Paul Keller: Die Berner Übereinkunft ist ein Totschlagargument
Die heutzutage in allen EU Staaten geltenden urheberrechtlichen Regelungen lassen sich in ihren Grundzügen auf die Berner Übereinkunft zum Schutz von Werken der Literatur und Kunst aus dem Jahr 1886 zurückführen. Mit dieser Übereinkunft wurden Ende des neunzehnten Jahrhunderts die Regeln für den grenzübergreifenden Schutz von Urheberrechten vereinbart.
Um einen effektiven Schutz zu gewährleisten, etabliert die Berner Übereinkunft eine Reihe von Mindeststandards, die Mitgliedsländer in ihren nationalen Urheberrechten umzusetzen haben. Zu diesen Mindeststandards gehört eine Mindestschutzdauer von fünfzig Jahren über den Tod des Urhebers hinaus und die Tatsache, dass Urheberrechtsschutz automatisch zustande kommt.
Leider erweisen sich diese beiden Prinzipien mehr als 100 Jahre nach ihrer Vereinbarung als sehr problematisch: Die Tatsache, dass Urheberrechtsschutz automatisch zustande kommt, bedeutet, dass inzwischen große Mengen an „geschützten“ Werken entstehen, deren Autoren diesen Schutz gar nicht wünschen oder nötig haben.
Und auch die aus der Berner Übereinkunft abgeleitete lange Schutzdauer (inzwischen 70 Jahre nach dem Tod des Autors) ist problematisch. In vielen Fällen lassen sich Urheber nach einiger Zeit nicht mehr identifizieren oder aufspüren. Dies hat dazu geführt, dass es inzwischen eine große Anzahl an geschützten Werken gibt, deren Urheber nicht um Zustimmung für neue Gebrauchsformen gefragt werden können (sogenannte verwaiste Werke). In der letzten Konsequenz bedeutet dies, dass der Zugang zu diesen Werken für neue Verwendungsformen einen Verstoß gegen das Urheberrecht darstellen würde.
Hierdurch können zum Beispiel Millionen historischer Werke nicht digitalisiert und online zugänglich gemacht werden und wissenschaftliche Artikel, die in inzwischen nicht mehr bestehenden Zeitschriften publiziert wurden, nicht automatisch analysiert werden.
Eine relativ einfache Maßnahme, um die Zuname der Zahl der ungewünscht geschützten und verwaisten Werke zu beenden, wäre ein Registrierungssystem, das dafür sorgt, dass nur solche Werke, die durch ihre Urheber registriert werden, urheberrechtlichen Schutz genießen. Im Internet-Zeitalter ist ein solches System relativ einfach, kostengünstig und transparent zu realisieren.
Für Werke, deren Autoren auf eine Registrierung verzichten, würde dann nur ein Schutz der Urheberpersönlichkeitsrechte gelten. Nutzungsformen, die diese Rechte nicht antasten, würden fortan ohne Zustimmung der Urheber möglich sein.
Bedauerlicherweise steht einer derartigen Modernisierung des Urheberrechtes die Berner Übereinkunft im Wege. Die Bestimmung, dass Urheberrechtsschutz automatisch zustande kommt, verhindert die Einführung eines effektiven Registrierungssystems. Es ist darum höchste Zeit, eine ernsthafte Diskussion über den Sinn und Unsinn der Berner Übereinkunft zu beginnen.
Diese ist hat sich in den letzten Jahren von einen sinnvollen Schutzmechanismus zu einem Totschlagargument entwickelt. Als solches dient sie vor allem Befürwortern des Status quo, in deren Augen es keine Anpassungen des Urheberrechtes geben kann, die sich nicht an die Realität des Jahres 1886 hält.
Zur Person
Paul Keller, Jahrgang 1974, ist Geschäftsführer und Senior Copyright Policy Advisor des Amsterdamer Think-Tanks Kennisland. Paul Keller arbeitet mit Museen, Archiven und Bibliotheken an offenen Urheberrechtsstrategien und ist verantwortlich für das Lizenzierungsframeworks des Europäischen Kulturportals Europeana.
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