de
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