Offen für Kommerz? Bildungsmaterialien und das Problem nicht-kommerzieller Lizenzen
Die freien Lizenzen von Creative Commons erlauben es, urheberrechtlich geschützte Werke zu verwenden, ohne bei jeder Verwendung Rechte klären oder Erlaubnisse einholen zu müssen. Die Lizenzen bestehen aus standardisierten Bausteinen, den Lizenzmodulen. Diese Bausteine legen die Bedingungen fest, unter denen die Inhalte weiterverwendet werden dürfen. Zu den möglichen Bausteinen gehört die Beschränkung der Freigabe auf die „nicht-kommerzielle Nutzung“ (non-commercial, NC).
Zu erkennen sind Inhalte mit der Lizenzbedingung „Nicht-kommerzielle Nutzung“ am durchgestrichenen Euro- oder Dollar-Symbol.
Was soll die Bedingung „nicht-kommerziell“ erreichen?
Hinter der Lizenzbedingung „Nicht-kommerzielle Nutzung“ steht der Grundgedanke, Werke zwar freizugeben, eine kommerzielle Nutzung aber zu unterbinden, wenn sie nicht extra erlaubt wurde. Dritte sollen mit offenen, frei verfügbaren Inhalten nicht ungefragt Geld verdienen können.
Und warum nicht? Würden freigegebene Inhalte in einem kommerziellen Produkt oder Dienst landen, so lautet eine Argumentation, könnten sie nur von zahlungskräftigen Nutzern verwendet werden oder wären mit anderen Zugangshürden verbunden. Wären sie nur hinter einer Bezahlschranke zugänglich, würden sie gewissermaßen wieder eingesperrt und dort nicht mehr für alle frei zugänglich sein. Eine Befürchtung, die viele andere jedoch für irrational halten, weil die ursprünglich freigegebenen Inhalte weiterhin frei nutzbar bleiben, parallel zu deren kommerzieller Verwendung.
Hinter der NC-Bedingung steht zudem oftmals die Absicht, freie Inhalte, die in öffentlich finanzierten Einrichtungen, Projekten oder Teams entstehen, vor einer kommerziellen Aneignung durch Dritte zu schützen. An Inhalten und Materialien, die beispielsweise an Hochschulen und anderen Institutionen entstehen und durch die öffentlich Hand ermöglicht werden, sollten sich demnach weder private Unternehmen noch andere Akteure bereichern oder sie für sich vereinnahmen können.
Was ist an der NC-Bedingung kritisch?
Ob die Einschränkung auf nicht-kommerzielle Nutzungen sachgerecht ist, wird in den Communities um offene Bildungsmaterialien und freie Inhalte seit längerer Zeit hinterfragt und diskutiert. Die Kritiker des Bausteins befürchten unter anderem, dass die NC-Bedingung auch solche Nutzerinnen und Nutzer benachteiligt, die eigentlich daran interessiert wären, offene Materialien zu verwenden.
Beispielsweise könne es Lehrerinnen und Lehrern an einer privaten Schule versagt bleiben, NC-lizenzierte Bildungsmaterialien zu verwenden, weil ihre Einrichtung als kommerziell gilt. Ähnlich könne es auch gemeinnützige Bildungsanbieter treffen, die für bestimmte Leistungen Geldbeträge verlangen, um die Kosten zu decken und die damit zumindest punktuell kommerziell handeln.
Entscheidender Kritikpunkt ist die bei vielen Konstellationen entstehende Unklarheit, wie solche und ähnliche Nutzungsszenarien zu bewerten sind. Diese Graubereiche schreckten viele Interessierte davon ab, Inhalte unter nicht-kommerziellen Lizenzen weiterzuverwenden, obwohl Creative Commons gerade das ermöglichen soll. Aus diesem Grund plädieren viele Anhänger freier Inhalte dafür, die Lizenzbedingung NC als nicht OER-gerecht zu betrachten und von deren Nutzung abzuraten. Auch Projekte wie die freie Enzyklopädie Wikipedia akzeptieren nur solche Beiträge und eingereichte Inhalte, die eine kommerzielle Nutzung nicht ausschließen.
Was gilt als nicht-kommerzielle Nutzung?
Wann es sich um eine nicht-kommerzielle Nutzung handelt ist, definiert der Wortlaut der Creative-Commons-Lizenztexte. Er erläutert jedoch nur auf allgemeine Art und Weise, was im Sinne der Lizenz darunter zu verstehen ist:
Nicht kommerziell meint nicht vorrangig auf einen geschäftlichen Vorteil oder eine geldwerte Vergütung gerichtet. Der Austausch von lizenziertem Material gegen anderes unter Urheberrecht oder ähnlichen Rechten geschütztes Material durch digitales File-Sharing oder ähnliche Mittel ist nicht kommerziell im Sinne der vorliegenden Public License, sofern in Verbindung damit keine geldwerte Vergütung erfolgt. [Hervorhebung H.S., zitiert nach CC BY-NC 4.0, Abschnitt 1, Absatz i]
Teilweise lässt sich somit klar definieren, wann es um kommerzielle Nutzungen in diesem Sinne geht, zum Beispiel
- wenn ein Unternehmen einen Text auf seiner Firmenwebsite oder in einer Kundenzeitschrift veröffentlicht,
- wenn ein Verlag Texte und Fotos ein Buch verwendet. Das gilt unabhängig davon, ob der Verlag dem Fotografen dafür ein Honorar bezahlt oder ob die Autoren dem Verlag einen Druckkostenzuschuss zahlen.
„Kommerziell“ ist keine moralische Wertung
Die Formulierung „kommerziell“ mag in der Tat den Eindruck erwecken, damit seien profitorientierte Firmen und Konzerne gemeint. Speziell bei Bildungsmedien denken viele womöglich an große, etablierte Verlage und Produzenten auf dem Markt für Lehrmaterialien, die Gewinne erwirtschaften und sich an Bildung gleichsam bereichern wollen. Doch dabei handelt es sich letztlich um moralische Bewertungen, die für die Lizenzen keine Rolle spielen.
Einnahmen zu erzielen, geschäftlich tätig zu sein und geldwerte Vergütungen zu erhalten, ist nichts Verwerfliches – auch nicht, wenn es um Bildung geht. Zur Bildungslandschaft gehören viele kleine und mittlere Unternehmen sowie Selbstständige und Freiberufler, die schlicht wirtschaftlich arbeiten müssen; außerdem Vereine oder genossenschaftlich organisierte Bildungsträger, die im Rahmen ihrer Tätigkeiten „geschäftliche Vorteile“ erzielen. Auch gemeinnützige Organisationen und Initiativen erhalten geldwerte Vergütungen. Wenn sie nicht durch öffentliche Gelder oder Spenden finanziert werden, sind sie darauf angewiesen, zumindest punktuell „kommerziell“ vorzugehen.
Grenzfälle: Blogs und Bildungseinrichtungen
Schwieriger ist es, zu entscheiden, wann Inhalte auf Blogs als kommerziell im Sinne der Lizenz gelten. Beispielsweise, wenn auf den Seiten eines Blogs Werbung eingeblendet wird und damit Umsätze erzielt werden. In vielen Fällen sind die Einnahmen durch Werbung für die Betreiber gering und decken allenfalls einen Teil der Betriebskosten.
Es könnte also angemessen sein, eine solche Verwendung nicht als kommerziell einzustufen. Doch auch dann stellt sich beispielsweise die Frage, ab wann ein Blog seine nicht-kommerzielle Unschuld verlieren würde. Etwa dann, wenn die Werbeeinnahmen die technischen Unterhaltskosten für den Server übersteigen?
Auf solche Fragen geben die CC-Lizenzen keine direkte Antwort. Gleiches gilt für viele Bildungs- und Weiterbildungseinrichtungen, die nicht allein öffentlich finanziert sind und somit auf eigene Einnahmen nicht verzichten können, etwa durch kostenpflichtige Kurse oder Materialien.
Konkrete Nutzung entscheidend
Dürfen also nur staatliche Bildungseinrichtungen und spendenfinanzierte Träger NC-lizenzierte Bildungsmaterialien verwenden? Ganz so einfach ist es nicht: Im zitierten Lizenztext beziehen sich die CC-Lizenzen nicht auf den Status des jeweiligen Nutzers, etwa dessen Organisations- und Rechtsform. Anknüpfungspunkt ist vielmehr die konkrete Handlung, in deren Rahmen die Inhalte verwendet werden.
Beispiel
Ein Museum betreibt einen Museumsshop. Auch wenn ein gemeinnütziger Verein das Museum betreibt, sind Verkäufe in einem Museumsshop auf Einnahmen – also einen „geschäftlichen Vorteil“ – ausgerichtet. Werden dabei Inhalte unter Creative-Commons-Lizenzen verwendet, würde es sich mit hoher Wahrscheinlichkeit um eine „kommerzielle Nutzung“ handeln, die von einer NC-Lizenz nicht mehr umfasst wäre.
Trotz Gerichtsentscheiden: Unschärfen bleiben
Angesichts der Graubereiche hoffen Juristen im allgemeinen auf wegweisende Gerichtsurteile, die offene Fragen ausloten. Einen solchen Fall bildet ein Streit um ein CC-lizenziertes Foto, welches das Deutschlandradio auf seiner Website verwendete, dabei aber Lizenzbedingungen missachtete. Das Landgericht Köln sah diese Verwendung durch den öffentlich-rechtlichen Rundfunk als kommerzielle Nutzung an.
Anders entschied das Oberlandesgericht Köln im Jahr 2014 in der nächsten Instanz: Es handele sich nicht um eine eindeutig kommerzielle Nutzung. Allerdings hat das Gericht die Frage letztlich nicht inhaltlich geklärt, sondern die Unschärfen der Lizenz anerkannt, die mehrere Lesarten der „kommerziellen Nutzung“ möglich machen. Da es sich bei CC-Lizenzen um „Allgemeine Geschäftsbedingungen“ handele, gelte der Grundsatz, dass Unklarheiten zu Lasten desjenigen gehen, der die Bedingungen verwendet – hier also des Fotografen, der die Lizenz verwendete. Bei solchen mehrdeutigen Klauseln gibt das Gesetz vor, zu wessen Gunsten sie auszulegen sind.
Ausführliche Informationen über Creative-Commons-Lizenzen und ihre nicht-kommerziellen Varianten bieten die folgenden Broschüren:
Fazit
Es lässt sich nicht von der Hand weisen, dass es für eine ganze Reihe von Bildungsakteuren nicht möglich oder zumindest riskant ist, Lehrmaterialien weiterzuverwenden, die unter der Lizenzbedingung „Nicht-kommerzielle Nutzung“ (NC) bereitgestellt wurden. Solchen Überlegungen folgend, gilt die Lizenzbedingung NC vielen, die sich mit freien Inhalten und offenen Lehrmaterialien beschäftigen, als zu einschränkend.
Dennoch ist die Lizenzbedingung NC nicht per se schlecht. Vielmehr kommt es darauf an, sie gezielt dort einzusetzen, wo es eigenen Zielsetzungen entspricht und sachgerecht ist. Wer etwa ein funktionierendes Geschäftsmodell auf NC-Inhalten aufgebaut hat, will in der Regel ausschließen, dass Dritte aus seinem Material geschäftlichen Nutzen ziehen. Wer primär an offenen Bildungsmaterialien und einer möglichst freien Verbreitung interessiert ist, sollte sich aber fragen, ob eine NC-Beschränkung wirklich nötig ist und am Ende nicht mehr schadet als nützt.
Update [April 2018]: Diesen Beitrag hat JOINTLY in bearbeiteter Fassung als Broschüre im Format DIN A5 veröffentlicht, sie ist gedruckt sowie als PDF-Datei im OER-Contentbuffet verfügbar.
OER und Recht
Zu Open Educational Resources (OER) zählen Lehrmaterialien, die unter freien Lizenzen veröffentlicht werden. Diese Artikelreihe gibt Tipps zu rechtlichen und praktischen Aspekten von OER. Die Beiträge entstehen im Rahmen von Jointly, einem vom Bildungs- und Forschungsministerium geförderten Verbund zur Unterstützung von OER-Projekten, zu dessen vier Projektpartnern iRights e.V. zählt. Bislang erschienen:
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