Open Access: Fachgesellschaften in der Kritik
Wissenschaftliche Fachgesellschaften dienen im Allgemeinen der politischen und wissenschaftspolitischen Interessensvertretung ihrer Community. Teils finanzieren sie sich durch Verlagstätigkeiten, wie etwa die American Mathematical Society, die American Chemical Society oder die Association for Computing Machinery (ACM), die 1947 gegründete, erste wissenschaftliche Gesellschaft für die Informatik.
Auch wenn Open Access weithin als ein der Wissenschaftskommunikation förderliches Distributionsmodell angesehen wird, tun sich Fachgesellschaften mit dem offenen Zugang zu wissenschaftlichen Publikationen oft schwer und vertreiben ihre eigenen Produkte im Subskriptionsmodell, bei dem für die Nutzung der wissenschaftlichen Literatur gezahlt werden muss. Daher rufen Informatiker nun unter dem Motto „Tear Down This Paywall“ zum Boykott der ACM auf und orientieren sich dabei am aufsehenerregenden Elsevier-Boykott.
„Widerspruch zur Wissenschaftsethik”
Die Initiative wird mit dem traditionellen Open-Access-Argument untermauert: Es sei inakzeptabel, für die Nutzung wissenschaftlicher Literatur zu zahlen, deren Erstellung und Begutachtung unentgeltlich von Wissenschaftlern erbracht wurde. Der von Verlagsseite häufig vorgebrachte Einwand, man erbringe kostengenerierende Leistungen durch das Setzen der Artikel, entfällt bei der ACM, da Publikationen von den Autoren durch Verwendung des Satzsystems LaTeX camera ready, also druckfertig erstellt werden. Überdies betont die Initiative, andere Fachgesellschaften aus der Informatik und verwandten Fächern publizierten bereits im Open Access, so etwa die USENIX, die Association for Computational Linguistics oder Neural Information Processing Systems (NIPS).
Wer den Boykottaufruf unterzeichnet, kann versichern, nicht in ACM-Journals zu publizieren, keine Reviewer-Tätigkeiten für diese zu übernehmen und kein ACM-Mitglied zu werden bzw. die Mitgliedschaft zu beenden. Vorangetrieben wird der Protest von Alex Rudnick, einem Informatikstudent an der Indiana University. Zwar erlaubt es die ACM Autoren teilweise, angenommene Publikationen auf Servern der eigenen Einrichtungen wiederzuveröffentlichen, dennoch, so der Initiativruf, stehe das praktizierte Geschäftsmodell im Widerspruch zu den wissenschaftsethischen Ansprüchen der ACM, „sowohl professionellen und öffentlichen Interessen durch offenen Austausch von Informationen und durch die Förderung der höchsten professionellen und ethischen Standards“ zu dienen.
Journals müssen finanziert werden
Bislang findet der Boykott gegen die ACM jedoch eher im Stillen statt, er scheint fast im Sande zu verlaufen: Seit Bekanntmachung am 16. Februar unterzeichneten nur 371 Personen den Aufruf [Stand 10.03.2012]. Möglicherweise wird die ACM auch, anders als der Branchenriese Elsevier, nicht als größere Bedrohung der Wissenschaftskommunikation wahrgenommen. Und verglichen mit den häufig als zu hoch monierten Subskriptionsgebühren der ACS gilt die Preisgestaltung der ACM als moderat. Dies mag die eher bescheidene Unterstützung des Aufrufes erklären.
Dennoch weist er eine gewisse Symbolik auf und lässt die Frage aufkommen, warum es global agierenden und kommerziellen Verlagskonzernen offensichtlich leichter fällt, sich mit dem Open Access Geschäftsmodell zu arrangieren als Fachgesellschaften, die in aller Regel Non-Profit-Organisationen sind. So kaufte die Nature Publishing Group vor anderthalb Wochen den Open-Access-Verlag Frontiers auf und Verlagshäuser wie beispielsweise Springer Publishing und Wiley unterhalten mit „Springer Open” und „Wiley Open Access” entsprechende eigene Portfolios.
In vielen, vor allem kleinen Fachgesellschaften aber besteht die größte Motivation der Mitgliedschaft im kostenfreien oder vergünstigten Bezug der Journals der Gesellschaft. Werden diese unter Open-Access-Konditionen verfügbar gemacht, entfällt dieser Anreiz zur Mitgliedschaft. Zudem müssen auch Open-Access-Journals finanziert werden. Ein gängiger Finanzierungsbaustein sind Autorengebühren, die Wissenschaftler im Falle des Erscheinens eines eingereichten Textes an das Journal entrichten. Sind diese Gebühren in der Disziplin nicht akzeptiert, wird es den Gesellschaften kaum ohne weiteres gelingen, sie zu etablieren.
Werbung, Sponsoring, Spenden
Das Zögern in Sachen Open Access findet sich unter anderem auch in den deutschen informations- und bibliothekswissenschaftlichen Verbänden, die ihre Publikationen nicht offen herausgeben und daher von der Community barsch kritisiert werden. Es existiert in Deutschland derzeit mit Libreas nur ein einziges informations- oder bibliothekswissenschaftliches Open-Access-Journal, obwohl gerade Bibliotheken sich als Träger des Open-Access-Gedankens verstehen und sich von diesem – verglichen mit den Kosten des Subskriptionsmodells – Ersparnisse erwarten.
Dass Open Access auch in kleinen Communities florieren kann, beweist die Vereinigung Österreichischer Bibliothekarinnen und Bibliothekare (VÖB). Sie publiziert ihre Mitteilungen seit Ende 2010 zu Open-Access-Bedingungen und das recht erfolgreich: Das Journal wird gar in der internationalen und multidisziplinären Datenbank Scopus ausgewertet – ohne sich über Publikationsgebühren zu finanzieren.
Letztlich können Open-Access-Journals andere Einkommensquellen nutzen. Unter anderem solche, die schon Subskriptionsjournals kennen, wie Werbung oder Sponsoring. Auch Spenden oder E-Commerce durch die Verknüpfung mit Onlineshops, wie es der Online-Ableger des Spektrums der Wissenschaft vormacht, könnten einen Beitrag leisten.
Anstoß für Fachgesellschaften
Gleich welche Option gewählt wird: Der Schritt zum Open Access erfordert für Fachgesellschaften die Schaffung anderer Lockmittel als den kostenlosen Bezug einer Printzeitschrift: So stellte die Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA) ihr Journal erfolgreich auf Open Access um, nutzte dafür die Plattform German Medical Science und führte dennoch Autorengebühren ein. Diese muss aber nur entrichten, wer nicht Mitglied der Gesellschaft ist; Mitglieder dürfen entgeltfrei publizieren. Auch wenn der ACM-Boykott floppen sollte, könnte er wissenschaftliche Fachgesellschaften zumindest dazu zu veranlassen ihre Positionen zu Open Access auf den Prüfstand zu stellen.
Dieser Beitrag erschien zuerst auf Ulrich Herbs Blog scinoptica.com, Lizenz: CC BY. Foto: PD.
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