Interview zum #OERcamp: „Eine Fortbildung für Lehrpersonen, die keine Zeit für Fortbildung haben“

Banner von Jula Henke, Agentur J&K für OERcamp unter CC BY 4.0.
iRights.info: Jöran, erzähl uns doch bitte etwas über die #OERcamp Werkstatt. Was ist das genau, was können Teilnehmende lernen?
Jöran Muuß-Merholz: Traditionell würde man es wohl so sagen: Es geht um eine Fortbildung für Menschen aus allen Bildungsbereichen, die Lehr-Lern-Materialien erstellen. Sie können ihre Kompetenzen verbessern, solche Materialien frei und offen, digital und zeitgemäß zu gestalten. Im Sinne von Open Educational Resources (OER) sind das Materialien unter einer freien Lizenz, die auf vorhandene Materialien aufbauen können und wiederum von anderen weiterentwickelt werden können. Das können ganz verschiedene Medienformate sein, vom Arbeitsblatt über den Reader bis zum Lehrbuch, von interaktiven Übungen bis zum Onlinekurs, von Podcasts bis zu Videos, von Lernspielen auf Papier bis zu Chatbots mit KI-Unterstützung.
Worin unterscheidet sich das #OERcamp von anderen Fortbildungen?
Ein Manko traditioneller Fortbildung sind Timing und Transfer. Bei solchen Fortbildungen werden beispielsweise über Vorträge und Workshops viele Themen quasi „auf Vorrat“ erklärt und bearbeitet. Die Logik ist: „Bei der Fortbildung lernen wir es, nach der Fortbildung können wir es dann unserer Arbeit anwenden.“ Natürlich gibt es auch Übungen und bei guten Fortbildungen werden Fragen in Bezug auf die individuelle Praxis der Teilnehmenden besprochen. Dennoch bleibt ein Problem bestehen: Wenn die Teilnehmenden wieder im Arbeitsalltag angekommen sind und das Gelernte anwenden wollen, dann passiert das Tage, Wochen oder Monate nach der Fortbildung. Genau dann stellen sich viele Fragen neu oder differenzierter – aber genau dann sind die Expert*innen nicht mehr verfügbar. Die #OERcamp Werkstatt will diese Kluft zwischen Fortbildung und Anwenden, zwischen Lernen und Arbeiten überbrücken.
Die Grundidee von Fortbildungen wird also obsolet?
Nein. Viele Fortbildungskonzepte sind richtig gut und wichtig! Gleichzeitig haben wir es, vor allem im Bereich Schule, derzeit mit einer Situation zu tun, dass die Arbeitsbelastung enorm groß ist und Fortbildungen häufig zu kurz kommen. Wir sind überzeugt, dass wir genau da eine Lösung anbieten. Die #OERcamp Werkstatt ist quasi eine Fortbildung für Lehrpersonen, die keine Zeit für Fortbildung haben.
Über den Interviewpartner

Jöran Muuß-Merholz, Bild von Christoph Nagel, Agentur J&K unter CC BY 4.0 (Ausschnitt: iRights.info).
Jöran Muuß-Merholz ist Diplom-Pädagoge und betreibt die Agentur „J&K – Jöran und Konsorten“. Er arbeitet zu den Themen Bildung, Lernen, Medien und Kommunikation und berät Bildungseinrichtungen zum Einsatz digitaler Medien.
Auch als Autor bei iRights.info ist er in der Vergangenheit aktiv gewesen. 2024 produzierte seine Agentur J&K in Kooperation mit iRights.Law und OERinfo fünf Erklärvideos zum Themenkreis Open Educational Resources und Künstliche Intelligenz.
Wie sieht die Arbeit im #OERcamp konkret aus?
Wir laden die Bildungspraktiker*innen ein: Kommt zur #OERcamp Werkstatt und bringt Eure Arbeit mit! Das kann etwas sein, was man sowieso machen muss, also beispielsweise für das kommende Schuljahr, das anstehende Semester, den nächsten Workshop, die Aktualisierung des Onlinekurs etc. Oder es ist ein Material, das man ohnehin überarbeiten, aktualisieren, erweitern oder auch in neue, digitale Formen bringen will. Unwissenschaftlich ausgedrückt nennen wir das „sowieso-und-ohnehin-Materialien“, weil diese Arbeit auch ohne die Fortbildung anstehen würde. Wir sorgen drei Tage lang für exzellente Bedingungen für diese Arbeit.
Und wie sehen die Arbeitsbedingungen aus?
Zum Ersten haben wir dafür schöne Räume mit verlässlichem Internet und guter Verpflegung. Zum Zweiten arbeitet man nicht alleine, sondern neben vielen anderen Menschen, die sich auch für gute Bildung interessieren. Und zum Dritten gibt es mehr Expert*innen drumherum, als man sie sich bei den meisten traditionellen Fortbildungen wünschen könnte. Es sind Fachmenschen aus verschiedenen Bereichen. Sie geben Inputs und vor allem jede Menge individuelle Beratung – von urheberrechtlichen und technischen Fragen über Mediendidaktik und Design bis zum Handwerk für Videoproduktion oder KI-Tools. Und vielleicht gibt es noch einen vierten Punkt, der indirekt wirkt: Nach drei Tagen sollen alle fertig sein!
Was steht am Ende der drei Tage? Veröffentlichen dann alle Teilnehmenden ihre Materialien?
Das ist das Ziel! Durch eine klare Struktur und das konzentrierte Arbeiten gibt es ein sehr stabiles Gerüst. An Tag 1 geht es nachmittags los mit Planung und Vorbereitung. An Tag 2 steht die „eigentliche Arbeit“ im Mittelpunkt. Und an Tag 3 wird noch einmal überarbeitet und finalisiert. Wir haben die Werkstatt vor Corona schon in der Praxis erprobt: Die Erfahrungen sind eindeutig. Ohne das Ziel, dass die Materialien wirklich noch vor Ort abgeschlossen werden, landen viele Teilnehmende am Ende bei „98%ig fertig“. Sie fahren nach Hause und haben den festen Vorsatz: „Das mache ich dann noch in Ruhe fertig.“ – aber dieses „in Ruhe“ kommt häufig nie! Deswegen unterstützen wir dabei, dass man wirklich fertig wird.
Über die #OERcamp Werkstatt 2025 in Darmstadt
Die #OERcamp Werkstatt Hessen findet vom 16. bis 18. Mai 2025 an der Hochschule Darmstadt statt. Die Veranstaltung richtet sich an Interessierte aus allen Bildungsbereichen.
Die kostenlose Anmeldung ist unter oercamp.de möglich. Dort ist auch das Programm verfügbar – Fotos geben Impressionen von früheren OERcamps.
Die OERcamps werden vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert. Warum?
Wir unterstützen damit die OER-Strategie der Bundesregierung. Dabei geht es nicht einfach nur um digitalisierte Materialien. Das BMBF schreibt auf seiner Website zur OER-Strategie: „Die digitale Lebens- und Arbeitswelt der Gegenwart und Zukunft brauchen eine neue Lernwelt. OER können dabei stetige und nachhaltige Impulse für die Lern- und Lehrkultur setzen, indem sie Kommunikation, Kollaboration, Kreativität und problemlösendes Denken und Handeln durch Offenheit unterstützen.“ Genau das wollen wir fördern! Für die Lehrpersonen ist das übrigens ein dreifacher Gewinn: Sie bilden sich zum notwendigen Handwerkszeug für digitale, zeitgemäße Materialien fort. Sie entwickeln ihre eigene professionelle Praxis weiter. Und sie erstellen die Materialien, die sie sowieso machen müssen. Und das Ganze übrigens dank der BMBF-Förderung dieses Jahr kostenlos.
Gibt es 2025 andere Schwerpunkte als in der Vergangenheit?
Ein großes Thema sind definitiv Tools, die mit Hilfe von künstlicher Intelligenz arbeiten. Sie sind in der Tat sehr hilfreich, weil man Materialien damit schneller und einfacher erstellen, verändern und optimieren kann und in der Regel auch weniger Hürden in Sachen Urheberrecht beachten muss. Dazu gibt es bei unserer Werkstatt spezialisierte Coaches für Praxis- und Rechtsfragen, auch unter Beteiligung von iRights.info.
Kann man an der OERcamp Werkstatt auch teilnehmen, wenn man keine „sowieso“-Materialien hat?
Natürlich! Teilnehmende können vor Ort erstmal mit einem Brainstorming beginnen und sich bei Bedarf in Kleingruppen zusammenfinden. Es ist auch möglich, dass man für sich alleine arbeitet. Und auch das Gegenteil funktioniert: Bei den letzten Werkstätten kamen viele Teilnehmende zusammen mit Kolleg*innen oder im Team.
Vielen Dank für das Interview!
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DOI für diesen Text: https://doi.org/10.59350/qd8fg-hd187 · automatische DOI-Vergabe für Blogs über The Rogue Scholar
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