Rechteinhaber nehmen Domainverwalter ins Visier
Gibt es Auseinandersetzungen über Webadressen (Domains), drehen sie sich zumeist darum, wer welche Adresse nutzen darf. Doch Rechteinhaber interessieren sich zunehmend aus einem weiteren Grund dafür: Werden unter einer Domain Webangebote betrieben, die Urheberrechte verletzen, könnte ihnen die Adresse auch wieder entzogen werden. Konzentrierte sich die Musik- und Filmindustrie bislang vor allem auf die Haftung von Providern und Hosting-Anbietern, geraten nun auch Domain-Verwalter und andere Dienstleister in ihr Visier.
Oberster Hüter über Domains ist die Internet Corporation for Assigned Names and Numbers (ICANN) in Los Angeles, die deren Vergabe koordiniert. In einem Brief vom 5. März (PDF) an die ICANN fordert der Dachverband der US-Musikindustrie RIAA (Recording Industry Association of America) schärfere Maßnahmen gegen Dienste, die Urheberrechte verletzen. Er sorgt sich besonders darum, dass neue Web-Endungen wie .music für Angebote genutzt werden könnten, die Urheberrechte verletzen.
Auch der Film-Dachverband MPAA (Motion Picture Association of America) hatte bereits im Februar erklärt, dass ICANN und weitere Adressverwalter sich dazu verpflichtet hätten, „der Nutzung von Domainnamen für illegale Handlungen und Missbrauch nachzugehen und darauf zu reagieren, Schutzrechtsverletzungen eingeschlossen“.
Domainverwalter und -verkäufer verpflichtet
Tatsächlich hat die ICANN 2013 neue Regeln eingeführt, die sich unter anderem gegen Urheber- und Markenrechtsverletzungen, Schadsoftware und Online-Betrug wenden. Sie vergibt die Domains meist nicht selbst an deren Nutzer, weshalb ein Geflecht von Verträgen etabliert wurde: Die Verwalter bestimmter Adressbereiche (Registries) verpflichten sich gegenüber der ICANN, nur mit solchen Domainverkäufern (Registraren) zusammenzuarbeiten, die erklären, dass sie rechtsverletzende Angebote ihrer Kunden nicht dulden. Sonst könnte ICANN den Adressverwaltern kündigen.
In der Washington Post hat sich dazu jetzt der Rechtsprofessor David Post zu Wort gemeldet. Er kritisiert, dass die Bestimmungen gegen Rechtsverletzungen viele Probleme mit sich brächten: Unklar bleibe vor allem, wann und womit die Vertragspartner ihre Verpflichtungen gegenüber ICANN erfüllen, etwa indem sie Kunden die Webadresse entziehen. Ohnehin seien Rechteinhaber bei der ICANN, die eigentlich nur das technische System der Webadressen sichern soll, an der völlig falschen Adresse.
Post befürchtet: Im Zweifel würden Rechteinhaber Listen inkriminierter Domains durchreichen, ohne dass geprüft würde, ob tatsächlich Rechte verletzt werden. Adressverwalter und -verkäufer neigten schon aus wirtschaftlichem Eigeninteresse dazu, Anfragen von Rechteinhabern durchzuwinken, statt langwierige Prüfungen vorzunehmen. Zum Adress-Entzug verpflichtet wären sie jedoch erst bei einem Gerichtsbeschluss, nicht schon auf bloßen Wunsch von Hollywood, erklärten dazu jetzt die US-Bürgerrechtler der Electronic Frontier Foundation.
Gemischte Bilanz
Einen ähnlichen Anlauf gegen Registrare unternahm 2013 eine Urheberrechts-Abteilung der Londoner Polizei. Sie forderte Registrare auf, den Betreibern von Torrent-Portalen die Adresse zu entziehen. Damit hatte sie nur wenig Erfolg, wie das Blog Torrentfreak berichtete. Demnach waren nur 5 von 75 Anfragen der Polizei bei Registraren erfolgreich. Die Registrare wollten zurecht erst einen Gerichtsbeschluss sehen, schlussfolgerte das Blog.
In Deutschland entschied ein Oberlandesgericht vergangenen Oktober, dass ein Registrar für Urheberrechtsverletzungen auf einem Torrent-Portal als Störer hafte. Durch die Registrierung einer Webdresse werde die Plattform den Nutzern „erheblich einfacher und leichter zugänglich“. In einem Bericht von Anfang März (PDF) fordert jetzt auch das Amt des US-Handelsbeauftragten die ICANN und andere Regierungen auf, das „sehr ernste Problem“ kooperationsunwilliger Domainverkäufer anzugehen. Bei Domains und ihrer Verwaltung scheint sich eine neue Konfliktlinie ums Urheberrecht im Netz herauszubilden.
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