Schutzfristen und kulturelles Erbe: Nach 25 Jahren ist Schluss
Der Schutz des geistigen Eigentums ist im Zusammenhang mit dem sogenannten „Gesetz zur Angleichung des Urheberrechts an die aktuellen Erfordernisse der Wissensgesellschaft“ in jüngster Vergangenheit in unterschiedlicher Form thematisiert worden. Ist es in der derzeitigen Konstitution, in allen seinen Ausprägungen und mit seinen Schutzfristen noch zeitgemäß?
Ich denke nicht. Es scheint zwar etwas weit hergeholt, hier als Begründung für eine Reform die Digitalisierung heranzuführen, aber es trifft den Kern. Aufgrund der in vielen Bereichen infrage kommenden Formatänderungen – beispielsweise Papier in Dateien umzuwandeln oder Töne digital abzuspeichern – hat sich die Möglichkeit ergeben, urheberrechtliche Erzeugnisse leichter zu verbreiten und zugänglich zu machen.
Sonderregel für Kulturgut wäre schwer abgrenzbar
Nachdem sich die faktische Zugangsmöglichkeit damit immens erhöht hat, gilt es nunmehr, den rechtlichen Zugang zu erleichtern. Dies könnte man einerseits erreichen, indem man eine „Kulturgutschranke“ einführt. Danach dürften alle urheberrechtlichen Leistungen, die als kulturelles Erbe eingeordnet sind, gegen eine angemessene Vergütung von allen genutzt werden.
Die dafür notwendige Einordnung als Kulturgut ist jedoch problematisch. Soll sie inhaltlich erfolgen oder an bestimmte Institutionen gebunden bleiben? Jeder Versuch einer Definition führt zu unnötigen Konflikten. Denn wie soll der Gesetzgeber „kulturelles Erbe“ vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts definieren und es den unterschiedlichen Akteuren recht machen?
Einerseits könnte die kulturschaffende Person oder auch der Rechteinhaber besonderen Wert darauf legen, sein Erzeugnis als solches definiert zu wissen, weil sich daraus ein Imagegewinn ergeben könnte. Anderseits könnte sein Interesse auch dahin gehen, keine entsprechende Einordnung vornehmen zu lassen, damit das exklusive Verbreitungsrecht beim Rechteinhaber verbleibt und ein höherer wirtschaftlicher Erlös erzielt werden kann.
Was ist überhaupt Kultur?
Eine allgemeine Schranke für das kulturelle Erbe ist kaum umsetzbar. Bei der derzeitigen „Politik der kleinen Schritte“ bedarf es dringend einiger grundlegender Veränderungen, damit der gesellschaftliche Wandel möglich bleibt und Teile des kulturellen Erbes nicht verloren gehen. Auch João Pedro Quintais geht in seiner umfangreichen Monografie unter anderem der Frage nach, wie Massendigitalisierungen, die bei der Bewahrung des kulturellen Erbes von großer Relevanz sind, über eine Schranke oder Lizenz zufriedenstellend geregelt werden können. Sein Ergebnis lautet, dass derzeit keine entsprechende Lösung zur Verfügung steht.
Dass ein solches System wohl kaum harmonisiert weltweit etabliert werden kann, ziehen Sheldon W. Halpern und Phillip Johnson in ihrem gemeinsamen Werk „Harmonising copyright law and dealing with dissonance“ als wichtiges Zwischenfazit. Wann immer es um Kultur geht, so die Auffassung der beiden Autoren, ist der Disput vorprogrammiert, da das kulturelle Verständnis von Staat zu Staat, beziehungsweise von Region zu Region, sehr unterschiedlich sein kann, wodurch sich schon eine nationalstaatliche Lösung auf dieser Ebene schwierig gestaltet.
Schutzfristen wurden immer länger
Letztlich wäre eine solche „Kulturgutschranke“ auch lediglich ein Herumlaborieren an Symptomen, ohne dass der Kern des Problems gelöst wird, der auch – aber nicht nur – in den Problemen bei der Digitalisierung des kulturellen Erbes zum Ausdruck kommt: Die Schutzfristen des Urheberrechts sind zu lang.
Die „Statue of Anne“ – das in England 1710 verabschiedete erste moderne Urheberrechtsgesetz – sah einen Schutz von lediglich 14 Jahren vor, der ein einziges Mal um die gleiche Frist verlängert werden konnte. Das Fotografienschutzgesetz von 1876 sah eine Schutzfrist von fünf Jahren vor – heute ist bei Fotos nahezu immer von einer Schutzfrist von 70 Jahren nach Tod des Fotografen auszugehen. Diese Schutzfrist von 70 Jahren nach dem Tod des Urhebers hat sich in Deutschland bei allen Werkarten etabliert.
Seit Entstehung des Urheberrechts wurden die Schutzfristen kontinuierlich verlängert. Verkürzungen wurden nur unter Ökonomen diskutiert, die die negativen Auswirkungen der durch das Urheberrecht entstehenden überlangen Monopolrechte kritisierten. Von Juristen wird diese Kritik hingegen kaum reflektiert. Dabei wäre die übergroße Mehrheit von Werken und damit auch von Kreativen und Verwertern von einer drastischen Reduzierung der Schutzfrist überhaupt nicht betroffen. Insgesamt ist das Urheberrecht ein Recht, das von der Interessenlage einer kleinen Minderheit eine allgemeinverbindliche Regelung ableitet.
Wertungen passen nicht mehr zur Alltagskreativität
Angesichts der sehr geringen Anforderungen an Kreativität und persönlich-geistige Schöpfung, die heute schon dazu führen, dass Werke zumindest als „kleine Münze“ geschützt werden, gilt Vieles als Werk oder ist zumindest urheberrechtlich geschützt, auch wenn die dem Urheberrecht zugrundeliegenden Gedanken und Bewertungen schlicht nicht passen: Alltagsprodukte der Kreativität werden immer verbreiteter – man denke nur an Fotografie, deren Nutzung sich exponentiell vervielfacht hat; oder auch an Flugblätter oder Plakate, die gemacht werden, um möglichst weit verbreitet zu werden.
Hier passen die Bewertungen des Urheberrechts weder auf die Interessen des „Schöpfers“ noch auf spätere Nutzer. Die Entstehung und inzwischen sehr starke Verbreitung freier Lizenzen, insbesondere der Creative-Commons-Lizenzen, sind ein Beleg dafür, dass die Bewertungen des Urheberrechts in vielen Fällen als zu restriktiv empfunden werden.
Ab einem zeitlichen Abstand zur erstmaligen Veröffentlichung eines Werkes ‒ wenn die kommerziellen Auswertungsmöglichkeiten in den Hintergrund treten ‒ wird der urheberrechtliche Schutz bei der Verbreitung zu einer bloßen Hürde. Es ist häufig unklar, wer welche Rechte an älteren Werken hat ‒ eine Unsicherheit, die einer weiteren Nutzung entgegen steht und damit im Widerspruch zu den Interessen von Kreativen darstellt, die Werke erschaffen, die rezipiert werden sollen.
25 Jahre Schutz als Regel
Aus ökonomischer Sicht ist es so, dass die gewöhnlichen Refinanzierungszyklen sehr kurz und meist nach wenigen Jahren abgeschlossen sind. Nur sehr wenige Werke werden länger als fünf oder zehn Jahre kommerziell ausgewertet. Das Urheberrechtsgesetz selbst geht in den Paragrafen 70 und 71 bei wissenschaftlichen Ausgaben und nachgelassenen Werken davon aus, dass 25 Jahre Schutzfrist für die Refinanzierung von Investitionen ausreichen. Vor der Reform von 1990 waren dies lediglich zehn Jahre und es ist nicht ersichtlich, dass die Verlängerung zu mehr Investitionen geführt hätte.
Gleichwohl soll hier die Schutzfrist der Paragrafen 70, 71 UrhG zum Maßstab genommen werden. Vorgeschlagen wird, die gewöhnliche Schutzfrist des Urheberrechts auf 25 Jahre zu begrenzen. Von einer solchen Reduzierung der Schutzfrist wären die allermeisten Werke überhaupt nicht betroffen, da sie nicht mehr kommerziell ausgewertet werden und es würden nahezu alle Probleme, die zurzeit aufgrund des Urheberrechts bei der Digitalisierung des kulturellen Erbes bestehen, gelöst.
Nach 25 Jahren sind Werke in der Regel nicht mehr für Verwertungen interessant, sondern werden Teil der kulturellen Überlieferung. Ihr Wert besteht in der Möglichkeit, nachfolgenden Generationen gegenüber als Schlüssel zum Verständnis ihrer Entstehungszeit sowie als kulturelle Wurzeln zu fungieren. Das tun sie in der Regel auch nur deshalb, weil öffentlich finanzierte Gedächtnisinstitutionen sich ihrer annehmen.
Verlängerung durch Registrierung
Um den kommerziellen Interessen von Rechteinhabern entgegenzukommen, könnte eine Verlängerung dieser Schutzfrist ermöglicht werden. Diese bedarf aber des aktiven Handelns und tritt nicht automatisch ein. Wenn man den zeitlichen Rahmen für die Möglichkeit von Verlängerungen auf die heute allgemein geltenden Fristen – in der Regel 70 Jahre nach dem Tod des Urhebers – ausdehnt, entginge man auch dem Vorwurf, den Urhebern beziehungsweise den Rechteinhabern etwas wegzunehmen, sie zu enteignen. Diese behalten die Möglichkeit, ihre Rechte auch in Zukunft weit über die gewöhnliche Frist von 25 Jahren geltend zu machen ‒ sofern sie dies aktiv betreiben und sich dafür entsprechend registrieren ließen.
Ein Entgegenkommen gegenüber den Rechteinhabern von „Longsellern“, das heißt von Werken der Popkultur, die über einen sehr langen Zeitraum kommerziell ausgewertet werden, erscheint auch ein Gebot politischer Klugheit: Alle Verlängerungen von Schutzfristen der letzten Jahre waren getrieben von dem Wunsch der Rechteinhaber, solche Werke weiter auswerten zu können.
Indem die zwingende Verbindung zwischen der Schutzfrist für diese Werke – die wirklich eine extreme Ausnahme sind – und allen übrigen Werken aufgehoben wird, muss das kulturelle Erbe nicht mehr insgesamt für die wirtschaftlichen Interessen weniger in Geiselhaft genommen werden. Eine Befreiung des kulturellen Erbes wird gegen eine gut organisierte Lobby nur durchsetzbar sein, wenn auf die Interessen von beispielsweise den Schöpfungen Walt Disneys oder den Tonträgerherstellern der Aufnahmen der Beatles Rücksicht genommen wird.
Urheberschutz und Gemeinfreiheit
Was ist also zu tun? Wichtig ist, sich im Hinblick auf die Kultur und ihre Werke klar zu machen, dass die Gemeinfreiheit die Regel und der urheberrechtliche Schutz die – begründungsbedürftige – Ausnahme ist. Alexander Peukert schreibt in seinem Werk „Die Gemeinfreiheit“ darüber und stellt unter anderem fest:
Die Gemeinfreiheit genießt [in Deutschland] keine solche Aufmerksamkeit. Im Gegenteil, sie kann gerade geradezu als Nicht-Thema bezeichnet werden. In den politischen Vorhaben zur Informationsgesellschaft spielt sie keine nennenswerte Rolle.
Gemeinfreiheit ist jedoch die Voraussetzung dafür, dass ehemals urheberrechtlich geschützte Objekte erlaubnis- und vergütungsfrei genutzt werden können. In einer Welt, in der alles geschützt wäre, könnte nichts Neues entstehen.
Verkürzung schlägt mehrere Fliegen mit einer Klappe
Eine Verkürzung der gewöhnlichen Schutzfrist würde der Kreativität heute und der künftigen Produktion kultureller Güter erhebliche Impulse geben: Durch die Digitalisierung ist die Kulturproduktion schnelllebiger geworden. Nachweislich sind die Entstehungsprozesse kreativer Leistungen insgesamt kürzer. Nach Berechnungen aus der Betriebswirtschaftslehre können aufgrund der Digitalisierung in einzelnen Fällen Zeitersparnisse bis zu 92 Prozent erzielt werden. Überlange Schutzfristen wirken hier lähmend.
Hinderlich wirkt dabei nicht nur die Länge der Schutzfristen an sich, sondern auch die Unterschiede dieser Fristen – abhängig davon, ob es sich um Urheberrechte oder Leistungsschutzrechte handelt. Eine Verkürzung der Fristen würde dieses Ungleichgewicht harmonisieren.
Mit einer deutlichen Verkürzung der Schutzfristen würden also gleich mehrere Ziele erreicht: Kreativität würde gefördert, indem leichter auf schon bestehende Werke aufgebaut werden kann. Die Verbreitung älterer Werke würde gefördert, weil dieser nicht mehr die häufig unklare Rechtesituation entgegen stünde. Und schließlich würde die Arbeit von Gedächtnisinstitutionen ermöglicht. Notwendigerweise wäre eine Änderung der urheberrechtlichen Regelungen zur Schutzdauer des Urheberrechts in den Paragrafen 64 ff. Urheberrechtsgesetz vorzunehmen.
Internationale Verträge sind nicht in Stein gemeißelt
Was könnte einer solchen Verkürzung der Schutzdauer entgegen stehen? Dies ist vor allem die Einbindung des deutschen Urheberrechts in europäische und internationale Vereinbarungen. Art. 7 der Revidierten Berner Übereinkunft zum Schutz von Werken der Literatur und Kunst beispielsweise sieht in Abs. 1 eine Schutzdauer von 50 Jahren nach dem Tod des Urhebers vor. Dabei wird den Vertragsstaaten in Abs. 6 lediglich eine Verlängerung, nicht aber eine Verkürzung gestattet. Da diese Vorschriften wohl keiner anderen Auslegung zugänglich sind, müsste eine Änderung erreicht werden. Das ist sicher ein sehr schwieriges Unterfangen, haben doch die „Copyright Wars“ der vergangenen Jahre zu einer erheblichen Verhärtung der unterschiedlichen Positionen geführt. Auch deshalb erscheint der oben bereits geäußerte Gedanke richtig, dem Rechteinhaber eine Verlängerung des gewöhnlichen Schutzes weiter zu ermöglichen.
Es erscheint auch falsch, Änderungen der internationalen Vereinbarungen für unerreichbar zu halten. Die Berner Übereinkunft von 1887 ist einer der ältesten internationalen Verträge überhaupt und wurde seit seiner Verabschiedung mehrfach revidiert. Warum sollte nicht auch jetzt, wo sich infolge der Digitalisierung die Voraussetzungen für die Produktion und Nutzung von Werken so radikal verändert haben, eine erneute Revision möglich sein? Zumal die Übereinkunft auch in ihrer jetzigen Form in bestimmten Konstellationen nach Abs. 4 eine Verkürzung der Schutzdauer, beispielsweise für Werke der Fotografie zulässt.
Heute mag die Verkürzung der Schutzfristen als Utopie erscheinen. Das muss nicht so bleiben. Es hat sich so viel und so Grundlegendes im Umgang mit kulturellem Erbe geändert, dass es zunehmend utopisch erscheint, hergebrachte Wertungen aus der analogen Zeit weiter durchsetzen zu wollen. Dabei ist der Konsens über die Notwendigkeit einer Lockerung des restriktiven Urheberrechts weiter als gedacht. Fair Use in den USA, freie Lizenzen überall auf der Welt, Kollektivlizenzen in den skandinavischen Staaten: All dies sind Ansätze, die negativen Folgen urheberrechtlicher Restriktion zu überwinden. Doch statt solcher punktueller Lösungen wäre es an der Zeit, an die Wurzel des Übels zu gehen: die überlangen Schutzfristen.
Der Beitrag ist dem soeben erschienenen Buch „Mit gutem Recht erinnern“ (Hamburg University Press, 2018) entnommen. Der von Paul Klimpel herausgegebene Band versammelt Vorschläge und Überlegungen für bessere rechtliche Rahmenbedingungen beim kulturellen Erbe. Die elektronische Fassung ist frei verfügbar. Lizenz dieses Beitrags: Creative Commons Namensnennung (CC BY 4.0).
1 Kommentar
1 stephan soder am 11. Juli, 2018 um 14:29
Sehr geehrte Damen und Herren,
die Freiheit von Kunst und Wissenschaft ist in Art. 5(3) GG garantiert. Die Klassische Musik ist urheberrechtsfrei und hat bereits alle musikalisch sinnvollen Melodien durchgespielt. D.h. jede heute entstandene Melodie kann auf die urheberrechtsfreie Klass. Musik zurückgeführt werden (erste Quelle). Daher ist das Urheberrecht eine Anmaßung von Egoisten. Unsere Altvorderen, die noch an Gottes Herkunft ihrer Kompositionen glaubten, würden sich Angesichts des heutigen Geschachers im Grabe umdrehen. Es ist ein frecher Diebstahl an Gemeinbesitz und sollte entsprechend geahndet werden. Das Urhebergesetz auf Musik muss fallen.
Was sagen Sie dazu?