Rainer Kuhlen: Weitgehende Nutzungsprivilegien für Bildung und Wissenschaft nötig
Ein Dritter Korb oder doch nur ein Körbchen und schon gar nicht, wie einmal vorgesehen, ein Wissenschaftskorb? Vermutlich. Die Politik in Deutschland und in der EU sieht sich offenbar nicht in der Lage, die großen Fragen des Urheberrechts aufzugreifen, die iRights erfragen möchte.
Muss das Urheberrecht weiter über hoch ideologische und längst nicht mehr die Realität widerspiegelnde Konzepte wie individuelles geistiges Eigentum, singuläre Autorenschaft am stabilen Werk, Kreativitätsanreize durch monetäre Vergütung, etc. begründet werden? Wäre es nicht angebrachter, in erster Linie von dem Zweck des Urheberrechtsschutzes und dem Nutzen für die Gemeinschaft auszugehen? Sind Wissen und Information nicht eher Gemeingüter und nicht Objekte, die beliebig der kommerziellen Verwertung zugeführt werden können?
Sollten Bildung und Wissenschaft, nicht zuletzt im Interesse der Innovationsfähigkeit der Wirtschaft und der individuellen Entwicklung aller, nicht mit sehr weitgehenden Nutzungsprivilegien ausgestattet werden, die nicht, wie derzeit bei den Schrankenregelungen üblich, durch eine strikte Interpretation des Dreistufentests beeinträchtigt werden? Hat nicht die Öffentlichkeit, gleichberechtigt zur individuellen Wissenschaftsfreiheit der Autoren, einen auch durch das Urheberrecht zu garantierenden Anspruch darauf, dass das mit Steuermitteln geförderte Wissen jedermann zur freien Nutzung zur Verfügung steht?
Warum können solche Fragen – und die Liste ist in Wirklichkeit noch viel länger – nicht die Gestaltungskraft der Politik stimulieren? Hier nur eine Erklärung: Brüssel! Muss die skandalöse, schon viel zu lange anhaltende Reformunwilligkeit von politisch Verantwortlichen in der EU und im Gefolge auch in Deutschland wirklich weiter hingenommen werden? Was muss passieren, dass sich eine Regierung und ein Parlament zum quasi zivilgesellschaftlichen, nein politischen Ungehorsam gegenüber den hyperobsolet gewordenen und Reformen blockierenden Vorgaben aus der EU-Richtlinie von 2001 verpflichtet fühlen?
Wenn das zu weit gehen sollte – warum nutzt das deutsche Bundesministerium für Justiz nicht zumindest den Spielraum der EU-Richtlinie aus, um dem Bundestag ein Zweitverwertungsrecht im Urheberrecht zugunsten der Autoren vorzuschlagen oder, weitergehend, ein Recht der Öffentlichkeit, zu dem mit öffentlichen Mitteln produzierten Wissen freien Zugang zu bekommen, oder Bildung und Wissenschaft auch im Interesse von Wirtschaft und Gesellschaft insgesamt ein weitgehendes freies Nutzungsprivileg zuzubilligen oder den Schutz der kommerziellen Verwertung an die Erzeugung informationeller Mehrwerte zu koppeln?
Der Dritte Korb, so war es vorgesehen, sollte ein Wissenschaftskorb sein. Nun wird wohl wieder nur Partikularinteressen Rechnung getragen: Zeitungsverlage bekommen ein Leistungsschutzrecht, und die Verwertungsgesellschaften dürfen die Nutzung der verwaisten Werke regeln. War es das? Die Hoffnung bleibt, dass im parlamentarischen Verfahren dann doch noch alles ganz anders wird.
Wenn auch das ausbleibt, wird es an der Zeit sein, dass die Internetwelt das Heft des Handelns selber in die Hand nimmt und den Protest, wie bei der Atomenergie, dem Klima, dem Wasser und der Luft, zu einer großen öffentlichen Angelegenheit macht.
Zur Person
Rainer Kuhlen ist Professor emeritus für Informationswissenschaft an der Universität Konstanz.
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