Sachverständiger: Leistungsschutz-Entwurf verfassungsrechtlich bedenklich

„Der Gesetzesentwurf wird einhellig von deutschen Urheberrechtlern zu Recht abgelehnt“, heißt es gleich zu Beginn von Spindlers Stellungnahme, die der Bundestag am Donnerstag veröffentlicht hat. Dabei nimmt Spindler Bezug auf eine LSR-kritische Erklärung des Max-Planck-Instituts für Immaterialgüter- und Wettbewerbsrecht, die er gemeinsam im November 2012 mit 15 Kollegen des GRUR-Fachausschusses Urheber- und Medienrecht unterzeichnet hat.
Spindler (Georg-August-Universität Göttingen) ist als Sachverständiger zur ersten LSR-Anhörung im Rechtsausschuss des Bundestages am 30. Januar geladen. Auch zur Anhörung geladen ist Till Kreutzer, Redakteur und Autor von iRights.info, der die Initiative gegen ein Leistungsschutzrecht (IGEL) gegründet hat.
Das LSR sieht vor, dass Presseverlegern das ausschließliche Recht zugestanden wird, ihre Presseerzeugnisse oder Teile davon zu gewerblichen Zwecken im Internet zugänglich zu machen. Gewerbliche Anbieter wie Suchmaschinenbetreiber und News-Aggregatoren sollen dafür künftig ein Entgelt an die Verlage zahlen. Unternehmen wie Google, Yahoo oder Rivva müssten also eine Gebühr an die Verlage abführen, wenn sie deren Artikel mit Überschrift und einem Mini-Textauszug (‚Snippet‘) verlinken.
Prinzipiell kritisiert Spindler, dass LSR sei innerhalb des Urheberrechts systemwidrig, wenn es nur für eine bestimmte Veröffentlichungsform (Internet) und nur für bestimmte Nutzer (Suchmaschinen und verwandte Dienste) gilt. Es rücke gefährlich nahe zum „einzelfallbezogenen Gesetz“, das verfassungsrechtlich nicht zulässig ist.
Zweifel am Handlungsbedarf
Der Jurist sieht außerdem Widersprüche zur Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH). Der BGH habe herausgearbeitet, „dass derjenige, der seine Inhalte im Internet nur gegen Entgelt verwerten möchte, selbst entsprechende Schutzmaßnahmen gegen den Zugriff der allgemein bekannten Dienste ergreifen muss.“
Presseverlage können die Verlinkung ihrer Artikel und die Anzeige der Snippets durch Suchmaschinen schon heute technisch verhindern – ein häufig vorgebrachtes Argument gegen das LSR. Hierfür müssen die Verlage ihrer Internetsite eine Datei (die so genannte „robots.txt“) hinzufügen und dort entsprechende Einstellungen vornehmen.
LSR-Befürworter wie Günter Krings, stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, argumentieren dagegen, diese Möglichkeit reiche nicht. „Auch bei einer Abänderung der robots.txt sind die Verlage nicht vor einer unberechtigten gewerblichen Nutzung ihrer Inhalte sicher, denn sie können schließlich immer noch kopiert werden“, so Krings im Interview mit iRights.info. Krings argumentiert, Verlage müssten sich mit einem eigenen Recht dagegen wehren können, dass etwa Newsaggregatoren Bezahlschranken (“Paywalls”) unterlaufen und freien Zugang zu kostenpflichtigen Artikeln bieten.
Spindler sieht die Verlage dagegen sehr wohl in der Lage, sich technisch gegen die Übernahme ihrer kostenpflichtigen Inhalte zu schützen – die im Fall der großen Suchmaschinen auch gar nicht komplett, sondern nur in kleinen Teilen erfolge, eben in Form der Snippets. So seien kostenpflichtige Nachrichten der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) teilweise nicht frei im Netz zugänglich. „Ein Marktversagen, bei dem der Gesetzgeber durch Schaffung eigener Rechte eingreifen müsste, liegt gerade nicht vor.“
Eine Win-Win-Situation?
Das LSR soll laut Bundesregierung die Verlage vor „systematischen Zugriffen auf die verlegerische Leistung“ durch Anbieter von Suchmaschinen und Diensten schützen. Spindler sieht aber im Grunde eine Situation, bei der beide Seiten voneinander profitieren: „Ohne Suchmaschinen wären viele Inhalte nicht derart einfach auffindbar, ohne Inhalte wären Suchmaschinen ihrerseits sinnlos.“ Auch die Verlage hätten Vorteile durch die Verlinkung ihrer Artikel: „Inhalteanbieter profitieren von Suchmaschinen durch den Vervielfältigungseffekt, erst recht, wenn Suchende auf ihre Seiten gelenkt werden und damit entsprechende Werbeeinnahmen generiert werden können.“
Warum sollen nur Verlage Geld bekommen?
Spindler sieht durch das LSR die Urheber gegenüber Presseverlegern ungleich behandelt. Veröffentlicht ein Journalist seinen Text selbst im Internet, erhält er keinerlei Vergütungsansprüche, argumentiert Spindler. Wird derselbe Text jedoch durch einen Presseverlag ins Netz gestellt, wäre er plötzlich geschützt. Es sei nicht nachvollziehbar, warum nur der Presseverleger Ansprüche geltend machen könne, der Urheber dagegen nicht. Ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz (Art. 3 I des Grundgesetzes) liege nahe. Das LSR würde zu einer „rechtspolitisch äußerst zweifelhaften und verfassungsrechtlich kaum haltbaren“ Situation führen.
Wofür sollen die Verlage Geld bekommen?
Schon über die schützenswerte Verlagsleistung besteht bei Spindler Unklarheit. Laut Gesetzentwurf soll die redaktionell-technische Festlegung von Presserzeugnissen geschützt werden. „Wann aber kann von einer solchen Festlegung ausgegangen werden?“, fragt Spindler. „Genügt etwa die Anordnung nach bestimmten Kategorien von Meinungsbeiträgen in einem Internet-Forum oder einem Blog-Portal? Würde damit der Blog-Portalbetreiber zu einem Presseverleger, weil die inhaltliche Systematisierung eine ‚verlagstypische‘ Leistung ist? Ist als verlagstypisch nur das anzusehen, was derzeit im Rahmen der Print- und der elektronischen Presse üblich ist, so dass zukünftige Entwicklungen nicht erfasst würden?“
Spindler zufolge drohen Konflikte zu anderen Regelungen, etwa dem Umgang mit gemeinfreien Werken, die urheberrechtlich nicht geschützt sind. Was passiert, wenn ein Verlag ein gemeinfreies Werk ins Netz stellt und eine Suchmaschine einen Auszug anzeigt? In der Stellungnahme heißt es: „Die fehlende Präzision hinsichtlich des Leistungsschutzrechts schlägt sich (…) in der denkbaren, aber abstrusen Konstruktion nieder, dass selbst gemeinfreie Werke allein durch eine redaktionell-technische Gestaltung in diesem spezifischen Gewand wieder geschützt wären, zumindest für ein Jahr.“
Werden Verlage systematisch ausgesperrt?
Spindler sieht angesichts der Unklarheiten massive Folgen für die Internetnutzung. „In der Praxis wird man jedem Internetdienstanbieter, der eine Suchfunktion anbietet, die auch das Internet durchsuchen kann oder Rückgriff auf etablierte Suchmaschinenanbieter nimmt, raten müssen, die Seiten von Presseverlagen zu sperren, um nicht Gefahr zu laufen, in das Leistungsschutzrecht einzugreifen“, heißt es in der Stellungnahme.
Auch zweifelt Spindler daran, dass Verlage ihren neuen Vergütungsanspruch durchsetzen werden, weil bisher keine kollektive Wahrnerhmung der Ansprüche über eine Verwertungsgesellschaft vorgesehen ist. Bliebt das so, muss der jeweilige Verlag laut Spindler entweder dem Suchmaschinenanbieter die Nutzung untersagen oder in individuelle Lizenzverhandlungen eintreten. „Ob in der Praxis hier nicht doch das Interesse der jeweiligen Verlage überwiegen wird, gefunden zu werden und Einnahmen über Werbung etc. zu generieren, erscheint zweifelhaft.“ Einfach gesagt: einzelne Verlage könnten auf Abgaben verzichten, um bei einem großen Suchmaschinenbetreiber wie Google gelistet zu bleiben.
Der CDU-Politiker Krings spricht sich bereits dafür aus, das LSR an eine „Verwertungsgesellschaftspflichtigkeit“ zu knüpfen. Die Idee: eine Verwertungsgesellschaft nimmt sowohl für kleine als auch für große Verlage die Vergütungsansprüche wahr. Auf die Verhandlungsmacht des einzelnen Verlages gegenüber Anbietern wie Google kommt es dann nicht mehr an. Die Pflicht zur Verwertungsgesellschaft werde man in der anstehenden Anhörung diskutieren, kündigte Krings im November an.
Medienpolitische Aspekte sollen eine Rolle spielen
Netzpolitik.org veröffentliche unterdessen einen Brief der medienpolitischen Sprecher von CDU und FDP. Demnach werden auch Christoph Keese vom Axel Springer Verlag, Benno Pöppelmann vom Deutschen Journalistenverband und ein weiterer Verlagsvertreter als Sachverständige sprechen. Sie seien „in ausgezeichneter Weise dazu geeignet sind, die medienrechtlichen und medienwirtschaftlichen Konsequenzen sowohl für die Verlage als auch für Journalisten und Publizisten zu beleuchten“. Man könne die „Befürchtung“ entkräften, „dass es sich bei den vom Rechtsausschuss in die Anhörung am 30. Januar geladenen Sachverständigen in erster Linie um juristische Experten handeln und die Anhörung sich ‚vermutlich vorrangig den zahlreichen juristischen Fragestellungen‘ an den Gesetzentwurf widmen werde“.
Auch zur medienwirtschaftlichen Bewertung des LSR veröffentlichte zuletzt das privatwirtschaftliche Institut für Strategieentwicklung (IFSE) eine Studie.„Auf lange Sicht wird das Gesetz den Verlagen (…) nicht helfen, in der digitalen Welt des 21. Jahrhunderts zu überleben“, erklärte Studienautor Hergen Wöbken gegenüber iRights.info. Die Bundesregierung habe sich auf einen unglücklichen Pfad begeben, indem sie versuche, in einem Konflikt Partei zu ergreifen, der aus dem marktwirtschaftlichen Wettbewerb resultiert.
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