Noch ein Gebührenmodell
„Freibier kann nicht für immer fliessen, ohne dass die Brauerei pleitegeht.” So volksnah erklären deutsche Verleger gerne, warum sie für frei verfügbare Artikel im Internet nun gerne nachträglich und mit staatlicher Hilfe Gebühren erheben möchten. Fragt sich der Laie: Warum schenkt die Brauerei dann Freibier „aus“?
Es ist eine befremdliche Diskussion, mit der sich Medien-Deutschland seit Anfang 2009 beschäftigt. Angetrieben von den Grossen der Branche, fordern die Presseverlage ein eigenes Leistungsschutzrecht. Was sie genau darunter verstehen, bleibt bis heute weitgehend im Dunkeln. Nur so viel: Für Texte, die Verlage gratis online veröffentlichen und die dann „gewerblich genutzt” werden, soll künftig eine staatlich sanktionierte Abgabe an die Verlage fliessen.
Zudem sollen selbst kleinste Textbausteine wie Überschriften oder bestimmte Formulierungen als „Leistung” durch das neue Recht geschützt werden. Kritiker sehen darin einen erheblichen Konflikt mit der Zitatfreiheit und die Gefahr einer Monopolisierung der Sprache.
Nicht nur in Deutschland verfügen Verlage über enorme politische Macht. Sie dominieren den Diskurs, entscheiden über Karrieren, sind in Regierungskreisen bestens vernetzt. Diese jahrzehntelang geübte Koexistenz macht die deutschen Verleger sehr sicher: Ein Leistungsschutzrecht wird kommen. So stehe es im Koalitionsvertrag der schwarz-gelben Bundesregierung, so habe sich Bundeskanzlerin Merkel geäussert, so werden sie nicht müde zu betonen. Bezahlen sollen diesen Plan zum einen sogenannte News-Aggregatoren wie Google, aber auch öffentliche Einrichtungen, Unternehmen, Verbände und Freiberufler, Rechtsanwälte, Steuerberater oder freie Journalisten.
Die Presseverlage sagen, dass genau diese Berufsgruppen und Unternehmen von ihren Leistungen profitierten, ohne zu bezahlen. Sie bemühen dazu immer wieder das Beispiel eines Bankberaters, der zur Vorbereitung auf einen Kundentermin zuvor die Berichterstattung über die Person oder das Unternehmen im Internet lese. Die Bank erhalte so wertvolle Informationen über die finanziellen und sonstigen Verhältnisse ihres Kunden und profitiere somit von der Leistung der Verlage. Auch ein Dienst wie Google News ist den Verlagen ein Dorn im Auge, weil er wie die Banken die Texte der Verleger zum eigenen Vorteil nutze.
Natürlich profitiert Google von einem beliebten News-Dienst, der neben zahllosen anderen Informationen auch kürzeste Textausschnitte, sogenannte Snippets, von Presseartikeln anbieten kann. Dass Google News selbst jedoch werbefrei ist, einen Grossteil des Traffics auf Verlagsseiten generiert und die Verlage so durch Paid-Content-Modelle oder Werbung beachtliche Einnahmen erzielen können, all dies lassen Deutschlands Verlagsvertreter bei der Diskussion um das Leistungsschutzrecht zumeist unerwähnt.
Der Journalist Mario Sixtus verglich diese paradoxe Auffassung mit Restaurantbesitzern, die Geld von Taxifahrern verlangen, die ihnen die Gäste bringen. Auf diese krude Argumentation der Verlagsvertreter sind inzwischen auch die Journalistengewerkschaften DJU und DJV hereingefallen. Sie hoffen so wenigstens ein paar Krümel vom Kuchen abzubekommen, wenn ein solches Gesetz in Kraft tritt.
Doch das geplante Leistungsschutzrecht ist ein gefährliches trojanisches Pferd. Nach aussen trägt der stolze Hengst die Fahnen für die „Rettung des Qualitätsjournalismus” gegen die bösen Untiefen des Internets. Letztlich geht es aber um nichts anderes als den Erhalt der eigenen Gewinne und die Bewahrung der Pfründen der Vergangenheit. Das ist ein legitimes Ziel. Es sollte aber nicht durch eine gesetzlich geregelte, bedingungsfreie faktische Subvention, deren Auswirkungen niemand abschätzen kann, geregelt werden.
Bis zum Mai 2010 haben die Presseverlage ihre konkreten Pläne vor der Öffentlichkeit geheim gehalten. Das Urheberrechtsportal iRights.info hat dann den bereits damals ausformulierten vorläufigen Gesetzesentwurf der Verleger veröffentlicht. In kurzer Zeit formierte sich daraufhin eine breite Oppositionsbewegung. Unter der Führung des wichtigsten Wirtschaftsverbandes BDI sprachen sich 25 weitere Verbände öffentlich gegen ein Leistungsschutzrecht aus, darunter so unterschiedliche Berufsgruppen wie die Bauern, die Handwerker oder die Textil- und Modewirtschaft.
Zu den Gegnern zählen auch die Deutsche Vereinigung für gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht, die Pressesprecher, die wichtigsten deutschsprachigen Blogger und weitere prominente Vertreter der Netzwelt sowie viele weitere Organisationen und Unternehmen.
Es ist möglicherweise kein Zufall, dass der breite Widerstand gegen das Leistungsschutzrecht bisher kaum Niederschlag in der deutschen Presse fand. Das betriebswirtschaftliche Eigeninteresse der Verleger scheint hier eine ausgewogene Berichterstattung zu verhindern. Die Unabhängigkeit der Redaktionen ist durch diesen Interessenkonflikt offenkundig gefährdet.
Um die Argumente pro und contra Leistungsschutzrecht darzustellen und auch den Gegnern eine Stimme in dieser wichtigen Debatte zu geben, formierte sich vor wenigen Wochen die Initiative gegen ein Leistungsschutzrecht oder kurz IGEL (www.leistungsschutzrecht.info) – unterstützt von einer Koalition von bisher fast 40 Organisationen, Blogs und Unternehmen.
Die Reichweite der Zeitungen können all diese Initiativen nicht erreichen. Doch die erfolgsverwöhnten Meinungsmacher in den Verlagshäusern spüren den Gegenwind einer kritischen Öffentlichkeit. Auch das federführende Bundesministerium der Justiz (BMJ) steht unter Druck. Bisher war vorgesehen, das Leistungsschutzrecht in der geplanten Novellierung des deutschen Urheberrechts, im sogenannten „dritten Korb”, zu berücksichtigen. Es gibt jedoch noch keine ökonomische Abschätzung der Kosten und Auswirkungen auf die deutsche Wirtschaft, welche ein solches Gesetz hätte.
Im Weiteren ist nicht ersichtlich, dass eine rechtliche Lücke beim Schutz von Presseverlagen besteht. Denn diese verfügen bereits über alle Werkzeuge, etwaige Rechtsverstösse im Internet zu verfolgen. Hinzu kommt, dass das deutsche Urheberrecht europaweit Vorbildcharakter geniesst. Mit der Implementierung eines Leistungsschutzrechts droht auch hier schwerer Schaden. Unter diesen Umständen wird deutlich, dass eine Aufnahme des Leistungsschutzrechtes in das derzeitige Gesetzgebungsverfahren nicht zu verantworten wäre.
Die Diskussion über das Für und Wider eines solchen Rechts hat inzwischen auch den Deutschen Bundestag erreicht. Es ist keineswegs so, dass die Meinungsverschiedenheiten nur zwischen den grossen politischen Lagern bestehen. In allen Fraktionen gibt es Bedenken gegen die Einführung eines Leistungsschutzrechts – ob aus Gründen der politischen und rechtlichen Opportunität, den Gefahren für die urheberrechtlichen Freiheiten wie das Zitatrecht, der Gefährdung von innovativen Geschäftsmodellen im Netz oder den unabsehbaren Zusatzbelastungen für die deutsche Wirtschaft.
Selbst innerhalb der Regierungspartei FDP knirscht es: Während Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger sich bisher positiv zu einem Leistungsschutzrecht geäussert hat, wachsen im ebenfalls FDP-geführten Bundeswirtschaftsministerium die Bedenken. Der zuständige Staatssekretär kritisierte kürzlich, es sei „nicht immer ganz klar, welche Vorstellungen die Verleger genau verfolgen und was überhaupt künftig einer Zahlungspflicht unterliegen soll”.
Tatsächlich bleiben die Verlagsvertreter in vielen offenen Fragen bei ihrer Vernebelungstaktik. Wie soll die technische Umsetzung des geforderten Schutzrechtes aussehen? Wie wollen die Befürworter bestehende verfassungsrechtliche Bedenken ausräumen? Wer soll die Verwaltung der neuen Verlagsgebühr übernehmen? Wer soll wie viel bezahlen, und wer legt dies fest?
Die deutschen Presseverlage hätten ein Leistungsschutzrecht gar nicht nötig. Gerade sie verfügen über Kompetenzen und Mittel, zukunftsfähige Geschäftsmodelle im Internet zu etablieren und so den vielzitierten Qualitätsjournalismus zu erhalten. Allein, viele von ihnen tun es nicht, zumindest nicht mit der erforderlichen Konsequenz und Kreativität. Nun den Gesetzgeber zu Hilfe zu rufen, ist tragisch und komisch zugleich. Immanuel Kant hätte seine wahre Freude gehabt. Nimmt man die Befreiung aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit als Kerngedanken der Aufklärung, so müssen sich die Presseverlage grundsätzlich fragen lassen, warum sie mit der Forderung nach einem Leistungsschutzrecht die Vergangenheit in die Zukunft holen wollen.
Die digitale Revolution ist keine Gefahr, sie ist eine Chance. Wir befinden uns am Übergang der analogen zur digitalen Gesellschaft. Transformationsprozesse haben immer Gewinner und Verlierer. Gewinner sind die, die die neuen Chancen erkennen und sie beherzt ergreifen. Wer sich dagegen an die Modelle der Vergangenheit klammert, wer rechtlichen Bestandsschutz und Besitzstandswahrung über Fortschritt und Innovation stellt, wird verlieren. Mit ihrem anachronistischen Ansatz simulieren sie nur die Lösung des Problems, aber wirklich lösen tun sie es nicht.
Dieser Beitrag erschien zuerst in der Neuen Zürcher Zeitung vom 15. Februar 2011.
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