Piraten-Studie zu Musiker-Einkommen: Widersprüchliche Zahlen
(Inzwischen hat der Verband unabhängiger Musikunternehmen (VUT) Stellung zur Studie genommen; weiteres dazu in unserem Blog)
In seiner Untersuchung kommt Hufgard zu dem Schluss, dass Musiker im Jahr 2011 inflationsbereinigt 5,6 Prozent höhere Einnahmen hatten als 1995. Grundlage seiner Analyse sind die Daten der Künstlersozialkasse. Mitglieder der KSK melden einmal im Jahr ihr voraussichtliches Einkommen für das Folgejahr und bezahlen auf dieser Basis einen Anteil an den Sozialabgaben, also beispielsweise Beiträge zur Kranken- und Rentenkasse.
Das Gesamteinkommen aller von Künstlern gemeldeten Einkommen ist seit 1995 auf das Dreifache gestiegen, von 770 Millionen Euro auf 2.323 Millionen Euro 2011. Im selben Zeitraum hat sich die Anzahl der KSK-Mitglieder um den Faktor 2,3 vergrößert, so dass das Einkommen pro Kopf, je nach Sparte (Musik, Wort, bildende Kunst, darstellende Kunst) zwischen 25 und 35 Prozent gestiegen ist. So meldeten Musiker 1995 ein Jahreseinkommen von 8.781 Euro, 2011 waren es 11.781 Euro. Inflationsbereinigt ist der Anstieg wesentlich geringer, beträgt aber immerhin noch 5,6 Prozent in der Sparte Musik.
Geht es Musikern finanziell tatsächlich besser?
Auch wenn der Zuwachs auf sehr niedrigem Niveau stattfindet, ist das erst einmal erfreulich für die Musiker. Allerdings unterschlägt die Rechnung, dass es in einigen Jahren zwischen 1995 und 2006 auch zu teils großen Einkommensverlusten kam. Der Einkommenszuwachs ist also kein Trend. Im Gegenteil: Legt man ein Szenario zugrunde, bei dem die Musiker seit 1995 jedes Jahr real, also inflationsbereinigt, ein gleichbleibendes Einkommen erwirtschaftet hätten, wären in den 17 Jahren 167.776 Euro pro Kopf zusammen gekommen. Tatsächlich waren es 166.924 Euro – also ein „Verlust“ von 852 Euro.
Hufgards Schlussfolgerungen stehen schon deshalb auf wackeligen Füßen, weil sie von einem Einkommenswachstum sprechen. Doch selbst wenn man sich dieser Interpretation anschließt, bleiben viele Fragen offen. Hufgard sieht das Internet nicht unmittelbar als Ursache für das von ihm errechnete Wachstum. Zugleich schreibt er, dass die höheren Einkommen deshalb entstehen, weil „das Internet eine Möglichkeit für Kreative ist, ihre Werke direkt ohne Zwischenhändler anzubieten“.
Das konnten Künstler allerdings schon spätestens seit 2003 tun, als das Netzwerk MySpace online ging, oder 2005 mit dem Start der Video-Plattform YouTube. Ohnehin ist es unzulässig, aus einer Korrelation von Faktoren darauf zu schließen, dass der eine die Ursache für den anderen sei – in diesem Fall also die neuen Vermarktungsmöglichkeiten der Grund für das (vermeintlich) gestiegene Einkommen.
Die KSK kann sich die Ursache für den Anstieg der gemeldeten Einkommen seit dem Jahr 2007 nach eigener Aussage nicht erklären. Allerdings ist die Kasse seit 2007 gesetzlich dazu verpflichtet, rund fünf Prozent der Versicherten stichprobenartig daraufhin zu kontrollieren, ob sie ihre Einkommen nicht zu gering angeben, etwa um dadurch Beiträge zu sparen. Im schlimmsten Fall droht dann ein Bußgeld. Das könnte dazu geführt haben, dass die Musiker höhere Einkommen gemeldet haben.
Weit reichende Schlussfolgerungen, magere Fakten
Hufgard kommt zu dem Fazit: „Das Internet ist ganz eindeutig nicht der Untergang der Kreativen. Es gab zwar Anpassungsschwierigkeiten, diese haben aber vor allem Rechteverwerter getroffen, die sehr träge auf den sich ändernden Markt reagiert haben. Die Auswirkungen auf die Situation der Künstler waren im Gegenteil dazu mehrheitlich positiv.“ Diese weit reichende Schlussfolgerung wird aber durch die von ihm präsentierten Fakten nicht bestätigt. Es ist lediglich erkennbar, dass das durchschnittliche Einkommen von Kreativen allgemein sehr niedrig ist, und dass es in besagtem Zeitraum nicht zu massiven Einbußen bei den Einkommen gekommen ist, die der KSK gemeldet wurden.
Völlig offen bleiben die Gründe für die Einkommensveränderungen der Musiker. An die Künstlersozialkasse melden die Musiker das so genannte Arbeitseinkommen, also die Differenz zwischen Betriebseinnahmen und Betriebsausgaben. Betriebseinnahmen sind Einnahmen, die „unmittelbar mit der selbständigen künstlerischen oder publizistischen Tätigkeit zusammenhängen (z. B. Honorare, Tantiemen, Gagen)“, also auch „alle urheberrechtlichen Vergütungen, auch solche, die über Verwertungsgesellschaften bezogen werden (GEMA, GVL, Verwertungsgesellschaft Wort, Verwertungsgesellschaft Bild-Kunst etc.).“
Somit wäre beispielsweise denkbar, dass Musiker aus Plattenverträgen und GEMA-Einkünften ein geringeres Einkommen beziehen als 1995, etwa weil die Umsätze mit Tonträgern stark gesunken sind, diese Verluste aber durch Musikunterricht und Auftragskompositionen für Werbung ausgleichen konnten. Allein aus der Höhe der bei der KSK gemeldeten Einkünfte können keine Schlüsse gezogen werden, wie sich die Verbreitung des Internets im Detail auf die Zusammensetzung dieser Einkünfte ausgewirkt hat.
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