No Copyright: Ein neuer Markt statt Urheberrecht?
Spätestens seit Sven Regeners Wutrede war es das Schreckgespenst der Debatte: Die Abschaffung des Urheberrechts. Kaum ein Tag verging, an dem nicht jemand davor warnte, das Ende des Urheberrechts stünde unmittelbar bevor und das müsse dringend – bitte hier unterschreiben! – verhindert werden. Merkwürdig war nur, dass in der Debatte eigentlich niemand diese Forderung erhoben hatte und man den Eindruck gewinnen konnte, die Tatort-Autoren, das Handelsblatt, Bernd Neumann und Sven Regener hätten sich gegen ein Phantom verbündet. Zwar gibt es die Forderung tatsächlich, aber gegen die kleine schwedische Missionarische Kirche des Kopimismus oder die Gedankenübungen von Michael Seemann richteten sich die Aufrufe nicht. Die, denen man vorwarf, sie wollten das Urheberrecht abschaffen – den Piraten, der „Netzgemeinde” und so weiter – forderten eigentlich nur Reformen.
Jetzt kommen also Joost Smiers und Marieke van Schijndel und fordern es tatsächlich: Schafft das Urheberrecht ab! Warum sie das fordern, entfalten sie in drei Schritten. Und vorweg erklären sie: „Wir sind weder Kulturpessimisten noch -optimisten. Unsere Triebfeder ist blanker Realismus”. Was sie unter Realismus verstehen, führt auf den ersten Schritt ihrer Argumentation. In einer Bestandsaufnahme kommen sie zum Schluss: Was das Urheberrecht erreichen soll, erreicht es nicht.
Wozu noch Urheberrecht?
Viele der Argumente, die Smiers und Schijndel anführen, hat man schon hier oder da hören können, einige sind zumindest in der akademischen Diskussion schon lange geläufig, nur dass sie dort für weniger Aufsehen sorgen, weil sie eher als analytische Beobachtung denn als politische Aussage gelesen werden. Diese Sicht beschrieb der Urheberrechtler Thomas Hoeren vor kurzem so: „Wir lassen das System in aller Ruhe hochgehen, gucken uns den Scherbenhaufen nachher an und setzen es dann wieder neu zusammen” – was durchaus als fachtypische Sichtweise gelten kann.
So kann man auch bei Smiers und Schijndel lesen, dass der Begriff vom Geistigen Eigentum eine falsche Analogie vortäusche und für Immaterialgüter kaum passend sei, dass das Urheberrecht vor allem den Verwertern diene und es für das Einkommen von Kreativen gar nicht so zentral sei, wie man glaubt. Auch dass mit internationalen Verträgen wie TRIPS oder ACTA das bestehende System als Wirtschaftsrecht festgeschrieben werde, ohne dass nach seinem Nutzen für die eigentlichen Urheber oder auch die Länder abseits des Westens noch gefragt wird, stellen sie nicht als erste fest. Als Autoren einer Streitschrift müssen sie das ja auch nicht – sie bringen all das nur auf den Punkt.
Im Zentrum steht bei ihnen allerdings ein weiteres Argument. Nicht nur das Verwertungsrecht, auch das Persönlichkeitsrecht des Urhebers unterziehen sie einer grundlegenden Kritik: In einer demokratischen Gesellschaft stünde es den Künstlern nicht zu, allein darüber zu verfügen, was mit ihrem Werk geschieht. Das Persönlichkeitsrecht stütze ein einseitiges Verständnis von Kunst, bei dem nur der Künstler, nicht aber das Publikum das Recht hat, auf ein Werk zu reagieren, es durch eigene Transformationen zu hinterfragen oder anzufechten, weil eben das durch geistige Monopolrechte ausgeschlossen wird. Das Ergebnis kommt für Smiers und Schijndel daher einer „Spielart der Zensur” gleich.
Müssten Künstler und Kreativschaffende nach der proklamierten Abschaffung des Urheberrechts also mitansehen, wie jeder mit ihren Werken machen kann, was er will? „In der Tat, das müssten sie dann wohl”, bemerken die Autoren lapidar – fügen aber noch ein „fast” an. Auch mit anderen Mitteln könne man sich gegen unlautere Entwendungen oder Entstellungen wehren, Plagiate befürworten sie nicht. Das Urheberpersönlichkeitsrecht aber sehen sie in einem Funktionszusammenhang mit den Kreativindustrien, die sich der Herstellung von Aura für wenige Stars widmen, deren Image dann wiederum durch dieses geschützt werde – ein Modell, das die Autoren vehement ablehnen.
Neuer Markt statt nachjustieren
Um ihre Forderung zu begründen, versuchen sie im zweiten Schritt die Untauglichkeit von Reformen am Urheberrecht und Alternativmodellen zu demonstrieren. Eine Verkürzung der Schutzfristen? Für Smiers und Schijndel nur ein Zurück in eine gute alte Zeit, die es nie gegeben habe. Creative Commons? Nur ein Ausweichen auf individuelle Lizenzverträge, die nichts grundlegend ändern und Kreativen kein Einkommen bieten. Neue Pauschalabgaben? Halten sie für untauglich und unwahrscheinlich: Zu groß seien die praktischen Schwierigkeiten bei der Ausgestalltung, der Erfassung und den zu erwartenden Widerständen aus der Industrie. So kommen sie zu ihrem Fazit: Alle Versuche, das Urheberrecht ans 21. Jahrhundert anzupassen, seien gescheitert.
Und nun? Nachdem Smiers und Schijndel gedanklich tabula rasa gemacht haben, skizzieren sie, wie es ihrer Meinung nach besser gehen könne. Darunter verstehen sie: besser für die Künstler und auch die Werkmittler in der breiten Masse, schließlich auch für die Gesellschaft als ganze, die der Privatisierung von Wissen und kulturellem Schaffen durch wenige Konzerne etwas entgegensetzen müsse. Das Instrument dazu sehen sie im Markt – allerdings einem, der anders als der jetzige gestaltet sein soll, der über Monopolrechte wenige Verwerter privilegiere. In diesem – dann gewissermaßen idealen – Markt sollen statt den wenigen großen Rechteinhabern und -sammlern eine Vielzahl von Akteuren über die Herstellung kultureller Güter und ihre Vertriebswege bestimmen können.
Rückenwind erhoffen sie sich dabei durch die Verwerfungen der Finanzkrise. Smiers und Schijndel übertragen auf kulturelle Märkte, was in der Politik seit Bankenrettungs- und Stabilitätsprogrammen jetzt wieder laut gefordert wird, eine Regulierung nicht nur im Interese weniger Finanzmächte, sondern weiterer gesellschaftlicher Interessen. Hier wird deutlich, dass sich hinter ihrer Forderung nach Abschaffung des Urheberrechts eine weitere verbirgt: die nach neuen Rahmenbedingungen für die Produktion und Distribution von Immaterialgütern, die über die neoliberale Ordnung hinausgehen. In den Worten von Smiers und Schijndel: „Isolierte Maßnahmen, bei denen nicht zugleich auch die ungleiche ökonomische Machtverteilung angegangen wird, haben also wenig Sinn.”
An die Stelle des Urheberrechts soll bei ihnen vor allem das Wettbewerbs- und Kartellrecht treten. Gestützt auf eine – ein wenig freihändig wirkende – Interpretation des EU-Grundlagenvertrags wollen sie es so ausbauen, dass jede halbwegs dominante Position von Unternehmen auf kulturellen Märkten negative Konsequenzen für diese hätte, nicht etwa erst der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung. Für Smiers und Schijndel führt das bis zur Forderung, Medienkonzerne – und das System Hollywood gleich mit – zu zerschlagen. Dass sie damit den anfangs proklamierten Weg des Realismus schon lange verlassen haben, ist ihnen bewusst: „Wer meint, die Abschaffung des Urheberrechts sei der radikalste Teil unserer Analysen und Vorschläge, der täuscht sich”, schreiben sie.
Fazit
Überzeugt das Buch? Kommt drauf an: An vielen Stellen ist man geneigt, der Diagnose zuzustimmen, den Schlussfolgerungen aber nicht unbedingt. Ein Beispiel: Dass ein Werk nicht allein dem Künstler gehört, sondern auch der Gesellschaft, in die es entlassen wird, hat selbst das Bundesverfassungsgericht schon festgestellt – ohne daraus die Abschaffung des Urheberrechts abzuleiten, allerdings um die Grenzen der freien Bearbeitung (die trotz Urheberpersönlichkeitsrecht erlaubt ist) zu bestimmen. Als Leser findet man im Buch viele solcher möglichen gedanklichen Abzweigungen, während die Autoren schon wieder ein Kapitel ihrer Streitschrift weiter sind. Auch wenn man bedenkt, dass Smiers und Schijndel hier keine feingliedrige Abwägung, sondern eine politische Streitschrift vorlegen, wirkt ihre Argumentation an vielen Stellen schematisch. Sie soll nur belegen, was als Forderung sowieso schon feststeht.
Dabei übersehen sie auch Punkte, die eigentlich für ihr Anliegen von Bedeutung sein könnten, etwa die digitalen Gemeingüter, die trotz des – aber auch durch das – Urheberrecht über freie Lizenzen entstanden sind. Überhaupt ist es fast verwunderlich, dass sich zum vieldiskutierten Thema der Commons, das mehr als nur eine Lizenzlösung ist, kaum mehr als kurze Hinweise finden. Wahrscheinlich gilt es ihnen als halbe Sache. Für Smiers und Schijndel ist ja das Wettbewerbsrecht der Stein der Weisen, aber ihre Schilderung des neuen, idealen Marktes wirkt am Ende etwas reißbrettartig und abstrakt. Dieser dritte Teil überzeugt am wenigsten, auch weil sie zur Stützung ihrer Argumentation moralische Behelfsargumente – Nachdrucker etwa würden auch durch allgemeine Ächtung von Ihrem Tun abgehalten werden – importieren, statt ein neues Wettbewerbsmodell einmal ohne Vorbehalte durchzuspielen. Dass sie im vierten Teil dann noch ein paar neue Geschäftsmodelle anreißen, bleibt auch eher eine anekdotische Erdung ihres Entwurfs.
Dennoch kann man das Buch auch als wohltuende theoretische Lockerungsübung lesen. Es soll schon vorgekommen sein, dass Institutionen durch gesellschaftlichen Wandel in die Krise geraten und durch neue Arrangements überlagert und ersetzt werden, die dann wieder ähnliches leisten. Wer weiß schon, ob es dem Urheberrecht nicht ähnlich ergehen könnte? Sich inmitten des digitalen Wandels ein paar Gedanken darüber zu machen, wie solche Prozesse beim Urheberrecht und der Medienindustrie aussehen könnten, kann ja jedenfalls nicht schaden. Schließlich könnte das auch neuen Wind in die Urheberrechtsdebatte bringen, die immer noch von Ängsten und Verdächtigungen regiert wird. Dass ihre Thesen demnächst in Richtlinienentwürfen, multilateralen Verträgen und Koalitionsvereinbarungen stehen, ist wohl kaum zu erwarten – was man gut finden oder bedauern kann. Die Tatort-Autoren können jedenfalls erst einmal aufatmen und an den Modellen kann auch noch ein wenig gefeilt werden.
Veranstaltungshinweis:Am Dienstag, dem 26. Juni um 20 Uhrstellt Joost Smiers sein Buch im HBC Berlin vor und diskutiert mit Leonhard Dobusch – eine Veranstaltung von iRights.info und dem Alexander Verlag. Das Buch (deutsche Übersetzung von Ilja Braun) ist auf Papier (EUR 9,95) sowie als ePub und Kindle Edition (EUR 4,99) erhältlich.
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