Referentenentwurf zum Leistungsschutzrecht: Eine rechtspolitische Analyse
Lange Zeit wurde um das Thema gerungen, zuletzt konkretisierten sich die Hinweise, dass das Leistungsschutzrecht trotz aller Kritik doch noch in dieser Legislaturperiode politisch durchgedrückt werden soll. Schon die Verlautbarungen des Koalitionsausschusses, der FDP sowie der CDU/CSU-Fraktion ließen die Hoffnung schwinden, dass die Bedenken aus Wirtschaft, Politik, Wissenschaft und Netzwelt von der Bundesregierung ernst genommen werden. Dies hat sich nun mit dem vorgelegten Referentenentwurf bestätigt.
Allgemeine Anmerkung zum Entwurf
Von vornherein wurde von vielen schon grundsätzlich bezweifelt, dass es gelingen kann, Gegenstand und Reichweite des Leistungsschutzrechts hinreichend konkret zu umschreiben. Es liegt auf der Hand, warum das besonders wichtig ist: Es ist ungemein schwierig, die verlegerische Leistung von den urheberrechtlich geschützten Inhalten (Texte, Fotos) abzugrenzen – diese sind ja in den Presseerzeugnissen immer enthalten. Genau das ist aber erforderlich, um Klarheit zu schaffen über elementare Fragen wie: Wer hat das Leistungsschutzrecht? Was wird durch das Leistungsschutzrecht geschützt? Welche Nutzungshandlungen greifen in das Leistungsschutzrecht ein, wer muss also für welche Art von Nutzung Rechte einholen und im Zweifel Geld bezahlen? (Wie) wirkt sich das Leistungsschutzrecht auf die Urheberrechte der Journalisten aus, wie auf die Blogosphäre oder die deutsche Wirtschaft?
Diese Aufgabe ist gründlich misslungen. Nur eine Folge scheint eindeutig: Wenn das Leistungsschutzrecht in dieser Form verabschiedet wird, wird es zu neuen Abmahn- und Klagewellen und eine über viele Jahre andauernde Rechtsunsicherheit in ungekanntem Ausmaß führen.
Die Parteien versuchten im Vorfeld den Eindruck zu vermitteln, dass die Relevanz des Leistungsschutzrechts gering sein wird. Unter anderem deshalb, weil die meisten Verlage von ihrem Recht und ihrem Unterlassungsanspruch vermutlich keinen Gebrauch machen würden.
Das ist mitnichten der Fall. Das Leistungsschutzrecht soll nach dem Referentenentwurf ein „umfassendes Verbotsrecht“ sein (so ausdrücklich die Begründung, siehe Seite 9 des Referentenentwurfs). Das bedeutet, dass jeder, der Nutzungshandlungen vornimmt, die unter das Leistungsschutzrecht (LSR) fallen sollen, von dem Moment an, in dem das Recht in Kraft tritt (beziehungsweise laut Referentenentwurf drei Monate danach, siehe Paragraf 87h), entweder eine Lizenz braucht oder zum Rechtsverletzer wird.
Mit anderen Worten: Es handelt sich beim LSR nicht um ein Opt-Out-Recht, sondern ein Opt-In-Recht. Die praktischen Auswirkungen wären verheerend, was sich am Beispiel Google News zeigt. Falls der Dienst nicht mit allen Presseverlegern Lizenzverträge schließen kann, bevor das Leistungsschutzrecht in Kraft tritt (oder die Übergangsfrist abgelaufen ist), müsste er bis auf weiteres eingestellt werden. Auch die normalen Suchmaschinen operieren natürlich mit kurzen Textausschnitten der verlinkten Seiten (Snippets). Würden nur Links angezeigt, hätten sie für den Nutzer kaum noch einen Sinn.
Berücksichtigen die Anbieter diese Dinge nicht, kommt es zu massenhaften – abmahnfähigen – Rechtsverletzungen, für die jeder Inhaber eines Leistungsschutzrechts Schadensersatz verlangen kann. Angesichts des sehr breiten Kreises an potenziell Betroffenen können die Auswirkungen gar nicht groß genug eingeschätzt werden. Es handelt sich hier nicht um eine Lex Google, dazu später mehr.
Warum ein neues Leistungsschutzrecht?
In Punkt II der Begründung (Seite 6 des Referentenentwurfs) ist die Rede davon, dass sich das Bedürfnis der Presseverlage nach einem eigenen LSR durch die „digitale Revolution“ verändert habe. Hier heißt es:
Heute sehen sich jedoch Presseverlage zunehmend damit konfrontiert, dass andere gewerbliche Nutzer für die eigene Wertschöpfung systematisch auf die verlegerische Leistung zugreifen und diese in einer Weise nutzen, die über das bloße Verlinken weit hinausgeht. Angesichts dieser Entwicklung muss der Gesetzgeber die wirtschaftlichen Interessen von Presseverlegern auf der einen Seite und kommerziellen Nutzern auf der anderen Seite neu ausbalancieren.
Weiter unten (Seite 7 oben) steht dann:
„Mit der Einführung eines Leistungsschutzrechts für Presseverleger soll ferner dem Umstand Rechnung getragen werden, dass sich mit dem Internet auch die Möglichkeiten, Rechte von Presseverlegern zu verletzen, vervielfacht haben. Dritte können Presseerzeugnisse ganz oder in Teilen innerhalb von wenigen Sekunden vervielfältigen und selbst im Internet anbieten. Den Presseverlagen wird ein eigenes Schutzrecht gewährt, das sie in die Lage versetzt, einfacher und umfassender gegen Rechtsverletzungen im Internet vorzugehen. Presseverleger müssen bei Verletzungshandlungen nun nicht mehr den komplexen Nachweis der Rechtekette führen, sondern können unmittelbar aus eigenem Recht vorgehen und insbesondere auch Unterlassungsansprüche geltend machen.“
Hierdurch wird der Eindruck vermittelt, das Leistungsschutzrecht diene insbesondere dazu, die Rechtsdurchsetzung zu erleichtern. Abgesehen davon, dass bislang keineswegs belegt ist, dass Verleger in signifikantem Ausmaß von Online-Piraterie betroffen sind (warum sollten auch ohnehin frei zugängliche Artikel „raubkopiert“ werden?), braucht man hierfür kein Leistungsschutzrecht. Eine einfache Regelung, nach der Verlage generell befugt sind, sich gegen (Urheber-)Rechtsverletzungen der in ihren Presseerzeugnissen erschienenen Inhalte gerichtlich zur Wehr zu setzen, würde hierfür genügen. Haben sie sich – wie so oft – durch Total-Buyout-Verträge exklusive Nutzungsrechte von den Journalisten einräumen lassen, gilt dies ohnehin schon. Eine schlichte Erweiterung dieser Befugnis wäre weitgehend unproblematisch und nicht zu vergleichen mit einem LSR.
Es geht also um mehr: Nämlich darum, ein weit über das Urheberrecht hinausgehendes Monopolrecht zu schaffen. Der Referentenentwurf suggeriert, dass sich im Prinzip nichts ändert, weil ja weiterhin Zitate und Links zulässig sind und es das Urheberrecht an den Inhalten ja ohnehin gibt. Doch wäre es so, bräuchte man das Leistungsschutzrecht nicht. Vielmehr geht es darum, diejenigen Bereiche zu monopolisieren, die das Urheberrecht bislang bewusst und gewollt freilässt. Das sind insbesondere kleine Ausschnitte aus Beiträgen (Snippets), die in Presseerzeugnissen erschienen sind.
Was wird geschützt?
Um die Frage zu klären, worauf sich das Leistungsschutzrecht eigentlich bezieht, wäre es zunächst elementar, den Schutzgegenstand klar zu definieren. Dies wäre auch wichtig, um klarzustellen, ob – und wenn ja, inwieweit – sich das Leistungsschutzrecht vom Urheberrecht an den in Presseerzeugnissen enthaltenen journalistischen Beiträgen unterscheidet. Der Referentenentwurf lässt eine trennscharfe Definition vermissen.
Im Referentenentwurf – beziehungsweise der Begründung dazu – ist nur die Rede vom „Presseerzeugnis” und „kleinen Teilen” hiervon. Ein Presseerzeugnis soll die
redaktionell-technische Festlegung journalistischer Beiträge im Rahmen einer unter einem Titel auf beliebigen Trägern periodisch veröffentlichten Sammlung …
sein. Das lässt alle relevanten Fragen offen.
Zunächst stellt sich die Frage, wie klein ein Teil sein kann, um vom LSR geschützt zu sein. Der Referentenentwurf bezieht sich auf die „Metall-auf-Metall-Entscheidung“ des Bundesgerichtshofs, in der es um die Übernahme eines zwei Sekunden langen Ausschnitts aus einer Musikproduktion ging. Hier wurde klargestellt, dass schon der kleinste denkbare Teil unter den Schutz eines Leistungsschutzrechts fällt. Übertragen auf das Presse-LSR würde das bedeuten, dass schon ein oder zwei Buchstaben, ein einzelnes Wort oder eine Überschrift in dessen Anwendungsbereich fallen würden.
Das wäre möglicherweise nicht tragisch, wenn sich das neue LSR nicht auf das Wort oder den Buchstaben selbst, sondern auf etwas anderes beziehen würde. Weder aus dem Gesetzesvorschlag noch aus dessen Begründung wird jedoch deutlich, ob es eine Unterscheidung zwischen dem Text und der „redaktionell-technischen Festlegung“ geben soll oder was denn eine solche Festlegung sein könnte.
Dieser Aspekt ist für fast alle Folgefragen von grundlegender Bedeutung. Wenn es nicht der Text oder Auszüge hieraus sind, für deren Nutzung gezahlt werden soll, was ist es dann? Mit anderen Worten, was darf ich wie übernehmen, ohne zu bezahlen und wofür brauche ich eine Lizenz? Wenn es der Text ist, erstreckt sich das Leistungsschutzrecht dadurch, dass auch kleinste Ausschnitte geschützt werden sollen, auf die Sprache selbst. Eine Quasi-Monopolisierung der deutschen Sprache wäre die Folge, jedenfalls soweit es die öffentliche Kommunikation zu gewerblichen Zwecken anbelangt. Alltagsformulierungen wie Überschriften oder einzelne Sätze wären dann für ein Jahr – so Paragraf 87g Absatz 2 des Referentenentwurfs – dem allgemeinen Sprachgebrauch entzogen.
Obwohl über die Abgrenzung von Text und Presseerzeugnis und deren elementare Bedeutung im Vorfeld viel diskutiert wurde (ohne dass eine Klärung herbeigeführt worden wäre), bleibt der Entwurf diesbezüglich nebulös. Er lässt damit auch die Frage offen, welche Nutzungshandlungen vom neuen Recht eigentlich erfasst werden sollen.
Wer muss zahlen, welche Handlungen greifen in das Leistungsschutzrecht ein?
Diese Fragen haben viele Facetten. Erstens geht es darum, wie Snippets übernommen werden. Zweitens stellt sich die Frage, wie sich eine lizenzpflichtige Handlung nach dem Leistungsschutzrecht von bloßen Links und Zitaten (die weiterhin frei sein sollen) abgrenzen lässt. Drittens ist entscheidend, wer ein „gewerblicher Nutzer“ ist oder was Nutzungen „zu gewerblichen Zwecken“ sind.
(I) Wofür müssen Lizenzen eingeholt und bezahlt werden?
Der Referentenentwurf lässt offen, durch welche Arten von Nutzungshandlungen in das neue LSR eingegriffen werden soll. Hier heißt es nur, dass der Presseverleger vor ungenehmigten „öffentlichen Zugänglichmachungen“ von Presseerzeugnissen oder Teilen derselben geschützt wird.
Das erfasst nicht nur die Darstellung von Snippets durch Suchmaschinen und Aggregatoren, sondern auch Nutzungshandlungen durch Blogger oder Twitternutzer, soweit sie zu beruflichen (gewerblichen, siehe unten) Zwecken kommunizieren. Dass das auch so gedacht ist, wird in einem Abschnitt der Begründung deutlich. Hier (Seite 10 des Referentenentwurfs) wird erklärt, in welchen Fällen ein Blogger gewerblich oder nicht-gewerblich handelt, er also durch die Verwendung von Auszügen aus Presseerzeugnissen in das LSR eingreift.
Der Referentenentwurf lässt damit nur eine Erkenntnis zu: Jeder, der zu gewerblichen Zwecken eine Überschrift oder einen Satz aus einer Verlagspublikation öffentlich zugänglich macht, also etwa in einem Pressespiegel, Blog, einer Twitter-Nachricht oder einem Facebook-Post, braucht zukünftig eine Erlaubnis vom jeweiligen Presseverleger.
(II) Blogosphäre und Social Media: Helfen Link- oder Zitatfreiheiten?
Links sollen nach Aussage des Entwurfs weiterhin frei bleiben. Allerdings wäre das – angesichts des Schutzes einzelner Formulierungen und Überschriften durch das Leistungsschutzrecht – eindeutig nur auf die Angabe der reinen URL beziehen. Und das auch nur insoweit, als die URL nicht etwa die Überschrift enthält wie es zum Beispiel heute oft üblich ist (etwa: http://www.heise.de/newsticker/meldung/Justizministerium-legt-Entwurf-fuer-neues-Leistungsschutzrecht-vor-1617614.html). Links, die mit einem Snippet kombiniert sind (wie in jeder Suchmaschine), werden ohnehin unter das Leistungsschutzrecht fallen.
Hieran ändert das Zitatrecht ebenso wenig wie die Tatsache, dass durch die weiten Formulierungen des Referentenentwurfs übliche Praktiken in der Blogosphäre, auf Twitter oder Facebook unter das Leistungsschutzrecht fallen dürften. Auch hierfür sorgt die Ausdehnung von Monopolrechten auf Snippets. Sofern ein Twitter-Nutzer gewerbliche Ziele verfolgt, fiele eine typische Meldung unter das Leistungsschutzrecht, wie zum Beispiel:
.@zeitonline: „Schwarz-Gelb einigt sich auf Leistungsschutzrecht“ http://bit.ly/KtSSrf #lsr
[der Teil in Anführungszeichen ist die Überschrift des Artikels]
Es wäre auch kein Zitat im urheberrechtlichen Sinne. Ebenso wenig wäre eine typische Blog-Meldung über das Erscheinen eines Artikels ein urheberrechtliches Zitat. Sie wäre aber eine Nutzung nach dem Leistungsschutzrecht. Wie zum Beispiel bei so einem Eintrag:
Habe gerade gesehen, dass Konrad Lischka auf Spiegel Online über das Leistungsschutzrecht (http://bit.ly/OHvhB8) berichtet. Er folgert: [Ab hier die Übernahme] „Die Regierungskoalition hat es in den drei Jahren Debatte nicht geschafft, die Unklarheiten bei dem Vorhaben auch nur zu benennen. In dem Protokoll des Koalitionsausschusses vom Sonntag fehlt jeder Hinweis auf neue Ideen, wie ein Leistungsschutzrecht aussehen könnte, das die Zitatfreiheit im Netz sichert und innovative Netzangebote fördert.“
Bislang sind solche Hinweise auf andere Publikationen frei, weil ein solcher Absatz unterhalb der urheberrechtlichen Schöpfungshöhe liegt – und nicht wegen des Zitatrechts. Das Zitatrecht würde hier nicht greifen, weil die Übernahme länger ist als der eigene Text. Das heißt, dass ein (gewerblicher) Blogger nach Einführung des LSR eine Lizenz benötigen würde, weil es sich bei dem Satz um einen Teil des Presseerzeugnisses handelt, der zwar nicht unter das Urheberrecht, aber das LSR fallen würde.
Ohnehin ist das Zitatrecht kein Ersatz oder Ausgleich für die Schöpfungshöhe, die dafür sorgen soll, dass Sprache an sich nicht monopolisiert werden kann. Das Zitatrecht sieht bestimmte – im Detail sehr komplizierte – Regeln vor, die bei der Übernahme ungeschützter Snippets nicht einzuhalten sind. Vor allem aber ist das Zitatrecht nicht dafür da, eigene Formulierungen zu erlauben, sondern dafür, fremde Formulierungen zu verwenden (z. B. online zu publizieren oder in einem Buch), um sich damit auseinanderzusetzen. Es ist ein erheblicher Unterschied, ob eine Überschrift erst monopolisiert wird und dann vom Monopol eng begrenzte Ausnahmen gewährt werden oder ob sie gänzlich frei von Rechten ist.
(III) Gewerbliche Nutzung: Sind Journalisten, Anwälte, Ärzte, Abgeordnete aus der Rechnung heraus?
Die Frage, was eine gewerbliche Nutzung von Snippets ist, wird Abmahnanwälte und Gerichte lange beschäftigen. Der Referentenentwurf macht jedenfalls schon einmal deutlich, dass der Begriff des gewerblichen Zwecks sehr weit verstanden werden soll. In der Begründung (Seite 9 des Referentenentwurfs) heißt es:
Abweichend vom gewerbe- oder steuerrechtlichen Gewerbebegriff erfasst Nutzung ,zu gewerblichen Zwecken‘ jede Nutzung, die mittelbar oder unmittelbar der Erzielung von Einnahmen dient sowie jede Nutzung, die in Zusammenhang mit einer Erwerbstätigkeit steht. Eine private Nutzung von Presserzeugnissen im Internet beeinträchtigt das Leistungsschutzrecht damit ebenso wenig wie die nichtgewerbliche Nutzung durch die öffentliche Hand.
Letzteres soll offenbar Bedenken gegen diese Art der Abgrenzung zerstreuen. Doch das tut es nicht. Eindeutig ist, dass jeder Freiberufler, der zu seinen „gewerblichen“ Zwecken im Netz kommuniziert und dabei Snippets einsetzt, Nutzer im Sinne des Leistungsschutzrechts sein soll. Das betrifft ebenso freie Journalisten, die in ihrer Freizeit bloggen (Seite 10 des Referentenentwurfs), wie auch Anwälte oder Abgeordnete, die über die Themen twittern, die sie beruflich beschäftigten, denn auch das erfolgt „im Zusammenhang mit einer Erwerbstätigkeit“. Das gleiche dürfte auch für die Mitarbeiter von Behörden gelten, wenn sie bei Facebook Snippets zu Themen nutzen, die „im Zusammenhang mit ihrer Erwerbstätigkeit stehen“.
Was in Grenzfällen gewerblich oder nicht-gewerblich ist, bleibt unklar und wird in jahrelangen rechtlichen Auseinandersetzungen über konkrete Einzelfälle geklärt werden müssen: Was ist mit Blogs, auf denen Werbung enthalten ist, mit Firmenprofilen bei Facebook, persönlichen Twitter-Accounts, die der Nutzer sowohl zu beruflichen als auch zu privaten Zwecken nutzt, etc.? Wer weiß…
Droht Haftung für Social-Media- und Plattformanbieter?
Das Leistungsschutzrecht würde in dieser Form auch zum großen Problem für die Betreiber von Plattformen wie Facebook oder Betreiber von Diensten wie Twitter werden. Denn wie gesagt erfasst die jetzige Ausgestaltung auch die Kommunikation dort, soweit zu gewerblichen Zwecken Snippets verwendet werden.
Verletzen Nutzer das Leistungsschutzrecht, weil sie die erforderlichen Rechte nicht eingeholt haben, können die Betreiber der Dienste und Plattformen als „Störer“ zur Verantwortung gezogen werden. Das Prinzip der Störerhaftung ist angesichts der vielen Rechtsstreitigkeiten zum Beispiel um die Haftung von Youtube oder Forenbetreibern (für Kommentare der Nutzer) hinlänglich bekannt. Das Leistungsschutzrecht kann zum Beispiel dazu führen, dass Plattformen wie Facebook bei Verstößen ihrer Nutzer abgemahnt und verpflichtet werden können, diese fortan zu unterbinden (pro-aktive Prüfungspflichten). Wie sich am Urteil des Landgerichts Hamburg zur Haftung von Youtube zeigt, kann das für den Anbieter erhebliche Auswirkungen haben.
Von wem müssen Rechte eingeholt werden? Zum Begriff des Presseverlegers
Die Begründung des Referentenentwurfs macht deutlich, dass Inhaber des Leistungsschutzrechts keineswegs nur die „klassischen“ Verlagshäuser wie Burda oder Springer sein sollen. Vielmehr können hiernach auch Blogs und andere journalistische Online-Angebote Presseverleger im Sinne des Leistungsschutzrechts sein. Auf Seite 10 des Referentenentwurfs heißt es: „Wenn ein Blog sich als eine redaktionell ausgewählte Sammlung journalistischer Beiträge darstellt, die fortlaufend unter einem Titel erscheint, wird auch ein Blogger durch das neue Leistungsschutzrecht geschützt und ist damit vergütungsberechtigt, wenn andere seinen Blog nutzen.“
Aus Nutzersicht betrachtet heißt das: Wenn ich zukünftig als freier Journalist weiterhin über meine Themen in herkömmlicher Manier bloggen will, müsste ich vorher (!) nicht nur mit hunderten von Verlagen, sondern auch mit Spreeblick, Netzpolitik.org und zahllosen anderen Netzpublikationen Lizenzverträge schließen. Auf diesem Weg würden übrigens auch die ARD und ZDF (über tagesschau.de, zdf.de) zu „Presseverlegern“ werden und könnten Rechte aus dem LSR geltend machen.
Es sei denn, ich ließe mir ein Rechtsgutachten erstellen, aus dem sich eine Liste von Angeboten ergibt, die nicht als „redaktionell-technische Festlegung journalistischer Beiträge im Rahmen einer unter einem Titel auf beliebigen Trägern periodisch veröffentlichten Sammlung, die bei Würdigung der Gesamtumstände als überwiegend verlagstypisch anzusehen ist und die nicht überwiegend der Eigenwerbung dient“ anzusehen sind. Man beachte die Anzahl der auslegungsbedürftigen Rechtsbegriffe. Nur von Angeboten wie Blogs von Katzenliebhabern oder Kleingartenfans könnte ich dann weiterhin bedenkenlos Snippets verwenden, weil das sicherlich keine „Presseerzeugnisse“ von „Presseverlegern“ sind.
Verwertungsgesellschaft oder nicht?
Die vorstehende Problematik wird erheblich dadurch verschärft, dass der Referentenentwurf, anders als früher diskutiert wurde, die Ausübung des Leistungsschutzrechts nicht an eine Verwertungsgesellschaft bindet. In einem Interview für die Initiative gegen ein Leistungsschutzrecht hat der FDP-Netzpolitiker Manuel Höferlin dies als Errungenschaft des überarbeiteten Ansatzes dargestellt.
Abgesehen davon, dass es den Verlagen unbenommen bleibt, dennoch eine Verwertungsgesellschaft (VG) zu gründen – dass eine VG-Pflicht nicht vorhanden ist, ist schließlich kein Verbot, eine VG zu gründen –, ist das kein Vorteil sondern ein Nachteil. Das gilt zum einen für die Rechtewahrnehmung durch kleinere Verlage oder gar Blogs: Wie sollen sie massenhaft Lizenzverträge mit gewerblichen Nutzern schließen, die ihre Snippets aus ihren Presseerzeugnissen verwenden wollen?
Zum anderen gilt das aber auch für die Nutzer: Gibt es keine Pflicht, die Ansprüche aus dem LSR von einer Verwertungsgesellschaft geltend zu machen, bedeutet das Folgendes: Es müssen Lizenzverträge mit jedem einzelnen Rechteinhaber geschlossen werden. Die Rechteinhaber unterliegen keinem „Kontrahierungszwang“, können also die Nutzung beliebig verbieten oder erlauben. Es gibt keine einheitlichen Tarife – jeder Rechteinhaber kann also nicht nur seine eigenen Preise machen, sondern zudem von jedem Nutzer unterschiedliche Preise verlangen. Je nach Definition des Presseverlegers sind es also hunderte oder tausende Einzelverträge, die zumindest all diejenigen Nutzer schließen müssen, die auch zukünftig unabhängig von der Quelle Nachrichten aggregieren oder auf interessante Inhalte unter Verwendung von Snippets verweisen wollen.
Dadurch, dass sich die FDP dafür eingesetzt hat, keine Verwertungsgesellschaftspflicht vorzusehen, hat sie ihrem Ziel, einen gerechten Ausgleich der Interessen herbeizuführen, einen Bärendienst geleistet. Nicht umsonst sind Verwertungs-gesellschaften gerade dann vorgesehen, wenn Massennutzungen lizenziert und abgerechnet werden sollen. Warum dies gerade im Falle des Leistungsschutzrechts nicht sinnvoll sein soll, bleibt völlig im Dunkeln.
Kollision mit den Rechten der Urheber? Die Folgen für Zweitverwertungen
Der Referentenentwurf will Kollisionen mit dem Urheberrecht ausschließen. Hierfür soll eine Formulierung in Paragraf 87g Absatz 3 dienen, die lautet:
Das Recht des Pressverlegers kann nicht zum Nachteil des Urhebers oder eines Leistungsschutzberechtigten geltend gemacht werden, dessen Werk oder nach diesem Gesetz geschützter Schutzgegenstand im Presseerzeugnis enthalten ist.
Diese Formulierung allein zeigt für sich genommen die Schwächen des gesamten Entwurfs auf: Wenn der Schutzbereich des Leistungsschutzrechts klar vom Schutzbereich des Urheberrechts an den Artikeln abgegrenzt wäre, könnte es zu einer solchen Kollision zwischen den Interessen der Urheber und der Presseverleger gar nicht kommen.
Internationale Dimension eines Leistungsschutzrechts
Ein weiterer Punkt wurde bei der gesamten Gesetzesinitiative offenbar gar nicht bedacht: Das Leistungsschutzrecht wird sich auch auf ausländische Nutzer auswirken. Wenn ein kommunikativer Vorgang, bei dem in das neue Recht eingegriffen wird, auch in Deutschland wahrgenommen werden kann, fällt er unter das deutsche Recht. Da Internet-Kommunikation zumeist auch in Deutschland abrufbar ist, werden durch das Leistungsschutzrecht aber auch ausländische Nutzer in dessen Anwendungsbereich hineingezogen. Ob eine solche Folge mit europäischem und internationalem Recht vereinbar wäre, darf zumindest bezweifelt werden. Es zeigt sich hieran jedenfalls die gewaltige Dimension des deutschen Alleingangs.
Fazit: Das Leistungsschutzrecht führt zu einer Lose-Lose-Situation
Der wahrscheinliche Effekt des Leistungsschutzrechts ist, dass die großen Suchmaschinenbetreiber und Aggregatoren die Angebote der Verlage aus den Suchindexen entfernen, wie es in Reaktion auf das Urteil zu Google in Belgien seinerzeit schon einmal geschehen ist. Kleinere Aggregatoren (wie zum Beipiel Rivva) und Mehrwertdienste (wie zum Beispiel der Perlentaucher), deren Finanzierung ohnehin meist prekär ist, werden ihre Dienste im Zweifel vollständig einstellen oder es jedenfalls unterlassen, Presseschauen und ähnliches anzubieten.
Das würde zu einer Situation führen, in der alle verlieren. Die Presseverlage würden mit dem Leistungsschutzrecht keine nennenswerten Einnahmen erzielen, entsprechend erhielten die Journalisten ebenfalls keine Zusatzeinnahmen. Dafür müssten sie Rechte einholen und bezahlen, wenn sie Ausschnitte aus Presseerzeugnissen verwenden – wie auch die Verlage gegenseitig, wenn sie Presseschauen oder ähnliches anbieten. Die Verlagswebseiten würden bei einer Entfernung aus den Suchindexen massiv an Reichweite und Aufmerksamkeit verlieren, da die Nutzer sie nicht mehr über die Suchmaschinen finden. Bis zu 50 Prozent der Nutzer von Verlagswebseiten kommen über Suchmaschinen und News-Aggregatoren. Hierdurch wiederum würden die Werbeeinnahmen einbrechen, deren Höhe auf der Reichweite basiert.
Die Nutzer schließlich würden wichtige und hochwertige Inhalte nicht mehr ohne weiteres auffinden, sie müssten jedenfalls ihr Nutzungsverhalten ändern und Verlagswebseiten direkt abrufen. Viele sinnvolle Verweispraktiken über Social Media würden nur noch eingeschränkt und unter erheblicher Rechtsunsicherheit möglich sein. Das wiederum würde volkswirtschaftliche Auswirkungen haben. Soziale Netzwerke, Suchmaschinen und Aggregatoren erleichtern und beschleunigen den professionellen Umgang mit Informationen. Schränkt man ihre Effizienz ein, indem eine Vielzahl relevanter Inhalte hierüber nicht mehr auffindbar ist, sinkt die Effizienz der Informationsbeschaffung gleichermaßen. Mit anderen Worten: Recherchen würden länger dauern, mehr Arbeitszeit kompensieren und mehr Geld kosten.
Der Referentenentwurf zum Leistungsschutzrecht versucht dagegen den Eindruck zu erwecken, dass die Kommunikationsfreiheit im Internet nicht beeinträchtigt werde. Er vermittelt den Anschein, dass nur die Rechtsdurchsetzung der Verlage erleichtert und eine angemessene Beteiligung an Einnahmen von Großkonzernen wie vor allem Google ermöglicht werde. Das Gegenteil ist der Fall.
So wie er formuliert ist, trifft der Entwurf die gesamte deutsche Wirtschaft, jeden Freiberufler oder sonstige Berufstätige und unter Umständen sogar solche, die es noch werden wollen. Kann es im Sinne der Rechtsordnung sein, dass sie alle demnächst mit hunderten von Presseverlagen Lizenzverträge schließen müssen? Oder dass sie alternativ ihr Kommunikationsverhalten einschränken und umstellen, ohne dabei genau zu wissen, was noch erlaubt und was verboten ist? Letztlich bezahlen für das Leistungsschutzrecht alle, unmittelbar oder mittelbar.
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7 Kommentare
1 Hannes am 1. März, 2013 um 10:35
Aus aktuellem Anlass gelesen – hervorragende Analyse!
2 Hans Schlüter am 7. März, 2013 um 03:35
Auf mich ergibt das LSG nur für den Fall Sinn, wenn die Verlage eigene Aggregatoren zur Verfügung stellen und somit Google News etc. ersetzen. Über diesen Weg ließe sich dann Paid Content durchsetzen, weil keine freier Content mehr frei auswählbar ist.
Soviel Kalkül würde ich den Verlegern aber nicht unterstellen, die ohnehin unfähig zur Innovation sowie uneinig sind und niemals einen gemeinsamen Aggregator anbieten werden.
Insofern gilt: Alle verlieren.
Was sagen Sie dazu?