Streit um Leistungsschutzrecht: „Dürfen Profi-Blogger noch zitieren?“
Der liberale Netzpolitiker Jimmy Schulz hält an seiner Ablehnung eines neuen Leistungsschutzrechts für Presseverlage fest. „Auch in Zukunft werde ich mich klar dagegen wenden“, kommentierte Schulz am Montag gegenüber iRights.info. „Es besteht weiterhin kein Bedarf, hier einen weltweit einmaligen nationalen Alleingang zu beschreiten.“
Der Koalitionsausschuss hatte am Sonntag beschlossen, wie im Koalitionsvertrag vereinbart, ein Leistungsschutzrecht für Presseverlage auf den Weg zu bringen. „Gewerbliche Anbieter im Netz, wie Suchmaschinenbetreiber und News-Aggregatoren, sollen künftig für die Verbreitung von Presseerzeugnissen (wie Zeitungsartikel) im Internet ein Entgelt an die Verlage zahlen“, heißt es im Beschluss. „Damit werden die Presseverlage an den Gewinnen gewerblicher Internet-Dienste beteiligt (…)“. Die Schutzdauer für die Presseerzeugnisse soll ein Jahr betragen. Eine Verwertungsgesellschaft soll die Entgelte einziehen und verteilen. Ein Gesetzentwurf steht noch aus.
„Das würde ein Grundkonzept des Netzes aushebeln“
Offen bleibt im Beschluss, wie hoch die Entgelte ausfallen und ob es beispielsweise für Suchmaschinenbetreiber wie Google oder kommerzielle Blogs kostenpflichtig wird, wenn sie einen Artikel mit Überschrift und Vorspann verlinken. Die Rede ist von einem „Leistungsschutzrecht für die redaktionell-technische Festlegung journalistischer Beiträge oder kleiner Teile hiervon“.
Schulz kommentiert, es sei bereits im Ansatz erkennbar, dass die Gefahr bestehe, dass für Links mit Mini-Textauszügen („Snippets“) an die Verlage zu zahlen ist. „Dies würde eines der Grundkonzepte des Netzes, frei verfügbare Inhalte zu verlinken, aushebeln“, warnt der Liberale. Schulz kritisiert: „Die ‘Gelben Seiten‘ zahlen ja auch nicht dafür, dass sie darin auf Firmenadressen hinweisen dürfen.“ Zudem hätten die Verlage die Möglichkeit, eine Verlinkung ihrer frei verfügbaren Inhalte auf Seiten wie Google News zu unterbinden.
CDU-Netzpolitiker: Snippets weiter kostenfrei
Der Bundestagsabgeordnete Michael Kretschmer, Vorsitzender des Arbeitskreises Netzpolitik der CDU, bestreitet, dass Angebote wie Google News vom geplanten Leistungsschutzrecht betroffen sind. Es gelte nun, das Leistungsschutzrecht klar auszugestalten, hierbei komme es auf wichtige Details an, so Kretschmer am Montag in einer Erklärung. „So muss die Verwendung von Links weiterhin ohne Einschränkungen möglich sein. Zudem müssen sogenannte ‚Snippets‘ freigestellt bleiben.“ Diese Teile einer Webseite, die vom Presseverleger extra für Suchmaschinen und Aggregatoren bereitgestellt würden, könnten nicht vom Leistungsschutzrecht erfasst werden. „Andernfalls entstünde das Problem, dass nahezu jeder, der einen Presseartikel mit einem beschreibenden Text verlinken will, eine Lizenz bräuchte.“
Auch sei bei der Formulierung “kommerzielle Nutzung von Presseerzeugnissen” eine Konkretisierung geboten, so Kretschmer. „Gerade für die Union ist es von besonderer Bedeutung, dass zum Beispiel ehrenamtlich organisierte Vereine, die ihre Vereinsarbeit auch im Internet darstellen, genauso wie Privatpersonen und Blogger nicht von einem Leistungsschutzrecht erfasst werden.“
SPD: „Leistungsschutzrecht belastet Bürger“
Aus der SPD, sie sich bislang vorsichtig zum Leistungsschutzrecht positioniert hatte, kommen nun deutliche Einwände. „Grundsätzlich lehnt die SPD ein eigenes Leistungsschutzrecht für die Verlage ab, soweit dieses die Arbeit von Suchmaschinen wie beispielsweise Google, insbesondere aber auch von Journalisten, Bloggern und Bildungseinrichtungen behindert“, erklärte Burkhard Lischka, rechtspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagfraktion am Montag gegenüber iRights.info. „Ein solches Leistungsschutzrecht belastet Bürger und Wirtschaft über Gebühr und schadet somit der weiteren Entwicklung der Informations- und Wissenschaftsgesellschaft.“ Probleme der Presseverlage bei der Rechtsdurchsetzung im Internet ließen sich durch eine Neuregelung im Rahmen des bestehenden Urheberrechtsschutzes beheben.
Linke: Drohende Einschränkung des Zitatrechts
Die Linkspartei warnt vor Rechtsunsicherheit. „Ungeklärt ist derzeit, wie die Bundesregierung rechtssicher definieren will, wer als gewerblicher Anbieter zu gelten hat und wer nicht und ob nur die automatisch aggregierte Weiterverbreitung von Presse-Erzeugnissen betroffen ist“, erklärte Petra Sitte, Sprecherin für Forschungs- und Technologiepolitik, am Montag gegenüber iRights.info. Auch sei unklar, ob für das geplante Leistungsschutzrecht das Zitatrecht eingeschränkt werden wird oder wie beide Rechtsgüter in Einklang gebracht werden können. Sitte kommentiert: „Dürfen Profi-Blogger noch zitieren? Darf ein Link nur noch aus der reinen URL bestehen? Hier wird erst der konkrete Gesetzentwurf zeigen, wie gefährlich das geplante Leistungsschutzrecht für die Kommunikationsfreiheit wird.“
„Aus ACTA nichts gelernt“
Auch der SPD-Rechtspolitiker Lischka fürchtet, das Leistungsschutzrecht könnte die Freiheit des Internets einschränken. „Die Gefahr, dass Kommunikationsfreiheiten im Internet beeinträchtigt werden, besteht aus unserer Sicht zumindest dann, wenn ein neues Leistungsschutzrecht beispielsweise missbräuchlich auch die Arbeit von kleinen Privatbloggern einschränkt“, so Lischka. „Ein freier Informationsfluss im Internet muss jederzeit gewährleistet sein, darf aber gleichzeitig nicht den derzeit bestehenden Schutz von Urheberrechten ignorieren.“
Lars Klingbeil, netzpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, warnte am Montag gegenüber iRights.info vor möglichen Folgen des neuen Leistungsschutzes: „Völlig absurd wäre es, wenn Unternehmen Netzsperren einsetzen müssten, um den Zugriff auf Presseartikel einzuschränken.“ Wenn das Leistungsschutzrecht die Antwort der Bundesregierung auf die Herausforderungen des Urheberrechts in der Digitalen Gesellschaft sei, dann zeige das, dass sie aus der Debatte um das Anti-Piraterie-Abkommen ACTA nichts gelernt hat.
Warum sollen Blogs nicht bezahlt werden?
Die Linkspartei hinterfragt, ob das Leistungsschutzrecht den Verlagen einen fairen ökonomischen Ausgleich dafür verschafft, das beispielsweise Google mit der Auflistung ihrer Artikel im Internet Geld verdient. „Es wird suggeriert, dass die Presseverlage keinen Nutzen davon haben, dass ihre Artikel im Netz gefunden werden können“, so Sitte. „Bundesregierung und Presseverlage ignorieren geflissentlich, dass gerade Suchmaschinen und News-Aggregatoren einen nicht unbedeutenden Teil der Online-Aufmerksamkeit erst auf Presse-Erzeugnisse lenken.“ Der Versuch, veraltete Geschäftsmodelle zu schützen, werde am Ende eher dazu führen, dass die klassischen Presseverlage noch weniger im Netz wahrgenommen werden als bisher. „Ein Schuss ins eigene Fleisch“, so Sitte. Auch könne man zynisch fragen, wieso nur Presseverlage Anspruch auf ein solches Leistungsschutzrecht und eine daraus resultierende Vergütung haben. „Wieso sollen Blogs, Foren und Co. nicht auch dafür bezahlt werden, wenn ihre Inhalte weiterverbreitet werden?“
Grüne: Wahlkampfgeschenk für die Verlage
Die Grünen vermuten hinter dem Leistungsschutzrecht eine Wahlkampftaktik von Union und FDP. „Der jetzige Beschluss ist nichts anderes als ein verfrühtes schwarz-gelbes Wahlkampfgeschenk an wenige große Verlage“, erklärte am Montag Konstantin von Notz, Grünen-Sprecher für Netz- und Innenpolitik. Ein Leistungsschutzrecht für die verlegerischen Inhalte fördere lediglich die großen Verlage. „In Sachen Vielfalt oder Qualität von journalistischen Angeboten ist damit nichts gewonnen.“
Profitieren die Urheber? Grüne und Linkspartei skeptisch
Im Beschluss des Koalitionsausschusses heißt es: „Auch die Urheber sollen eine angemessene finanzielle Beteiligung an der Verwertung des Leistungsschutzrechts erhalten.“. Die Linke-Politikerin Sitte bezweifelt allerdings, dass etwa Journalisten von dem neuen Gesetz profitieren.
„Die meisten Journalistinnen und Journalisten haben die Online-Verwertungsrechte an ihren Texten in Buy-Out-Verträgen an die Verlage abgegeben“, so Sitte. „Solange dies weiter erlaubt bleibt, ist zu befürchten, dass die angekündigte Beteiligung der Urheberinnen und Urheber an dieser Verschärfung des Urheberrechts das Papier nicht wert ist, auf dem sie formuliert wurde“. Auch der grüne Netzpolitiker von Notz zeigt sich skeptisch. „Journalistinnen und Journalisten erhalten im Zweifel wenig bis nichts.“
Grüne fürchten neue Abmahnindustrie
Auch von Notz fragt, wo die Grenze zwischen privaten und gewerblichen Angeboten sein soll. „In der Folge könnte eine neue Abmahnindustrie entstehen.“ Auch die Auswirkungen auf die Informationsfreiheit seien bislang nicht absehbar. Der Grüne kritisiert: „Statt die Verlage dabei zu unterstützen, zukunftsgewandt neue Geschäftsmodelle zu entwickeln und tatsächlich das durch Internet und Digitalisierung reformbedürftige Urheberrecht im Sinne aller Beteiligten anzugehen, tut sie das genaue Gegenteil: Sie setzt ihre bisherige Lobbypolitik fort, verteilt großzügig verfrühte Wahlkampfgeschenke und duckt sich ansonsten weg.“
Was sagen Sie dazu?