Nicola Jentzsch: Es braucht kein Dateneigentum

iRights.info: Die angehende Bundesregierung möchte sich mit der Frage eines „Dateneigentums“ beschäftigen. Worum geht es dabei?

Dr. Nicola Jentzsch ist Ökonomin und leitet das Arbeitsgebiet Datenökonomie beim Thinktank „Stiftung Neue Verantwortung“ in Berlin. Foto: Sebastian Heise
Nicola Jentzsch: Dateneigentum bezeichnet die Idee, Verfügungsrechte über Daten einer Marktpartei zuzuordnen. Ein solches Verfügungsrecht ist beispielsweise das Recht, Daten zu veräußern. So soll Ausschließlichkeit etabliert werden, was bedeutet, dass ich andere von der Nutzung und der ökonomischen Verwertung der Daten ausschließen kann.
iRights.info: Wie würde das gehen?
Nicola Jentzsch: Rechtlich betrachtet gibt es verschiedene Ansätze dazu. Es gibt den Vorschlag, Daten mit Materialgütern – also physischen Gütern – gleichzustellen. Sie wären dann ebenso wie etwa ein Tisch, Stuhl oder Auto zu behandeln.
Eine andere Möglichkeit ist, Daten mit Immaterialgütern gleichzusetzen. Immaterialgüter sind nicht-physische Güter, beispielsweise Patente. Hier würde ein Dateneigentum wie ein geistiges Eigentumsrecht ausgestaltet. Dann könnte der Eigentümer die Nutzung der Daten an Dritte lizenzieren.
iRights.info: Wer fordert ein solches Dateneigentum?
Nicola Jentzsch: In der alten Bundesregierung hat das Ministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur die Idee unterstützt. In einem Strategiepapier des Ministeriums findet sich das Vorhaben, Daten mit Sachen gleichzustellen, um sie natürlichen oder juristischen Personen als Eigentum zuzuweisen. Das soll ein Datengesetz regeln.
In der Vergangenheit ist die Idee eines Dateneigentums immer mal wieder aufgeflammt. Verfügungsrechte über Information wurden ursprünglich in den USA diskutiert, allerdings vor einem ganz anderen Hintergrund. Dort gibt es auf Bundesebene nur für einzelne Branchen spezifische Datenschutzgesetze. Vor dem Hintergrund des ungehemmten Datenhandels in den 1990er Jahren sahen Juristen die einzige Möglichkeit, Datenschutz zu erreichen darin, Verbrauchern eine Art Eigentumsrecht zu geben.
iRights.info: Als Verbraucher möchte ich souverän entscheiden, wem ich meine Daten weitergebe und was jemand damit macht. Klingt doch gut, wenn sie mir gehören würden.
Nicola Jentzsch: Das klingt zunächst gut. Es könnte aber auch sein, dass mit Dateneigentum genau das Gegenteil von Souveränität erreicht wird.
Stellen Sie sich einen Versicherungsmarkt vor. Unternehmen könnten Verbrauchern anbieten, Fitnesstracker zu tragen, um Daten über Schrittzahlen, Besuche im Fitness-Studio oder über ihre Ernährung zu sammeln. Die fitten Versicherungsnehmer stimmen zu. Alle anderen wollen aber auch nicht unbedingt mit den Unfitten in einen Topf geworfen werden.
So könnte ein gesellschaftlicher Zugzwang entstehen, der kaum eine andere Wahl als die der Datenpreisgabe zulässt. Dies zu verweigern, könnte als Stigma gesehen werden. Es handelt sich um eine Dynamik, in der die Privatsphäre immer weiter erodiert.
iRights.info: Aber solche Tendenzen gibt es ja bereits jetzt.
Nicola Jentzsch: Wir beobachten schon jetzt die ersten Angebote von Plattformen, die damit werben, Verbrauchern die Souveränität über ihre Daten zurückzugeben. Unternehmen würden wahrscheinlich versuchen, sich vom Verbraucher – sofern er das Dateneigentum hält – Ausschließlichkeitsrechte einräumen zu lassen.
Märkte für Informationsgüter – etwa Suchdienste, soziale Netzwerke oder Kreditauskünfte – sind schon jetzt hochkonzentriert; es haben sich Monopole oder Oligopole herausgebildet. Ein Dateneigentum könnte diese Entwicklung verstärken. In einer fiktiven Welt des Datenverkaufs würde ein Datenverkäufer diese logischerweise zum höchsten Preis verkaufen. Dann muss man sich aber fragen, welches Unternehmen die tiefsten Taschen hätte, um den höchsten Preis zu bezahlen.
iRights.info: Sie haben die Diskussion über ein Dateneigentum in einem Papier zusammengefasst. Welches Fazit ziehen Sie?
Nicola Jentzsch: Ich persönlich sehe Dateneigentum kritisch. Ansprüche können auch anders geregelt werden und wir sollten uns besser darauf konzentrieren, die neue europäische Datenschutz-Grundverordnung, die am 25. Mai in Kraft tritt, umzusetzen. In Expertenkreisen erschließt sich vielen nicht, wozu ein Dateneigentum daher gut sein soll.
Viele Juristen sehen ein Eigentumsrecht an Daten als Fremdkörper in der deutschen Rechtsordnung. Das Datenschutzrecht schützt die Freiheitsrechte und die Selbstbestimmung des Einzelnen. Es begründet keine ökonomischen Verwertungsrechte, ermöglicht diese aber.
Wir wissen auch nicht, woran genau das Eigentum bestehen sollte: an den Daten als Rohstoff, den daraus entstehenden Informationen oder an beidem? Wären nur personenbezogene Daten umfasst oder auch Maschinendaten, die von Geräten erzeugt werden? Was ist mit pseudonymen Daten? Es ist auch offen, wie ein solches Eigentum technisch implementiert werden könnte. Es würde eine technische Großinfrastruktur benötigt, um das geregelt umsetzen zu können.
iRights.info: Wäre ein Dateneigentum ein Paradigmenwechsel vom Schutz der Daten zur Ermöglichung von Geschäftsmodellen?
Nicola Jentzsch: So würde ich es nicht sagen. Auch die jetzigen Regelungen – das Bundesdatenschutzgesetz und bald die Datenschutz-Grundverordnung – ermöglichen Geschäftsmodelle. Ein Dateneigentum müsste darüber hinaus so ausgestaltet sein, dass es den Grundprinzipien der Datenschutz-Grundverordnung nicht widerspricht. Zu diesen gehören Datensparsamkeit, Zweckbindung und datenschutzfreundliche Verfahren wie privacy by design und privacy by default.
iRights.info: Die Justizminister der Länder und des Bundes haben sich in einer Arbeitsgruppe mit dem Thema befasst. Sie kommt zum Ergebnis, dass an einem Dateneigentum „kein Bedarf“ bestehe.
Nicola Jentzsch: Das sehen eigentlich alle so, mit denen ich über das Thema gesprochen habe. Es gibt keine Erforderlichkeit, ein solches Eigentum einzuführen.
iRights.info: Das Verkehrsministerium verweist auf den Wandel der Automobilindustrie. Es fehle ein sicherer Rahmen, um „mobilitätsdatenbasierte Geschäftsmodelle“ zu ermöglichen.
Nicola Jentzsch: Ein Dateneigentum würde keinen sicheren Rahmen, sondern zusätzliche Rechtsunsicherheit schaffen. Die Unternehmen stehen schon jetzt vor der Aufgabe, die Datenschutz-Grundverordnung umzusetzen. Wenn die Politik etwas tun will, wäre es wünschenswert, Unternehmen bei der Umsetzung der Verordnung zu unterstützen und dort Rechtssicherheit zu schaffen, statt einen weiteren Regelungsrahmen zu entwerfen.
iRights.info: Wenn ein Dateneigentum der Automobilindustrie zugute kommen soll, müsste es dann nicht den Unternehmen statt den Verbrauchern zugesprochen werden?
Nicola Jentzsch: Rein theoretisch betrachtet ist es egal, wem die Eigentumsrechte zugesprochen werden. Denn die Handelbarmachung von Daten an sich, die sogenannte Kommodifizierung, führt in jedem Fall zum Handel. Die Unternehmen würden Verträge aufsetzen, welche die bereits erwähnte Dynamik in Gang setzen.
iRights.info: Sie haben die Idee auch ökonomisch betrachtet. Zu welchem Schluss kommen Sie?
Nicola Jentzsch: Fürsprecher des Konzepts sind der Ansicht, mit einem Dateneigentum wären die Verfügungsrechte geklärt und die Märkte würden besser funktionieren. Das halte ich für naiv.
Die Idee dabei ist: Ich kann andere von der Nutzung ausschließen und Rivalität im Verbrauch herstellen. Wären Daten ein solches Privatgut, hätte der Besitzer Monopolrechte über die Verarbeitung, Verwertung oder Veräußerung.
Aber genau daran krankt das Konzept. Daten sind immer auch öffentliche Güter. Andere können also nicht einfach von der Nutzung ausgeschlossen werden. Datenschutzgesetze gibt es ja gerade deshalb, weil persönliche Daten besondere Eigenschaften haben. Man kann auch die Luft nicht einfach wie ein Privatgut behandeln.
iRights.info: Was schlagen Sie vor?
Nicola Jentzsch: Es ist natürlich sinnvoll, über Modelle nachzudenken, wie Innovation bei gleichzeitiger Garantie von Privatsphäre befördert werden kann. Hier sollte es aber darum gehen, unter welchen Bedingungen den Marktteilnehmern Daten zur Verfügung gestellt werden können, um neue Dienstleistungen zu entwickeln. Vielleicht wären Datenpools ein geeignetes Modell. Die Diskussion über ein Dateneigentum dagegen halte ich nicht für fruchtbar.
Was sagen Sie dazu?