Pornobranche ringt mit Kostenlos-Konkurrenz
Die Regensburger Anwaltskanzlei Urmann + Collegen will am 1.September eine Liste von Gegnern veröffentlichen, gegen die sie wegen des illegalen Tauschens von Pornofilmen im Internet vorgeht. Der Plan ist rechtlich umstritten, aber das Thema zieht weltweit. Sogar die BBC berichtet. Der Fall lenkt das öffentliche Interesse auf Online-Angebote, über die oft geschwiegen wird. Das Internet ist ein großes Pornokino. Pornographie macht rund 30 Prozent des gesamten Datenverkehrs aus, schätzt eine jüngere Studie. Da darf spekuliert werden, wer alles an den Porno-Pranger gestellt wird. Betroffen sind offenbar rund 150.000 Filesharer. Die Abmahn-Kanzlei spricht von ‚heiklen‘ Fällen wie Polizeistationen, Pfarrämtern und arabischen Botschaften. Es winkt also eine Debatte über Doppelmoral und ein immer noch tabuisiertes Massenphänomen.
Streaming-Seiten: Widerstand ist zwecklos
Der spektakuläre Fall lenkt davon ab, dass illegale Veröffentlichungen im Netz längst nicht mehr die größte Herausforderung für die Pornoindustrie sind. In einer Umfrage des US-Informationsdienstes XBIZ („Research Report 2012“) geben nur 14,6 Prozent der Branchenvertreter an, Piraterie sei der größte Einflussfaktor für das heutige Geschäft.
Für 44,2 Prozent der Befragten hat dagegen „kostenlose Pornographie“ an sich den größten Einfluss. Gemeint sind damit vor allem legale, kostenlose Streaming-Portale (sogenannte ‚Tube‘-Seiten), die hunderttausende Filme im Netz zeigen.
XBIZ-Experte Stephen Yagielowicz vergleicht die wenigen Firmen hinter den Streaming-Portalen mit der Spezies der Borg, bekannt aus der Weltraumsaga Star Trek. Unter dem Motto „Widerstand ist zwecklos“ assimilieren die Borg alle anderen Kulturen im Universum. Eine ähnlich „unaufhaltsame Kraft“ stelle das Unternehmen Manwin für die Pornoindustrie dar, meint Yagielowicz. Manwin mit Hauptsitz Sitz in Luxemburg bespielt eine Vielzahl von Streaming-Portalen wie youporn.com, xvideos.com und pornhub.com mit Gratis-Videos aus den eigenen Studios und Archiven. Regelmäßig kauft Manwin weitere Produktionsfirmen mitsamt Repertoire hinzu. „Manwin repräsentiert die Entwicklung der Branche – weg von vielen kleinen Firmen hin zu einer Art Monokultur, die alle anderen Angebote verschlingt“, so Yagielowicz gegenüber iRights.info.
Die legale Kostenlos-Konkurrenz macht auch Michael Klein zu schaffen, Präsident des Erotik-Konzerns Hustler. „Der Effekt all der rechtlichen Maßnahmen gegen die Internetpiraterie (…) wird von einem riesigen Schlag gegen die Industrie geschmälert, nämlich durch die ‚Tube‘-Seiten, die vor einigen Jahren zu florieren begannen“, so Klein im XBIZ-Branchenreport.
Porno Valley in der Krise
Die kostenlosen Streaming-Seiten und Amateur-Filme setzen die Studios unter Druck, sich nach dem Online-Boom zu konsolidieren. „Die kostenlosen Inhalte und der allgemeine Umsatzrückgang führt zu weniger Arbeit und schlechterer Bezahlung für die Darsteller“, berichtet Yagielowicz aus dem kalifornischen San Fernando Valley, dem Hauptstandort der US-Pornobranche. „Die 30.000-US-Dollar-Filmproduktionen sind fast alle weg“, beobachtet auch David Sutton, Chef des Pornounternehmens VCX. „Sie werden von Regisseur-Produzenten ersetzt, die einen beschissenen Film mit fünf Szenen und einer einzigen Kameraeinstellung für weniger als 5.000 US-Dollar drehen.“
Auch in den Segmenten aus analogen Zeiten schrumpfen laut XBIZ weiterhin die Umsätze, etwa bei Porno-Videotheken, -Kinos und -Magazinen. Es sei die „Eine-Milliarde-Dollar“-Frage, wie mit Pornographie künftig Geld zu verdienen sei, so Yagielowicz. Der Branchenexperte verzeichnet eine weit verbreitete Abneigung der Nutzer, online noch für Inhalte zu zahlen. Abo-Modelle seien längst nicht mehr so erfolgreich wie zu Beginn des Internetbooms.
Die Finanzierung über Werbebanner zahlt sich laut Yagielowicz vor allem für die großen Player wie Manwil aus. Allein das Portal xvideos.com generiert laut Google Doubleclick Ad Planner etwa 4,5 Milliarden Seiten-Aufrufe (Page-Views) im Monat. Zum Vergleich: Die weltweit genutzte Nachrichtenseite CNN.com kommt in derselben Statistik auf etwa ein Drittel dieses Traffics. Für kleinere Pornoseiten ist Werbefinanzierung dagegen kein tragfähiges Geschäftsmodell.
„Unglücklicherweise verschwinden die Tube-Seiten nicht“
Die Filemacher müssen sich derweil entscheiden, ob sie auf der Kostenseite mit Billigproduktionen– etwa aus Osteuropa – konkurrieren wollen und können. Die billige Digitalfilmtechnik hat die Markteintrittsbarrieren im Grunde eingerissen. Oder sie setzen erst recht auf aufwändige Filme. Darin sieht Yagielowicz im Grunde den einzigen Weg für professionelle Unternehmen, einen Wettbewerbsvorteil gegen das „riesige Heer“ von Amateur-Produzenten zu erzielen, die ins Netz drängen.
Doch wie sind die aufwendigen Produktionen noch zu finanzieren, wenn die Bereitschaft der Kunden sinkt, für eine einzelne DVD 30 Euro oder mehr zu bezahlen, während das Netz von Gratis-Pornos nur so wimmelt? Die Branche scheint zusehends ratlos. „Unglücklicherweise verschwinden die Tube-Seiten nicht“, sagt Hustler-Chef Klein. Man müsse intelligent „mit ihnen“ und „um sie herum“ arbeiten, um online noch wachsen zu können. Das soll wohl heißen, nur manche Inhalte den Kostenlos-Portalen zu überlassen, und ansonsten einen exklusiven Bezahl-Bereich zu etablieren.
Neue Trends der Online-Erotik
Manche Akteure der Erotikbranche wenden sich inzwischen ganz von vorproduzierten Inhalten ab und setzen auf interaktive und personalisierte Dienste wie Live-Webcams. Weitere Trends sind laut XBIZ Anwendungen für mobile Endgeräte, 3D-Pornos, Online-Spiele, Cybersex, soziale Netzwerke und virtuelle Welten. Teilweise kostenpflichtige Netzwerke wie das „Red Light Center“ brauchen laut Yagielowicz aber noch technische Fortschritte, „um ihr wahres Potenzial zu entfalten“. Dass virtuelle, interaktive Sexwelten im Prinzip funktionieren, zeigt zumindest „Second Life“. In der einst als „revolutionär“ gehypten virtuellen Welt sind es vor allem die Cybersex-Orte, die noch von Spielern bzw. ihren Avataren bevölkert werden. In den digitalen Dependancen von Universitäten und Autounternehmen herrscht dagegen gespenstische Leere.
„Ein globaler Bedarf, der immer existieren wird“
In Pessimismus will sich der Branchenexperte Yagielowicz nicht üben. Das Wachstum der Pornoindustrie sei in den ersten Jahren des Internets „unnatürlich“ stark gewesen. Nun arrangiere sich die Branche mit den neuen Gegebenheiten. „Der Spaß der Wild-West-Tage mag vorbei sein, aber die Branche zieht immer noch die besten und schlauesten Köpfe an, und bedient einen globalen Bedarf, der in der Natur des Menschen liegt und immer existieren wird." Selbst Printmagazine würden wohl nicht völlig vom Markt verschwinden, meint Yagielowicz. Sie bräuchten im Gegensatz zum iPad keinen Strom, und eigneten sich deshalb immer noch am besten für einen Camping-Ausflug. Pornokinos würden ihr Angebot vielleicht mit speziellen, thematischen Filmnächten ausdifferenzieren.
Weiterhin optimistisch zeigt sich in der XBIZ-Branchenbefragung auch Bjorn Skarlen, dessen Firma Commercegate Zahlungen im Internet abwickelt. Die Effekte der frei verfügbaren Pornographie im Internet seien nicht alle schlecht. „Die Grenze zwischen dem gesellschaftlich akzeptierten Verhalten und der Erwachsenenunterhaltung verschwimmt, und immer mehr Menschen konsumieren Pornos, weil sie kostenlos und leicht zugänglich sind.“ Für die Industrie komme es darauf an, Produkte zu entwickeln, die ihr Geld wert sind. Auch in den Entwicklungsländern gäbe es noch großes Potenzial.
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