Schrankenregelung: Kommt die Vergütungspflicht für Zitierfreiheit, Panoramafreiheit, Parodie und Co.?
Die Urheberrechtsreform ist voll im Gange. Die Bundesregierung hat den „Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung des Urheberrechts an die Erfordernisse des digitalen Binnenmarktes“ beschlossen. Der Gesetzentwurf muss nun Bundesrat und Bundestag passieren.
Die Umsetzung der hoch umstrittenen EU-Urheberrechtsrichtlinie in deutsches Recht ist ein Kompromiss: Alle Beteiligten, also Nutzer*innen, Urheber*innen, Rechteinhaber*innen und Intermediäre (wie Plattformbetreiber) sollen ein Stück vom Kuchen bekommen.
Größte Streitpunkte des Gesetzentwurfs sind der Upload-Filter, die Roter-Knopf-Regelung und die Bagatellgrenzen (iRights.info berichtete).
Was die neue Regelung noch vorsieht: Beispiel Panoramafreiheit
Eine andere Neuerung hat bislang weniger Aufmerksamkeit erregt: Nach Paragraf 5 Absatz 2 des Regierungsentwurfs sollen die Schrankenbestimmungen auf Plattformen, zum Beispiel die Zitat- und Parodieschranke, vergütungspflichtig werden.
Was das konkret bedeutet, lässt sich an einem einfachen Beispiel darstellen: Ein Interview mit Jens Spahn in der Tagesschau, bei dem im Hintergrund die Reichstagskuppel des Architekten Sir Norman Foster zu sehen ist, ist derzeit vergütungsfrei. Dies ergibt sich aus der Schrankenregelung der Panoramafreiheit. Zwar steht das Urheberrecht an Bauwerken in der Regel dem Architekten zu. Die Panoramafreiheit umfasst jedoch Bauwerke, sodass die Tagesschau für ein solches Bild weder Rechte einholen noch eine Vergütung zahlen muss. Die ARD darf das Interview samt Reichstagskuppel im Hintergrund im Fernsehen ausstrahlen und auch in die Mediathek stellen.
Nach dem Gesetzentwurf würde sich die Vergütungsfreiheit ändern: Wenn das Video mit der Reichstagskuppel auf einer Plattform wie YouTube hochgeladen wird, müsste YouTube als Diensteanbieter dann an den Architekten Foster eine Vergütung zahlen.
Gesundheitsminister Spahn: App erst in mehreren Wochen https://t.co/aVkcToCnZq #CoronavirusDE #CoronaApp
— tagesschau (@tagesschau) April 26, 2020
Mit Upload-Plattformen im Fokus: Geraten Rechte von Nutzer*innen aus dem Blick?
Till Kreutzer, Rechtsanwalt bei iRights.Law und Herausgeber von iRights.info, sieht die Neuerung skeptisch: „Das Urheberrecht ist ein fein aufeinander abgestimmtes Konzept eines sehr komplexen Interessenausgleiches. Jeder bekommt etwas, muss aber auch etwas geben. Durch die neue Vergütungspflicht auf Plattformen entsteht eine neue Komplexität, die das Konzept der Schrankennutzung und der Wahrnehmung von Grundrechten belastet und verkompliziert.“ Entsprechend hält Kreutzer die geplante Änderung für eine schlechte Idee.
Bei dem Gesetzentwurf handelt es sich eher um ein Paket von Gesetzesentwürfen: Neben Änderungen im bestehenden Urheberrechtsgesetz (UrhG) sieht der Entwurf auch die Schaffung eines neuen Urheberrechts-Diensteanbieter-Gesetzes (UrhDaG) vor, das sich an die Anbieter von Upload-Plattformen richtet.
Das UrhDaG soll sicherstellen, dass Upload-Plattformen für Inhalte, die sie Nutzer*innen zugänglich machen, grundsätzlich urheberrechtlich verantwortlich sind. Wie das genau funktionieren soll, wird derzeit diskutiert, zuletzt bei der Expertenanhörung im Bundestag vergangenen Montag.
Bislang müssen Plattformen Inhalte nur dann entfernen, wenn sie auf eine Urheberrechtsverletzung hingewiesen werden. Das ändert sich nun: Lädt eine Nutzerin ein Video auf YouTube hoch, muss YouTube gewährleisten, dass dieses Video keine Urheberrechte verletzt. Umgekehrt bedeutet das: Inhalte, die nicht lizenziert sind oder anderweitig gesetzlich nicht erlaubt sind, müssen gelöscht und dürfen nicht mehr verfügbar gemacht werden. Da das bei großen Plattformen nur automatisch machbar ist, liefe es in der Konsequenz auf die flächendeckende Einführung von Upload-Filtern hinaus.
Schrankennutzung ist nicht gleich Schrankennutzung: Auf das „Wo“ kommt es an
Das neue Gesetz führt damit zu verschiedenen Folgen, abhängig davon, wo eine Schrankennutzung erfolgt: Für eine Video-Parodie einer Bloggerin, die sie auf YouTube veröffentlicht, wäre die Plattform vergütungspflichtig. „Aber wenn die YouTuberin auch noch einen Video-Blog hat und dasselbe Video mit demselben Inhalt dort hochlädt, dann kostet das nichts“, so Kreutzer.
Gleiches gälte für Zitate oder öffentliche Reden: „Nach den geltenden Bestimmungen darf eine öffentliche Rede publizistisch veröffentlicht werden und generell ist das auch nicht vergütungspflichtig. Andernfalls“, so Kreutzer weiter, „würde das zu erheblichen Einschränkungen für die Publikationsfreiheit, die Meinungsfreiheit und die Freiheit, über politische Prozesse öffentlich Bericht zu erstatten, führen.“
Die neue Rechtslage brächte deutliche Veränderungen für die Kommunikation im digitalen Raum: „Wenn aber die öffentliche Rede auf Facebook geteilt wird, soll Facebook dafür etwas bezahlen,“ beschreibt Kreutzer die geplante Regelung. „Das ist etwas ganz Neues im Urheberrecht, was es so noch nicht gegeben hat.“
Warum Schranken im Urheberrecht so wichtig sind
Die Schranken des Urheberrechts sind im 6. Abschnitt des Urheberrechtsgesetzes, genauer gesagt in den Paragraphen 44a – 63a festgelegt. Es sind Ausnahmeregelungen, die eine Verwendung urheberrechtlich geschützter Werke auch ohne die Zustimmung des Rechteinhabers erlauben.
Schrankenbestimmungen schränken die Rechte der Urheber*innen also in gewisser Weise ein, gewährleisten im Gegenzug aber, dass jede*r die Möglichkeit hat, sich mit urheberrechtlich geschützten Werken – im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben – kritisch auseinanderzusetzen. Dadurch kann jede*r die eigenen Grundrechte, wie beispielsweise die Meinungs-, Presse- oder Wissenschaftsfreiheit, ausüben.
Schranken fördern die kulturelle Auseinandersetzung mit Inhalten
Einige Schrankenbestimmungen sind zudem nicht vergütungspflichtig, weil sie einen besonders bedeutenden Grundrechtbezug haben. Für die freie Berichterstattung, die Publikations- und Kommunikationsfreiheit sind die Schranken des Urheberrechts damit essenziell: Kaum eine Berichterstattung kommt ohne Schrankennutzung aus, sei es durch Zitate, öffentliche Reden oder die Panoramafreiheit. Parodien und Pastiches sind wichtige kulturelle Formate der Auseinandersetzung. Und in der Wissenschaft spielt die Zitierfreiheit eine überragende Rolle.
Wird die neue Regelung der Praxis gerecht?
Das Gesetz lässt viele Aspekte offen. Etwa die Frage, wie die Vergütung genau ausgestaltet sein soll. Auch ist noch nicht geklärt, welche Plattformen von der Regelung überhaupt betroffen sind.
Auch Kreutzer sieht viele Fragen unbeantwortet: „Das Gesetz baut mit der Vergütungspflicht eine zusätzliche Hürde auf. Sobald jemand zahlen muss, wird es problematisch: Was passiert, wenn eine Plattform nicht zahlen will? Wird dann mehr geblockt? Wie soll diese Zahlung bemessen werden? Und wie verhalten sich diese Zahlungen zu den Lizenzzahlungen, die die Plattformen ja auch leisten müssen?“
Auch ist nicht absehbar, wie die betroffenen Plattformen mit der Neuregelung umgehen könnten: „Sie können die zusätzliche Vergütungspflicht zum Beispiel auf die Werbekosten oder die Kosten für zahlungspflichtige Abonnements abwälzen. Klar ist aber“, so Kreutzer, „dass ein Effekt entstehen wird, für den am Ende die Nutzer*innen die Zeche zahlen, durch mehr kostenpflichtige Inhalte, mehr Werbung, mehr Blockierungen.“
Das befürchten auch Urheberrechtsforscher*innen, die sich bereits vor dem Beschluss der Regierung über den Gesetzentwurf dagegen ausgesprochen hatten, Zitate und Parodien für Plattformen kostenpflichtig auszugestalten: Wer die Schrankenregelungen auf Plattformen vergütungspflichtig mache, werde sich „schnell Forderungen ausgesetzt sehen, auch von anderen Intermediären (Presse, Film, Rundfunk) eine Vergütung zu fordern – mit unüberschaubaren Risiken für die Presse-, Kunst- und Meinungsfreiheit“, so die Unterzeichner*innen in ihrem Positionspapier.
Wie geht es weiter?
Die Zeit drängt. Bis zum 7. Juni 2021 muss die Umsetzung der EU-Richtlinie in deutsches Recht erfolgt sein. Ob die Frist eingehalten werden kann, ist unklar. Die erste Debatte im Bundestag hat bereits gezeigt, dass das Gesetz politisch sehr umstritten und der Redebdarf groß ist.
Wie die Plattformen auf die Neuregelungen reagieren werden, ist ebenfalls ungewiss. Im Zweifel werden irgendwann die Gerichte entscheiden müssen, wie die Schrankennutzung vergütet werden wird.
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