Regierungsentwurf zum Urheberrecht: Weniger Freiräume für Nutzer*innen vorgesehen

włodi, via Flickr unter CC-BY-SA-2.0
Seit Anfang der Woche kursiert ein neuer Regierungsentwurf zur Umsetzung der EU-Urheberrechtsrichtlinie in deutsches Recht, er liegt auch iRights.info vor. [Aktualisierung: Der Entwurf ist seit 3.2.2021 auf der Webseite des BMJV verfügbar (PDF).] Der gut 170 Seiten umfassende Reformvorschlag enthält einige Änderungen gegenüber vorherigen Vorlagen des Bundesjustizministeriums (BMJV).
Darunter insbesondere Regelungen, die Verbraucher*innen, Verwertungsfirmen und Plattformen betreffen. Letztere adressiert das Urheberrechts-Diensteanbieter-Gesetz (UrhDaG), das im Regierungsentwurf ebenfalls näher definiert ist.
Ausnahmen für Bagatellnutzungen verengt
Im Entwurf heißt es, die neuen Regelungen sollen „unverhältnismäßige Blockierungen beim Einsatz automatisierter Verfahren“ vermeiden. Diese etwas unscharfe Formulierung zielt auf „geringfügige Nutzungen“ ab, etwa die Übernahme kurzer Musik- oder Viodeoschnipsel in Memes oder von Fotos, Grafiken und Textausschnitten für Social Media Posts.
Solche „Bagatellnutzungen“ sollen durch Ausnahmeregelungen ausdrücklich erlaubt sein und dürften demnach nicht automatisiert blockiert werden – sofern sie nicht bestimmte Grenzwerte überschreiten. Doch genau diese sind im Regierungsentwurf noch enger gefasst.
So sollen nun maximal 15 Sekunden Audio- oder Videomaterial erlaubt sein (zuvor waren es 20 Sekunden). Dies dürfte der Musikindustrie trotzdem weiterhin ein Dorn im Auge sein: Man fürchtet um die Lizenzeinnahmen aus dem Plattformgeschäft. Dienste wie TikTok sind geschäftlich erfolgreich damit, dass Nutzer*innen bis zu 15 Sekunden lange Videos hochladen können, in der häufig auch geschützte Musik vorkommt. Streitpunkt und eine Kernfrage der Reform ist, ob und wie die Plattformen hierfür Vergütungen an Rechteinhaber zahlen oder Inhalte blockieren müssen – und eben auch, was gesetzliche Ausnahmeregeln erlauben sollen.
Bei Textwerken ist der Regierungsentwurf noch rigider: So wären nur noch 160 Zeichen blockadefrei erlaubt (im BMJV-Entwurf lag die Grenze noch bei 1.000 Zeichen). Zum Vergleich: 1.000 Zeichen ist in etwa das Maß für eine Kurzmeldung in einer Tageszeitung, 160 Zeichen entsprechen etwa einem Zweizeiler oder einem kurzen Tweet.
Auch bei Bildern und Grafiken würde sich die Grenze erneut nach unten verschieben: Hier sieht der Regierungsentwurf nur noch 125 Kilobyte als erlaubnisfreie maximale Dateigröße vor (gegenüber 250 Kilobyte im Diskussionsentwurf). Diese Maßzahl bedeutet, dass die verwendeten Fotos entweder sehr klein oder schlecht aufgelöst, also von eher geringer (technischer) Bildqualität sind.
Neue Regelungen für Pastiches und Upload-Filter – und ein „roter Knopf“
Dazu kämen weitere Hürden für die Verwendung fremder Werke und neue Meldepflichten für die Plattformen gegenüber den Rechteinhaber*innen. Außerdem verschiedene Beschwerdemechanismen, die Rechteinhaber*innen die Möglichkeit gäben, unerlaubte Uploads wahlweise sperren oder lizenzieren zu lassen.
Nicht mehr im Entwurf enthalten ist dagegen die sogenannte „Pre-Flagging“-Funktion. Diese sollte Nutzer*innen gestatten, eigens hochgeladene Werke als gesetzlich erlaubt zu markieren. Beispielsweise, weil es sich um ein Zitat handelt, das den Maßgaben des Zitatrechts entspricht.
Die sogenannte Pastiche-Regelung, die die EU-Urheberrechtsrichtlinie vorgibt und die bereits der Diskussionsentwurf anwendete, ist im Regierungsentwurf ebenfalls restriktiver aufgebaut. Auch hier geht es um Ausnahmen für das Nutzen geschützter Inhalte auf bestimmte Art und Weise: Werke, die „zum Zweck der Karikatur, der Parodie und des Pastiches“, urheberrechtlich geschützte Werke verwenden – wie es Paragraph 51a des UrhDaG formuliert – wären nur dann erlaubnisfrei, „sofern die Nutzung in ihrem Umfang durch den besonderen Zweck gerechtfertigt ist“. Nicht näher beschrieben ist dabei allerdings, was hier unter einem besonderen Zweck genau zu verstehen ist. Das dürfte für weitere Unsicherheit bei den Verbaucher*innen sorgen.
Außerdem sieht der Entwurf einen „roten Knopf“ für Rechteinhaber*innen vor: „In Fällen, die die wirtschaftliche Verwertung des Werkes erheblich beeinträchtigen, kann der Rechtsinhaber außerdem bereits mit Einlegung der Beschwerde verlangen, dass der Inhalt für die Dauer des Beschwerdeverfahrens offline genommen wird (‚roter Knopf‘).“
Zusammengefasst: Der Regierungsentwurf sieht zwar weiterhin Ausnahmen für geringfügige und besondere Nutzungen vor. Diese sind allerdings kompliziert und sehr kleinteilig. Sie würden die Freiräume für Verbraucher*innen stark einengen und dürften aufgrund der vielen Detailregeln in der Anwendung für Unsicherheit sorgen. Die Interessen der Urheber*innen und Verwerterfirmen würden durch den neuen Entwurf hingegen gestärkt, insbesondere durch die vielfältigen Beschwerdemechanismen und weitreichenden Lizenzierungsmaßnahmen.
Verschiebung irritiert und verwirrt
Die Gesetzesvorlage wollte das Kabinett der Bundesregierung eigentlich am Mittwoch beschließen, hat dies aber erneut vertagt. Dem Mediennetzwerk Euractiv zufolge zogen die Unionsparteien ihre Zustimmung im letzten Moment zurück. Neuer Termin: Voraussichtlich Ende Februar. [Aktualisierung: Das Kabinett der Bundesregierung hat den Entwurf am 3.2.2021 beschlossen. Nun geht er in den Bundesrat und in den Bundestag, wo er jeweils zu beraten beziehungsweise zu beschliessen ist, aber auch verändert werden kann.]
Die abermalige Verschiebung des Beschlusses und damit des Gesetzgebungsverfahrens sorgt für Irritation und Verwunderung.
So zeigt sich etwa Tabea Rößner, Sprecherin für Netzpolitik und Verbraucherschutz der Grünen im Bundestag, verwundert über das „Informationschaos“. In einer Mitteilung auf ihrer Webseite heißt es: „Dass der Gesetzentwurf zur Urheberrechtsreform jetzt schon zum wiederholten Male in letzter Sekunde von der Tagesordnung des Bundeskabinetts geflogen ist, lässt die Kämpfe erahnen, die wohl bei der Bundesregierung hinter den Kulissen toben.“
Auch die Initative Urheberrecht, die nach eigenen Angaben die Interessen der Urheber*innen und Verwerterfirmen vertritt, zeigt sich verständnislos. In einer Stellungnahme verurteilt sie das Vorgehen als „Verzögerungstaktik“ und fordert die Bundesregierung zu besser durchsetzbaren und strengeren Regelungen auf.
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