Openwashing: Wenn Offenheit zum leeren Versprechen wird

Open. CC BY, Miki Yoshihito
Ein wesentlicher Vorteil der vernetzten Welt ist es, dass Menschen von überall auf der Welt Projekte gemeinsam entwickeln, fortführen und verbessern können. Diese Möglichkeit wurde besonders in der Open-Source-Bewegung frühzeitig erkannt und genutzt. Vor allem die 1985 gegründete Free Software Foundation (FSF) und die 1998 entstandene Open Source Initiative (OSI) sind als Förderer des Modells bekannt geworden.
„Free“ und „open“: ähnlich, aber nicht identisch
Die Begriffe „free“ und „open“ meinen bei Software zwar ähnliche Dinge, sind aber nicht ganz identisch. Die FSF nennt in ihrer „Free Software Definition“ vier Freiheiten: Nutzer dürfen ein Programm erstens verwenden, wie sie wollen und zu jedem beliebigen Zweck ausführen. Sie dürfen zweitens das Programm und den zugrundeliegende Code untersuchen und verändern. Sie dürfen es drittens weiterverbreiten und es viertens auch in veränderten, verbesserten Versionen weitergeben. Der Begriff „free“ bezieht sich also auf die gewährten Freiheiten und meint nicht zwingend eine kostenlose Überlassung.
Die Open Source Initiative nennt ihrer Definition zehn Merkmale, die Open-Source-Software ausmachen. Dazu gehört unter anderem, dass die Software weitergegeben oder auch verkauft werden darf, jedoch ohne Lizenzgebühr. Der Quellcode muss für alle verfügbar sein, Änderungen und ihre Weiterverbreitung müssen auch hier erlaubt sein. Außerdem dürfen keine Personen, Gruppen oder Verwendungszwecke davon ausgeschlossen werden.
In der Praxis erfassen beide Ansätze sehr häufig die gleiche Software, unterscheiden sich jedoch in ihrer Philosopie, die auf verschiedenen Werten beruht. Die Free-Software-Bewegung nimmt sich eher als soziale Bewegung wahr und verfolgt einen stärker ethisch-moralischen Ansatz, der auf die Freiheiten der Nutzer abzielt. Der Begriff Open Source steht eher für eine pragmatische Ansicht, die den Nutzen von offenem Code für die Softwareentwicklung betont.
Gemeinsamer Erfolg durch geteilten Arbeitsaufwand
Der Grundgedanke hinter Open Source ist simpel: Durch die kollektive Entwicklung von Software wird der Arbeitsaufwand geteilt. Der gemeinsame Erfolg wird dadurch gefördert wird, dass das Resultat ebenfalls geteilt wird. Das Mittel dafür sind Lizenzen, die das Vervielfältigen, Ändern und Verbreiten erlauben. Hinter einem Open-Source-Projekt steht häufig eine Community, die sich um die Entwicklung, Sicherheit und zukünftige Ausrichtung der Software kümmert.
Durch den freien Zugang zu Innovationen und deren stetige Weiterentwicklung erfüllt die Open-Source-Community somit einen praktischen Nutzen für die Allgemeinheit. Als Grundmodell für Open-Source-Lizenzen gilt die GNU General Public License (GNU/GPL), eine der sogenannten Copyleft-Lizenzen. Das bedeutet, dass alle Umgestaltungen und Bearbeitungen eines Programms unter identischen oder ähnlichen Lizenzbedingungen weitergegeben werden müssen. Damit soll erreicht werden, dass andere die Freiheiten, welche die Lizenz gewährt, nicht nachträglich wieder einschränken.
Open Source war nur der Anfang
Die Idee der offenen Lizenzen wurde auch auf andere Bereiche übertragen. Für Inhalte wie Texte, Bilder oder Musik hat sich die Bezeichnung Open Content etabliert. Gemeint sind damit Werke unter solchen Lizenzen, die es anderen leichter machen, die Inhalte zu verwenden, als die gesetzlichen Regelungen des Urheberrechts allein es erlauben würden. Am bekanntesten sind die Creative-Commons-Lizenzen. Creative Commons bietet unterschiedliche, kombinierbare und standardisierte Lizenzbausteine an, mit denen Urheber bestimmte Nutzungen freigeben können.
Unter Open Access versteht man die Idee, die Ergebnisse wissenschaftlicher Forschung frei zugänglich und nutzbar zu machen, vor allem, wenn sie öffentlich finanziert wurde. Als Open Educational Resources werden freie Lehr- und Lernmaterialien wie etwa Schulbücher bezeichnet. Open Data bezeichnet Datensammlungen zum Beispiel von öffentlichen Stellen, die allgemein verfügbar gemacht und ebenfalls frei verwendet und verbreitet werden dürfen. Museen, Bibliotheken und Archive haben begonnen, ihre digitalisierten Sammlungen als Open Collections ins Netz zu stellen.
Die Open Knowledge Foundation hat mit der „Open Definition“ einen Vorschlag für ein gemeinsames Verständnis von Offenheit vorgestellt, das sowohl Inhalte als auch Daten umfasst. In der Zusammenfassung heißt es: „Wissen ist offen, wenn jedeR darauf frei zugreifen, es nutzen, verändern und teilen kann – eingeschränkt höchstens durch Maßnahmen, die Ursprung und Offenheit des Wissens bewahren.“
Openwashing: Nur scheinbar „open“
Ist „open“ dagegen zum leeren Schlagwort geworden, lässt sich auch von „Openwashing“ sprechen. Michelle Thorne von Creative Commons lieferte 2009 eine Definition dafür. Openwashing meint demnach die Außendarstellung eines Projekts oder Produkts als open, obwohl solche Merkmale nicht vorliegen. Abgeleitet wird der Ausdruck vom „Greenwashing“, der Selbstdarstellung von Unternehmen als ökologisch nachhaltig, ohne es tatsächlich zu sein.
Als Beispiel nannte Thorne eine Kampagne der Stadt Berlin, die unter dem Motto „Sei offen, sei frei, sei Berlin“ dazu aufrief, Fotos einzusenden. Im Kleingedruckten war es jedoch untersagt, die Bilder weiterzuverwenden; selbst der Download der Bilder von der Website der Kampagne sollte in den Nutzungsbedingungen verboten werden.
Ungefähr zur selben Zeit entstand auch die Bezeichnung „fauxpen“, eine Kombination der Wörter „faux“ (falsch) und „open“. Die Website fauxpensource.org schreibt sie dem Berater Phil Marsosudiro zu. Nach der dortigen Definition geht es um Software, die als Open Source angepriesen wird, ohne die Bedingungen der OSI-Definition von Open Source zu erfüllen.
Wie erkenne ich Openwashing?
In einigen Fällen wird der Vorwurf des Openwashings auf Ignoranz zurückzuführen sein: Die Zuständigen wissen nicht oder wollen nicht einsehen, welches Verständnis von „open“ in den jeweiligen Communities anzutreffen ist, zum Beispiel bei Software-Entwicklern. In anderen Fällen gibt es einen Meinungsstreit darüber, was tatsächlich als „open“ zu bezeichnen ist und was nicht. Im schlechtesten Fall inszenieren sich Unternehmen oder andere Projekte bewusst als „open“, um von der Strahlkraft des Begriffs zu profitieren, ohne tatsächlich offene Lizenzen zu verwenden.
Doch wie lässt sich erkennen, was „open“ ist und was nur den Anschein erweckt? Klint Finley nennt in einem Artikel für Readwriteweb einige Anhaltspunkte. Zunächst müsse man sich im Klaren sein, welche Anforderungen man selbst stellt – in welcher Hinsicht also zum Beispiel ein Programm offen sein muss, damit man es auf die gewünschte Weise weiterverwenden kann. Dann empfiehlt er zwei Schritte:
- Blick in die Lizenz
Als erstes hilft der Blick in den genauen Text der Lizenz, unter der etwas veröffentlicht wurde. Für Software listet die Open Source Initiative eine Reihe von Lizenzen auf, die sie nach einer Prüfung als Open-Source-Lizenzen betrachtet. Auch das Institut für Rechtsfragen der Freien und Open Source Software bietet eine umfangreiche Sammlung und Charakterisierung unterschiedlicher Lizenzen für Software, Inhalte und Daten an. - Blick auf die Community und ihre Verwaltung
Für Open-Source-Projekte reicht es nicht aus, dass lediglich der Quellcode öffentlich zugänglich ist. Ebenso kommt es darauf an, wie die Gemeinschaft tatsächlich zum Projekt beitragen kann und wie Entscheidungen über die zukünftige Entwicklung getroffen werden. Im Idealfall bedeutet das die maximale Beteiligung der Community, meint Finley.
Bei Software sei ein genauer Blick auch bei sogenannten Open-Core-Modellen gefragt. Gemeint sind Programme, die auf Basis eines Open-Source-Codes entstanden sind, mit zusätzlichen Funktionen ausgestattet und dann unter einer proprietären Lizenz vertrieben werden. Ob das akzeptabel ist, hängt auch hier von den eigenen Anforderungen ab. Wenn ein Unternehmen mit einer offenen Schnittstelle für Entwickler (API) wirbt, empfiehlt Finley ebenfalls einen Blick in deren Nutzungsbedingungen, in denen etwa bestimmte Nutzungen und Zwecke dennoch ausgeschlossen werden könnten.
Die Open-Bewegung hat sich seit ihren Anfängen weit entwickelt und ausdifferenziert. Openwashing erscheint demgegenüber als nahezu zwangsläufige Nebenerscheinung des Erfolgs der „open“-Modelle. Doch wer weiß, was er unter Offenheit versteht, wird sich nicht so schnell in die Irre führen lassen.
Was sagen Sie dazu?