„Sample-Amnestie“: EMI-Experiment umwirbt Musikproduzenten

EMI Music Publishing hat dazu Anfang September eine Erklärung veröffentlicht, in der eine „Sample-Amnestie“ ankündigt wurde. Musiker, Produzenten und andere Künstler, die bereits nicht genehmigte Sound-Samples genutzt haben, sollen diese nun lizenzieren können, ohne dass Rechtsstreit und Schadensersatz drohen. Das Angebot des Musikverlags ist bis zum 31. Januar 2016 befristet.
Künstler könnten somit Samples legitimieren und Rechtssicherheit erhalten, „neue kreative Nutzungsmöglichkeiten der weitreichenden Archive“ würden möglich, erklärt der Musikverlag. EMI Production Music, seit 2012 eine Unterabteilung des Musikverlags Sony/ATV Music Publishing, hält Rechte an rund 1,3 Millionen Songs.
Sampling in der Musikproduktion – und vor Gericht
In der Musikproduktion stellt das digitale Sampling eine der wichtigsten technischen Innovationen der letzten Jahrzehnte dar. Mit den Sampling-Geräten seit den frühen 1980er Jahren wurde es möglich, Klangausschnitte direkt aus Musikaufnahmen herauszugreifen, als digitale Kopien zu bearbeiten und in eigenen Stücken zu verwenden. Zuvor wurden kurze Phrasen, die ein Musiker benutzen wollte, meist neu eingespielt. Klangliche Besonderheiten einer Aufnahme wie das charakteristische Timbre eines Instruments oder das Knistern einer Schallplattenaufnahme gingen so jedoch verloren.
Bei Samples kommen urheberrechtlich betrachtet häufig mehrere Rechte ins Spiel: Urheberrechte an der Komposition, daneben Leistungsschutzrechte von Interpreten und Tonträgerherstellern an der konkreten Einspielung und der Aufnahme. Viele Sample-basierte Musikstücke erscheinen ohne korrekte Rechteklärung. Bekannt wurde der Rechtsstreit zwischen dem Produzenten Moses Pelham und der Gruppe Kraftwerk. Pelham hatte ein Sample aus Kraftwerks Stück „Metall auf Metall“ (1977) ohne Zustimmung der Band verwendet. Das Sample selbst ist knapp zwei Sekunden lang und besteht lediglich aus einem metallisch-industriell klingenden Doppelschlag.
Der Bundesgerichtshof entschied, dass Pelham sich nicht auf das Recht der freien Benutzung berufen könne, um den kurzen Ausschnitt in einem völlig neuen Werk zu verwenden. Das Sample verletze dennoch Leistungsschutzrechte an der konkreten Aufnahme. Laut dem Guardian bezieht sich das EMI-Angebot sowohl auf die Rechte an der Komposition wie auch an der Aufnahme.
Reaktion nach Jahrzehnten des Samplens
EMI Production Music lobt seine Offerte selbst als „innovative Aktion“. Sie sollte dennoch nicht als bloßes Marketing verstanden werden. Obwohl Sampling seit mehr als drei Jahrzehnten zu den Standardmethoden der digitalen Musikproduktion zählt, hat bislang kein anderes Majorlabel und kein Musikverlag ein solches Angebot gemacht. EMI geht mit dem Angebot gezielt auf samplende Musiker zu und umwirbt sie. Neben einem einträglichen Lizenzgeschäft dürfte sich der Musikverlag auch genaueres Wissen über Musiker, Produzenten und deren Sample-Nutzung erhoffen, wie die Autoren der Website djbooth.net schreiben.
Denn gerade bei Musik, die teilweise oder vollständig aus ungeklärten Samples besteht, ist die Veröffentlichung bislang stets eine heikle Angelegenheit. Musiker bleiben oftmals auf kleine Labels und Eigenpressungen mit bewusst gering gehaltener Reichweite beschränkt oder veröffentlichen allein im Netz. EMI jedoch kann nun gezielt auf Nachwuchskünstler zugehen oder Remix-Compilations zusammenstellen.
In der Erklärung findet sich jedoch auch eine wichtige Einschränkung: „Gleichwohl werden unlizenzierte Samples, die von Sony/ATV selbst entdeckt wurden, nicht von der Amnestie abgedeckt“. Wer sich dazu entschließt, einen bereits veröffentlichten, Sample-basierten Song zur Nachlizenzierung einzureichen, sollte also darauf gefasst sein, dass dennoch weitere, nicht genehmigte Samples bekannt werden können.
Anzeichen eines Wandels
Selbst versierte Beobachter der Sampling-Szene wie die Betreiber der Datenbank whosampled.com wissen offenbar noch nicht so genau, wie sie den Vorstoß interpretieren sollen. Trotz der zeitlichen Begrenzung der Offerte „scheint sie auf eine konstruktive und tolerante Haltung gegenüber dem Stellenwert Sample-basierter Musik hinzudeuten“, heißt es dort vorsichtig.
Der Schlagzeuger und Produzent Questlove von der Hip-Hop-Gruppe The Roots äußert sich zwiespältig:
Samplers & Producers: this is either the GREATEST NEWS EVER…..or a hell of a trap http://t.co/Utsqghv00j what say y’all?!
— Questlove Gomez (@questlove) September 2, 2015
Die kurze Zeitspanne der „Amnestie“ lässt auch den Schluss zu, dass es sich um ein musikindustrielles Experiment handelt. Führt es nicht zu den gewünschten Ergebnissen, wird das Angebot eingestellt. Funktioniert es erfolgreich, könnte die Vorgehensweise ausgedehnt oder sogar eines Tages zur neuen Strategie erhoben werden. Das scheint zum jetzigen Zeitpunkt zwar unwahrscheinlich, aber nicht ausgeschlossen.
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