Prism und die Folgen: Die Geheimdienste von Lethargistan

Foto: NSA
Jürgen Geuter schrieb hier bei iRights.info, warum man nicht wie Johnny Häusler bei Spreeblick der Resignation anheim fallen dürfe. Zum Ende erklärte er: „Die Aufgabe ist jetzt, für mehr Freiheit, Offenheit und Teilhabe politische Mehrheiten zu schaffen.“ Wie diese Aufgabe angegangen werden kann, woher diese Mehrheit kommen sollten, legte er leider nicht dar. So bleiben es warme Worte.
Ohne einen radikalen Schritt wird Prism und Co. aber nicht zu begegnen sein. Doch der ist auf absehbare Zeit nicht zu erwarten. Die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse sind eindeutig: Ein Teil der Zivilgesellschaft ist fassungslos und einige Medienvertreter sind entgeistert. Der Großteil der Bevölkerung verharrt in der üblichen gesellschaftlichen Lethargie. Auf die etablierte Politik ist keine Hoffnung zu setzen, auch wenn Anhänger diverser Parteien das sicher aus Wahlprogrammen herauszulesen vermögen.
Derzeit ist weder national noch international eine Konstellation erkennbar, die Geheimdienste abschaffen oder international eine Ächtung und Abschaltung der Überwachungsprogramme durchsetzen könnte. Welche Regierung sollte daran wirklich Interesse haben? Selbst wenn die Vereinten Nationen eine Resolution verfassen, wird das nichts ändern. Wenn solche Papiere Wirkungsmacht entfalten könnten, würde es schon längst keine Kriege und Klimakatastrophen, keinen Hunger und Drogenkonsum mehr geben.
Geheimdienste vs. Demokratie
Richtig ist Geuters Diagnose: Das fundamentale Problem, auf das Prism, Tempora & Co. verweisen, sind tatsächlich Geheimdienste. Wirkliche Demokratie ist nur ohne sie machbar. Heimlichtuerei, mit welchen hehren Zielen auch immer sie begründet wird, ist ein Antagonismus, steht im unauflösbaren Wiederspruch zur Demokratie. Freiheit stirbt mit Sicherheit – wollen wir erstere, gibt es einen Preis für die „Herrschaft des Volkes“, die Freiheit von Staatswillkür und militärischen Irrsinn ermöglichen kann. Der Preis ist, angreifbar zu sein durch politisch oder religiös Durchgeknallte und Verwirrte, Dogmatiker, Fundamentalisten und Reaktionäre. Das ist das Risiko von Demokratie. Einen goldenen Mittelweg gibt es nicht.
Baut man Strukturen auf, die im Verborgenen versuchen, Schutz vor allen vorstellbaren Gefahren zu bieten, entfalten diese eine Emsigkeit, die in der Natur von Institutionen, aber auch des Bedrohungshypochonders liegt: Das Ziel von Geheimdiensten kann letztlich nur die totale Kontrolle sein. Das wohnt ihrer Logik inne, ist ihr intrinsisches Motiv. Zum Vorwurf kann man das ihnen selbst gar nicht machen, sondern nur denen, die sie schufen. Eine parlamentarische Kontrolle wird von Geheimdiensten immer nur als Einschränkung empfunden werden. Sie werden diese mit allen Mitteln – auch den ihnen an die Hand gegebenen illegalen – zu verhindern suchen.
Parteiseifenoper mit Kollateralschaden
Doch Jürgen Geuter hat die Hoffnung nicht aufgegeben: „Wir können das Gute, das wir im Internet erlebt haben, in die physische Welt übertragen und anderen Menschen ermöglichen. Indem wir mutig sind und kämpferisch, indem wir unseren Mitmenschen ein Beispiel dafür sind, dass in Kooperation mehr Wert für uns alle liegt als im Misstrauen.“
Was wir tatsächlich beobachten können: Einer dieser Versuche scheitert gerade, was Geuters Position nicht überzeugender macht. Der rasante Aufstieg und Niedergang der Piraten – eben bedingt durch den Sieg von Misstrauen über Kooperation – haben der Netzpolitik einen großen Schaden zugefügt: Dass angesichts der umfassenden Überwachung des Internets statt Widerstand hierzulande Resignation um sich greift, hat auch damit zu tun.
Zwar ist es den Piraten gelungen, mit ihrer Parteiseifenoper aus den Schlagzeilen zu verschwinden. So sind aber auch die Inhalte, für die die Partei einst angetreten ist, weitgehend aus dem öffentlichen Diskurs verschwunden. Der Kollateralschaden: Die Kräfte, die sich schon vor dem Aufstieg der Piraten mit der Politik des Digitalen befasst haben, die die frohe Botschaften des „Guten“ des Internets in die Welt getragen haben, sind in den Sog vermeintlicher Unseriösität und amateurhaften Politikverständnisses geraten. Progressive netzpolitische Anliegen haben es schwerer als je zuvor.
Wessen Netz ist kaputt?
Dabei hatten sie es ohnehin schon schwer, weil der Großteil der Bevölkerung das Netz als gegeben hinnimmt, so wie die Stromversorgung und volle Supermarktregale. Das Netz ist für sie nicht kaputt. Solange sie keine direkten massiven Einschränkungen des Netzes und Auswirkungen auf ihren persönlichen Alltag erleben, wird jedes Überwachungsprogramm hingenommen werden. Verkürzt gesagt: Der Aufstand in der DDR wurde nicht wegen der Stasi, sondern wegen der als mangelhaft empfundenen Teilhabe am Konsum zur Massenbewegung.
Also doch resignieren? Nein. Aber nicht der Illusion aufsitzen, mit Petitionen oder Latschdemos etwas Relevantes zu erreichen. Solange keine breite gesellschaftliche Verständigung darüber stattfindet, ob man überhaupt eine andere Gesellschaft will, bleibt die zugegeben traurige Bilanz: Mehr als Widerstand im Kleinen und digitale Selbstverteidigung sind zu diesem Zeitpunkt nicht drin.
Lorenz Matzat ist Journalist und Unternehmer in Berlin. Er schreibt das Blog datenjournalist.de, engagiert sich im Digitale Gesellschaft e.V. für Open Data, betreibt mit zwei Partnern die Datenjournalismusagentur OpenDataCity und ist Gründer von Lokaler, einem Anbieter von Geoinformationssystemen.
7 Kommentare
1 tauss am 30. Juni, 2013 um 07:16
Na ja. Der Widerstand im “Kleinen” ist dann auch keine lukrative Alternative. Das Gegenteil ist zumindest den Versuch wert. Deshalb ist auch die Diskreditierung von “Latschdemos” ein zwar resignativ überzeugendes aber dennoch albernes Geschwätz. Eine FsA13 muss gerade JETZT sein.
Warum dort nicht die Abschaffung von BND, Verfassungsschutz & Co fordern?
Und ob es die Enquete, Piraten oder Matzats Digitale Gesellschaft waren, die der Netzpolitik mehr geschadet haben, lasse ich mal als offene Frage dahingestellt. Mit Ruhm hat sich in den vergangenen Jahren niemand aus den Kreisen dieser Helden bekleckert.
Das Einzige, was bei den Etablierten noch weit vor Demos mehr als nur ein Augenzucken verursachen kann, ist die Wahl der Piraten. Gerade diese Wahl ist ein Signal und das beste Signal, dass “wir” nicht weg sind. Aus diesem Grund werde ich den Laden erneut wählen. Nicht wegen dieser Piraten, sondern trotz dieser Piraten, die sich gegenwärtig dort breit machen konnten.
2 Alexander Schmidt am 1. Juli, 2013 um 08:25
Danke für den Artikel. Was jeder einzelne konkret machen kann, beschreibe ich auf meinem Blog “Wehre Dich gegen die totale Überwachung!” http://itr.im/2rc
3 InetFan am 5. Juli, 2013 um 10:53
Die Ironie ist dabei, dass es sich in einer selbsterfüllunden Prophezeihung das erfüllt hat, wovon die kleine Partei Piraten gewarnt & wofür gekämpft haben. Die großen Parteien & Media-Mainstream hat sich dafür ausgelacht & teilweise als Verschwörer-Nerds abgestempelt.
Ich hoffe nun, dass deren “Segel wieder Wind aufnehmen” & v.a. dass die Leute endlich lernen bewußter umzugehen.
Durch den Massengut Internet (immer Online, Tweets, Facebook) wurde diese kreative Idee/Werkzeug als Bedeutung aufgeweicht.
Das war auch der Grund sich bewußt v. Facebook abzuwenden & nicht jeden unsinnigen Online-Trends mitzumachen.
Es wäre Zeit Internet wieder als kulturellen Gut & wirt. Faktor zu sehen & nicht als Platform für “Terroristen”.
4 InetFan am 5. Juli, 2013 um 10:57
Die Ironie ist dabei, dass es sich in einer selbsterfüllenden Prophezeihung das erfüllt hat, wovon die kleine Partei Piraten gewarnt & wofür gekämpft haben. Die großen Parteien & Media-Mainstream haben sich dafür ausgelacht & teilweise als Verschwörer-Nerds abgestempelt.
Ich hoffe nun, dass deren “Segel wieder Wind aufnehmen” & v.a. dass die Leute endlich lernen mit Internet-Gut bewußter umzugehen.
Durch diesen Massengut Internet (immer Online, Tweets, Facebook) wurde diese kreative Idee/Werkzeug als Bedeutung aufgeweicht.
Das war auch der Grund sich bewußt v. Facebook abzuwenden & nicht jeden unsinnigen Online-Trends mitzumachen.
Es wäre Zeit Internet wieder als kulturellen Gut & wirt. Faktor zu sehen & nicht als Platform für “Terroristen”.
5 gast am 12. Juli, 2013 um 03:40
“Der Aufstand in der DDR wurde nicht wegen der Stasi, sondern wegen der als mangelhaft empfundenen Teilhabe am Konsum zur Massenbewegung.”
Eine mangelnde Teilhabe am Konsum war ganz sicher nicht die ausschlaggebende Triebkraft, die die Menschen auf die Straße gebracht hat.
Es waren der Mangel an (Reise)Freiheit und Demokratie.
http://de.wikipedia.org/wiki/Wende_und_friedliche_Revolution_in_der_DDR#Triebkr.C3.A4fte_der_Systemkrise_1989
Was sagen Sie dazu?