Open Access und die VG Wort: Was es bei wissenschaftlichen Texten zu beachten gilt
Die Publikation von Sprachwerken, und damit auch von wissenschaftlichen Texten, geht mit zahlreichen Möglichkeiten der Nachnutzung und Vervielfältigung einher. Einige dieser Nutzungen sind durch sogenannte Schrankenregelungen im Urheberrecht auch ohne die Zustimmung der Autor*innen möglich. Für Näheres siehe dazu insbesondere den Abschnitt 6 „Schranken des Urheberrechts durch gesetzlich erlaubte Nutzungen“, zu finden in den Paragrafen 44a bis 63a im Urheberrechtsgesetz.
Für diese Nachnutzungen bestehen jedoch gesetzliche Vergütungsansprüche, bei wissenschaftlichen Publikationen insbesondere durch gesetzlich erlaubte Vervielfältigungen (insbesondere für Lehr- und Forschungszwecke sowie zum privaten Gebrauch). Geltend machen dürfen Vergütungsansprüche in Deutschland nur Verwertungsgesellschaften. Ob die zusätzliche Vergütung wissenschaftlicher Texte, die durch öffentlich finanzierte Forschungstätigkeiten entstanden sind, gerechtfertigt und angemessen ist, liegt jedoch im Ermessen der jeweiligen Autor*innen.
Bei wissenschaftlichen Textpublikationen handelt es sich der Form nach in aller Regel um Sprachwerke, weshalb die zuständige Verwertungsgesellschaft die VG Wort ist. Diese wird für Autor*innen aktiv, sobald diese einen Wahrnehmungsvertrag mit ihr geschlossen haben. Häufig wird hier von „Mitgliedschaft“ gesprochen. In aller Regel haben Autor*innen jedoch einen Wahrnehmungsvertrag mit der VG Wort geschlossen und gehören somit zum Kreis der Wahrnehmungsberechtigten. Eine Mitgliedschaft im Verein VG Wort ist hierfür nicht erforderlich.
Um die Rechtewahrnehmung und Durchsetzung der Vergütungsansprüche möglichst effektiv durchzusetzen, ist es jedoch nötig, der VG Wort pauschal ausschließliche Nutzungsrechte an den eigenen, bisherigen sowie zukünftigen Sprachwerken einzuräumen. Dies führt häufig zu Verwirrung und Unsicherheiten darüber, ob es auch bei einem mit der VG Wort geschlossenen Wahrnehmungsvertrag möglich ist, eigene Publikationen im Open Access zu veröffentlichen.
Was meint Open Access und warum sind hier potenziell Konflikte möglich?
Unter Open Access verstehen wir gemäß der „Berliner Erklärung“ von 2003 nicht nur die freie Zugänglichkeit zu wissenschaftlichen Werken, sondern auch deren freie Nachnutzung. Umgesetzt wird dies vor allem durch die Lizenzierung der Werke mit sog. Jedermann-Lizenzen. Die bekanntesten und am weitesten verbreiteten Jedermann-Lizenzen sind die Creative-Commons-Lizenzen (CC-Lizenzen), durch die verschiedene Nutzungsmöglichkeiten modular geregelt werden.
Nach der Berliner Erklärung handelt es sich nur dann um eine Open-Access-Veröffentlichung, wenn das Werk unter der Lizenzvariante CC BY oder CC BY-SA veröffentlicht wurde. In der Regel wird die Rechteeinräumung an die Allgemeinheit unter Nutzung dieser Lizenzvarianten auch von Forschungsförderinstitutionen (DFG, BMBF, EU, etc.) verlangt. Und genau hier kann es zu Konflikten kommen, da eine kommerzielle Nachnutzung (wie sie z. B. häufig durch Lehr- und Lerninstitute gegeben und damit durch Autor*innen in den meisten Fällen auch gewünscht ist) nach dem Wahrnehmungsvertrag der VG Wort eigentlich zu unterbinden ist (siehe § 4 im Wahrnehmungsvertrag der VG Wort).
Lassen sich trotz abgeschlossenem Wahrnehmungsvertrag bei der VG Wort Texte unter einer Open-Access-Lizenz veröffentlichen?
Rechtlich besteht ein grundsätzlicher Konflikt zwischen der ausschließlichen Übertragung von Nutzungsrechten an die VG Wort und einer späteren erneuten umfassenden Einräumung selbiger Nutzungsrechte an die Allgemeinheit mittels einer CC-Lizenz. Denn eine ausschließliche Rechteübertragung kann eben nur ein einziges Mal erfolgen. In der Praxis treten diese Konflikte jedoch nicht auf und werden bisher von keiner Seite beanstandet oder verfolgt. Zudem sind zahlreiche Nutzungen, die im Konflikt mit dem Wahrnehmungsvertrag stehen würden, durch die Lizenzierung zwar nicht ausgeschlossen, aber zumindest unwahrscheinlich. Einige der Nutzungsrechte, wie das sogenannte „Kleine Sonderrecht“ (öffentliche Wiedergabe, z. B. in Hotels und Gaststätten), das Vermietrecht oder der Dokumentenversand an kommerzielle Nutzer spielen bei wissenschaftlichen Werken nur eine untergeordnete Rolle.
Dies bedeutet konkret, dass die Rechtewahrnehmung durch die VG Wort, z. B. für den kostenpflichtigen Dokumentenversand in aller Regel deshalb schon entfällt, weil dieser durch die freie Verfügbarkeit des Werkes obsolet wird. Für die VG Wort ist der Umstand in der Praxis daher „ohne große Relevanz“, so die Rechtsabteilung der VG Wort auf Nachfrage des Verlags Berlin Universities Publishing (BerlinUP). Um sicherzugehen, können Wahrnehmungsberechtigte die betreffenden, problematischen Rechteübertragungen bei Abschluss des Wahrnehmungsvertrags mit der VG Wort ausnehmen oder, im Falle eines bereits geschlossenen Wahrnehmungsvertrags, diesen in Bezug auf die betreffenden Rechte kündigen. Siehe hierzu die Erläuterungen weiter unten.
Ist bei einem bestehendem Wahrnehmungsvertrag mit der VG Wort auch die Meldung von Open-Access-Publikationen und damit die Teilnahme am Ausschüttungsverfahren möglich?
Nach Einschätzung der VG Wort ist die Teilnahme am Ausschüttungsverfahren auch mit Publikationen, die unter einer CC-Lizenz veröffentlicht wurden, möglich. Die Ausschüttungen selbst sind, ebenso wie bei restriktiv lizenzierten wissenschaftlichen Publikationen, durch die oben erwähnten gesetzlichen Vergütungsansprüche gewährleistet.
Lässt sich ein Wahrnehmungsvertrag ändern, um die genannten Konflikte definitiv auszuschließen?
Ja, dies ist möglich. Die notwendige Änderung kann vor einem Vertragsabschluss mittels der Ausnahme der betreffenden Rechte oder im Falle eines bereits geschlossenen Wahrnehmungsvertrags durch die Kündigung des Vertrags bezogen nur auf die betreffenden Rechte (Teilkündigung) erfolgen (siehe dazu Paragraf 13 Absatz 2 im Wahrnehmungsvertrag der VG Wort). Hier können explizit einzelne vorher im Wahrnehmungsvertrag genannte Rechte sowie Regionen von der Wahrnehmung durch die VG Wort ausgenommen werden.
Hierbei sollte jedoch beachtet werden, dass diese Ausnahmen nur pauschal gelten und damit, ebenso wie der gesamte Wahrnehmungsvertrag, auch zukünftige Werke betreffen. Auch kann hier keine Regelung getroffen werden, die ausschließlich die unter einer CC-Lizenz veröffentlichten eigenen Werke betrifft. Die Ausnahmen gelten zukünftig für alle Publikationen der betreffenden Person.
Zur Umsetzung dieser Lösung liegt ein Praxisbericht samt einer Erläuterung und Mustervorgehensweise für die notwendige Anpassung des Wahrnehmungsvertrags vor. Im Fall einer Teilkündigung müssen die ausgenommenen Rechte entsprechend gekündigt werden.
Wissenschaftsethische Implikationen
Neben der rein rechtlichen Frage, ob ein Wahrnehmungsvertrag bei der VG Wort und die damit verbundene Teilnahme am Ausschüttungsverfahren mit dem Open-Access-Publizieren vereinbar sind, stellen sich auch wissenschaftsethische Fragen. So ist die kollektive Wahrnehmung von Autor*innen-Rechten für Personen, die sich und ihre Arbeit selbstständig finanzieren sicherlich eine wichtige Einnahmequelle. Für die Veröffentlichung wissenschaftlicher Publikationen gilt dies jedoch in der Regel nicht, da die Erhebung und Auswertung der Daten ebenso wie der eigentliche Publikationsprozess bereits gegenfinanziert sind – in aller Regel aus öffentlichen Mitteln. Hinzu kommt, dass auch für die Begleichung etwaiger Open-Access-Kosten zahlreiche Möglichkeiten der öffentlichen Förderung zur Verfügung stehen und genutzt werden.
Darüber hinaus lohnt sich auch ein Blick auf die Einnahmen der VG Wort, aus denen die Ausschüttungen generiert werden. Vergütungsansprüche, die aus der Vermietung oder Leihe von Sprachwerken entstehen, können in Deutschland nämlich nur durch Verwertungsgesellschaften geltend gemacht werden. Da es sich hierbei nicht nur um Sprachwerke, sondern auch um audiovisuelle Werke, Noten, Patente, usw. handelt, haben sich mehrere Verwertungsgesellschaften zur Zentralstelle für Bibliothekstantiemen (ZBT) zusammengeschlossen, deren geschäftsführende Gesellschafterin die VG Wort ist. Diese nimmt nun also die durch die Ausleihe in Bibliotheken entstehenden Vergütungsansprüche wahr, um Urheber*innen für den Gewinnverlust zu entschädigen, der durch die kostenlose Ausleihe entsteht. Dieses Verfahren hat für Autor*innen, die auf den Erlös ihrer Werke angewiesen sind bzw. die Entstehung Ihrer Werke gegenfinanzieren müssen, zweifelsfrei einen berechtigten Mehrwert. Im Falle öffentlich finanzierter Forschung entsteht hier jedoch eine doppelte bzw. dreifache Verausgabung von öffentlichen Geldern: durch die Finanzierung der eigentlichen Forschung, der durch öffentliche Bibliotheken mitfinanzierten Ausschüttung und ggf. durch zusätzliche Publikationsförderung der Einrichtungen.
Letztlich ist die Entscheidung darüber, ob ein Wahrnehmungsvertrag mit der VG Wort (oder einer anderen Verwertungsgesellschaft) geschlossen wird, natürlich die individuelle Entscheidung einer jeden forschenden bzw. publizierenden Person. Unabhängig davon ist es aber sicherlich sinnvoll, sich vorher genauer damit auseinanderzusetzen, welche Hintergründe dem Ausschüttungsverfahren zugrunde liegen.
Zusammenfassung
Die Veröffentlichung von Open-Access-Publikationen – auch nach dem Verständnis der Berliner Erklärung – ist mit einem bestehenden Wahrnehmungsvertrag bei der VG Wort vereinbar. Grundsätzliche rechtliche Konflikte kommen praktisch nicht vor und lassen sich rechtssicher ausschließen. Zudem sieht die VG Wort nach eigener Aussage keine Probleme bei der gleichzeitigen Wahrnehmung von ausschließlich an sie eingeräumten Nutzungsrechten und frei zugänglichen und nachnutzbaren wissenschaftlichen Textpublikationen und schließt auch eine Teilnahme am Melde- und Ausschüttungsverfahren nicht aus.
Die an die VG Wort eingeräumten Nutzungsrechte lassen sich – weil sie exklusiv eingeräumt werden – nur ein einziges Mal übertragen. Eine spätere Übertragung derselben Rechte, z. B. an einen Verlag, wie es für den Abschluss eines Verlagsvertrags notwendig ist, ist somit praktisch eigentlich nicht mehr möglich. Üblicherweise haben auch keine der beteiligten Seiten ein Interesse daran, diese Lücke zu beanstanden. Dennoch sollten Autor*innen im Falle eines Vertragsabschlusses abwägen, ob die einhergehenden Rechtsunsicherheiten hinnehmbar sind.
Über diesen Text:
Dieser Text ist eine erweiterte und redaktionell leicht angepasste Fassung einer Handreichung von Berlin Universities Publishing (BerlinUP), die Robert Wiese und Marc Lange in Zusammenarbeit mit iRights.info erarbeitet haben.
Zu den Autoren:
Robert Wiese ist Mitarbeiter an der Universitätsbibliothek der Technischen Universität Berlin in der Abteilung Publikationsdienste. Bei Berlin Universities Publishing leitet er die Verlagssparte Bücher und ist in der Beratung zu Themen des wissenschaftlichen Publizierens tätig.
Marc Lange war bis 2023 Referent für Open Access an der Universitätsbibliothek der Humboldt-Universität zu Berlin und leitete bei Berlin Universities Publishing die Verlagssparte Beratung (ORCID).
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DOI für diesen Text: https://doi.org/10.59350/kx9w8-ehf73 · automatische DOI-Vergabe für Blogs über The Rogue Scholar
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