Rasante Kunst, starres Urheberrecht?
Zum fünften Mal fand kürzlich der „Salon zum Geistigen Eigentum“ statt, eine interdisziplinäre Veranstaltungsreihe zu (urheber-)rechtlichen Themen. Die beiden Veranstalterinnen Viktoria Kraetzig und Ruth Lecher hatten für das Thema „Kunst-Plagiate im Wandel der Zeit“ in die Villa Grisebach in Berlin-Charlottenburg eingeladen, Berlins größtes Auktionshaus und zugleich bedeutende Kunstinstitution. Mit den Vortragenden Horst Bredekamp und Anna Ahrens waren zwei kunsthistorische, mit Friederike Gräfin von Brühl und Marie-Avril Roux Steinkühler zwei rechtswissenschaftliche Expert*innen vertreten. Marlene Grunert führte als Moderatorin durch den Abend.
Die vier Vortragenden ordneten das Plagiat in Kunstgeschichte und Recht ein. Herausgearbeitet wurde dabei auch, wie der urheberrechtliche Werkbegriff möglicherweise hinter neuen Anforderungen zurückbleibt: Technischer Fortschritt ermöglicht schnelles und präzises Reproduzieren von Werken, der dynamische Kunstmarkt bringt stetig neue Kunstformen der Imitation hervor – das Urheberrecht scheint demgegenüber in einem Starrzustand zu verweilen. Diese Diskrepanz bewirkt Schutzlücken: Lässt sich das Urheberrecht an die Entwicklungen anpassen?
Das Plagiat in der Kunst
Der bekannte Kunsthistoriker Horst Bredekamp eröffnete die Diskussion mit einer Einordnung von Plagiaten in der Kunstgeschichte. Er vertrat die Grundthese, dass Plagiate in der Kunstgeschichte grundsätzlich nicht existierten, da Kunst aus der Übernahme und Neuinterpretation bestehender Motive entstehe. Das Wiederholen von Motiven bedeute nicht zwingend eine Kopie – eine schlichte Abwertung als Plagiat sei daher zu pauschal.
Dies illustrierte Bredekamp am Beispiel der Gemälde der Heiligen Maria von verschiedenen alten Meistern. Da das heilige Motiv der Maria traditionell einer bestimmten Form und Darstellung folgt, weisen diese Gemälde deutliche Ähnlichkeiten zueinander auf. Laut Bredekamp drohe bei Veränderungen dieser Darstellungsweise eine Verfälschung des heiligen Motivs. Daher sei die Wiederholung dieser festgelegten Form unvermeidlich – ein Plagiat lasse sich in diesem Kontext nicht begründen. Die Unterscheidung zwischen Inspiration und Plagiat sei somit nicht immer einfach, da die formale Strenge des Motivs die künstlerische Freiheit einschränke.
Technischer Fortschritt: Gefahr für Kunstschaffende?
Bredekamp erkannte jedoch an, dass eine solche „plagiatsoffene“ These in Anbetracht sich wandelnder Kunstformen und technischen Fortschritts modifiziert werden müsse.
Technischer Fortschritt, wie Fotografie und Internet, erleichtere die Reproduktion von Kunstwerken in einer bis dahin unbekannten Schnelligkeit und Präzision. Diese Entwicklung gipfelt, so Bredekamp weiter, in der zunehmenden Integration von Künstlicher Intelligenz im Kunstbereich. Bredekamp zeigte dazu KI-generierte, fiktive David-Skulpturen im Stil Michelangelos, die täuschend echt wirkten.
Für den Kunsthistoriker stelle ein solches Produkt keine Kunst dar, sondern diene bloß als Medium für die menschliche Phantasie. Die technische Präzision werfe damit neue Fragen zur Imitation von Stil und Verdrängung menschlicher Kreativität auf. Es müssten – so Bredekamp – Schutzmaßnahmen für Kunstschaffende in Betracht gezogen werden, um „Eigentumsverluste“ zu verhindern.
Vervielfältigung und Ruhm: Kunst wird zu Konsum
Anna Ahrens erweiterte diese kunsthistorische Betrachtungsweise um die Verknüpfung von Vermarktung, Reproduktion und technologischen Fortschritt in der Kunst.
Im 19. Jahrhundert war Kunst vor allem ein Medium zur Sinnstiftung. Erst mit der Entwicklung des modernen Kunstmarkts ergaben sich für Kunstschaffende Einkommensquellen durch neue Vertriebswege und Kunstmuseen. Damit einher ging der zunehmende Wunsch nach Bekanntheit, die im 19. und frühen 20. Jahrhundert nur durch Reproduktionen, wie den Verkauf von Siebdrucken, erzielt werden konnte. In dieser Zeitepoche wurde auch der Grundstein unseres heutigen Konzepts des geistigen Eigentums in der Kunst gelegt.
Diese Situation hat sich vor dem Hintergrund technischen Fortschritts und neuer Reproduktionsmöglichkeiten jedoch grundlegend geändert, sodass traditionelle Konzepte neu gedacht werden müssen. Heutige Reproduktionen dienen weniger dem Vertrieb als der globalen Verbreitung. Der technische Fortschritt ermöglicht die Reproduktion in einer besonderen Schnelligkeit und Präzision. Diese Entwicklungen erfordern ein neues Verständnis von Original und Kopie sowie eine Neubewertung des Verhältnisses von künstlerischer Schöpfung und technischer Reproduktion. Es sei an der Zeit, sich von der veralteten Grundkonzeption des urheberrechtlichen Werkbegriffs zu lösen und tatsächliche Entwicklungen in den Werkbegriff aufzunehmen, so Ahrens.
Kunst ungleich Werk nach dem Urheberrecht: Anpassung erforderlich?
Masse, Schnelligkeit und Präzision von Reproduktionen bergen somit erhebliche Gefahren für Kunstschaffende: Verlust der eigenen künstlerischen Identität, Verwässerung der Urheberschaft, Entwertung des Originals und mehr. Um diesen zu begegnen, bedarf es eines Umdenkens in Bezug auf Plagiate und deren rechtlicher Handhabung.
Daneben entwickeln sich neue, innovative Kunstformen, die Imitation gezielt als künstlerisches Mittel einsetzen. Diese kreativen Ansätze werden vom traditionellen Werkbegriff nicht erfasst und bleiben dadurch rechtlich oft im Dunkeln. Während das Urheberrecht nämlich primär auf den Schutz des fertigen Werkes abzielt, vernachlässigt es den Schaffensprozess – eine Diskrepanz, die angesichts der sich wandelnden künstlerischen Praxis zunehmend problematisch wird.
„Appropriation Art“ und „Konzeptkunst“ führen das Urheberrecht an Grenzen
Dieses Problem hob Rechtsanwältin Friederike Gräfin von Brühl hervor und führte die Konzeptkunst als Beispiel an, bei der die Idee im Vordergrund steht und die physische Umsetzung zweitrangig ist. Der intellektuelle Aspekt der Kunst – das Konzept selbst – wird als das eigentliche Kunstwerk betrachtet. Da das Urheberrecht jedoch keine Ideen schützt, sondern das Werk in seiner Endgestalt, bleibt diese intellektuelle Dimension der Kunst rechtlich ungeschützt.
Auch Bredekamp führte in diesem Rahmen das Beispiel der Appropriation Art, eine Unterform der genannten Konzeptkunst, an. Bei dieser Kunstform werden fremde Schaffensprozesse imitiert und damit eine Anlehnung an bestehende Werke bewirkt. Obwohl der Schaffensprozess ein elementarer Teil der Kunst ist, drohe in dieser Kunstform die Enteignung eines individuellen künstlerischen Stils ohne rechtlichen Schutz, da das Urheberrecht nur das fertige Werk schützt.
An dieser Stelle wurde besonders deutlich, dass die dynamische Kunstentwicklung und der starre Urheberrechtsbegriff sich nicht decken und Schutzlücken entstehen. Auf die Frage, ob eine Anpassung des Werkbegriffs und der Kunst möglich seien, gaben die Expert*innen keine einheitliche Antwort. Von Brühl schlug vor, die Idee selbst durch publizistische Maßnahmen, ähnlich den Zitierrichtlinien der sog. Guten Wissenschaftlichen Praxis (GWP), zu schützen – eine Art Ehrenkodex, der persönliches Engagement erfordere.
Die französische Rechtsanwältin Marie-Avril Roux Steinkühler ging einen Schritt zurück und hinterfragte, ob eine Lockerung oder Schärfung des Werkbegriffs notwendig sei. Sie stellte die grundsätzliche Frage: Was will die Gesellschaft? Soll Plagiieren stärker toleriert werden, um bestehende Werke zu erweitern und die Kunst zu fördern? Oder sind moralische Beschränkungen notwendig, um die Ehre der Kunstschaffenden zu wahren? Diese Diskrepanz verdeutlicht, wie offen, komplex und diskussionswürdig das Problem tatsächlich ist.
Das Plagiat im Recht
Schließlich ordnete Rechtsanwältin von Brühl das „Plagiat“ juristisch ein. Sie beschrieb das Plagiat als die Aneignung fremder geistiger Leistungen mit der Absicht, diese als eigene auszugeben. Zwar definiere das Urheberrecht das „Plagiat“ nicht ausdrücklich, es könne dennoch zu verschiedenen Urheberrechtsverletzungen führen, die ihrerseits etwa ein Recht auf Anerkennung der eigenen Urheberschaft begründen können.
Von anderen Instituten wie der Fälschung unterscheide sich der Plagiator in seinem Willen als Schöpfer, wohingegen der Fälscher das Werk als das einer anderen Person ausgeben möchte. Ein Zitat hingegen integriert fremde kreative Leistungen in einen eigenen Kontext und ermöglicht trotz der Verwendung fremder Ideen eine eigene Originalität.
Das Plagiat in Frankreich: Eine Sache der Persönlichkeit
Marie-Avril Roux Steinkühler wies auf die französische Regelung des „Parasitismus“ hin, die im deutschen Recht fehlt. Eine solche Regelung könne für die rechtliche Einordnung von Plagiaten fruchtbar gemacht werden, so die Anwältin. In Frankreich ermöglicht diese zivilrechtliche Haftung Schadensersatzansprüche, wenn jemand fremde Werke nutzt, um durch die Aneignung der Bekanntheit Anderer wirtschaftliche Vorteile zu erzielen. Diese Regelung spiegele die besondere Gewichtung des Urheberpersönlichkeitsrechts in der französischen Rechtsordnung wider. Offen sei, ob eine solche Regelung auch in Deutschland Bestand haben könnte.
Bredekamp entgegnete daraufhin, dass das deutsche Urheberrecht vor allem den Schutz des Werkes und seiner Ausdrucksform in den Vordergrund stelle, während Frankreich das Urheberpersönlichkeitsrecht stärker gewichte. Diese unterschiedliche Schwerpunktsetzung erschwere eine direkte Übertragbarkeit in das deutsche Recht.
Urheberrecht im Starrzustand?
Die Diskussionen des Abends unterstrichen, dass der Schutz von Kunst in einem sich schnell wandelnden Umfeld ein vielschichtiges Thema bleibt. Die Entwicklungen in der Kunst sind rasant, geprägt von technischen Entwicklungssprüngen. Das Urheberrecht hingegen scheint in einem Starrzustand zu verweilen und auf die Entwicklungen nicht zu reagieren. Kunstformen wie die Konzeptkunst zeigen, dass Schaffensprozesse als wesentliche Teile der Kunst rechtlich nicht ausreichend geschützt werden, da bloß das fertige Werk Schutz genießt. Was urheberrechtlich als Plagiat bewertet wird, entspricht daher nicht dem, was in der Kunstwelt als schützenswert erachtet wird.
Die effektive Angleichung von Kunst- und Werkbegriff bleibt eine Herausforderung. Es gilt, die Balance zwischen den Interessen der Kunstschaffenden und der Förderung künstlerischer Freiheit und Innovation zu finden. Eine Lösung erfordert jedoch zwingend den Dialog zwischen Recht und Kunst.
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