Panoramafreiheit: Fragen und Antworten zur aktuellen Diskussion
Panoramafreiheit
Auch Bauwerke und Architektur können urheberrechtlich geschützte Werke sein, für Fotos und Videos von ihnen sieht das deutsche Urheberrecht aber eine Einschränkung vor: Die Panoramafreiheit erlaubt es, solche Werke ohne Genehmigung zu fotografieren oder aufzunehmen und die Aufnahmen zu veröffentlichen und zu verwerten. Voraussetzung ist, dass man sie von öffentlichen Straßen oder Plätzen aus sieht. Sie gilt auch für Kunstwerke im öffentlichen Raum, wenn sie dort dauerhaft stehen. Mehr zum Thema.
Wer hat was verboten oder möchte es verbieten?
„Die EU“ hat bislang nichts verboten, auch wenn es hier und da so klingt und man bereits von der „Abmahnfalle Facebook-Selfies“ hört. Auch das EU-Parlament hat bislang noch keine endgültige Position dazu entwickelt, ob es an den bestehenden Regelungen etwas ändern möchte.
Auslöser der aktuellen Diskussion ist eine Forderung, die der Rechtsausschuss des EU-Parlaments beschlossen hat. Sie hat den Charakter eines Vorschlags und ist Teil eines größeren Berichts zum Urheberrecht, den die EU-Abgeordnete Julia Reda (Piraten, Fraktion Grüne/EFA) vorgelegt hat. Nicht bei allen ihren Forderungen ist sich Reda dabei mit dem Rechtsausschuss einig geworden. Angedacht war in Redas Bericht ursprünglich, die Panoramafreiheit EU-weit auszubauen.
Im Rechtsausschuss stimmten Christdemokraten, Sozialdemokraten und der liberale Abgeordnete Jean-Marie Cavada am 16. Juni dann für einen Änderungsantrag (Nr. 421, PDF): Die Forderung in Redas Bericht lautet seitdem, dass es bei der gewerblichen Nutzung von Fotos „immer an die vorherige Einwilligung der Urheber oder sonstigen Bevollmächtigten geknüpft sein sollte“, wenn die Aufnahmen fremde Werke an öffentlichen Plätzen zeigen, etwa urheberrechtlich geschützte Gebäude. Auf der Website von Julia Reda werden die ursprüngliche und die geänderte Forderung gegenübergestellt.
Was folgt aus einem solchen Beschluss?
Unmittelbar nichts, mittelbar aber vielleicht doch etwas: Derzeit hat der Reda-Bericht zum Urheberrecht erst eine Zwischenstation genommen und wird als nächstes im Plenum des EU-Parlaments behandelt werden. Das Parlament kann die Änderungen aus dem Rechtausschuss dann übernehmen oder den Bericht erneut ändern.
Doch auch, wenn das Parlament sie übernimmt, hat der Bericht allein keine Gesetzeskraft. Das Parlament kann die EU-Kommission nur dazu auffordern, Gesetzesinitiativen vorzulegen, da ihm diese Kompetenz fehlt. Auch die Kommission kann sich bei ihren Initiativen dann wieder anders entscheiden. Um tatsächlich etwas an der Panoramafreiheit zu ändern, müsste die EU-Kommission eine neue Regelung vorlegen und sich anschließend mit Parlament und Ministerrat darüber einig werden. Wenn dabei die bestehende Urheberrechts-Richtlinie geändert wird, müssten die EU-Länder anschließend ihre nationalen Gesetze ändern.
Im Moment geht es also um eine sehr frühe Stufe im politischen Prozess. Entscheidend dabei ist, dass dem Reda-Bericht von allen Beteiligten – Gegnern wie Befürwortern – große politische Symbolkraft zugemessen wird, selbst wenn er keine unmittelbaren Änderungen bewirkt.
Ist also alles viel Lärm um nichts?
In der Diskussion gibt es viel Aufregung und manche Übertreibung. Dennoch wäre es für viele Beteiligte eine schlechte Entwicklung, wenn das EU-Parlament Forderungen beschließt, die letztlich eine deutliche Einschränkung der in Deutschland und anderswo heute geltenden, deutlich liberaleren Regelungen bedeuten würden:
- In Deutschland und den meisten anderen Ländern sehen die Urheberrechtsgesetze die Panoramafreiheit auch für die kommerzielle Nutzung vor. Es ist nicht bekannt, dass Architekten und andere Kreative dadurch in ihrer Existenz bedroht oder unverhältnismäßig in ihren Rechten beschnitten würden.
- Für Fotografen und Dokumentarfilmer würden neue Hürden für ihre Arbeit aufgebaut, falls die Panoramafreiheit auf nichtkommerzielle Nutzungen beschränkt werden würde. Sie müssten zusätzlich Lizenzen für Nutzungen erwerben, die zuvor erlaubnisfrei waren.
- Plattformen wie die Wikipedia basieren auf freien Lizenzen, die auch die kommerzielle Nutzung erlauben. Würden Fotos von Gebäuden oder Kunstwerken im öffentlichen Raum nur zur nichtkommerziellen Nutzung erlaubt sein, fielen sie für die Wikipedia und andere Communities um freie Inhalte weg. Für diese sind bereits die jetzigen Regelungen der verschiedenen EU-Länder komplex genug, weshalb sie eine EU-weite Panoramafreiheit fordern.
- Online-Dienste wie Facebook, auf denen Nutzer Inhalte posten, werden meist kommerziell betrieben. Sie lassen sich von den Nutzern bestimmte Rechte einräumen, damit etwa hochgeladene Bilder online sichtbar werden können. Wie die Plattformen darauf reagieren würden, wenn Bilder von öffentlichen Orten leichter Urheberrechte verletzen würden, bleibt offen. Man könnte sich etwa vorstellen, dass Bilder bestimmter öffentlicher Orte abgelehnt oder automatisch ausgefiltert werden. Hier kann man im Moment aber nur Spekulationen anstellen.
Warum wird jetzt über eine Einschränkung diskutiert?
Die Diskussion über die Panoramafreiheit steht im Kontext der geplanten EU-Urheberrechtsreform. Die EU-Kommission hat konkrete Initiativen dazu frühestens für Herbst 2015 angekündigt. Sie hat bereits ein Strategiepapier zum „digitalen Binnenmarkt“ vorgelegt, das ihre Ziele umreißt. Einer der Ansätze für einheitlichere Regeln besteht darin, weitere zwingende Ausnahmen vom Urheberschutz für die EU-Länder vorzugeben. Eine Regelung zur Panoramafreiheit ist bislang nicht verpflichtend, sondern bleibt im Ermessen der jeweiligen Mitgliedstaaten. In Europa gibt es daher einen Flickenteppich unterschiedlicher Regelungen.
Eine solche „Harmonisierung“ im Urheberrecht kann aber ebenso dazu führen, dass Länder mit liberaleren Regelungen wie Deutschland oder Großbritannien aufgefordert wären, die Panoramafreiheit wieder einzuschränken. Eben darauf laufen die Änderungen am Reda-Bericht, die nun formuliert wurden, hinaus.
Diese Folge ließe sich aber auch vermeiden, wenn von den EU-Ländern nur ein gemeinsamer Mindeststandard bei den Ausnahmeregelungen gefordert würde. Weitergehende Regelungen wie zur Panoramafreiheit in Deutschland könnten dann beibehalten werden.
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Werden jetzt Selfies mit Gebäuden verboten?
Verboten wird – siehe oben – erst einmal nichts. Man kann aber fragen, ob auch alltägliche Nutzungen wie Selfies auf Facebook betroffen wären, wenn Forderungen nach einer Einschränkung der Panoramafreiheit auf lange Sicht politischen Erfolg haben. Das wäre möglich, unter einigen Voraussetzungen:
- Beim Gebäude müsste es sich um ein urheberrechtlich geschütztes Werk handeln, dessen Schutzfrist außerdem noch nicht abgelaufen ist. Der Eiffelturm wird oft als Beispiel angeführt, weil er das Prinzip gut illustriert: Die Schutzfrist am Werk „Eiffelturm“ selbst ist abgelaufen; die nächtliche Lichtinstallation ist aber noch urheberrechtlich geschützt. Daher können Nachtfotos des Turms Urheberrechte verletzen und dürfen nicht ohne Erlaubnis genutzt werden.
- Das Gebäude müsste ein entscheidender Teil des Bildmotivs sein. Gehört es nicht zum eigentlichen Motiv, könnte es auch als „unwesentliches Beiwerk“ gelten und durch diese oder ähnliche Regelungen in anderen Ländern erlaubt sein.
- Aus Ländern wie Frankreich – die keine der deutschen Panoramafreiheit vergleichbare Regelung haben – wird nicht davon berichtet, dass etwa von Facebook-Nutzern Lizenzzahlungen für Urlaubsbilder aus Paris eingefordert werden. In der Praxis werden diese vor allem eingefordert, wenn die Motive zum Beispiel als Postkarte verkauft oder ähnlich verwertet werden.
Alles in allem: Bei Postings auf Facebook, Instagram und anderen Plattformen würde sich in der Praxis wohl erst dann etwas ändern, wenn die Betreiber irgendwann aufgefordert werden würden, für die von Nutzern hochgeladenen Bilder zu zahlen. Direkte Abmahnungen auch privater Nutzer der Plattformen wären wohl eher unwahrscheinlich. Aber der Graubereich würde zumindest größer werden, falls entsprechende Regelungen tatsächlich umgesetzt werden würden.
4 Kommentare
1 Peter Geher am 26. Juni, 2015 um 12:49
Ich denke, dabei geht es nur um Google und Streetview. Denn überlegt mal, wie viel Geld man so von Google erpressen könnte ….
2 Andreas Undeutsch am 28. Juni, 2015 um 22:25
Das EU-Parlament wird langsam aber sicher schwachsinnig bei der Findung neuer Verbote und Gesetztefindungen. Das Gesetz kommt einem Berufsverbot gleich.
Arbeiten in der EU eigentlich Menschen ?
Was sagen Sie dazu?