Schweizer Regierung: Massenabmahnungen und Netzsperren für ein „sauberes Internet“

Nach einer ersten zurückhaltenden Antwort spricht der Schweizerische Bundesrat nun Klartext, wie das Urheberrecht im Internet verschärft werden soll. Der Bundesrat befürwortet die Einführung von Netzsperren, Selbstjustiz und Überwachung im Sinn der umstrittenen Empfehlungen der einseitig zusammengesetzten Arbeitsgruppe zur Optimierung der kollektiven Verwertung von Urheberrechten und verwandten Schutzrechten (AGUR12) sowie nach Wünschen der amerikanischen Unterhaltungsindustrie und ihren reichlich subventionierten Verbündeten in der Schweiz.
Der Bundesrat schreibt, er wolle das „Urheberrecht modernisieren“ und „mit gezielten Massnahmen an die Realität des Internets anpassen.“ Dabei solle sich „die Situation für die Kulturschaffenden […] verbessern, ohne die Position der Konsumentinnen und Konsumenten zu verschlechtern.“ Das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) soll bis Ende 2015 einen entsprechenden Gesetzesentwurf ausarbeiten.
„Sauberes Internet“ für Verwerter
Für den Bundesrat bedeutet diese „Modernisierung“ im Wesentlichen die Einführung von repressiven Maßnahmen, deren Schaden offensichtlich ist, deren Nutzen für Kulturschaffende und Rechteinhaber hingegen auch bei wohlwollender Betrachtung fragwürdig. Leitgedanke scheint der Wunsch nach einem „sauberen Internet“ zu sein.
Für die Konsumentinnen und Konsumenten in der Schweiz bleibt, dass der Bundesrat verspricht, dem Datenschutz und den Rechtsweggarantien große Beachtung zu schenken – als ob „Beachtung schenken“ den Ansprüchen an einen Rechtstaat genügen würde. Außerdem soll der Download von urheberrechtlich geschützten Inhalten unabhängig von der Quelle in jedem Fall legal bleiben, wobei die Konsumenten in der Schweiz unter anderem dafür allerdings die weltweit höchsten pauschalen Urheberrechtsabgaben entrichten müssen.
Im bedauerlichen Ergebnis ist eine Modernisierung in Bezug auf das Urheberrecht im digitalen Raum, wie sie der Bundesrat schönfärberisch verspricht, nicht einmal in Ansätzen zu erkennen. Der Bundesrat strebt stattdessen ohne erstellten Handlungsbedarf ein verschärftes Urheberrecht an und nimmt in Kauf, rechtstaatliche Grundsätze wie insbesondere die Unschuldsvermutung und die Verhältnismäßigkeit zu verletzen.
Netzsperren und Zensur
Internet-Provider sollen auf „auf Anweisung der Behörden in schwerwiegenden Fällen den Zugang zu offensichtlich illegalen Inhalten oder Quellen sperren müssen.“
Bislang kennt die Schweiz keine staatliche Zensur-Infrastruktur mit Netzsperren, selbst Websites mit kinderpornografischen Inhalten werden lediglich freiwillig von einigen Internet-Providern gesperrt. Nun soll eine Zensur-Behörde eingerichtet werden, was zur kürzlich erhobenen Forderung nach Netzsperren gegen Internet-Geldspiele passt.
Warnhinweise und Massenabmahnungen
„Wer in schwerwiegender Weise gegen das Upload-Verbot verstösst […] kann schon heute rechtlich belangt werden. Die AGUR12 empfiehlt, dass fehlbare Konsumenten künftig mit einem aufklärenden Hinweis auf die möglichen Folgen ihres Handels hingewiesen werden. Dieser Hinweis gibt dem User die Möglichkeit, sein Verhalten zu ändern. Dauert der schwerwiegende Rechtsverstoß an, soll seine Identität nach den Vorstellungen der AGUR12 künftig dem Rechteinhaber gemeldet werden, damit dieser seine zivilrechtlichen Ansprüche geltend machen kann.“
Allein aufgrund von Behauptungen von Rechteinhabern sollen die Inhaber von Internet-Anschlüssen mit „aufklärenden Hinweisen“ belästigt und danach in Durchbrechung des Fernmeldegeheimnisses über die Bestandsdatenauskunft den Massenabmahnungen der Unterhaltungsindustrie ausgeliefert werden.
Die Unschuldsvermutung wird mit diesem „zivilrechtlichen Instrument“ außer Kraft gesetzt und es erfolgt eine Beweislastumkehr wie schon bei Massenabmahnungen in Deutschland, wobei Netzsperren – gegen Kinderpornografie und nicht etwa mutmaßliche Urheberrechtsverletzungen! – dort allerdings gescheitert sind.
Die Warnhinweise – und die dazu notwendige Überwachung – erinnern an die gescheiterte HADOPI-Behörde in Frankreich, auch wenn die Schweiz nun auf „HADOPI minus“ setzt und vorläufig zumindest den Internet-Zugang nicht sperren lassen möchte. Der Bundesrat erwähnt, dass ein rechtliches Vorgehen gegen Urheberrechtsverletzungen eigentlich heute schon möglich ist – allerdings mit bisweilen aufwändigen, aber rechtsstaatlichen Mitteln, während die Unterhaltungsindustrie Selbstjustiz bevorzugt. Geklärt werden soll noch, was unter „schwerwiegend“ zu verstehen ist.
„Notice and Takedown“- sowie „Stay down“-Verfahren
„Gemäss den Empfehlungen der AGUR12 sollen die Internetprovider dafür sorgen, dass rechtsverletzende Inhalte von ihren Plattformen entfernt und ferngehalten werden.“
Internet-Provider in der Schweiz sollen damit zu Hilfspolizisten der Unterhaltungsindustrie degradiert werden und auf Behauptungen von Rechteinhabern die Inhalte ihrer Nutzerinnen und Nutzer sperren sowie überwachen. Auch damit wird die Unschuldsvermutung außer Kraft gesetzt und es erfolgt eine Beweislastumkehr. Copyfraud, wie man ihn beispielsweise von Youtube her kennt, dürfte damit auch in der Schweiz stark zunehmen.
Immunität für Access- und Hosting-Provider
„[Den] neuen Pflichten bei der Bekämpfung der Internetpiraterie würde nach den Vorstellungen der AGUR12 eine Haftungsbefreiung der Provider gegenüberstehen.“
Eine solche Haftungsbefreiung wäre notwendig, damit die von Netzsperren, Überwachung und Zensur betroffenen Nutzerinnen und Nutzer nicht rechtlich gegen ihre Internet-Provider vorgehen können.
Martin Steiger ist Rechtsanwalt für IT-, Immaterialgüter- und Medienrecht in Zürich sowie Mitglied bei den Organisationen Digitale Allmend und Digitale Gesellschaft (Schweiz). Dieser Beitrag erschien zuerst bei Steiger Legal – Crosspost mit freundlicher Genehmigung.
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