Streaming-Abmahnungen: Ungeklärte Fragen, Trittbrettfahrer mit Schadprogrammen (Update)
Nachdem Anwälte der Kanzlei „Urmann + Collegen” offenbar großflächig Abmahnungen für vermeintliche Urheberrechtsverletzungen bei Porno-Streams verschickt haben, lässt sich weiterhin nur spekulieren, wie die Abmahnungen zustande kommen. Beim rechtlichen Teil gibt es zumindest neue Hinweise: Die Richter am Landgericht Köln haben den Fall wahrscheinlich durchgewunken, weil sie an Filesharing dachten, vielleicht wurden sie dabei sogar getäuscht.
Wie wurden die abgemahnten Nutzer ermittelt?
Die in den Abmahnungen als Rechteinhaber auftretende „Archive AG” hat über den beauftragten Anwalt Daniel Sebastian beim Landgericht Köln Auskunft beantragt – vielleicht auch über weitere Anwälte. Wie Sebastian mit der Kanzlei „Urmann + Collegen” zusammenhängt, ist unklar. In dem Beschluss des Gerichts zur Herausgabe der Nutzerdaten (PDF) jedenfalls ist nicht von Streaming oder den dafür maßgeblichen Regeln die Rede. Stattdessen wird von „öffentlicher Zugänglichmachung”, also dem Hochladen der Werke „über eine sog. Tauschbörse” gesprochen. Das legt den Eindruck nahe, die Richter hätten die Sachlage missverstanden. Auf Anfrage von stern.de sagte ein Sprecher das Landgerichts, ein Versehen sei nicht auszuschließen. Aber auch der eingereichte Antrag legt dieses „Missverständnis” zumindest nahe.
Wie die Archive AG die zu den Anschlussinhabern gehörenden IP-Adressen gesammelt hat, ist weiterhin ungeklärt. Die Spekulationen reichen von Verweisen in Werbebannern über Malware, gekauften Traffic und Konstruktionen mit Tippfehlerdomains. Während IP-Adressen beim klassischen Filesharing in Tauschbörsen öffentlich sichtbar und damit leicht zu ermitteln sind, ist das beim Streaming nicht der Fall. Im Auskunftsantrag (PDF) wird eine Software „GLADII 1.1.3” des Unternehmens IT Guards Inc. genannt, die auf „üblichen und gebräuchlichen Internet-Technologien” beruhen soll. Aber auch die dort gelieferte Beschreibung der Software erhellt die Sache nicht. Zudem ist dort von „Downloadportalen” die Rede – wie das Programm Nutzer beim Streaming ermitteln soll, bleibt unklar. Ohne Zusammenarbeit mit dem Streamingportal wäre das kaum vorstellbar.
Update, 11.12., 14.24: Das möglicherweise irreführende Auskunftsersuchen des Anwalts Daniel Sebastian hat nun im Gegenzug einen Strafantrag der Berliner Kanzlei Werdermann/von Rüden zur Folge, wie Heise berichtet. Auch die von einem Mitarbeiter der Firma IT Guards beigefügte eidesstaatliche Erklärung zum Einsatz der Software könnte ein Nachspiel haben. Zudem will einer der abgemahnten Nutzer im Gegenzug festellen lassen, dass er die Rechtsverletzung nicht begangen hat. Das Landgericht Köln hat eine Erklärung (PDF) veröffentlicht. Man komme nicht allen Auskunftsersuchen nach, im vorliegenden Fall seien die Voraussetzungen dafür jedoch gegeben gewesen. Das Gericht weist noch einmal darauf hin, dass mit der Adressauskunft an Abmahner die möglichen oder angeblichen Urheberrechtsverletzungen nicht bewertet werden.
Streams und Urheberrechtsverletzungen: Im Graubereich, aber für Nutzer bislang ohne Folgen
Dass die Abmahnungen auf sehr wackligen Füßen stehen, gehört dagegen zu den weniger fraglichen Punkten. Während Nutzer bei Torrents und anderen Filesharing-Systemen fast immer Werke nicht nur herunter-, sondern auch hochladen und damit Urheberrechte verletzen können, entsteht beim Streaming nur eine „flüchtige” Kopie auf dem Gerät des Nutzers. Für solche Kopien, die technisch notwendig sind, um überhaupt etwas im Netz anzuschauen, gibt es eine Ausnahme im Urheberrecht. Das heißt, sie sind normalerweise erlaubt. Gerichte hätten es zumindest nicht leicht, zu begründen, warum sie hier nicht gelten soll, auch wenn ein Leipziger Amtsrichter schon einmal diese Position vertreten hat.
Solange die Streams nicht aus „offensichtlich rechtswidrigen” Quellen stammen, wären damit verbundene Kopien beim Nutzer auch als Privatkopie erlaubt. Dass Rechtsverletzungen bei einer Plattform wie Redtube.com für Nutzer „offensichtlich” sein sollen, lässt sich noch schwerer begründen – wahrscheinlich gar nicht. Eher ein Randphänomen ist die Frage, ob Pornos stets als urheberrechtliches Werk geschützt sind. Ein häufig genannter Beschluss des Landgerichts München handelt zwar davon, für Nutzer macht es aber keinen großen Unterschied, ob Pornos als schöpferisches Werk oder nur als „Laufbild” geschützt sind.
Neue Spielwiese für Abmahnanwälte?
Während es offensichtlich ist, dass die Abmahnindustrie stetig nach neuen Schlupfwinkeln im Rechtssystem sucht, gibt es über das Ausmaß der Abmahnungen nur recht spekulative Zahlen. Die zunächst genannten 10.000 Nutzer basierten lediglich auf Website-Besuchen bei der Kanzlei WBS, die Abgemahnte vertritt. Die Kanzleien haben das Interesse, möglichst häufig neue und aufsehenerregende Abmahnwellen vermelden zu können. Sicher ist aber auch: Das Geschäftsmodell der Abmahnindustrie funktioniert nur, wenn möglichst massenhaft Nutzer abgemahnt werden können.
Trittbrettfahrer mit Abmahnungs-Spam
Abseits dieser Vorgänge kursieren mittlerweile auch E-Mails mit einer Zip-Datei im Anhang, die angeblich von der abmahnenden Kanzlei Urmann + Collegen stammen und wahrscheinlich Schadsoftware enthalten. Die bei uns im Spamordner gefundenen Mails haben unterschiedliche Betreffzeilen und eine namentliche Anrede. Sie sehen zum Beispiel so aus:
Zugleich zeigen die neuen Abmahnungen ein weiteres Mal, wie schwierig es für Nutzer geworden ist, sich im Internet zu bewegen, ohne zumindest auf Grauzonen zu stoßen. Selbst wer etwa Tauschbörsen komplett meidet, kann an anderer Stelle mit unerwarteten neuen Maschen konfrontiert werden. In dem vorliegenden Fall haben die Anwälte aber aller Wahrscheinlichkeit nach das Urheberrecht sehr deutlich überdehnt.
Wie reagiert man auf eine Abmahnung?
Wer tatsächlich eine Abmahnung für angebliches Videostreaming erhalten hat, sollte sie trotz aller rechtlichen Fragwürdigkeiten weder ignorieren noch einfach zahlen. Der Erstkontakt zu einem Anwalt ist kostenlos und empfiehlt sich in aller Regel. Wie es dann weitergeht, muss von Fall zu Fall entschieden werden. Mehr Informationen hat iRights.info im Artikel „Post vom Anwalt, was tun?” zusammengestellt.
4 Kommentare
1 Dunja Voos am 10. Dezember, 2013 um 19:31
Klasse finde ich ja auch, dass das Datum in der Zukunft liegt: Ich erhielt heute genau so ein Schreiben – man könne mir nachweisen, dass ich am 27.12.2013 gesurft habe.
Gut, dass heute erst der 10.12.2013 ist ;-)
2 Schmunzelkunst am 10. Dezember, 2013 um 20:13
Das bloße Betrachten am Bildschirm ohne flüchtige Zwischenkopie (Cachen) ist ebenso wie das Lesen eines Buches keine urheberrechtsrelevante Handlung. Wohl aber das Cachen. Nur ist dieses aufgrund der Schrankenregelung im § 44 a Nr. 2 unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt.
§ 44a Vorübergehende Vervielfältigungshandlungen
Zulässig sind vorübergehende Vervielfältigungshandlungen, die flüchtig oder begleitend sind und einen integralen und wesentlichen Teil eines technischen Verfahrens darstellen und deren alleiniger Zweck es ist,
1. eine Übertragung in einem Netz zwischen Dritten durch einen Vermittler oder
2. eine rechtmäßige Nutzung eines Werkes oder sonstigen Schutzgegenstands zu ermöglichen, und die keine eigenständige wirtschaftliche Bedeutung haben.
Die Zwischenkopien soll “eine rechtmäßige Nutzung eines Werkes oder sonstigen Schutzgegenstands ermöglichen”. § 44a Nr. 2 verlangt die rechtmäßige Nutzung,
die wegen der Urheberrechtsfreiheit das Empfangs auch bei nicht erlaubter Sendung vorliegen kann. Das hat mit der Bestimmung über die nicht erlaubten Privatkopien aus dubiosen Quellen (§53 UrhG) nichts zu tun.
MfG
Johannes
3 buzer am 10. Dezember, 2013 um 20:34
Wenn ich mir den Beschluss des LG Köln so anschaue (http://openjur.de/u/661957.html) und annehme, dass es um Streaming geht, kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass sich keiner der Beteiligten (Telekom, LG), Abmahner eh nicht, ernsthaft mit dem Thema befasst hat. Nach § 101 UrhG wäre bei Streaming gar kein Auskunftsanspruch gegeben. Damit ließe sich die Telekom in Anspruch nehmen, die das, was ich als Laie in 10min herausgefunden habe, locker hätte feststellen können – kein gewerbliches Ausmaß und vor allem kein Verfügbarmachen. Daher besteht kein Auskunftsanspruch und die Telekom wäre haftbar:
“Wer eine wahre Auskunft erteilt hat, ohne dazu nach Absatz 1 oder Absatz 2 verpflichtet gewesen zu sein, haftet Dritten gegenüber nur, wenn er wusste, dass er zur Auskunftserteilung nicht verpflichtet war.”
§ 101 Abs. 6 UrhG (http://www.buzer.de/s1.htm?a=101&g=urhg)
4 Schmunzelkunst am 13. Dezember, 2013 um 20:06
Weil in diesem Zusammenhang an vielen Stellen auf § 53 Abs. 1 hingewiesen hierzu noch ein Hinweis: Im Gegensatz zur privaten Nutzung ist in der gewerblichen Nutzung jeder Download ohne Erlaubnis des Rechteinhabers verboten (nicht nur der aus offensichtlich rechtswidriger Quelle). Deshalb gibt es den § 44a, der ganz allgemein (privat und gewerblich) den technischen notwendigen flüchtigen Download ohne eigenständige wirtschaftliche Bedeutung zulässt. Müsste man, um des Streaming zu rechtfertigen, auf § 53 zurückgreifen, bliebe das Streamimg in Dienstbetrieb generell verboten.
Im § 44a geht es nur um die rechtmäßige Nutzung und nicht um die Rechtmäßigkeit der Quelle. Auch eine Raubkopie kann rechtmäßig genutzt werden, sowohl privat als auch gewerblich.
MfG
Johannes
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