Plagiats-Jägerin: Systematische Fehlanreize an den Unis

Zur Person
Debora Weber-Wulff lehrt Internationale Medieninformatik an der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) in Berlin. Im Rahmen des 2011 gegründeten VroniPlag Wiki untersucht die Plagiatsforscherin Doktorarbeiten und Habilitationsschriften. VroniPlag Wiki dokumentierte unter anderem Plagiate in den Doktorarbeiten der FDP-Europapolitiker Silvana Koch-Mehrin und Jorgo Chatzimarkakis.
iRights.info: Zahlreiche Politiker und Wissenschaftler mussten Plagiate in ihren Doktorarbeiten eingestehen, die freiwillige Prüfer auf Plattformen wie VroniPlag Wiki dokumentiert haben. Verändern die Plagiatsjäger im Netz inzwischen den Wissenschaftsbetrieb?
Debora Weber-Wulff: Die Universitäten sind wie große Tanker, die nur sehr schwer umsteuern. Das fängt jetzt ganz langsam an. Manche versuchen sich nun der Diskussion zu entledigen, indem sie Software zum Aufspüren von Plagiaten kaufen, aber nur wenige begegnen dem Thema mit dem notwendigen Ernst. Es müsste an jeder Universität, in jedem Fachbereich, eine Prüfstelle geben, die Doktorarbeiten stichprobenartig untersucht und über Plagiate aufklärt. Auch müssten Studenten noch viel intensiver auf das wissenschaftliche Arbeiten vorbereitet werden.
iRights.info: Wie erklären Sie sich die Trägheit der zuständigen Institutionen?
D. W.-W.: Es ist sicherlich ein großes Problem, dass die Universitäten für jede abgeschlossene Dissertation leistungsbezogene Mittel bekommen, teilweise einen fünfstelligen Betrag pro Arbeit. Das kann ein Fehlanreiz sein. Die Universitäten haben im Grunde kein Interesse daran, dass ein Doktorand seine Arbeit zurückzieht oder durchfällt. Dort, wo möglichst viele Doktorarbeiten möglichst schnell abgeschlossen werden sollen, ist eher zu befürchten, dass sie gar nicht so genau durchgelesen und geprüft werden.
Mythos von der Macht des Schwarms
iRights.info: Was sollten die Professoren tun?
D. W.-W.: Sie müssen sich beschränken. Ich habe von einem Professor mit 100 Doktoranden gehört. Das ist doch absurd, die kann er gar nicht alle betreuen. Da geht es um das Geld, und hier liegt das Problem. Es muss der Grundsatz herrschen: Qualität statt Quantität.
iRights.info: Plattformen wie das VroniPlag Wiki werden als Beispiel genannt, wenn es um den Einfluss des Schwarms im Internet geht. Ist das VroniPlag Wiki ein Machtfaktor?
D. W.-W.: Das ist ein albernes Schlagwort, das sich Medien ausdenken. Es sind einfach ein paar Leute, die sich zusammengetan haben, und auf einer Internetplattform Dissertationen prüfen. Dieser mythische Schwarm, der irgendwelche Machtstrukturen durchrüttelt, lässt sich vielleicht im Feuilleton unterbringen, aber das ist doch reichlich übertrieben. Wichtig ist: Doktoranden müssen jetzt damit rechnen, dass ihre Arbeiten auch genau gelesen werden.
“Man möchte kein Nestbeschmutzer sein”
iRights.info: Sie haben sich intensiv mit Plagiaten auseinander gesetzt. Was treibt Plagiatoren an?
D. W.-W.: Ich nenne diese Arbeiten „Türschild“-Promotionen. Das sind Leute, die unbedingt einen Doktortitel an der Tür haben wollen, aus reinem Egoismus. Es geht ihnen nicht um die wissenschaftliche Erkenntnis. Das ist so ärgerlich und unfair, denn so viele Menschen arbeiten ernsthaft, und wollen wirklich etwas herausfinden. Aber wie Sie im VroniPlag Wiki sehen können, geht es ja nicht mehr um einzelne Doktoranden, sondern auch um ihre Chefs. Die Habilitationsschriften zweier Professoren stehen derzeit auf dem Prüfstand. Das muss man sich mal vorstellen.
iRights.info: Woran liegt es, dass selbst etablierte Wissenschaftler nicht sauber arbeiten?
D. W.-W.: Ein wesentlicher Grund ist ganz klar die Fixierung auf die Quantität der Veröffentlichungen. Viele öffentliche Gelder hängen nicht an der Leistung, sondern an der Quantität. Außerdem fehlt den Menschen im Umfeld das Rückgrat, etwas gegen die Missstände zu sagen. Man möchte kein Nestbeschmutzer sein und hofft lieber, dass das VroniPlag Wiki aktiv wird. Dabei wäre die universitätsinterne Prüfung ganz einfach.
“Das Vertrauen wird so langsam zerrüttet”
iRights.info: Auch auf der Chefebene gibt es ein systematisches Plagiatsproblem?
D. W.-W.: Es hat vielerorts Methode, zum Beispiel in den Naturwissenschaften. In vielen Laboren muss immer noch derjenige als Autor genannt werden, der das Geld für das Projekt beschafft hat, obwohl er oder sie vielleicht gar nichts geschrieben hat. Das nennt sich dann beschönigend Ehren-Autorenschaft. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) hat bereits 1998 festgestellt, dass es nicht der guten wissenschaftlichen Praxis entspricht, wenn man sich auf diese Weise mit fremden Federn schmückt. Doch es schert sich bis heute einfach kaum jemand darum. Es gibt Professoren mit einer Liste von 300 Veröffentlichungen und die bekommen dann die hochdotierten Stellen, weil sie vermeintlich mehr geschrieben haben, dabei waren sie das gar nicht. Andere, die 10 Jahre lang an 70 Aufsätzen geschuftet haben, haben bei der Stellenbesetzung das Nachsehen.
iRights.info: Es gibt heute viel mehr Möglichkeiten, Wissen digital zu teilen und zu vernetzen. Ist es da wirklich angeraten, so streng auf der Urheberschaft des Einzelnen zu pochen?
D. W.-W.: Wir müssen trennen. Manche Plagiate sind Urheberrechtsverletzungen, andere nicht, weil Texte aus der Public Domain oder aus der Wikipedia kopiert werden. Doch das ist zweitranging. Es bleibt einfach schlechte wissenschaftliche Praxis, zu verschweigen, woher etwas stammt. Die Universitäten haben ihr ganzes System auf Vertrauen aufgebaut. Das wird so langsam zerrüttet.
“VroniPlag Wiki untersucht laufend weiter”
iRights.info: Plagiatsjäger im Netz sind nicht überall beliebt. Manche halten sie für Denunzianten und Pedanten, die nichts Besseres zu tun haben. Ärgert Sie das?
D. W.-W.: Andere Leuten gehen ins Fußballstadion oder haben eine Modelleisenbahn. Manche empfinden Plagiate einfach als ungerecht und das treibt sie an. Das hat nichts mit Denunziantentum zu tun. Es gehört zum Kern der Wissenschaft, dass sie überprüfbar und kritisierbar ist. Die Plagiatsjäger dokumentieren ordentlich und transparent, dass manche Texte identisch mit anderen sind.
iRights.info: Das VroniPlag Wiki hat derzeit keine Politiker in der Mangel. Hat sich der Fokus verlagert?
D. W.-W.: Nein, der Fokus lag immer auf der Wissenschaft.Manche Medien haben in der Berichterstattung immer nur die Politiker rausgepickt. Doch VroniPlag Wiki untersucht laufend weiter. Aktuell sind 40 Fälle für so ernst befunden worden, dass sie mit Namen publiziert worden sind. Auch die zuständigen Universitäten wurden informiert.
Medizin: “Offenbar keinerlei Verständnis für wissenschaftliches Arbeiten”
iRights.info: Forschungsministerin Annette Schavan ist trotz aller Kritik an ihrer Doktorarbeit im Amt geblieben. Zu Recht?
D. W.-W.: Das ist eine politische Frage. Ich beschäftige mich mit Plagiaten. Ich habe große wissenschaftliche Bedenken, was die Arbeit von Frau Schavan betrifft, seitdem klar wurde, dass sie auch Fehler aus der Sekundärliteratur übernommen hat. Aber die Universität Düsseldorf muss über Frau Schavans Doktortitel entscheiden. Frau Schavans politisches Amt ist eine andere Frage, die ich nicht kommentieren will.
iRights.info: Es fällt auf, dass viele medizinische Arbeiten auf dem Prüfstand stehen. Wie erklären Sie sich das?
D. W.-W.: Im Bereich der Medizin zeichnet sich ein großer Bedarf an Kontrollen ab. Manchmal kommt es mir vor, als wäre es bei Medizinern der Normalzustand, die Texte in den Doktorarbeiten einfach zu plagiieren. Da gibt es offenbar keinerlei Verständnis für wissenschaftliches Arbeiten. Die Arbeiten zeichnen sich oft auch durch extreme Kürze aus.
iRights.info: Liegt es vielleicht daran, dass medizinisches Grundwissen jetzt nicht jedes Mal neu formuliert werden muss?
D. W.-W.: Das ist vollkommen egal. Wer sich am Ende Doktor nennt, muss eine Doktorarbeit abliefern, und nicht Texte, die ich nicht einmal als Hausarbeit akzeptieren würde. Mediziner müssen sich an den gleichen Standards messen lassen, die für alle anderen Fächer auch gelten, wenn sie unbedingt einen Doktortitel tragen wollen. Oder die Mediziner führen den M.D., den medizinischen Doktor, als eine automatische Berufsbezeichnung nach Studienabschluss ein, wenn das für die Arbeit unbedingt nötig ist. Das wäre ehrlicher als so zu tun, als hätten alle Mediziner promoviert. Das haben sie nicht. Viele scheinen ein paar Messungen im Labor zu machen und ein Paar Texte aus dem Lehrstuhlfundus zusammen zu kopieren. Da herrscht ein unglaubliches Unverständnis für Textarbeit. Man bekommt den Eindruck, dass es eine gemeinsame Festplatte mit Textbausteinen gibt, aus denen sich jeder bedienen kann. Wer sich in ein Gebiet einlesen will, stellt fest, dass in vielen Aufsätzen einfach dasselbe steht. Das stiehlt dem Leser Lebensarbeitszeit.
iRights.info: Sollten Doktoranden in diesen Fällen einfach drunter schreiben von wem sie kopiert haben, oder reicht Ihnen das nicht?
D. W.-W.: Das ist die zentrale Forderung. Auch die Mediziner müssen klar sagen: Diese Beschreibung des Versuchsaufbaus stammt aus Quelle x unseres Instituts. Das ist doch nicht so schwer. Da kann der Lesende dann zu dem Punkt springen, der neu ist.
2 Kommentare
1 Felix am 24. März, 2017 um 11:52
Was die Dame zum Thema “intensivere Vorbereitung der Studenten auf wissenschaftliches Schreiben” sagt, ist vollkommen richtig. Denn wenn es der Studierende nicht lernt, wie soll es dann der Doktorand können?
2 Anna N. am 28. Juni, 2019 um 22:45
Medizin ist hierbei eine wirklich sensible Frage..
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