Schwarz-Gelb: Gesetz gegen Massenabmahnungen kommt noch
„Der Gesetzentwurf wird in einer der nächsten Kabinettsitzungen beschlossen werden“, teilte das Pressereferat des Kulturstaatsministers Bernd Neumann (CDU) am Mittwoch gegenüber iRights.info mit. Noch befindet sich der Gesetzentwurf gegen unseriöse Geschäftspraktiken allerdings in der Ressortabstimmung. Es gehe um „kleinere Formulierungsfragen“. Im Grundsatz habe man mit dem FDP-geführten Bundesjustizministerium einen Kompromiss ausgehandelt, so der Neumann-Sprecher.
Am Dienstag hatte die DPA unter Berufung auf FDP-Kreise berichtet, das geplante Gesetz gegen Abzocke im Internet drohe wegen koalitionsinterner Streitigkeiten zu scheitern. Der FDP-Rechtspolitiker Marco Buschmann warnte – wohl an die Adresse von Staatsminister Neumann: “Wer hier blockiert, begibt sich in die Gefahr, als Schutzpatron dieser Massenabmahner wahrgenommen zu werden.“ Auf Anfrage von iRights.info will aber auch Buschmann von einem möglichen Scheitern nichts wissen. Die Koalitionsfraktionen hätten sich auf den Vorschlag des Bundesjustizministeriums geeinigt. „Daher gibt es keinen vernünftigen Grund, warum das Gesetz nicht in dieser Legislaturperiode zustande kommen sollte“, erklärte Buschmann am Mittwoch.
Das Gesetz betrifft auch die Telefonwerbung und das Inkassowesen. Strittig ist allerdings allein die Frage, wie mit massenhaften Abmahnungen wegen Copyright-Verstößen im Netz umzugehen ist. Einig sind sich die Bundestagsfraktionen und Verbraucherschützer darin, dass die Abmahnkosten für unrechtmäßiges File-Sharing insgesamt zu hoch sind. Sie liegen laut dem Verbraucherzentrale Bundesverband im Durchschnitt bei 800 Euro. Eine 2008 beschlossene Deckelung auf 100 Euro greift in der Praxis offensichtlich nicht. 2011 stellten Rechteinhaber und Anwaltskanzleien Forderungen von mehr als 165 Millionen Euro, schätzt die Interessengemeinschaft gegen den Abmahnwahn (IGGDAW).
Neumann: Seriöse Abmahnungen nicht stoppen
Die Koalition hatte sich nach langer Debatte darauf verständigt, den Streitwert bei Abmahnungen wegen Urheberrechtsverletzungen im Fall von Privatpersonen auf 1000 Euro zu begrenzen. Daraus würde folgen: Mehr als 155,30 Euro Gebühren können abmahnende Anwälte nicht mehr verlangen. Doch der für den 6. Februar im Kabinett geplante Kabinettsbeschluss wurde verschoben, weil Staatsminister Neumann intervenierte.
Neumann warnt, die generelle Streitwertdeckelung dürfe nicht dazu führen, dass Rechtsinhaber, deren Rechte in „erheblichem Maße“ verletzt werden, faktisch nicht mehr abmahnen können, weil sie auf einem Großteil der Kosten hängen bleiben, die bei der Rechtsverfolgung entstehen. „Hier bedarf es der Abstimmung einer Formulierungsdifferenzierung“, so sein Pressereferent. Unterstützung erhält Neumann von Verbänden der Musik- und Filmwirtschaft. „Es war wichtig, dass der Staatsminister hier die Notbremse gezogen hat“, erklärte Dieter Gorny, Präsident des Bundesverbands Musikindustrie (BVMI). Der Gesetzentwurf des Bundesjustizministeriums sei undifferenziert und sachfremd, kritisierte Manuela Stehr, Präsidentin der Spitzenorganisation der Filmwirtschaft. Er stelle den Wert kreativer Leistung vollig infrage, führe zu einer Bagatellisierung von Rechtsverletzungen im Internet und sei ein inakzeptables Signal für die Kreativwirtschaft und die Verbraucher.
Schutz nur für Ersttäter und einfache Fälle
Nun wird weiter an den Formulierungen gefeilt. Zwei Interessen prallen aufeinander. Die Rechteinhaber fürchten, das Gesetz behindere seriöse und gerechtfertigte Abmahnungen. Verbraucherschützer warnen dagegen davor, eine wirksame Deckelung der Abmahnkosten mit Ausnahmen wieder auszuhebeln.
Buschmann verteidigt den bisher erreichten Kompromiss. Das geplante Gesetz schütze nur den „Erst-Täter“, nicht Wiederholungstäter. Außerdem biete der aktuelle Entwurf bereits die Möglichkeit, höhere Kosten geltend zu machen, wenn dies „im Einzelfall“ erforderlich ist. Der Entwurf sieht vor, dass bei besonderer Schwere des Verstoßes auch ein höherer Streitwert angesetzt werden kann. Genau hier liegt der Hase im Pfeffer. An der schwierigen Abgrenzung zwischen einfachen und schweren Fällen wird sich entscheiden, ob die Praxis der Massenabmahnungen tatsächlich ein Ende hat. Es kommt auf jedes Wort im Gesetz an, wenn Gerichte Abmahnungen für angemessen halten oder eben nicht.
Mit Bezug auf die Praxis von Kanzleien, massenhaft vorformulierte Abmahnschreiben zu verschicken, kritisiert Buschmann die Position der Kreativwirtschaft. „In den vielen einfach gelagerten Fällen arbeiten die Rechteinhaber mit Textbausteinen, so dass die Deckelung hier angebracht ist, ohne den Wert kreativer Leistungen in Frage zu stellen.”
Digitale Gesellschaft: Nichts als Ärger
Der Netzaktivist Markus Beckedahl (Digitale Gesellschaft) erklärte gegenüber iRights.info, das Abmahnwesen sei nicht für den Missbrauch gegenüber Privatpersonen geschaffen worden, sondern für professionelle Akteure wie Unternehmen. Es gehöre insgesamt auf den Prüfstand. Die Argumentation der Musik- und Filmverbände nennt Beckedahl „überaus kurzsichtig“. „Kultur- und Kreativwirtschaft zeigen damit nur, dass sie das derzeitige Modell, das vor allem fragwürdige Anwaltskanzleien subventioniert, auf jeden Fall erhalten sehen möchte – koste es, was es wolle.“ Die bisherige Abmahnpraxis hat den Beteiligten laut Beckedahl „nichts als Ärger und unverhältnismäßig hohe Kosten gebracht und somit zur gefühlten Entwertung von kulturellen Gütern maßgeblich beigetragen“.
Wawzyniak (Linke): „Nicht mit Kanonen auf Spatzen schießen“
Halina Wawzyniak, netzpolitische Sprecherin der Linken im Bundestag, kommentierte gegenüber iRights.info, private Urheberrechtsverletzungen sollten auch als privat behandelt werden, nicht als kommerziell. „Anstatt mit Kanonen auf Spatzen zu schießen und eine Abmahnindustrie zu fördern, der es nur um ihre eigenen Gewinninteressen geht und nicht um die Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen, sollte sich die Kultur- und Kreativwirtschaft Gedanken darüber machen, wie sie ihre Geschäftsmodelle an die Möglichkeiten der digitalen Welt anpasst“, so Wawzyniak. Das sei immer noch das beste Mittel gegen private Urheberrechtsverletzungen. Die Linke hat im Juni ähnliche Regelungen vorschlagen wie das Justizministerium. „Ein Scheitern wäre daher sehr bedauerlich“, kommentiert Wawzyniak.
Bär (CSU) fordert verständliches Urheberecht
Auch die CSU-Netzpolitikern Dorothee Bär mahnt eine Einigung an. „Ich fände es natürlich schade, wenn das Gesetz, bei dem man ja eigentlich schon sehr weit war, nun doch scheitern sollte“, so Bär am Donnerstag gegenüber iRights.info. Der Gesetzentwurf aus dem Justizministerium sei durchaus fair gewesen. „Es handelt sich hier nicht um Schwerkriminelle, sondern um User, die zum ersten Mal von einem Rechteinhaber abgemahnt werden.“ Zugleich könne das Gesetz zur Deckelung der Abmahnkosten nur ein Teil eines Gesamtansatzes sein. „Wir müssen beispielsweise insgesamt ein Urheberrecht schaffen, dass auch von den Usern akzeptiert wird.“ Die Nutzer müssten auch wissen, wann sie gegen ein solches Recht verstoßen. „Das darf nicht erst durch ein Anwaltsschreiben geschehen.“
Kommt das Gesetz zu spät?
Während die Koalition intern an der Deckelung der Abmahnkosten gefeilt hat, scheint sich die eigentliche Problematik entschärft zu haben. Die Interessengemeinschaft gegen den Abmahnwahn verzeichnet einen deutlichen Rückgang der Abmahnungen gegen das illegale File-Sharing. 2012 könnten rund 80 Prozent weniger Abmahnungen verschickt worden sein als noch 2010, so eine Prognose (Siehe „Filesharing Abmahnwesen Deutschland 1. Halbjahr 2012, Seite 4). Über die Gründe lässt sich nur spekulieren. Die Abmahnpraxis könnte Nutzer vom File-Sharing abhalten oder dazu animieren, sich über eine Verschlüsselung der Verfolgung zu entziehen. Nutzer könnten vermehrt legale und illegale Streaming-Plattformen nutzen, statt das Risiko des File-Sharings einzugehen. Die steigende Zahl der Klagen durch betroffene Nutzer könnte die Praxis der Massenabmahnungen gebremst haben.
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